Auftakt zur musikalischen Sommerreise 2022
Die diesjährige musikalische Sommerreise auf rotherbaron steht unter dem Motto A Summer Full of Love – als musikalischer Stinkefinger für den Gott des Hasses, der derzeit das Weltgeschehen bestimmt.
Eine Musikreise mitten im Krieg?
Ab der nächsten Woche schmeiße ich an dieser Stelle wieder die Musikanlage an und feiere den Sommer mit musikalischen Reisen in andere Länder und Gefühlswelten. Motto in diesem Jahr: A Summer full of Love, als Gegengewicht zur Fratze des Hasses, die derzeit mal wieder das Weltgeschehen überschattet.
Um ehrlich zu sein, war ich mir in diesem Jahr nicht sicher, ob ich wieder zu einer Musikreise aufbrechen sollte. Zu niederschmetternd sind die täglichen Todesmeldungen aus der Ukraine. Und noch niederschmetternder ist vielleicht die Routine, mit der sie mittlerweile vorgetragen werden. Man kommt sich vor wie bei einem Schachspiel: Wer hat mehr Bauern verloren als der andere?
Dabei verbirgt sich hinter jedem einzelnen Toten unendliches Leid: qualvolles Sterben und die durch nichts zu stillende Trauer der Angehörigen. Wer hat nur die Idee in die Welt gesetzt, dass ein Mensch quasi seine Menschlichkeit verliert und zu einem Anhängsel seiner Waffe mutiert, sobald er in den Krieg geschickt wird?
Stop the War – NOW! – Was bedeutet das konkret?
Ich verstehe auch bis heute nicht, warum die Ukraine mit dem Abwehrkampf gegen den Terror der russischen Armee alleingelassen wird. Wenn – wie immer wieder betont wird – der Angriff auf die Ukraine im Kern ein Angriff auf westlich-freiheitliche Gesellschaftsmodelle und ein menschenrechtsbasiertes Wertesystem ist, ist es einfach unlogisch, der Ukraine keine substanzielle Hilfe zu leisten.
Substanzielle Hilfe bedeutet eben nicht: Lieferung immer neuer Waffen, die die strukturelle Unterlegenheit der ukrainischen Armee nicht ausgleichen können und von denen man noch nicht einmal weiß, in wessen Hände sie gelangen. Sondern: Einrichtung einer Flugverbotszone in der Ukraine und Unterbindung der russischen Terrorangriffe auf ukrainische Städte.
Das Argument, dass wir uns damit selbst zu einer Kriegspartei machen würden, ist keineswegs stichhaltig. Wenn die russische Führung völkerrechtswidrig einen souveränen Staat überfällt, dient es schlicht der Durchsetzung des Völkerrechts, wenn man diesem Angriff Einhalt gebietet.
Die Verteidigung der Ukraine ist eben nicht gleichbedeutend mit einem Angriff auf Russland. Russland ist bis heute ebenso kriegsfreies Territorium wie das Gebiet der NATO. Die Gleichung „Hilfe für die Ukraine = Aggression gegen Russland“ beruht allein auf der Kreml-Logik, wonach die Ukraine ihrem Wesen nach ein Vasallenstaat Moskaus zu sein hat.
Unlogische Kreml-Logik
Natürlich droht Putin für den Fall eines Einschreitens des Westens mit dem Einsatz von Atomwaffen und mit Bomben auf westliche Hauptstädte. Aber kann er sich eine solche Eskalation des Krieges überhaupt leisten? Wenn er die Kriegshandlungen auf andere Länder ausweitet, wird Russland in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt – und den würde das Land kaum überleben.
Es ist deshalb alles andere als sinnvoll, sich immer wieder der russischen Mafiapatenlogik – „Wer sich uns in den Weg stellt, wird plattgemacht“ – zu beugen. Damit bestärkt man den russischen Möchtegern-Weltherrscher nur in seinen Allmachtphantasien – und fördert damit gerade das, was man verhindern möchte, nämlich eine Ausweitung des Krieges. Diese würde dann allerdings zu russischen Bedingungen ablaufen, d.h. dann, wenn die russischen Truppen sich neu aufgestellt haben und das Waffenarsenal des Kreml wieder aufgefüllt ist.
Leider ist es aber nun einmal so, dass bei mir im Hinterhof gerade keine Luftwaffe parkt. Und auch um meinen Vorrat an Panzerabwehrwaffen ist es leider schlecht bestellt. Also bleibt mir nichts als die Waffe der Worte – die bekanntlich recht stumpf ist angesichts all der Cyber- und Hyperschallwaffen, mit denen die Menschheit heutzutage aufeinander einzudreschen pflegt.
Musikalische Atempause
Tagtäglich nur von dem Leid anderer zu hören, ohne etwas dagegen tun zu können, führt aber mit der Zeit entweder zu Verzweiflung und Umnachtung oder zu Abstumpfung. Vielleicht ist es aus der Ferne einfach nicht möglich, dauerhaft in derselben Intensität das Leid zu spüren, das ein Krieg über die Menschen bringt. Nach allem, was man hört, ist das offenbar noch nicht einmal in Kiew so. Die Menschen gehen dort längst wieder zur Arbeit, sie flanieren im Park, selbst die Straßencafés sind wieder geöffnet.
Was vor dem Hintergrund des Grauens in der Ostukraine obszön erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als pure Überlebensstrategie. Wer sich ununterbrochen in das Leid versenkt, das in jeder Sekunde irgendwo auf der Welt geschieht, verliert auf die Dauer seinen Lebenswillen und die Kraft zum Überleben. Damit aber wäre am Ende niemandem gedient. Solange man nicht die Möglichkeit hat, das Leiden anderer unmittelbar zu beenden, braucht man auch mal eine Atempause, um auf andere Gedanken zu kommen – die dann vielleicht Wege zur Beendigung des Leidens aufzeigen helfen.
Das Gute an einem Blog wie diesem ist ja auch, dass alle Beiträge nach wie vor abrufbar sind. Wer sich mit Hintergründen und Auswirkungen des Krieges beschäftigen möchte, kann die entsprechenden Posts jederzeit aufrufen. Außerdem ist die sommerliche Musikreise ja auch nur ein Angebot: Wer nicht mitreisen will, kann einfach zu Hause bleiben.
Zum Einstieg in den Summer of Love gibt es heute – sozusagen außer Konkurrenz – einen Klassiker aus der Zeit der Neuen Deutschen Welle, der recht gut zu der momentanen Hitzewelle über Mitteleuropa passt: Sex in der Wüste von Ideal (aus dem 1981 veröffentlichten Album Der Ernst des Lebens).
Über die Band Ideal und die Neue Deutsche Welle
Die Band Ideal gründete sich 1980 auf dem Höhepunkt der so genannten „Neuen Deutschen Welle“, die seit Mitte der 1970er Jahre die deutsche Popmusik prägte. Zentrales Charakteristikum dieser Musik war außer der deutschen Sprache eine Art von anarchischem Humor. Viele Texte erinnerten in ihrem Minimalismus und ihrer bewussten Sinnverweigerung auch an den Dadaismus.
Mit dem Abklingen der Neuen Deutschen Welle löste sich auch die Band Ideal 1983 wieder auf. Einer ihrer größten, vielfach gecoverten Erfolge – Blaue Augen – stammt aus der Feder von Annette Humpe, die zusammen mit ihrer Schwester Inga Humpe auch nach dem Abflauen der Neuen Deutschen Welle eine zentrale Rolle im deutschen Musikbetrieb spielte.
Annette Humpe wirkte auch in der Band Deutsch-Österreichisches Feingefühl (DÖF) mit, die 1983 einen anderen Meilenstein der deutschen Musikgeschichte einspielte: den Song Codo – Ich düse im Sauseschritt. Darin ringen der Liebesstern Codo und der Herr des Hasses in humorvoller Weise um die Herrschaft über die Erde: Der hässliche „Herr des Hasses“ kann das Hassen „nicht lassen“ – aber Codo rettet die Welt, indem sie die Liebe mitbringt „von ihrem Himmelsritt“. So jemanden könnten wir auch heute wieder gut gebrauchen!

English Version
A Summer Full of Love
Prelude to the Musical Summer Journey 2022
This year’s musical summer journey on rotherbaron is themed A Summer Full of Love – as a musical middle finger towards the God of Hate, who is once again dominating world events.
A Musical Journey in Times of War?
Starting next week, I’ll be turning on my sound system again and celebrating the summer with musical journeys to other countries and emotional worlds. This year’s motto: A Summer Full of Love, as a counterbalance to the grimace of hate that is currently overshadowing world events once again.
To be honest, this year I wasn’t sure whether I should set off on a musical journey again. The daily death reports from Ukraine are just too devastating. And perhaps even more devastating is the routine with which they are delivered by now. It feels like in a chess game: Who has lost more pawns than the other?
All this ignores the fact that behind every single dead person there is infinite suffering: agonising deaths and the grief of the relatives that cannot be quenched by anything. I wonder who came up with the idea that a human being loses his humanity and mutates into an appendage of his weapon as soon as he is sent to war?
Stop the War – NOW! – What Does That Mean in Concrete Terms?
Another thing I do not understand to this day is why Ukraine is being left alone with the defensive struggle against the terror of the Russian army. If – as is emphasised again and again – the attack on Ukraine is at its core an attack on Western liberal societies and a value system based on human rights, it is simply illogical not to provide Ukraine with substantial assistance.
Substantial assistance does not mean supplying more and more weapons that cannot compensate for the structural inferiority of the Ukrainian army and of which we do not even know into whose hands they will end up. Instead, substantial assistance would mean: Establishing a no-fly zone in Ukraine and stopping Russian terrorist attacks on Ukrainian towns.
The argument that this would make us a war party is not at all valid. When the Russian regime invades a sovereign state in violation of international law, it simply serves the purpose of enforcing international law to put a stop to this attack.
The defence of Ukraine is not synonymous with an attack on Russia. Russia is still a war-free territory, just like the territory of NATO. The equation „assistance to Ukraine = aggression against Russia“ is based solely on Kremlin logic, according to which Ukraine by its very nature has to be a vassal state of Moscow.
Illogical Kremlin Logic
Of course, Putin is threatening to use nuclear weapons and bomb Western capitals if the West intervenes. But can he afford such an escalation of the war? If he extends hostilities to other countries, Russia will be embroiled in a multi-front war – which the country would hardly survive.
It is therefore anything but sensible to keep submitting to Russian mafia godfather logic („anyone who gets in our way will be flattened“). This only encourages the Russian wannabe world ruler in his fantasies of omnipotence – and thus promotes precisely what we want to prevent, namely an expansion of the war. Moreover, this would then take place under Russian rules, i.e. after the Russian troops have regrouped and the Kremlin’s arsenal of weapons has been restocked.
Unfortunately, there is no air force parked in my backyard at the moment. And with my stockpile of anti-tank weapons, things are not looking good either. So I have nothing but the weapon of words – which, as we all know, is rather blunt in the face of all the cyber and hypersonic weapons with which mankind is wont to pummel each other these days.
Musical Respite
Hearing about the suffering of others every day without being able to do anything about it leads over time either to despair and derangement or to numbness. From a distance, perhaps it is simply not possible to feel the suffering that war brings to people with the same intensity on a permanent basis. By all accounts, this is apparently not even the case in Kiev. People there have long since returned to work, they stroll in the park, even the street cafés are open again.
What seems obscene against the backdrop of the horror in eastern Ukraine turns out to be a pure survival strategy on closer inspection. Those who are constantly immersed in the suffering that is happening every second somewhere in the world will lose their will to live and their strength to survive in the long run. Ultimately, this would serve no one’s interests. As long as we do not have the possibility to immediately end the suffering of others, we simply need a respite from time to time in order to come up with other thoughts – which may then help to find ways to end the suffering.
The good thing about a blog like this is that all posts are still available. If you want to delve into the background and effects of the war, you can access the corresponding posts at any time. Besides, the musical summer trip is just an offer: Those who don’t want to travel with us can simply stay at home.
To get us started on the Summer of Love, today we have – out of competition, so to speak – a German pop classic from the Eighties, which fits in quite well with the current heat wave over Central Europe: Sex in der Wüste (Sex in the Desert) by Ideal (from the album Der Ernst des Lebens / The Serious Side of Life, released in 1981).
Sex in the Desert
On the beach of Tangier,
on the edge of the desert,
they lie anaesthetised
in the blazing hot sun.
No shade for miles around,
the sand is hot,
they lie in their own sweat,
the coke is boiling.
The horizon is getting closer,
and – what no one knows –
everybody wants the same thing,
but it’s just too hot for that!
Sex! Sex in the desert!
Sex! Sex in the desert!
The air vibrates,
the sunlight stings the livid skin,
and nothing happens,
except that an urge is suppressed.
Under the endless blue sky,
without a breath of wind to fan them,
they lie in the sand as living dead,
their bodies red from the desert grill.
The horizon …
About the Band Ideal and the „New German Wave“
The band Ideal formed in 1980 at the peak of the so-called „New German Wave“, which had been shaping German pop music since the mid-1970s. The central characteristic of this music, apart from the German language, was a kind of anarchic humour. Many lyrics were also reminiscent of Dadaism in their minimalism and deliberate rejection of meaning.
With the fading of the New German Wave, the band Ideal also dissolved in 1983. One of their biggest hits, Blaue Augen (Blue Eyes), which was covered many times, was written by Annette Humpe, who, together with her sister Inga Humpe, played a central role in the German music scene even after the New German Wave had died down.
Annette Humpe also participated in the band Deutsch-Österreichisches Feingefühl (DÖF, German-Austrian Sensitivity), which recorded another milestone in German music history in 1983: the song Codo – Ich düse im Sauseschritt (Codo – I am jetting at a whizzing pace). In it, Codo, the Star of Love, and the Lord of Hate humorously struggle for dominion over the earth: the ugly „Lord of Hate“ just can’t „let go“ of hating – but Codo saves the world by bringing love along „from her ride in the sky“. Someone like that would serve us well today too!
Deutsch-Österreichisches Feingefühl (DÖF):
Codo – Ich düse im Sauseschritt (Video clip, 1983)

Bilder /Images: Christine Engelhardt: Violine (Pixabay); Wurli Burli: Wüste /Desert (Pixabay)