Frauen Zweiter Klasse?

Inga Lizengevics Feature über die Ausbeutung ukrainischer Leihmütter

Das Rothe Ohr: Radiofeature-Awards/3

Radiofeature-Awards auf rotherbaron – heute: Inga Lizengevics Feature über die Ausbeutung ukrainischer Leihmütter durch die Kinderwunsch-Industrie.

Ethischer Konfliktfall Leihmutterschaft

In dem Feature wird das Geschäft mit ukrainischen Leihmüttern von zwei Seiten beleuchtet: zum einen aus der Perspektive der Leihmütter selbst und zum anderen aus der Perspektive der ausländischen Auftraggeber. Drei Paare aus Deutschland und Österreich berichten über ihre Erwartungen und Erfahrungen mit der Leihmutterschaft.

Das Feature führt zunächst ganz allgemein die ethischen Probleme vor Augen, die mit Leihmutterschaft verbunden sind. Es wird deutlich, dass die Freigabe dieser Reproduktionspraxis ein Dammbruch ist, der auch durch gesetzliche Rahmenregelungen kaum abzumildern ist.

Immer wieder werden Verbote schlicht unterlaufen. So werden gesetzwidrig Geschlecht und weitere Merkmale der Embryos ausgewählt, und die Leihmütter werden zu Spätabtreibungen gezwungen, wenn es zu Komplikationen kommt.

Frauen als Reproduktionsapparate

Durch O-Töne wird hautnah vermittelt, wie sehr die ukrainischen Leihmütter unter der Behandlung leiden und wie sehr sie Auftraggebern und vermittelnden Agenturen ausgeliefert sind. Manche sind 2014 aus den Kriegsgebieten geflohen, andere sind allein und benötigen das Honorar für den Lebensunterhalt ihrer eigenen Kinder.

Die Zerrissenheit der Frauen ist deutlich zu spüren: Einerseits sehen sie für sich keine Alternative, um genug Geld für ein Leben in Würde zu verdienen. Andererseits beraubt sie gerade die Leihmutterschaft, bei der sie wie ein Apparat zur Baby-Produktion behandelt werden, ihrer Würde. Dies gilt erst recht dann, wenn der „Apparat“ nicht wie gewünscht funktioniert und nicht das erwartete Produkt liefert. Während die Auftraggeber ihre Order dann schlicht stornieren, bleiben die Frauen allein mit der schmerzvollen Realität des zerstörten Lebens.

Verlogenheit der deutschen Politik

Deutlich wird in dem Feature zudem die Verlogenheit der deutschen Politik auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin.

Leihmutterschaft ist zwar in Deutschland verboten – bestraft werden aber nur Mediziner, die sich aktiv oder vermittelnd an dieser Reproduktionsform beteiligen. So dürfen deutsche Eltern mit Kinderwunsch nicht nur straffrei ukrainische Leihmütter in Anspruch nehmen – sie dürfen die Kinder auch legal bei der Deutschen Botschaft in Kiew als ihre eigenen registrieren lassen.

Das Resultat ist ein moralisches Zweiklassensystem: Deutsche Frauen dürfen nicht mit den psychischen und physischen Problemen einer Leihmutterschaft belastet werden – ukrainische aber schon. Dies erinnert in fataler Weise an die  einstige Stigmatisierung anderer Volksgruppen als „Untermenschen“.

Leihmutterschaft und Ukraine-Krieg: Menschen Zweiter Klasse?

Das Verhaltensmuster gegenüber ukrainischen Leihmüttern lässt sich auch auf die zögerliche Haltung Deutschlands vor und zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine übertragen.

Auch hier galt und gilt zum Teil bis heute: Hilfe für die Ukraine ja – aber nur, solange das eigene Leben dadurch nicht beeinträchtigt oder gar gefährdet wird. Die Bewahrung der eigenen Komfortzone ist wichtiger als der unbedingte Schutz des Lebens von Menschen in der Ukraine.

Inga Lizengevic: Babys für die Welt – das Geschäft mit ukrainischen Leihmüttern; Deutschlandfunk/SWR/ORF 2021 (Ausstrahlung auch in WDR und BR, Sendetermine März 2022)

Regie: Inga Lizengevic

Sprecherinnen und Sprecher: Sigrid Burkholder, Claudia Mischke, Lisa Bihl, Svenja Wasser, Thomas Balou Martin, Jochen Langner

Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Thomas Widdig

Redaktion: Wolfgang Schiller

Informationen über Inga Lizengevic finden sich auf grengaengerprogramm.de.

Bild: Idösebb Benedek Jenö (1906 – 1987): Anya; Linolschnitt aus Ungarn (1949) Foto von Ifjabb Benedek Jenö (Wikimedia commons)

2 Kommentare

  1. Das Leihmüttergeschäft ist unerträglich, nicht nur für die Mütter, sondern auch für die Kinder, die in solchen verbrecherischen Kontexten „produziert“ werden. Natürlich betrifft es nicht nur die Ukraine, wenngleich die mafiösen Strukturen dieses Landes entsprechende Geschäftsmodelle begünstigen. Die unbedingte Unterstützung der Ukraine, deren regierende Kreise das Menschenleben ihrer russisch sprachigen Bevölkerung wenig achten, ist eine fragwürdige Forderung.

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    1. Hier beim „Award“ geht es ja um das Schicksal konkreter Frauen. Das Feature hat mich sehr aufgewühlt. Es ist wirklich ganz hervorragend gemacht. Ich finde es auch gut, auf dem rothen Baron auf solche Sendungen hinzuweisen!
      Zu dem Kommentar von gahzakou: Ich sehe eher, dass Russland weder das Menschenleben russisch – noch ukrainisch sprechender Menschen achtet. Wir beherbergen aktuell eine russisch sprachige Familie aus der Ukraine. Diese berichtete von den Gewalttaten russischer Soldaten in den besetzten Gebieten, vor denen sie geflüchtet sind. Ihrer Darstellung nach wurde der Hass auf die Ukrainer gezielt geschürt, Familien entzweit … Gewalt gesäht… Der Krieg hat nur rein imperialistische Gründe. Das Narrativ von der „Rettung“ der russisch- sprachigen Menschen in der Ukraine“ durch Russland wird noch nicht einmal mehr von Putin und seinen Mitstreitern durchgehend im Staatsfernsehen bemüht. Er will die Sowjetunion widererrichten und „den Westen“ besiegen … In erster Linie hat er furchtbare Angst vor der Demokratie und seinem Machtverlust. Tausende sitzen in Russland in Gefängnissen. Manche, weil sie nur ein Blatt Papier hochgehalten haben. Ich empfehle Ihnen mal die Analysen des Moskauer Politologen Greg Yudin, der die Putin-Freundschaft vieler deutscher Linke nicht nachvollziehen kann. Ich empfehle auch die Newsletter der russischen Friedensbewegung. Die Anti-Kriegs-Petition wurde von über 1 Mio Menschen vorwiegend aus Russland unterschrieben. Der offene Anti-Kriegs -Brief russischer WissenschaftlerInnen, viele davon Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften, trägt mittlerweile über 7000 Unterschriften renommierter WissenschaftlerInnen. Die USA und andere Länder freuen sich über den Zuzug hervorragend ausgebildeter RussInnen, die dieses Land in seiner totalitären und gewalttätigen Form nicht mehr ertragen können. Putin stürzt Russland in den Abgrund und zerstört die Ukraine. https://www.akweb.de/politik/greg-yudin-in-russland-droht-ein-faschistisches-regime/

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