Zum parlamentarischen Umgang mit der AfD

Solange die Justiz der AfD kein Stopp-Schild zeigt, müssen sich Bundestag und Landesparlamente mit der Präsenz dieser Partei abfinden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass verbale Entgleisungen einzelner AfD-Politiker klaglos hingenommen oder gar honoriert werden müssen.
INHALT:
Skandalfall Thüringen
AfD-Politiker als Ausschussvorsitzende im Bundestag
Schlingerkurs des Bundestags
Versagen der Justiz
Nachweise
Skandalfall Thüringen
Unter den stellvertretenden Parlamentspräsidenten im Thüringer Landtag wird sich mit Heinz Kaufmann, Professor für Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik an der Jenaer Ernst-Abbe-Hochschule, in Zukunft auch ein AfD-Politiker befinden. Gewählt worden ist er u.a. auch mit der Stimme von Bodo Ramelow, dem neuen und alten Ministerpräsidenten.
In dem vergifteten politischen Klima in Thüringen war das sogleich Anlass für hämische Kommentare. Grundtenor: Auch die Linke arbeitet mit der AfD zusammen. Warum soll sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich dann nicht mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen?
Es ist ein typisches Beispiel für mangelnde Differenzierung. Denn klar ist: Wenn eine Partei mit über 20 Prozent der Stimmen ins Parlament gewählt wird, kann sie nicht einfach ignoriert werden. Die Partei erhält dann eine üppige Wahlkampfkostenerstattung, ihre Abgeordneten haben Stimm- und Rederecht im Parlament und dürfen in den diversen Ausschüssen mitarbeiten.
Wenn eine Partei so offen völkisch agiert und argumentiert wie die AfD – speziell ihr thüringischer Landesverband um Björn Höcke –, stellt sich für die anderen, demokratischen Parteien allerdings die Frage, wie der Einfluss der entsprechenden Abgeordneten einzudämmen ist. Dies ist eine strategische Frage, die folglich auch nicht mit einer reinen Symbolpolitik – wie dem verweigerten Handschlag von Ramelow mit Höcke nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten – zu beantworten ist.
In Thüringen ist etwa der Richterwahlausschuss nur entscheidungsfähig, wenn jede im Parlament vertretene Partei einen Vertreter in das Gremium entsandt hat. Dies gibt einer Partei wie der AfD ein beträchtliches Erpressungspotenzial an die Hand. Die Wahl eines AfD-Abgeordneten zu einem der stellvertretenden Landtagspräsidenten erscheint vor diesem Hintergrund gerade als Schachzug zur Eindämmung des Einflusses der AfD. Denn die Präsenz im Parlamentspräsidium bietet weit weniger Einflussmöglichkeiten, als es durch eine Blockadehaltung im Richterwahlausschuss möglich wäre.
AfD-Politiker als Ausschussvorsitzende im Bundestag
Anstatt nach einer Retourkutsche für die selbst verschuldete Schmach bei der thüringischen Ministerpräsidentenwahl zu suchen, sollten die konservativen Parteien besser ihren eigenen Umgang mit der AfD kritisch hinterfragen. Dabei fällt der Blick zwangsläufig auf die Ausschussvorsitzenden aus den Reihen der AfD, die nach der letzten Bundestagswahl durch Ja-Stimmen oder Stimmenthaltungen von CDU und FDP und unter Stimmenthaltung von Grünen und SPD gewählt worden sind. Nur die Linken hatten damals alle drei AfD-Ausschussvorsitzenden abgelehnt.
Gewählt worden sind:
- als Vorsitzender des Haushaltsausschusses: Peter Boehringer (geb. 1969). Boehringer vertritt die These, dass es sich bei Flüchtlingen aus dem Nahen Osten in Wahrheit um eine von Saudi-Arabien finanzierte Invasion handle. Ziel sei eine „Umvolkung“ Deutschlands, durch die Europa islamisiert werden solle. Mit der Öffnung der Grenzen für die Flüchtlinge habe Angela Merkel 2015 vor dem „kriminellen = koranhörigen = frauenverachtenden Macho-Mob der Surensöhne“ kapituliert. Die von Boehringer deshalb als „Merkelnutte“ geschmähte Kanzlerin habe so dafür gesorgt, dass „UNSER Volkskörper (…) gewaltsam penetriert“ werde.
Boehringer bedient sich damit einer gleichermaßen rassistischen wie völkischen Wortwahl. Männer aus dem islamischen Kulturkreis diffamiert er pauschal als „Kriminelle“ und Vergewaltiger. Indem er das „gewaltsame Penetrieren“ nicht nur auf Frauen, sondern auf den gesamten „Volkskörper“ bezieht, greift er zudem die typisch biologistischen rhetorischen Versatzstücke aus dem Dunstkreis völkischer Argumentationsmuster auf. Dass er in einem Atemzug allen Muslimen die Verachtung von Frauen vorwirft und selbst mit ausgesprochen frauenverachtenden Beleidigungen über Angela Merkmal herfällt, scheint Boehringer noch nicht einmal aufzufallen.
- als Vorsitzender des Rechtsausschusses: Stephan Brandner. Der 53-jährige Brandner, der sich während seiner Zeit als Mitglied der thüringischen AfD-Fraktion selbst stolz als „Pöbler aus dem Landtag“ bezeichnet hat, ist mehrfach durch verbale Entgleisungen aufgefallen. Syrische Familien hat er als „Vater, Mutter und zwei Ziegen“ verhöhnt, Politiker der Grünen pauschal als „Kinderschänder und Koksnasen“ diffamiert. Höckes Diskreditierung der deutschen Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit als „Schuldkult“ wird von ihm uneingeschränkt unterstützt.
Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle hat Brandner einen Tweet geteilt, in dem die Reaktionen deutscher Politiker auf das Verbrechen kritisiert wurden: Anstatt mit Kerzen in Moscheen und Synagogen ‚herumzulungern‘, sollten sie sich lieber mit den Angriffen auf ‚Bio-Deutsche‘ auseinandersetzen. Als erster Parlamentarier in der Geschichte der Bundesrepublik wurde Brandner daraufhin als Vorsitzender eines Bundestagsausschusses abgewählt.
- als Vorsitzender des Tourismusausschusses: Sebastian Münzenmaier. Münzenmaier, Jahrgang 1989, schloss sich zunächst der rechtsextremen, vom bayerischen Verfassungsschutz beobachteten Partei „Die Freiheit“ an. Nach seinem Eintritt in die AfD im Jahr 2013 war er als Fraktionsgeschäftsführer im rheinland-pfälzischen Landtag tätig, ehe er 2017 in den Bundestag gewählt wurde.
Als Mitglied einer Hooligangruppe des 1. FC Kaiserslautern hat Münzenmaier sich 2012 an Angriffen auf Fans des FSV Mainz 05 beteiligt, die dabei teilweise erheblich verletzt worden sind (bis hin zu Knochenbrüchen). Die Polizei hat danach in der Wohnung von Münzenmaier Schlagstöcke, Sturmhauben und Trophäen-Fotos mit den erbeuteten Utensilien von Mainzer Fans sichergestellt. Nachdem der Bundestag Münzenmaiers Immunität aufgehoben hatte, wurde dieser im Dezember 2018 rechtskräftig wegen der Tat verurteilt.
Schlingerkurs des Bundestags
In allen drei Fällen kann man wohl, vorsichtig ausgedrückt, feststellen: Volksvertreter würden man sich in einem demokratischen Rechtsstaat anders vorstellen. Es ist deshalb völlig unverständlich, warum die Vertreter der anderen Parteien hier nicht von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, den unverhohlen völkisch argumentierenden Kollegen den Ausschussvorsitz zu verweigern.
Das dagegen ins Feld geführte Argument lautet: Es entspricht den parlamentarischen Gepflogenheiten, die stärkste Oppositionspartei in einigen Ausschüssen auch den Vorsitz übernehmen zu lassen – darunter auch den im besonders wichtigen Haushaltsausschuss. Dies ist zweifellos richtig. Richtig ist allerdings auch, dass laut Geschäftsordnung des Bundestags allen im Parlament vertretenen Parteien ein Platz im Bundestagspräsidium zusteht. Dieser Sitz aber ist der AfD bereits in mehreren Abstimmungen verweigert worden. Begründung: Die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Sie müssen nicht jeden vorgeschlagenen Kandidaten wählen, auch wenn die Partei grundsätzlich einen Vertreter in das zu wählende Gremium entsenden darf.
So stellt sich die Frage, warum bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden das Gewissen an der Garderobe abgegeben worden ist, während die Abgeordneten sich bei der Wahl des stellvertretenden Parlamentspräsidenten unerschrocken in ihre Gewissensrobe hüllen. Mögliche Antwort: Die Präsenz im Parlamentspräsidium bedeutet größeres Prestige. Mehr Einflussmöglichkeiten bietet allerdings der Vorsitz in einem der Ausschüsse.
So erweist sich die schizophrene Gewissensspaltung als politisch nicht zielführend. Sie erlaubt es der AfD einerseits, über die Ausschüsse die Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen, gestattet es ihr andererseits aber auch, sich durch die Verweigerung des Platzes im Parlamentspräsidium in der Opferrolle einzurichten. Konsequenz sieht anders aus.
Versagen der Justiz
Letztlich können die Probleme, die eine Partei wie die AfD in einer parlamentarischen Demokratie auslöst, aber nicht von der Politik allein gelöst werden. Im Grunde haben wir es hier mit einem Versagen der Justiz zu tun.
Natürlich möchte niemand, dass als Schranke vor dem Einzug ins Parlament eine Art Meinungskontrolle steht. Auf der anderen Seite dürfte aber niemand in den Bundestag einziehen, der sich ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert hätte. Mindestens ebenso gefährlich wie ein solches Tattoo ist es allerdings, wenn jemand das Hakenkreuz auf der Zunge trägt.
Es geht hier nicht darum, ob ein Politiker sich kritisch zur Einwanderung nach Deutschland äußert oder ein konservativ-traditionalistisches Weltbild pflegt. Eine Gefahr für die Demokratie ergibt sich erst dann, wenn Politiker sich einer offen völkischen Wortwahl bedienen. Dabei mag es Grauzonen geben, und es ist sicher richtig, hier mit einem mehrstufigen Abmahnverfahren zu arbeiten.
Im Falle der oben angeführten Zitate von AfD-Parlamentariern muss man jedoch kein Sprach- oder Geschichtswissenschaftler sein, um festzustellen: Politiker, die sich in einer so ostentativen, geradezu lustvollen Weise als verbale Wiederholungstäter hervortun, sollten in einem demokratischen Rechtsstaat zumindest kein passives Wahlrecht genießen.
Nachweise
Zu Peter Boehringer:
Amann, Melanie: E-Mail bringt AfD-Mann in Erklärungsnot. In: Der Spiegel, 10. Februar 2018.
Leber, Sebastian: So extrem sind die Kandidaten der AfD. In: Der Tagesspiegel, 21. September 2017.
Meyer, Robert D.: AfD im Bundestag: Hardliner für die Ausschussführung. In: Neues Deutschland, 25. Januar 2018.
Neues Deutschland: Krude E-Mail bringt AfD-Mann in akute Erklärungsnot. 11. Februar 2018 (adaptierte Agenturmeldung).
Neumann, Philipp / Mohammady, Francis Kahwe / Martus, Theresa: AfD-Kandidat soll Kanzlerin „Merkel-Nutte” genannt haben. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25. Januar 2018.
Zu Stephan Brandner:
Baumann, Birgit: Stephan Brandner: Ein Pöbler der AfD soll im Bundestag für Recht sorgen. In: Der Standard, 31. Januar 2018.
Locke, Stefan: AfD-Mann in KZ-Gedenkstätte: Brandners brisanter Besuch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. August 2018.
Spiegel Online: Landtag in Thüringen: AfD-Abgeordneter muss nach Pöbeleien den Saal verlassen. 19. Mai 2016 (adaptierte Agenturmeldungen).
Welt Online: Empörung über Tweets von AfD-Politiker Brandner. 12. Oktober 2019 (ohne Autorenangabe).
Zu Sebastian Münzenmaier:
Dpa: AfD-Politiker wegen Hooligan-Angriff verurteilt. In: Frankfurter Rundschau, 18. Oktober 2017.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gefährliche Körperverletzung? Mainzer Spitzenkandidat der AfD angeklagt. 25. Juli 2017 (adaptierte Agenturmeldung).
Pfalz-Ticker: AfD-Politiker wegen Verstrickung in Hooligan-Attacke verurteilt. In: Die Rheinpfalz, 17. Dezember 2018.
Bildnachweis: Zachtleven: Girls (Pixabay)
Der Satz „Volksvertreter würde man sich in einem demokratischen Rechtsstaat anders vorstellen“ ist unbedingt zu unterschreiben. Er trifft auch allerdings auch auf jene Volksvertreter zu, die eine Politik betreiben, die dazu führt, dass solche Volksvertreter, wie man sie sich in einem demokratischen Rechtsstaat nicht vorstellen würde, gewählt werden. Die AfD-Politiker sind Symptome der Politik eines arroganten und ignoranten Politikestablishments. CDU, FDP, SPD und Grüne haben aus den Fehlern, die von ihresgleichen in Polen und in den USA gemacht wurden, nichts gelernt, sondern spielen mit dem Feuer und missachten mutwillig die Interessen großer Teile der Wählerschaft, vor allem im ländlichen Raum, die sie durch ihre Rücksichtslosigkeit und Missachtung gewissermaßen an die AfD verweisen. Die AfD erfüllt eine notwendige Funktion in der Politik der sich demokratisch nennenden Parteien. Wenn es sie nicht gäbe, würden sie sie erfinden.
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