Der Fußballgott frisst seine Kinder
„Wir würden nie zum FC Bayern München gehen …“ Die Anti-Bayern-Hymne der Toten Hosen, lange Zeit das Lieblingslied aller Fußballromantiker, ist mittlerweile selbst fast Folklore geworden. Natürlich, die Bayern sind noch immer das, was sie einmal waren: die Spitze der Fresspyramide, diejenigen, die alles wegkaufen, was ihnen gefährlich werden könnte. Insofern eignen sie sich nach wie vor ganz hervorragend als Feindbild.
Aber Bayern München, das ist eben auch: Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, Georg „Katsche“ Schwarzenbeck, der eisenharte Vorstopper, der sich einst mit einem Last-Minute-Tor im Endspiel des Landesmeister-Cups gegen Atletico Madrid unsterblich gemacht hat, der immer zu einem Späßchen aufgelegte „Maier Sepp“ und natürlich Franz Beckenbauer, der trotz und zum Teil vielleicht auch wegen seiner fehlenden Abneigung gegen das Finanzielle noch immer die Identifikationsfigur des deutschen Fußballs ist.
Mit anderen Worten: Auch bei den Bayern gab es früher echte „Typen“, deren Selbstdarstellung nicht von Rhetoriktrainern und Fernsehcoachings bestimmt war, die ihren Sport zwar ernst nahmen, aber doch immer auch deutlich machten, dass es ein Leben außerhalb des Fußballs gibt. Das schafft eine Tradition, von der auch das heutige Wirtschaftsunternehmen „FC Bayern München“ noch zehrt.
Aber Hoffenheim? Hier versucht man zwar, als „1899“ Tradition vorzutäuschen. De facto aber ist Hoffenheim: SAP, neuerdings aufgepeppt durch die penetrante Coolness eines aufstrebenden Jungtrainers. Und was die Rasenballsportler aus Leipzig anbelangt, so genügt ein Blick auf die überdimensionierten Werbebanden ihres Stadions, um zu erkennen, dass Fußball hier nur ein Mittel zum Vertrieb eines Energy-Drinks ist.
Beide Vereine haben mit demselben Konzept Erfolg: Sie konzentrieren sich auf größtenteils junge, „hungrige“ Spieler, die sie unter Anleitung ambitionierter Trainer zu einer Mannschaft mit klarem Konzept formen lassen. Ferner wurden jeweils nicht bestehende Großklubs übernommen, sondern zuvor bedeutungslose Vereine zu solchen entwickelt. Die neuen Gebilde werden dabei als Teil der Event-Kultur konzipiert und ganz gezielt dort angesiedelt, wo dafür noch eine Marktlücke besteht.
In der Investmentszene des Fußballs lassen sich damit zwei Strategien voneinander unterscheiden: Im einen Fall konzentriert man sich auf meist mäßig erfolgreiche Großstadtvereine, die dann mit Starspielern und international renommierten Trainern zum Erfolg gepusht werden. Diese Strategie ist allerdings kein Millionen-, sondern ein Milliardenspiel. Sie steht zudem stets in der Gefahr, zwischen den bestehenden Vereinsgremien zerrieben und von den Machtansprüchen der alten Clubgarde blockiert zu werden. Um erfolgreich zu sein, braucht man in diesem Fall schon Luxussöldner à la Zlatan Ibrahimovic. Ansonsten läuft man Gefahr, mit seinem Vermögen – wie beim Bundesliga-Dino aus Hamburg oder den zum Poker-Club verkommenen „Sechzigern“ aus München – nur ein Millionengrab zu schaufeln.
Langfristig erfolgreicher scheint die zweite Investment-Strategie zu sein, bei der die Vereinsstrukturen komplett vom Investor erschaffen und kontrolliert werden, bis das Investment sich amortisiert hat und die Strukturen sich von selbst tragen. Da man für jüngere, perspektivreiche Spieler zudem weniger Geld auf den Tisch legen muss, ist diese Strategie auch unter ökonomischen Aspekten sinnvoller.
Für die Fußballkultur laufen beide Strategien allerdings auf dieselbe Seelenlosigkeit hinaus: Im einen Fall verlieren die Vereine im Zuge der finanziellen Übernahme ihre Seele, im anderen Fall entwickeln sie erst gar keine. Fußballtypen wie die eingangs erwähnten sind schlicht nicht mehr möglich, wenn ein Club nur noch als Durchlauferhitzer für die Wertsteigerung von Talenten fungiert. Die Spieler sind dann im doppelten Sinne Schachbrettfiguren: Für den Investor sind sie eine Geldanlage, für das Trainerteam Bausteine im Rahmen eines bestimmten Spielkonzepts. Damit aber sind sie komplett austauschbar, und es ist völlig gleichgültig, ob man das Gebilde nun „1899“, „Rasenballsport“, „9981“ oder „Rasenkantenrasierer“ nennt.
Mit was soll man sich da identifizieren? Woher sollen die Emotionen kommen, wenn nicht aus dem Widerstand gegen diese Zerstörung des Sports durch die Fußballheuschrecken?
Es ärgert mich deshalb, wenn die Sportreporter mit ihrem gouvernantenhaften Tadel die Fans maßregeln, die sich gegen diese Entwicklung zur Wehr setzen. Wenn auch die Protestformen in manchen Fällen verbesserungswürdig sein mögen, so ist die Kritik an sich doch bedenkenswert. Natürlich ist die immer stärkere Ökonomisierung des Fußballs eine Entwicklung, die nicht von den Fußballinvestoren zu verantworten ist. Diese sind vielmehr nur das logische Resultat der immer aberwitzigeren Summen, die in Spielertransfers und -gehälter, Übertragungsrechte von Fußballspielen sowie den Werbe- und Mechandisingbereich gesteckt werden. Am Ende dieses Weges aber stünde ein völlig seelenloser Fußball, der in etwa so spannend wäre wie eine Börsenrallye. Dann wären die Fernsehsessel bei Fußballübertragungen irgendwann so leer wie heute schon die Stadien in Italien, und dann würde vielleicht auch der arbeitslos gewordene Sportreporter die Kritik der Fans endlich ernst nehmen.
Ich weiß, manch einer wird mich jetzt fragen: Was hast du eigentlich? Fußballspiele sind doch die modernen Gladiatorenkämpfe, der „Brot-und-Spiele-Zynismus“ der Neuzeit, das neue Opium des Volkes, das nur von den wahren Problemen der Gesellschaft ablenkt. Es ist doch gut, wenn so etwas sich von selbst erledigt!
Das stimmt natürlich alles. Aber der Fußball liefert eben oft auch parabelhafte Erzählungen, die manchmal mehr über das Leben aussagen als tausend Worte: über den Wert des Glaubens, der mitunter – wie zuletzt im Fall von Werder Bremen – eben doch Berge versetzen kann, über den Lohn der Treue (St. Pauli und Ewald Lienen), die Dialektik von Kollektiv und Individuum, die sich beide nur entwickeln können, wenn sie einander fördern, statt einander zu hemmen, und nicht zuletzt: über die Unvorhersehbarkeit des Lebens, die Möglichkeit, dass auch die verfahrenste Situation noch ein glückliches Ende nehmen kann, in der Nachspielzeit der Nachspielzeit, wenn längst niemand mehr an uns geglaubt hat.
Weiteres Essay zum Thema: Spiegelbild Fußball