Eine Glosse zum geplanten EU-Leistungsschutzrecht.
Nun ist es also passiert: Das EU-Parlament hat mit großer Mehrheit für die Einführung eines neuen „Leistungsschutzrechtes“ votiert. Bei der Berichterstattung darüber hat sich die Sprachregelung eingebürgert, die EU wolle das Urheberrecht an das Internetzeitalter anpassen. Die „Kulturschaffenden“ könnten frohlocken, endlich dürften sie wieder mit einer anständigen Vergütung ihrer Arbeit rechnen.
Wow! Lauter gute Nachrichten! Danke, liebe EU, der Tag ist gerettet. Tatsächlich war es ja auch ein völlig veraltetes Modell, für die guten alten Zeitungsartikel Geld einzufordern, wenn andere darauf verlinken. Das säckeln ja doch nur die großen Verlagshäuser ein, und die Journalisten, die eigentlichen Urheber, gehen leer aus. Endlich können sie ihre Artikel ohne den Umweg über die großen Verlagskraken veröffentlichen, endlich können sie die Möglichkeiten des Internets nicht nur nutzen, sondern werden dafür auch noch entlohnt, indem sie an den Gewinnen, die die Internetriesen mit ihren Artikeln machen, beteiligt werden. Endlich wird der Ausbeutung von Journalisten durch die großen Verlagshäuser ein Riegel vorgeschoben.
Ich bin schon sehr gespannt, wie die Beteiligung konkret aussehen wird. Wird jeder Artikel pauschal vergütet, weil jedes geistige Produkt die Vielfalt im Netz erhöht und so den Anreiz, bestimmte Portale aufzusuchen, erhöht? Oder richtet sich die Vergütung nach der Anzahl der Verlinkungen bzw. der Klicks, die ein Artikel generiert? Sind vielleicht die Werbeeinahmen, die mit den geistigen Produkten zu erzielen sind, ausschlaggebend?
Auch für die Poeten werden nun goldene Zeiten anbrechen. Nie wieder wird ein Autor von den Verlagen mit Almosen abgespeist werden. Vorbei die Zeiten, da Lyrik als brotlose Kunst galt. Ab sofort wird jedes Gedicht honoriert, sobald es veröffentlicht wird. Kein Dichter muss mehr betteln gehen, irgendwie wird das goldene Kalb „Internet“ Dukaten in seinen Schoß regnen lassen. Kein Lektor wird mehr mit Blick auf die Bilanzen die dichterischen Höhenflüge in marktkonforme Allerweltssprüche umwandeln.
Und erst die Musiker! Endlich müssen sie sich nicht mehr der Mühsal nervenaufreibender Tourneen unterziehen! Vorbei die Zeiten, da windige Manager, Musiklabels und Streaming-Plattformen ihnen den letzten Cent aus der Tasche gezogen haben. Ab sofort bekommen auch sie für jedes Anhören ihrer Lieder im Netz den ihnen gebührenden Lohn. Ganz unabhängig davon, wo und wie sie ihre Songs hochladen.
Wie? Ich habe da was falsch verstanden? Das neue Urheberrecht soll gar nicht den Urhebern geistiger Inhalte, sondern den alten Monopoleinrichtungen für die Verbreitung solcher Inhalte zugutekommen? Das Hochladen von Inhalten wird sogar erschwert, weil Internet-Plattformen in Zukunft automatisch Dinge zurückweisen müssen, die im Verdacht stehen, das Recht der großen Medienkonzerne an bestimmten geistigen Inhalten zu verletzen? Sogar Links, die Währung all jener, die im Netz veröffentlichen, sollen erschwert werden? Nachweise und Zitate werden praktisch besteuert? Es wird kaum noch einen freien geistigen Austausch im Netz geben?
Aber … Das würde ja dann bedeuten, dass das „Leistungsschutzrecht“ gar keine geistigen Leistungen schützen soll, sondern unter „Leistung“ nur den finanziellen Gewinn versteht, den die Medien- und Kulturindustrie mit den geistigen Produkten anderer macht. Schade, schade! Und ich habe schon gedacht, das EU-Parlament hätte endlich mal etwas für die Freiheit in Europa getan … Vielleicht ist es ja doch nicht ohne Wirkung geblieben, dass am Tag zuvor Viktor Orban seinen autoritären Geist über die Parlamentarier ausgeschüttet hat.
Weiterer Beitrag zum Thema: Die lästige Freiheit des Internets
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