Ein Blick auf die französischen ChansondichterInnen
Zwischen französischem Chanson und Poesie gibt es vielfältige Berührungspunkte. Bei nicht wenigen Chansons handelt es sich um Vertonungen von Werken berühmter Dichter. Oft weisen aber auch die Texte der Chansonniers selbst eine poetische Qualität auf.
Ein sehr schöner Essai. Vielleicht ein wenig zu glatt. Ganzheitliche Lebensführung und Wahrnehmungsmuster durchschauen – das klingt doch mehr nach Aufklärung als nach Romantik. Ich denke schon eine Weile über die Romantik nach, weil dort der Bruch mit dem Naturschönen stattfindet und ein artifizielles Schönes, das nicht aus der Natur genommen ist, das sich der Natur entgegensetzt und seine Unabhängigkeit von ihr deklariert, auftaucht. Diese Hybris der Kreativität tobt sich ja gegenwärtig in der technischen Welt voll aus.
Ich kannte keines der Chansons, obwohl ich früher auf solche Sachen geachtet habe, so sehr hatten mich die Windräder absorbiert. Nun habe ich den Blog im Wesentlichen aufgegeben (vgl. https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2020/02/19/der-freie-horizont-und-der-artenschutz/).
Meine roten und grünen Freunde (ich kenne ja nicht einmal jemanden, der die AfD schätzt, persönlich und spreche ihr wahrscheinlich auch deswegen keine große Bedeutung zu) verteidigen mir gegenüber ihre rote und grüne Weltsicht stets mit Nachdruck. Aber dieses Mal ist die Situation eingetreten, dass eine Freundin, nachdem die Diskussion eigentlich schon zu Ende war, plötzlich sagte, dass sie die Dinge gar nicht aushalten könnte, wenn sie sie so ansehen würde, wie sie sind. Diese rot-grüne Ideologie ist offenbar ein Schutzpanzer, der einen mit einer unerträglichen Welt aussöhnt. Aber diese Bemerkungen (ich bin, glaube ich, ins Plaudern gekommen) beziehen sich schon nicht mehr auf den Essai. Hier wäre höchstens noch anzumerken, dass das Chanson auch Möglichkeiten zur Wirklichkeitsflucht bereithält. Pour moi au moins.
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Ja, lieber René, Du hast natürlich Recht: Wenn man an Idlib und die Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer, an die allgegenwärtige Naturzerstörung und die selbstgerechten Wachstumsfetischisten denkt, vergeht einem schnell die Freude an der Poesie. Sich der wohligen Melancholie hinzugeben, wie sie von einem Chanson wie Le départ von Amandine Maissiat ausgeht, erscheint dann fast schon obszön.
Andererseits: Kommt es nicht einer Art von Kapitulation gleich, wenn wir uns von der hässlichen Fratze, die die Welt uns so oft zuwendet, dazu erziehen lassen, nichts Schönes mehr zu denken, zu fühlen und zu tun? Ich muss bei solchen Diskussionen immer an Nicolas Born denken, einen viel zu früh verstorbenen Vertreter der „Neuen Subjektivität“, die Anfang der 1970er Jahre an die Stelle der Agitprop-Literatur der Studentenbewegung getreten war. Kritikern, die den „Glücksanspruch“ des Einzelnen mit dem Hinweis auf die ‚Unvernünftigkeit‘ dieses Anspruchs diskreditierten, hat er 1972 in einem Essay (Ist die Literatur auf die Misere abonniert?) entgegenhalten, die Forderung, „auf dem Teppich zu bleiben und nicht wunschzudenken“, sei „viehisch“. Denn wenn „die Sehnsucht nach der ungestörten Idylle (…) ohnehin nur noch imaginativ erfüllt werden“ könne, müsse sie doch wenigstens auf diesem Wege „intakt gehalten werden“.
Die Poesie ist, so betrachtet, gerade kein eskapistisches Vergnügen, sondern eine Voraussetzung für das utopische Denken. Denn durch die sprachliche Erneuerung, die mit ihr einhergeht, trägt sie zu einer anderen Sicht auf die Welt bei, ohne die eine Annäherung an die Utopie einer anderen, besseren Welt undenkbar ist.
Eben diese Einsicht in die alles verwandelnde Kraft der Poesie ist für mich der Kern des romantischen Lebensgefühls. Dies ist zugleich untrennbar verbunden mit einer engen Beziehung zur Natur, die ja ebenfalls nichts anderes tut, als alles immerfort zu verwandeln. Die Kunst Schaffenden tun damit letztlich nichts anderes, als der Natur nachzufolgen. Die Natur nachzuahmen, bedeutet deshalb im romantischen Sinn nicht: realistisch sein, sondern: die Verwandlungskraft der Natur auf die Kunst übertragen.
Die Schönheit der Natur und die Schönheit der Kunst sind damit in einer gemeinsamen Ästhetik verbunden. Beide sind, um es mit Schelling zu sagen, nur Ausprägungen des einen, alles durchwirkenden Geistes. Mir scheint, dass dieser spezielle Zugang zur Natur heute in Frankreich lebendiger ist als in Deutschland. Ein ähnlicher Windkraftfanatismus wie hierzulande ist deshalb dort kaum vorstellbar.
Amandine Maissiat hat sich übrigens in einem Interview ausdrücklich zu einem „romantisme“ im Sinne einer speziellen „Kunst, zu leben“, bekannt („Le romantisme, c’est un art de vivre“).https://www.francetvinfo.fr/culture/musique/chanson-francaise/interview-maissiat-le-romantisme-c-est-un-art-de-vivre_3279061.html
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Vielen Dank für den schönen und interessanten Text und die vielen Musiktipps. Ich habe mich mit Vergnügen darin verloren. Die Diskussion über die Romantik führt zwar etwas von diesem Post weg, war mir aber auch interessant. Meine Wahrnehmung: Von den Anhängern von Tesla, Windkraft und anderen Arten der technizistischen Weltenrettung werden die Naturzerstörungen gerade als „vernünftig“ und rational begründet hingestellt. Das Empfinden der Landschaftszerstörung durch WKA wird als ein „Kleben an obsoleten Landschaftsklischees“ als „gefühlsduselig“ hingestellt. Die Abtötung von Naturverbundenheit und Sinn für Ästhetik wird als Sieg der Ratio über den Konservatismus gefeiert. Ein Politiker erklärte (so ungefähr) die monströsen Windkraftanlagen im Wald als „Monumente der Vernunft“ . Damit ist das romantische Weltbild, dem man auch eine gewisse Rückwärtsgewandtheit vorwerfen könnte, das glatte Gegenteil der betonen Welt der WKA-Technokraten.
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