Zum unglücklichen Abschneiden von Hertha BSC in der Fußball-Bundesliga
Als Kommerzmaschine sollte der Fußball eigentlich kein Thema sein auf einem politischen Blog. Manchmal ist er aber auch ein Spiegelbild des Lebens und erzählt beispielsweise von unseren oft vergeblichen Träumen, uns doch noch einmal am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Rückblick: letzter Spieltag der Saison 1979/80
Berlin, 31. Mai 1980. Nach einer verkorksten Hinrunde hat sich Hertha BSC in der Rückrunde unter Trainerlegende Helmut „Fiffi“ Kronsbein stabilisiert. Am letzten Spieltag benötigt die Mannschaft einen Sieg und muss gleichzeitig auf Ausrutscher der Konkurrenz aus Duisburg und Uerdingen hoffen. Sonst droht der Abstieg.
Alles läuft nach Plan: Hertha gelingt ein überzeugender Sieg gegen den Tabellendritten, Duisburg und Uerdingen verlieren. Aber: Der eigene Sieg ist nicht deutlich genug, die Niederlagen der Konkurrenten sind zu knapp. Am Ende steigt die Mannschaft aufgrund des schlechteren Torverhältnisses als Drittletzter der Tabelle ab – eine Relegation gab es damals noch nicht. Mickrige zwei Törchen fehlten am Ende, um den Abstieg zu vermeiden.
Die Folgen der Millimeterentscheidung waren jedoch dramatisch. Der Abstieg nach zwölfjähriger Zugehörigkeit zum Oberhaus mündete in eine 17-jährige Irrfahrt durch die Niederungen der Unterhäuser, unterbrochen von zwei Gastspielen in der höchsten deutschen Spielklasse. Von 1986 bis 1988 musste die Mannschaft sogar durch die Vorhöfe der Berliner Oberliga tingeln – eine einheitliche Dritte Liga existierte damals noch nicht.
Slapstickhaftes Stolpern Richtung 2. Liga
An die damalige Millimeterentscheidung knüpft die Hertha der Jetzt-Zeit nun nahtlos an. Alle Fußballfans haben noch die Bilder aus Bielefeld im Kopf, als zwei Spieler sich den Ball vor dem gegnerischen Tor in slapstickhafter Manier zugeschoben haben, anstatt ihn einfach ins Tor zu pusten. Im Gegenzug fiel dann der Ausgleich, gleichzeitig punktete auch Stuttgart auf den letzten Drücker. Rettung vertagt?
Von wegen! Gegen Mainz sorgten eine erneute Slapstickeinlage – dieses Mal vom Torwart –, ein spätes Mainzer Tor und weitere Millimeterentscheidungen für den nächsten Nackenschlag. Ein Schuss gegen den Innenpfosten springt zurück ins Feld, ein Allerweltsschubser führt dazu, dass der Schiri den Ausgleich aberkennt. Am nächsten Tag punktet Stuttgart in München. Rettung vertagt?
Nein, wieder nichts! Wieder eine fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidung gegen Hertha und ein spätes Gegentor, Stuttgart siegt in der Nachspielzeit. Das Ergebnis ist dasselbe wie 1980: Hertha landet aufgrund des schlechteren Torverhältnisses auf Platz 16 – Relegation!
Erinnert sich übrigens noch jemand, gegen wen Hertha 1980 am letzten Spieltag antreten musste? Richtig: Es war – der VFB Stuttgart!
Pech, Willkür, ungesunde Eigendynamik
Nun könnte man natürlich sagen: Was für ein Glück für Hertha, dass es heute die Relegation gibt, sonst wäre die Alte Dame schon jetzt weg vom Fenster. Andererseits: Hätte die Mannschaft in der italienischen oder der spanischen Liga gespielt, wäre sie jetzt gerettet. Denn dort zählt bei Punktgleichheit der direkte Vergleich – und den hat Hertha gegen Stuttgart gewonnen.
Was ich damit sagen will: Es ist hier eben nicht die schlechtere Mannschaft, die nun mit dem Rücken zur Wand steht und das vielbeschworene „Momentum“ gegen sich hat. Es ist einfach die Mannschaft, die zufällig vom Regelwerk hinter dem Konkurrenten eingereiht wird und die mehr Pech hatte. Stuttgart hat in vielen Spielen in letzter Sekunde gepunktet, Hertha hat oft auf den letzten Metern entscheidende Gegentore kassiert.
Richtig ist: So etwas hat auch mit Willensstärke zu tun, späte Treffer und Nackenschläge sind keine reine Glückssache. Allerdings nährt der Erfolg eben auch den Erfolg: Wer oft in letzter Sekunde punktet, glaubt eher an sich als jene, die häufiger die Erfahrung eines späten Verlusts sicher geglaubter Punkte gemacht haben. So gesehen, ist Hertha gerade in den letzten Spielen auch das Opfer einer ungesunden Eigendynamik geworden.
Stuttgart vs. Hertha – 1980 und heute
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen: Wieder ein unglücklicher 16. Platz, wieder ist das Schicksal der Hertha eng mit dem VFB Stuttgart verbunden.
Aber: Die Situation von heute ist nur bedingt mit der von damals zu vergleichen. 1980 war Hertha aufgrund der Insellage Berlins in einer weit schwierigeren Situation. Die Spieler standen nicht gerade Schlange, um in die von Feindesland umgebene Stadt zu ziehen. Und der VFB Stuttgart war damals nach zwei Zweitligajahren Mitte der 1970er Jahre nicht – wie heute – in die Bundesliga zurückgestolpert, sondern hatte sich gleich wieder in der Spitzengruppe der Liga etabliert.
Heute blickt mancher in der Republik mit Häme auf die Hertha, die als selbst ernannter „Big-City-Club“ mit einem Sack voller Investoren-Millionen in Richtung 2. Liga taumelt, während Stuttgart sich aus einer weit weniger komfortablen Lage heraus gerettet hat. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es auch in Stuttgart hässliche Scharmützel hinter den Kulissen gegeben hat. Eine Wohlfühl-Oase ist der Verein also auch nicht gerade.
Wer zahlt die Zeche bei einem Abstieg?
Trotzdem stellt sich die Frage: Verdient Hertha unser Mitgefühl? Will der Verein das überhaupt – bemitleidet werden? Ist das nicht das Schlimmste, was einem Gernegroß, der von dem kleinen Stadtrivalen weit hinter sich gelassen worden ist, passieren kann?
Alles bedenkenswert – aber: Ist die Frage auch richtig gestellt? Schließlich ist Hertha BSC ja nicht nur die Profimannschaft mit all ihren Angebern und Söldnern. Hertha BSC – das ist beispielsweise auch die U 19, die gerade erst das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft erreicht hat – was für eine engagierte und erfolgreiche Jugendarbeit spricht.
Daraus ergibt sich ein ganz anderes Bild, das mehr von nachhaltiger Aufbauarbeit erzählt als von der Geldmaschine des großen, seelenlosen Fußballbetriebs. Und eben hier drohen schmerzhafte Einschnitte, wenn der Verein die Klasse nicht halten sollte.
Die Zeche für einen Abstieg zahlen eben absurderweise nicht die, die dem Verein die Suppe eingebrockt haben. Die Top-Spieler ziehen weiter zu anderen Vereinen, der Club muss sie teilweise sogar verkaufen, um nicht in finanzielle Schieflage zu geraten. Entlassungen und Gehaltskürzungen gibt es dann an ganz anderer Stelle – auf der Geschäftsstelle, im Trainerstab, oder eben bei der Jugendabteilung.
Phönixhafter Wiederaufstieg nach einer Tragödie?
So droht bei einem Abstieg die nächste ungesunde Negativspirale, wie am Ende dieser Saison. Ein Neuanfang kann befruchtend sein – er kann aber auch, wie 1980, den Sturz ins Bodenlose bedeuten.
So etwas ist keinem Verein zu wünschen. Dennoch lässt ein Absturz sich leichter akzeptieren, wenn er die Folge offensichtlicher Bundesligauntauglichkeit ist. Wenn ein Verein jedoch so unglücklich in Richtung Abgrund stolpert wie jetzt die Hertha, wird aus dem Betriebsunfall eine Tragödie.
Tragödien aber lösen selten Trotzreaktionen aus, sie befeuern auch keine Wiedergeburtsphantasien. Tragödien legen sich lähmend auf Geist und Glieder, weil sie die Einsicht vermitteln, dass am Ende allen Anstrengungen zum Trotz das totale Scheitern stehen kann.
Keine rosigen Aussichten für die Zukunft also.

Titelbild: Alexa: Katze und Fußball (Pixabay)