Polizeistaatliche Polizeikritik

Zu Hengameh Yaghoobifarahs taz-Kolumne „All cops are berufsunfähig“

Wenn Horst Seehofer einen Zeitungsartikel kritisiert und gar Strafanzeige gegen den Autor stellt, ist das normalerweise ein unbedingtes Gütesiegel für mich. Umso enttäuschter war ich beim Lesen der taz-Kolumne vom 15. Juni, die für den Eklat gesorgt hat.
In der Kolumne werden nicht nur Beschäftigte bei der Polizei pauschal mit Müll assoziiert. Auch Bio-Bauern werden in die Nähe von Nazis gerückt. Kostprobe: „Über (Bio-)Bauernhöfe brauchen wir gar nicht erst zu sprechen, die sind jetzt schon zu Szenejobs für Neonazis avanciert.“
Als geeigneter Aufenthaltsort für PolizistInnen wird in der Kolumne die „Mülldeponie“ genannt. Ausdrücklich sollen sie dort „nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern“ arbeiten, „sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Vor allem zwei Fragen stellen sich nach der Lektüre:

  1. Wem verdanken wir die poetischen Ergüsse?
  2. Was haben die bei der taz-Redaktion eingeworfen, als sie der Veröffentlichung zugestimmt haben?

Die erste Frage führt zu einer Person namens Hengameh Yaghoobifarah. Ich schreibe hier bewusst „Person“, weil jede Art von Geschlechtsbezeichnung beleidigend wirken könnte – Hengameh Yaghoobifarah sieht sich als Wesen zwischen den Geschlechtern.
Hier sind wir bereits bei der ersten Merkwürdigkeit: Yaghoobifarah verlangt von anderen eine besondere Sensibilität im Umgang mit ihrer Person. Sie selbst ist jedoch augenscheinlich nicht bereit, anderen gegenüber dieselbe Sensibilität an den Tag zu legen. Implizit wird hier also von zwei Gruppen von Menschen ausgegangen. Die einen weisen eine hoch komplexe Identität auf, der durch jede Form von Etikettierung schreiendes Unrecht widerfährt. Die anderen sind in ihrem Wesen so banal, dass sie ohne weiteres in Schubladen aller Art gesteckt werden dürfen.
Eine zweite Merkwürdigkeit betrifft die Bezugnahme auf den Staat. Dieser soll einerseits den Schutz jener gewährleisten, die in ihrer hoch komplexen Identität ständig in der Gefahr stehen, Kränkungen zu erfahren. Und selbstverständlich wird von diesem Staat auch erwartet, dass er diesem Schutzbedürfnis tatkräftig Nachdruck verleiht, indem er etwa gewisse völkisch gesinnte Volksgenossen von Übergriffen auf Regenbogenparaden abhält. Andererseits gehört es aber für manche offensichtlich zum guten Ton, diejenigen mit Schmutz zu bewerfen (oder gar damit zu identifizieren), die für die erwarteten tatkräftigen Schutzleistungen zuständig sind.
Political correctness scheint hier also recht einseitig zu funktionieren. Von bestimmten sozialen Gruppen wird sie ebenso pauschal in Anspruch genommen, wie sie anderen gesellschaftlichen Gruppen pauschal verweigert wird. Das läuft dann darauf hinaus, dass bei den einen Gruppen schon die Andeutung eines Witzes als unerträgliche Diskriminierung zurückgewiesen wird, während in Bezug auf andere gesellschaftliche Gruppen selbst offen hetzerische Äußerungen als Satire durchgehen.
Dies könnte auch eine Antwort auf die zweite Frage liefern. Womöglich ist man bei der taz in die Falle einer falsch verstandenen political correctness getappt. Denn Hengameh Yaghoobifarah  ist nicht nur „queer“, sondern hat zudem noch einen Migrationshintergrund. Kritik könnte hier also schnell als „sexistisch“ und „fremdenfeindlich“ zugleich gelten. Dies aber ist derzeit ungefähr so schlimm wie im Mittelalter der Vorwurf der Ketzerei oder der Teufelsbuhlschaft.
In der Summe wird so das, was mit der Kritik an der Polizei intendiert wird, nur umgedreht. Denn die Warnung vor einem möglichen Polizeistaat wird hier de facto ja selbst mit polizeistaatlichen Mitteln vorgetragen: Gegner werden pauschal diffamiert, während für die eigene Gruppe die uneingeschränkte Meinungs- und Deutungshoheit beansprucht wird.
Ja, es gibt in den Reihen der Polizei rechtsextreme Kreise. Und ja, wenn sich diese Kreise zu einem schlagkräftigen Netzwerk verbinden sollten, würde das die Gefahr eines Polizeistaates begründen. Davon sind wir derzeit jedoch sehr weit entfernt. Es gibt auch bei der Polizei Kräfte, die sich dem Rechtsextremismus in den eigenen Reihen entschlossen entgegenstellen. Diese Kräfte sollten wir stärken, anstatt pauschal alle PolizistInnen zu Müll zu erklären.

Bild: Gundula Vogel: Polizei (Pixabay)

5 Kommentare

  1. Cher baron rouge,
    Du solltest, unabhängig davon, was Seehofer macht oder mit Erlaubnis der Kanzlerin machen darf, eine Beschwerde beim Presserat einreichen. Ich habe das einmal bei einem Artikel von Mely Kiyak getan:
    1. https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2019/12/02/beschwerde-beim-presserat-uber-mely-kiyak-windkraft-ist-petting-mit-der-atmosphare/
    2. https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2020/01/28/der-presserat-bewertet-mely-kiyaks-hetzartikel-als-satire/
    3. https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2020/02/04/der-presserat-bewertet-eine-satire-auf-den-presserat-nicht-als-satire-sondern-als-beleidigende-auserungen/
    Es hat den Anschein, dass eine Mely Kiyak oder ein*e Hengameh Yaghoobifarah nur Opfer einer Diskriminierung sein kann, niemals aber Täter. Hinter all der political correctness steht ein Essentialismus. Es kann nicht jeder beliebige Mensch auf Grund eines beliebigen Merkmals zum Opfer einer Diskriminierung gemacht werden, sondern nur ein Mensch, der objektiv über ein essentiell diskriminatorisches Merkmal verfügt. So hat die Kanzlerin bei einem Rassismusgipfel eine schwarze Frau neben sich sitzen gehabt, die keine andere Funktion hatte, als schwarz und das Opfer von Diskriminierung zu sein. Die Kanzlerin wies immer wieder auf sie und erörterte, dass diese Frau, die schon in der vierten Generation in Deutschland lebe, und die von ihr abstammenden Generationen aufgrund ihrer Hautfarbe niemals vollkommen integriert sein würden, während es bei der Kanzlerin selbst niemals eine Rolle spiele, dass sie von Polen abstamme. Diese schwarze Frau ist in keinem weiteren Kontext neben der Kanzlerin aufgetaucht und ich musste an die Schauspielerin denken, die das Dienstmädchen in „Gone with the wind“ gespielt hatte und auf den Vorwurf, dass sie immer schwarze Dienstmädchen spiele und Clichés verfestige, antwortete, dass sie lieber für 700 Dollar pro Woche ein schwarzes Dienstmädchen spiele, als dass sie für 7 Dollar pro Woche eines sei.
    Wenn Du den Versuch einer Beschwerde beim Presserat unternimmst, wirst Du dabei noch stärker in die Reflexion eindringen müssen, denn Du wirst sehen, dass schon die Kriterien einer Diskriminierung, die der Presserat aufstellt, es schwierig machen, jemanden als Opfer einer Diskriminierung herauszustellen, der nicht tatsächlich ein als objektiv festgelegtes diskriminierendes Merkmal (einen Defekt?) aufweist. So wird der Artikel 3 der Verfassung fast immer ausgedeutet: Menschen wie Mely Kiyak und Hengameh Yaghoobifarah sind von Natur aus Diskriminierungsopfer und schutzbedürftig, sie dürfen also voll zuschlagen. Polizisten sind von Natur aus Müll und zur Beschimpfung, die dann „Satire“ heißt, freigegeben. – Die Würde des Menschen ist unantastbar.
    Agrée, mon cher baron rouge, l’expression de mes sentiments les plus distingués,
    René

    Gefällt 1 Person

      1. Die Polizeigewerkschaft ist ja unmittelbar betroffen. Es wäre jedoch wichtig, dass jemand, der spontan möglicherweise eher für einen Transmenschen als für einen Vertreter der Staatsgewalt Sympathie empfinden würde, den Presserat, der eigentlich von sich aus hätte tätig werden müssen, an die Spielregeln der Demokratie erinnert. Es ist ja so, dass sich eine Gruppe von Entertainern herausgebildet hat, die mit Beleidigungen provoziert und zu ihrer Diskriminierung auffordert, um sich anschließend als Opfer zu inszenieren. Es ist ein genauso hirnloses und schädliches Geschäftsmodell wie die Windräder und, wie der Fall Mely Kiyak zeigt, im Grunde dasselbe.

        Gefällt 1 Person

  2. Bullenhass ist hierzulande doch seit anno Sponti-bis-Punk-Tobak urlinke Folklore… Darüberhinaus werfe ich mal wieder das Ignazio Silone zugeschriebene Zitat in den Raum, das zu schade ist, es den Rechtspopulisten zu überlassen, weil es sich mit meinen Beobachtungen von einer politisch mittigen Metaebene aus deckt…

    Gefällt 1 Person

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