Italien: Flüchtlinge als Reanimateure für den ländlichen Raum

Hoffnungsvoller Jahresausblick, Teil 2

Ein kalabrisches Gallierdorf

Bauchlandung des Westentaschen-Duce

Ideen sind stärker als Verbote

Manche sehen in Flüchtlingen eine Gefährdung ihrer nationalistischen Reinhaltungsphantasien. Andere sehen in ihnen dagegen einen Rettungsanker für untergehende Gemeinden.

Warum Männer, die auf dicke Hose machen, ihre Dickhosigkeit mit Vorliebe an den Schwächsten demonstrieren, ist mir schon immer ein Rätsel gewesen. Denn durch die Wahl ihrer Opfer zeigen sie ja gerade, dass ihre Hose offenbar doch nicht so dick ist, wie sie glauben machen wollen.
In Italien war es bis Sommer 2019 Rechtspopulist Matteo Salvini, der mit vermeintlich dicker Hose durch die Lande zog. Und wie alle Rechtspopulisten versuchte er seine Unnachgiebigkeit vor allem durch einen Feldzug gegen diejenigen unter Beweis zu stellen, die sich nicht wehren können: die Flüchtlinge.

Ein kalabrisches Gallierdorf

Dumm nur, dass es da ein italienisches Gallierdorf gab, das sich Salvinis Reinhaltungsgebot tapfer widersetzte. Im kalabrischen Riace befand Bürgermeister Domenico Lucano, dass die Flüchtlinge ein Segen für die Gemeinde seien. Sein Ort leide ohnehin massiv unter der Landflucht, da könne man ein paar Neubürger gut gebrauchen – für Ausbesserungsarbeiten an den maroden Straßen und Häusern, die Verbesserung der Müllentsorgung und nicht zuletzt für die Altenbetreuung. Das Ergebnis war ein Jungbrunnen für einen sterbenden Ort, dem dank der Flüchtlinge neues Leben eingehaucht wurde.
Salvini bekämpfte den aufmüpfigen Bürgermeister – der im Übrigen schon von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung unter Matteo Renzi drangsaliert worden war – daraufhin wie ein römischer Imperator bei einem Rachefeldzug gegen Piraten. Er ließ Lucano seines Amtes entheben, wegen Amtsmissbrauch anklagen und den gemeingefährlichen Menschenfreund sicherheitshalber auch gleich in Haft nehmen. Zusätzlich verhängte er noch einen Bannstrahl gegen ihn und verbot ihm das Betreten des von ihm regierten Ortes. Damit war das Riace-Projekt vorerst gescheitert.

Bauchlandung des Westentaschen-Duce

Anders als es normalerweise im „richtigen“ Leben (das natürlich in Wahrheit das falsche ist) geschieht, hatte diese Geschichte allerdings ein Happy End. Salvini verzockte sich ganz gewaltig bei seinem Machtpoker, als er die Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung mit großem Tam-Tam auflöste. Anstatt, wie er gehofft hatte, zum neuen Duce aufzusteigen, gingen die Sozialdemokraten ein Bündnis mit den Cinque Stelle ein – und Salvini fand sich auf der harten Oppositionsbank wider.
Die Folge: Bürgermeister Lucano – mittlerweile landesweit als „Papa Mimmo“ bekannt – durfte nach Riace zurückkehren und wurde in den wesentlichen Anklagepunkten freigesprochen. In dem Ort selbst regiert dank Salvini zwar mittlerweile einer seiner rechtspopulistischen Spezl von der Lega Nord, der alle Integrationsprojekte beerdigt hat. Lucanos Ideen aber lassen sich nicht beerdigen.

Ideen sind stärker als Verbote

Nicht nur existiert in der Region Kalabrien inzwischen ein Gesetz, das die Aufnahme von Flüchtlingen fördert, wenn dies dem Erhalt und der Entwicklung lokaler Gemeinden dient. Es gibt auch einen von Wim Wenders gedrehten Film über Lucano und sein Projekt, das US-Magazin Fortune hat den Ex-Bürgermeister in seine Hall of Fame besonders einflussreicher Persönlichkeiten aufgenommen, und wissenschaftliche Studien bestätigen die Produktivität von Lucanos Ideen für Erhalt und Entwicklung ländlicher Strukturen. So findet das Projekt von „Papa Mimmo“ nicht nur in Kalabrien eifrige Nachahmer.
Merke: Auf lange Sicht ist der Geist stärker als die dickste Hose.

Ausführlicher Bericht zu Riace und Domenico Lucano:

Michaela Namuth: Mimmo und der Süden. Frankfurter Rundschau, 20. November 2020.

Bilder: MarcusCalebresus: Villaggio globale di Riace, August 2018 (Wikimedia), Domenico Lucano, „Papa Mimmo“ (farodiroma.it); Giglio di Mare: Kalabrien (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Das ist tatsächlich eine schöne Geschichte! -Sie zeigt, was möglich ist, wenn man mutig und mitfühlend ist. Leider „ticken“ die meisten Europäer anders. Das, was sich in den Flüchtlingslagern in Griechenland abspielt, ist eine Tragödie. Die armen Kinder!!!-Ich frage mich, warum Deutschland nicht einige Tausend Familien aufnimmt und mit gutem Beispiel vorangeht?????? Auch bei uns sterben Dörfer aus. Aber die pflastern wir lieber mit Energieanlagen voll, lassen die Infrastruktur verfallen, anstatt die Dörfer zu einem naturnahen, lebenswerten Ort für eine vielfältige Gesellschaft zu machen. Alle „Visionen“ und „Utopien“ scheinen mir hierzulande mit Geld, Pöstchen und urbanem Wohlergehen in gentrifizierten Stadtvierteln zusammenzuhängen. Das rächt sich. In den abgehängten, verfallenen und von lärmenden, hässlichen Windkraftanlagen umzingelten Dörfern wächst die Unzufriedenheit und damit haben Rechte, Verschwörungstheoretikern und Rassisten leichtes Spiel. Im ländlichen Raum liegt Zukunft. Er ist mehr als die Aufstellfläche für ineffektive „Klimaschutzanlagen“. Er ist kein Außenbereich, sondern Landschaft und Kultur. Um dies zu gestalten, braucht es Phantasie und Mitmenschlichkeit. Das zeigt uns dein Beitrag.

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