Die Fußballfee

6 Wünsche, die (fast) alles verändert haben

Mehrere Wochen Pause im Fußballzirkus, und das mitten in der Saison – ob das die Karten wohl neu gemischt hat? Gut, dass ich vergangene Nacht die Fußballfee getroffen habe. Ihre sechs Augen haben auch mir die Augen geöffnet.

Letzte Nacht konnte ich mal wieder nicht einschlafen. Also bin ich zum Sportplatz gegangen, um mich müde zu laufen.
Unser Sportplatz hat noch einen ganz klassischen Aufbau: außen Tartanbahn, innen Fußballfeld. So hatte ich bei meinem privaten Nachtmarathon stets das Allerheiligste vor Augen, das innerste Zentrum des Sports: den Ball.
Ich hatte gerade meine erste Runde gedreht, da meinte ich mitten auf dem Fußballfeld jemanden gehen zu sehen. Oder vielmehr: Es sah so aus, als würde da eine Gestalt ganz schwerelos dahinschweben, wie Lionel Messi, wenn er die Abwehrreihen austanzt.
Als ich genauer hinsah, erkannte ich: Das, was da über den Platz sdark-1850067_1920 (2)chwebte, war kein Fußballspieler. Es war niemand anderes als die Fußballfee! Ist ja auch viel naheliegender, sagte ich mir. Welcher Fußballstar trainiert schon mitten in der Nacht ganz allein auf einem dörflichen Bolzplatz?
Ich hatte zwar schon viel von der Fußballfee gehört. Persönlich begegnet war ich ihr aber noch nie. Also überwand ich meine Scheu und ging vorsichtig auf sie zu. Je näher ich ihr kam, desto deutlicher erkannte ich ihre Gestalt. Sie hatte – wie konnte es auch anders sein? – einen kreisrunden Kopf, der aber keineswegs ebenmäßig wirkte. Auf die Entfernung sah es aus, als wäre er von zahlreichen Narben durchzogen. Bei näherem Hinsehen wurde mir jedoch klar, dass es sich dabei um eine Art von Tattoos handelte, in denen sich Strafräume, Anstoßkreise und Eckfahnen widerspiegelten.
Erst ganz zum Schluss – ich hatte die Gestalt schon fast erreicht – fiel mir ein, dass ich ja gar nicht wusste, wie man eine Fußballfee anspricht. Infantinissima? Fußballerina? Oder doch eher Euer Hochwohlgeborene Torheit? Nein, das wohl eher nicht …
Als ich schließlich vor der Fußballfee stand, stammelte ich nur: „Ha-Ho-He, es lebe die große Fußballfee …“
soccer-2436345_1920 (2)Josh DickNachsichtig lächelte die Fee mich an. „Du hast weise gesprochen“, befand sie. „Dir seien sechs Wünsche gewährt!“
Sechs Wünsche? dachte ich. Waren es nicht immer drei gewesen? Da aber bemerkte ich, dass die Fee sechs Augen hatte, die sich kreisrund um ihren Kopf verteilten. Ein jedes Auge war auf eine andere Stelle des Fußballplatzes gerichtet, nichts konnte ihr entgehen. Deshalb also die sechs Wünsche!
Aus Angst, die Fee könnte es sich noch einmal anders überlegen, begann ich augenblicklich mit meinem Wunschkonzert. Da mein Lieblingsverein in der Regionalliga spielt, tauchte ich mit meinem ersten Wunsch in die Niederungen der Fußballwelt ab: „Ich wünsche mir“, sagte ich mit zitternder Stimme, „dass es ab sofort eine einheitliche Vierte Liga gibt. All die stolzen Traditionsvereine, die sich da tummeln, dürfen nicht mehr als Sparringspartner für die zweiten Mannschaften der Großklubs missbraucht werden. Wenn die ihren Nachwuchs unter Wettkampfbedingungen testen und formen wollen, sollen sie dafür doch eine eigene Liga gründen!“
Verständnisvoll sah das erste Auge der Fußballfee mich an. „Dein Wunsch sei dir gewährt!“ dekretierte sie.
Derart ermutigt, ließ ich mich bei meinem zweiten Wunsch nicht lange bitten: „Als Zweites wünsche ich mir, dass es nur noch gemischte Mannschaften geben soll. Jedes Team soll zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen. Auch auf dem Fußballplatz soll Gleichberechtigung herrschen. Das wird für eine neue Spielkultur sorgen – und es würde auch schöner aussehen!“
Belustigt zwinkerte die Fußballfee mit dem zweiten Auge. „Dein Wunsch sei dir gewährt!“ entschied sie.
Jetzt kam ich langsam richtig in Fahrt. Ich beschloss, mich gleich in den siebten Fußballhimmel zu wünschen. „Sodann möchte ich“, fuhr ich fort, „dass die Auswahl neuer Teammitglieder wie bei der Draft im US-Basketball funktioniert: Das Team, das in der abgelaufenen Saison am schlechtesten abgeschnitten hat, hat den ersten Zugriff bei der Auswahl unter den Nachwuchshoffnungen, das beste Team der Vorsaison kommt als Letztes dran. So werden die Ligen endlich ausgeglichener, und der Ausgang der Spiele ist nicht mehr so vorhecrowded football stadiumrsehbar.“
Mildtätig leuchtete das dritte Auge der Fußballfee. „Dein Wunsch sei dir gewährt!“ verkündete sie.
Schon mein vierter Wunsch! dachte ich sorgenvoll. Jetzt bloß vorsichtig sein, damit am Ende nicht der wichtigste Wunsch unerfüllt bleibt. Ich überlegte einen Augenblick, dann sagte ich: „Außerdem wünsche ich mir eine Obergrenze bei den Gehältern. Auch das wird zu faireren Wettbewerbsbedingungen führen. Und kein Fußballerkonto wird mehr den Eindruck erwecken, ein kunstvoller Tritt gegen den Ball sei mehr wert als das umsichtige Lächeln einer Altenpflegerin.“
Ein feuchter Glanz füllte das vierte Auge der Fußballfee. „Dein Wunsch sei dir gewährt!“ hauchte sie.
Mit meinem vorletzten Wunsch wollte ich aufs Ganze gehen. „Vor allem wünsche ich mir“, bekannte ich feierlich, „dass aus dem Kommerz-Kampf wieder ein Kumpel-Kick wird. Die Stadiontickets sollen für alle erschwinglich, die Anstoßzeiten familienfreundlich, die Spiele im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen sein. Fankomitees sollen für echte Mitbestimmung der Fußballbegeisterten sorgen, damit der Fußball wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren kann.“
Mitfühlend strahlte das fünfte Auge der Fußballfee. „Dein Wunsch sei dir gewährt!“ betonte sie nachdrücklich. Fast klang es wie der Schlachtruf einer Fangruppe.
Mein letzter Wunsch sollte dem Ganzen die Krone aufsetzen. „Schließlich möchte ich noch“, hob ich siegesgewiss an, „dass die Abseitsregel abgeschafft wird.“referee-3769453_1920 (2)Chiraphat Phaungmala
Heftige Blitze loderten aus dem sechsten Auge der Fußballfee. Das verhieß nichts Gutes! Rasch versuchte ich, meinen Wunsch abzuschwächen: „Gut, vielleicht muss man die Regel nicht ganz streichen. Es würde ja auch schon reichen, sie dort außer Kraft zu setzen, wo durch das Abseits kein echter Vorteil entsteht – bei all diesen Millimeterentscheidungen, die nur dazu dienen, die Gottgleichheit der Schiedsrichter und die Überlegenheit der Technik …
Aber die Fußballfee schnitt mir das Wort ab. „Unglücklicher!“ rief sie aus. Sie war auf einmal wie verwandelt. „Weißt du denn nicht, dass das Abseits der Heilige Gral des Fußballs ist? Fußball ohne Abseits – das wäre ja wie Ägypten ohne das Geheimnis der Pyramiden! Wer das Abseits abschaffen will, der hat das Mysterium des Fußballs in seinem Innersten nicht erfasst. Und er lässt es auch an Ehrfurcht fehlen vor mir, der Fußballfee, aus deren Güte und Machtvollkommenheit das Spiel lebt und sich entwickelt. Denn ich bin es, die darüber entscheidet, ob der Ball an den Innenpfosten geht oder einen Millimeter daneben im Tor einschlägt. Ich bin es, die dem Torwart die Augen verschließt oder ihm die entscheidende Kraft gibt, um mit dem kleinen Finger den Ball über die Latte zu lenken. Und ja: Ich bin es auch, die als Abseitsgöttin über das Wohl und football-1406106_1920 (2)comfreakWehe derer entscheidet, die auf das Tor zustürmen.“
Sechs Augen funkelte mich böse an. „Aufgrund deiner ketzerischen Äußerung spreche ich dir hiermit die Erfüllung all deiner Wünsche ab. Der Spaß am Fußball sei dir fortan verwehrt!“ fauchte es an meinen Ohren. „Auch entziehe ich dir das Recht, jemals wieder einen Fußballwunsch zu äußern!“
Damit löste sich die Fußballfee in Luft auf. Ratlos blieb ich zurück, allein auf dem Fußballplatz, der mir auf einmal viel zu leer, viel zu einsam vorkam. Ich fühlte mich wie Pechmarie und hoffte inständig, dass das alles nur ein böser Traum war.

 

Video/Bilder: Pixabay: FXeditor: Fußball; 1920: Dark; Fotolia: Stadion; Josh Dick: Fußballspiel; Chirapat Phaunmala: Linienrichter; Comfreak: Brennender Fußball

2 Kommentare

  1. Ein wirklich origineller Text!- Super geschrieben!- Schade, dass sich die Fee so wichtig nimmt und Schicksal spielen will. Mir ist die Abseitsregel auch ein Dorn im Auge. 😉

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