Mali: Emanzipation durch Elektrizität

Hoffnungsvoller Jahresausblick, Teil 6

Armut, Krankheit und mangelnde Stromversorgung bilden in Afrika oft einen fatalen Teufelskreis. Darunter haben besonders die Frauen zu leiden. Wird das Problem richtig angegangen, kann das sogar der Umwelt und dem Klima helfen.

Strom ist für uns etwas Selbstverständliches. Wie sehr wir auf ihn angewiesen sind und was er uns alles ermöglicht, bemerken wir oft erst, wenn er einmal ausfällt.
Irgendwo im afrikanischen Busch zu leben, wo man von Stromversorgung noch nicht einmal träumen kann – das ist etwas, das wir uns gar nicht vorstellen können. Dabei entscheidet gerade im ländlichen Afrika der Zugang zu Strom nicht selten über Leben und Tod. Diejenigen, die am stärksten unter der fehlenden oder lückenhaften Stromversorgung zu leiden haben, sind dabei oft die Frauen. Dazu ein paar Beispiele:

Mehr Strom = weniger Atemwegserkrankungen

Kochen ist natürlich auch im ländlichen Afrika Frauensache. Ohne Strom muss jedoch auf offenen Feuerstellen gekocht werden. Da die Hütten als Schutz gegen Hitze und Wind oft nur mit kleinen Luftlöchern ausgestattet sind, kann der Rauch schlecht abziehen. Die Folge sind schwere Atemwegserkrankungen.
Zusätzlich ist das Kochen mit Brennholz natürlich auch schlecht fürs Klima. Es fördert nicht nur den Ausstoß von Feinstaub und Kohlendioxid, sondern auch die Bodenerosion. Dadurch schadet es dem Wachstum von Pflanzen und Bäumen, die Kohlendioxid binden können.

Mehr Strom = weniger Übergriffe durch Männer und andere Raubtiere

Strom bedeutet Helligkeit. Dies ist gerade nachts wichtig, wenn Frauen beim Gang zur Latrine eine leichte Beute von Raubtieren sind – wobei es sich dabei nicht unbedingt um Raubkatzen handeln muss. Auch manche Männer mutieren im Schutz der Dunkelheit zu wilden Tieren. Indem sie Frauen vergewaltigen, entehren sie diese im Verständnis vieler Dorfbewohner, so dass auf die Gewalterfahrung nicht selten noch das soziale Stigma folgt.
Wer Strom hat, kann Lebensmittel besser kühlen. Längere Lagermöglichkeiten verbessern die Haltbarkeit der geernteten Produkte, erlauben es aber auch eher, frische Lebensmittel von städtischen Märkten in die Dörfer zu transportieren.

Mehr Strom = mehr und besseres Wasser

Mit Strom lassen sich Wasserpumpen betreiben. Dies erleichtert die Wasserversorgung, die trotz der schweren Eimer ebenfalls Frauensache ist. Auch das Abkochen des Wassers und damit das Abtöten von Keimen ist so leichter möglich, was dem Auftreten der gefährlichen Durchfallerkrankungen vorbeugt.

Mehr Strom = mehr Zeit

Strom setzt Zeit frei, die sonst mit mühsamen und unproduktiven Beschäftigungen verbracht werden muss. Diese Zeit kann genutzt werden, um sich aus der Konzentration auf die reine Reproduktion der Existenz zu befreien.
Vor allem Frauen legen bei der Verwendung der gewonnenen Zeit oft eine große Kreativität an den Tag. Manche gründen etwa Nähmaschinen-Kooperativen, deren Produkte sie auf dem Markt verkaufen. Von dem Gewinn können sie sich dann weitere Dinge leisten, die ihr tägliches Leben erleichtern. Außerdem steigt hierdurch ihr Ansehen bei den Männern, die ihnen daraufhin wieder mehr Freiräume lassen, etwa beim Vertrieb ihrer Produkte. So fördert eine verbesserte Stromversorgung indirekt auch die Emanzipation.

Mangelnde Einbeziehung der Bevölkerung in Hilfsprojekte

Es ist nicht so, dass das Problem nicht erkannt wäre. Schon vor zwei Jahrzehnten hat die Weltbank ein Programm zur flächendeckenden Stromversorgung im ländlichen Afrika aufgelegt. Die Dieselgeneratoren, die als Basis dafür dienen sollten, erwiesen sich jedoch wegen des schwankenden Ölpreises als Fehlinvestition.
Hinzu kommt, dass nicht an die Wartung der Anlagen gedacht war. Dies ist selbst bei Solarmodulen ein Problem, die durch Staub und Sandkörnchen beschädigt werden können. Bei schadhaften Leitungen und Modulen oder ausgefallenen Akkus fehlt es oft an Ersatzteilen und dem nötigen Fachpersonal. Außerdem fühlt sich niemand für die Probleme verantwortlich, da die Bevölkerung vor Ort nicht selten unzureichend in die entsprechenden Projekte eingebunden ist.

Ein neuartiges Solarstromkonzept

Dem trägt ein von dem deutschen Unternehmer Torsten Schreiber gegründetes Start-up Rechnung. Schreiber, der das Unternehmen zusammen mit seiner malischen Frau Aida betreibt, lässt in Dörfern Malis und teilweise auch Nigers so genannte „Solartainer“ aufstellen. Dabei handelt es sich um kleine, mit Solarstrom betriebene Kraftwerke, die der örtlichen Bevölkerung Strom liefern.
Schreiber handelt zwar gemeinnützig, indem er die Gewinne seines Unternehmens reinvestiert, setzt aber gleichzeitig auf die Eigenverantwortung der Stromabnehmer. Die Mini-Kraftwerke werden deshalb nicht verschenkt, sondern zu einem fairen Preis verkauft. Gleiches gilt für den Bezug des Stroms durch die Dorfbewohner: Sie zahlen dafür, sparen in der Summe jedoch Geld, das sie sonst für inffektive Kerosinlampen und Dieselgeneratoren ausgeben müssten. Außerdem werden die Solartainer grundsätzlich nur mit Zustimmung der Dorfräte und Dorfältesten aufgestellt. Auch die Stromtrassen werden von den Dorfbewohnern selbst mit angelegt.

Schaffung lokaler Unterstützungsnetzwerke

Für die Wartung der Solartainer werden vor Ort Techniker ausgebildet, die nötigenfalls an die einzelnen Standorte fahren, um Reparaturarbeiten vorzunehmen. Zusätzlich sind die kleinen Kraftwerke mit der deutschen Zentrale verbunden, so dass Störmeldungen rasch registriert werden können. Da Solarstrom als Grundlage zum Kochen einstweilen noch zu teuer ist, vertreibt das Unternehmen zusätzlich kleine Biogasanlagen. Diese amortisieren sich meist schon in zwei bis drei Jahren und können dann von lokalen Anbietern autonom betrieben werden.

Mehr Strom = weniger Terror

Trotz des schwierigen Umfelds in Mali, das seit einigen Jahren von islamistischem Terror bedroht wird, hat das Start-up so vielerorts für Aufbruchstimmung gesorgt. Vielleicht ist das ja sogar das beste Mittel, dem oft von existenzieller Verzweiflung befeuerten Terror den Nährboden zu entziehen.

Ausführlicher Beitrag zum Thema

Thomas Kruchem: Solarstrom für Mali: Die Lichtbringer. Deutschlandfunk Kultur, 19. April 2019.

Weiterer Beitrag zu Mali mit einem Song von Habib Koité

Habib Koité und Bamada: Africa. Ein Song aus Afrika über Afrika

Bildnachweise: 1.JonStrand: Frau in Malawi beim Montieren einer Solaranlage; Januar 2017 (Wikimedia); 2. Deophotographer: African woman cooking (Mama jikoni, Tansania); aus der Reihe „Afrcian people at work“, Juni 2017 (Wikimedia); 3. Paula Joubert: Löwe in der Nacht (Pixabay), 4. Silvia (SZappi): Wasserträgerinnen in Uganda (Pixabay); 5. Andreas (Portraitor): Näherin in der ruandischen Hauptstadt Kigali (Pixabay); 6. JonStrand: Frau in Malawi beim Montieren einer Solaranlage; Januar 2017 (Wikimedia); 7. Mailabari: Diskutierende Frauen in Nigeria; aus der Reihe „Afrcian people at work“, August 2017 (Wikimedia)

Ein Kommentar

  1. Vielen Dank für diesen informativen Beitrag! Text und Bilder strahlen sehr viel Hoffnung aus. Was man auch an diesem
    Beispiel sehen kann, ist, dass die besten Lösungen immer im Dialog gefunden werden können. Die Akzeptanz und Mitverantwortung vor Ort scheinen mir zentral zu sein. Und noch etwas: Frauengleichstellungspolitik bedeutet immer gesellschaftlichen Fortschritt!

    Gefällt 2 Personen

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