Slowakei: Sieg der Aufrechten

Hoffnungsvoller Jahresausblick, Teil 3

Viele Machthabende schätzen die Opposition am meisten in der Variante „mundtot“. Einige mögen sie auch lieber „mausetot“ – und helfen dabei gerne mal ein wenig nach. Dieser Schuss aber kann auch nach hinten losgehen.

Für Machthabende ist das oft ein verlockender Gedanke: sich den Stachel der Kritik aus dem Fleisch zu ziehen, indem die Pflanze abgehackt wird, an dem er wächst. Weniger blumig ausgedrückt: indem die führenden Köpfe der Opposition liquidiert werden.
Klingt einfach … In der Praxis verwandelt sich ein Anschlag auf den politischen Gegner allerdings rasch in den sprichwörtlichen Schuss, der nach hinten losgeht.

Wenn das Feuer der Opposition mit Benzin gelöscht werden soll

Zunächst einmal kann die Opposition eine solche Aktion als Bestätigung ihrer Wirkmächtigkeit verstehen: Warum sollte jemand einem der Ihren nach dem Leben trachten, wenn von der Opposition keine Gefahr ausgeht? So ähneln Attacken der Mächtigen auf Oppositionelle oft dem Versuch, ein Feuer mit Benzin zu löschen. Die Opposition wird so erst recht mobilisiert, der Widerstand gegen das Regime wird am Ende noch stärker, so dass die Anschläge sie am Ende sogar dem Erreichen ihrer Ziele näher bringen.
Dies war schon so bei dem Mord an Martin Luther King und war auch kürzlich wieder zu beobachten, als die weißrussische Machtelite um Präsident Lukaschenko nach den potemkinschen Wahlen die Führerinnen der Opposition ausschalten (wenn auch nicht auslöschen) wollte. In beiden Fällen hat dies die Bürgerrechtsbewegungen eher noch gestärkt.

Aufwertung der Opposition durch Mordanschläge

Aus diesem Grund leugnet die russische Regierung auch jede Verwicklung in den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny mit dem Argument, dieser sei viel zu unbedeutend, als dass man zu einem solchen Mittel greifen müsste. Es soll auf jeden Fall verhindert werden, dass die Opposition sich durch die Attacke auf ihren einflussreichsten Anführer in ihrer Bedeutung aufgewertet fühlt.
Hinzu kommt: Einen lebenden Regimegegner kann man diskreditieren, seine Kritik lässt sich verharmlosen oder relativieren. Sofern man über die nötigen Medienkontakte verfügt, können kritische Äußerungen auf die hinteren Programmplätze und Nachrichtenseiten verdrängt werden, wo sie kaum Beachtung finden. Ein Mord aber lässt sich nicht vertuschen. Wenn auch nur der Schatten eines Verdachts auf die Machthabenden fällt, wirkt dies wie ein Scheinwerfer, der die Höhle ihrer dunklen Machenschaften ausleuchtet. Auch in diesem Fall erreicht man mit dem Mordanschlag also das genaue Gegenteil dessen, was mit ihm bezweckt worden ist.

Gedenken an Ján Kuciak und Martina Kušnírová

Ein Mord als Weckruf für die slowakische Zivilgesellschaft

Exakt dies ist nach dem 21. Februar 2018 in der Slowakei geschehen. An jenem Tag wurde dort der Investigativjournalist Ján Kuciak zusammen mit seiner Verlobten Martina Kušnírová ermordet. Wie seine vier Monate zuvor ebenfalls getötete maltesische Kollegin Daphne Caruana Galizia hatte sich Kuciak für seine Recherchen u.a. auf die so genannten „Panama Papers“ gestützt. Wichtigstes Resultat: Kucika hatte Verbindungen der kalabrischen Mafia-Organisation ‚Ndrangheta zu slowakischen Geschäftsleuten und Regierungskreisen aufgedeckt. Dabei ging es u.a. um Geldwäsche, die Veruntreuung von EU-Fördergeldern sowie um Steuerhinterziehung nach dem Muster der in den Panama-Papers aufgezeigten Transferierung von Geldern in Steueroasen.
Der Mord an Kuciak und seiner Verlobten wirkte wie ein Weckruf für die slowakische Gesellschaft. Viele waren nun nicht mehr bereit, die schmutzigen Geschäfte und Hinterzimmerdeals der politischen Elite stillschweigend hinzunehmen. Anstatt die Kritiker zum Schweigen zu bringen, förderten die Morde damit sogar die Bereitschaft zu investigativer Recherche und öffentlicher Kritik an den Machthabenden.

Im Netz der Mafia

Dies verlieh Polizei und Justiz auch den nötigen Rückenwind, um das Verbrechen aufzuklären. Im Zuge der Ermittlungen wurden nicht nur die Täter und deren Helfershelfer, sondern auch die mutmaßlichen Auftraggeber aufgespürt. Bei Letzteren handelt es sich um einen slowakischen, im Prozess allerdings aus Mangel an Beweisen freigesprochenen Unternehmer und einen italienischen Geschäftsmann, der als Mittelsmann der ‚Ndrangheta gilt. Darüber hinaus förderten die Untersuchungen Belege für weitere Wirtschaftsdelikte zutage, in die auch Regierungsmitglieder verwickelt waren.
So mussten immer mehr hochrangige Politiker zurücktreten. Ministerpräsident Robert Fico, der die Geschicke seines Landes über ein Jahrzehnt lang maßgeblich bestimmt hatte, musste ebenso wie Innenminister Robert Kaliňák bereits drei Wochen nach dem Mord sein Amt niederlegen.

Demokratischer Neuanfang

Bei den Präsidentschaftswahlen im März 2019 wurde dann – als erste Frau in der Geschichte des Landes – mit Zuzana Čaputová eine Außenseiterin ins höchste Amt des Staates gewählt, die sich als Rechtsanwältin seit Jahren gegen Korruption und für Minderheitenrechte eingesetzt hat. Auch bei den Parlamentswahlen im Februar 2020 wurde mit OĽaNO eine Protestpartei zur stärksten Kraft gewählt.
So ist diese Geschichte traurig und ermutigend zugleich. Ján Kuciak hat seine investigativen Recherchen zwar mit dem Leben bezahlen müssen. Sein Tod hat der Slowakei aber zugleich den Übergang in eine Ära größerer Transparenz, entschlossenerer Korruptionsbekämpfung und einer an den Menschenrechten orientierten Politik ermöglicht. Sein Kampf gegen eine scheinbar übermächtige korrupte Elite war demnach alles andere als vergeblich.

Zuzana Čaputová

Mehr zu den Hintergründen im Fall Kuciak

Keno Verseck: Mord an Ján Kuciak: Was wusste der Staat? Deutsche Welle, 21. Februar 2019 (mit Links zu weiteren Artikeln).

Bilder: Peter Tóth: Bratislava (Pixabay); Jozef Kotulič: Gedenken an Ján Kuciak und Martina Kušnírová, Bratislava 2018 (Wikimedia); Slavomír Frešo: Protestmarsch in Bratislava als Reaktion auf die Morde an Ján Kuciak und Martina Kušnírová am 9.März 2018 (Wikimedia); Jirka DL: Zuzana Čaputová bei ihrem ersten offiziellen Besuch in Prag, 2019 (Wikimedia)

2 Kommentare

  1. Danke für den interessanten und hoffnungsvollen Beitrag. Wenn ich so in die täglichen Nachrichten schaue, dann scheint es nur Corona und Klima zu geben. Hier findet man auch Aktuelles, das darüber hinaus geht. Ich hätte gerne ein ganz dickes „Like“ für viele Posts gegeben, aber leider bin ich keine „Wordpresserin“ . Also Dank auf diese Weise❤️

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