Gedanken über Josef von Nazareth
Von Josef von Nazareth ist an Weihnachten immer nur am Rande die Rede. Dabei gibt es einiges an ihm, das ihn weit eher zum Erlöser der Menschheit prädestiniert als seinen Stiefsohn.
Nur ein unbedeutender Mitspieler?
Überstrahlt vom Glanz des Sohnes
Liebevoller Bruch mit den Konventionen
Stiller Antipode lärmender Weltenlenker
Ein Chanson von Georges Moustaki
Nur ein unbedeutender Mitspieler?
An Weihnachten wird wieder viel von der „Heiligen Familie“ die Rede sein – von ihrer Wanderung durch die fremde, abweisende Welt, in der sie am Ende nur in einem schäbigen Stall Zuflucht findet; von der Gottesmutter, die im Stroh neben den staunenden Eseln und Ochsen ihren Sohn zur Welt bringt; und natürlich von diesem selbst, dem Heiland, der so von Anfang an erfährt, von was er die Welt zu erlösen hat.
Nur von Josef ist immer nur am Rande die Rede. Wenn er erwähnt wird, dann meist nur in der Wendung „Maria und Josef“ oder indirekt, als mitgedachter Teil der „heiligen Familie“. Josef ist, so scheint es, lediglich ein untergeordneter Teil des Erlösungsgeschehens, er ist der Mann im Hintergrund – nicht unwichtig, aber eben auch nicht spielentscheidend.
Dabei hat Josef, wenn wir seine Figur genauer betrachten, einiges an sich, was ihn weit eher zum Erlöser der Menschheit prädestiniert als seinen Stiefsohn. Deshalb seien ihm heute, am Vierten Advent, wenigstens ein paar eigene Gedankensplitter gewidmet.
Überstrahlt vom Glanz des Sohnes
Dass Josef in der Kirche insgesamt keine Aufmerksamkeit geschenkt würde, lässt sich beileibe nicht behaupten. Unzählige Kirchen und kirchliche Gebäude sind ihm geweiht, er ist Schutzpatron ganzer Länder und der gesamten katholischen Kirche, und im Dezember 2020 hat Papst Franziskus sogar ein ganzes „Jahr des Heiligen Josef“ ausgerufen. Außerdem ist er Schutzpatron der arbeitenden Bevölkerung und – in einer für Letztere wenig erbaulichen Koinzidenz – auch der Sterbenden.
Der Heilige Josef gilt also durchaus als bedeutende Gestalt. Er ist einer, an den man sich wendet in der Not, egal ob auf dem Bau, auf dem realen oder dem geistigen Sterbebett, wo derzeit die Amtskirche darniederliegt. Und doch ist es stets so, als würde seine Bedeutung nur daher rühren, dass er einen so wirkmächtigen Stiefsohn hatte.
Es ist ein wenig wie im Fall von Söhnen berühmter Väter, deren Glanz auf ihre Nachkommen abstrahlt – nur dass wir es in diesem Fall eben eher mit einer Art Rückstrahlung zu tun haben, einem rückwirkenden Erstrahlen einer Gestalt, die ansonsten von der ewigen Nacht der Geschichte verschluckt worden wäre.
Liebevoller Bruch mit den Konventionen
Wenn wir wissen wollen, was für ein Mensch Josef von Nazareth war, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Die Bibel erzählt uns nur wenig über ihn. Wir erfahren lediglich, dass er wohl etwas mit Holzarbeiten zu tun hatte, vielleicht als Zimmermann, womöglich aber auch als Arbeiter am Bau oder als Holzschnitzer. Bedeutung erlangt er nicht durch seine Person, sondern durch seine Verbindung mit Maria.
Wenn wir an dieser Stelle den Wunderglauben von der unbefleckten Empfängnis einmal beiseitelassen, erhalten wir das Bild eines Mannes, der eine schwangere Frau bei sich aufgenommen hat – eine Frau, wohlgemerkt, die nicht von ihm schwanger war.
Sex vor der Ehe – genauer: ohne eine vorherige Zeremonie, die Mann und Frau vor der Gemeinschaft zu einem Paar zusammenführt – war in der damaligen Gesellschaft natürlich ein Unding. Wurde eine Frau dadurch schwanger, so schloss sie sich damit praktisch selbst aus der Gemeinschaft aus. Josef hat sich, indem er sich dennoch zu Maria bekannt hat, also über maßgebliche Konventionen der damaligen Zeit hinweggesetzt.
Angesichts der rührenden Art, in der er sich später um das Wohl Marias und ihres Kindes bemüht hat, können wir wohl annehmen, dass Josef keineswegs aus Mitleid gehandelt hat. Vielmehr hat er offenbar echte Liebe für Maria empfunden – eine Liebe, die so groß war, dass der Tabubruch eines Geschlechtsverkehrs ohne den Segen der Gemeinschaft in ihrem Lichte völlig bedeutungslos erschien.
Mit derselben Liebe hat Josef sich später auch um Marias Kind, seinen Stiefsohn, gekümmert. Sicher hat er ihn nie spüren lassen, dass er nicht sein eigener Sohn war. Wie er alles an Maria geliebt hat, hat er auch ihren Sohn in sein Herz geschlossen.
Wahrscheinlich hätte er seinen Stiefsohn gerne zu sich in die Lehre genommen und ihm ein auf die Dauer vielleicht etwas monotones, aber doch solides Handwerk beigebracht. Als Jesus seine eigenen Wege gehen wollte, hat er aber auch das akzeptiert und ihn nach Kräften dabei unterstützt.
Moderner Mann und Anti-Held
So lässt sich wohl sagen, dass Josef ein moderner Mann war. Er war bei der Geburt seines Stiefsohns dabei, er erhob keine Besitzansprüche auf seine Frau, und er zwängte seinen Stiefsohn nicht in das Korsett vorgefertigter Normen, sondern ermöglichte es ihm, seine Persönlichkeit frei zu entfalten und sich entsprechend zu betätigen.
Eben diese Charakterskizze erklärt auch, warum Josef einer jener Männer ist, die ohne seinen berühmten Sohn wohl im Dunkel der Geschichte verschwunden wären.
Der Gang der Geschichte ist bestimmt von Männern, die in allem das Gegenteil sind von Josef: Sie verstoßen ihre Frauen, wenn sie auch nur leise dagegen aufbegehren, als Eigentum ihres Mannes behandelt zu werden. Sie verlangen von ihren Söhnen, sich zum Klon ihrer Väter zu machen, ihre eigene Persönlichkeit zu verleugnen und wie ein genetischer Wurmfortsatz ihrer Erzeuger zu agieren.
Und natürlich würden diese Männer es auch niemals akzeptieren, als Annex einer Frau in die Geschichte einzugehen. Sie sind immer „der Große“, „der Größte“, „der Allergrößte“, Imperator und Erschaffer, gigantischer Baumeister, Eroberer, Erlöser der Menschheit.
Immun gegen Gebärneid
Die große Leistung des Josef von Nazareth ist es, so gesehen, dass er sich zu keinem Zeitpunkt seinem Gebärneid hingegeben hat – dieser testosterongeschwängerten Wut auf die Frau, die aus sich heraus neues Leben erschaffen und so dem Tod ein Schnippchen schlagen kann.
Vielleicht aber hat Josef auch gar keinen Gebärneid gekannt. Vielleicht hat er von Anfang an all sein Testosteron in die Liebe zu seiner schönen Frau umgewandelt. Vielleicht wies sein Körper auch schlicht eine höhere Konzentration des „Kuschelhormons“ Oxytocin auf.
Egal. Was aus dem Leben Josefs von Nazareth spricht, ist jedenfalls: Seine Liebe war größer als der Wahn, eine Frau besitzen zu wollen. Sie war größer als der Wahn, die eigenen Kinder zu einem Denkmal seiner selbst machen zu wollen. Und sie war schließlich auch größer als der Wahn, ohne Rücksicht auf Verluste andere Länder erobern, ganze Völker unterdrücken und überall bauliche Duftmarken des eigenen weltbewegenden Wirkens hinterlassen zu müssen.
Stiller Antipode lärmender Weltenlenker
Wie würde die Welt wohl aussehen, wenn ihre Geschicke von Männern wie Josef gelenkt würden – und nicht von den missgünstig-verkniffenen Gebärneidern?
Aber vielleicht ist die Frage ja auch falsch gestellt. Womöglich werden und wurden die Geschicke der Welt ja vielerorts von Männern gelenkt, deren Beweggrund nicht ein unbewusster Hass auf alles Lebendige ist, sondern die Liebe zum Leben, die ihre Frau und ihre Kinder sie gelehrt haben.
Vielleicht fallen die anderen, die alles nach ihrem Bilde formen, die sich alles unterwerfen wollen und bei jeder noch so kleinen Infragestellung ihres Tuns und Lassens hysterische Schreikrämpfe bekommen, ja nur deshalb mehr auf, weil sie sich stets mit Gewalt in den Vordergrund spielen. Schließlich wissen wir ja auch vom Wirken Josefs nur deshalb etwas, weil sein Stiefsohn sich auf so nachhaltige Weise in die Geschichte eingeschrieben hat.
Und vielleicht scheint es ja auch nur so, dass die Gewaltsamen und Lauten, die Eroberer und Unterdrücker den Lauf der Geschichte bestimmen. Vielleicht braucht das Wirken der Friedlichen und Leisen, derjenigen, die das Leben lieben und es mitschwingend begleiten, einfach mehr Zeit, um als bestimmender Faktor wahrgenommen zu werden – wie ein Bach, der ein ganzes Gebirge umgestaltet, indem er sich im Lauf der Jahrhunderte durch das scheinbar unbezwingbare Gestein gräbt.
Ein Chanson von Georges Moustaki
Auf Georges Moustakis legendärem Album Le Métèque aus dem Jahr 1969 findet sich auch ein Lied über Josef von Nazareth. Es legt ebenfalls den Schwerpunkt auf den Menschen hinter der biblischen Gestalt – und sei deshalb an dieser Stelle als musikalischer Schlusspunkt zitiert.
Georges Moustaki: Joseph
Das hast du nun davon, mein guter Joseph,
dass du die Schönste wählen musstest
unter den Töchtern von Galiläa –
die mit dem Namen „Maria“.
Du hättest auch, mein guter Joseph,
Deborah oder Sarah wählen können –
und nichts, rein gar nichts wäre dir passiert.
Aber du musstest ja Maria wählen.
Selbst dann noch hättest du, mein guter Joseph,
daheim bei deinen Holzarbeiten bleiben können,
anstatt Maria blind zu folgen
in den Ozean der Fremde.
Du hättest auch, mein guter Joseph,
Kinder zeugen können mit Maria
und sie dein Handwerk lehren,
wie es dich einst dein Vater lehrte.
Wie nur, Joseph, kam Marias Sohn,
dieses Kind der Unschuld,
auf jene seltsamen Ideen,
die seine Mutter so viel leiden ließen?
Manchmal, Joseph, mein armer Freund,
denke ich an dich, wenn die andern lachen
über dich, der du nichts anderes ersehntest
als ein glückliches Leben mit Maria.
Georges Moustaki: Joseph
aus: Le Métèque (1969)
Albumfassung:
Live-Aufnahme aus dem Jahr 1969:
Weitere Beiträge mit Chansons von Georges Moustaki:
Das Mittelmeer: Friedlicher Anschein, tödliche Realität (Über das Chanson En Méditerranée / Am Mittelmeer); mit biographischen Informationen zu Moustaki
Die Fremdheit der Welt.Paul Verlaine / Georges Moustaki: Gaspard (Kaspar Hauser)
Bild: Johann Nepomuk della Croce (1736 – 1819): Heiliger Joseph mit Jesuskind (1795); Stadtmuseum Burghausen (Wikimedia commons)
Das ist ein richtig schöner und informativer Beitrag. Ja, die Welt wäre friedlicher, wenn sich alle Männer Josef zum Vorbild nähmen.
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Das ist mal eine andere „Weihnachtsgeschichte“. Tatsächlich war das mutig von Josef so zu handeln. Die Zeiten waren damals ganz andere. Frauen hatten keine Rechte und ein uneheliches Kind hatte schlimme soziale Auswirkungen. Wahrscheinlich wurden Ehen noch arrangiert. Also die Liebe als Heiratsgrund war wohl eher die Ausnahme. Das Lied von Moustaki ist auch immer wieder schön. Frohe Festtage in diesem Sinne 🙂
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„Was aus dem Leben Josefs von Nazareth spricht, ist jedenfalls: Seine Liebe war größer als der Wahn, eine Frau besitzen zu wollen. Sie war größer als der Wahn, die eigenen Kinder zu einem Denkmal seiner selbst machen zu wollen. Und sie war schließlich auch größer als der Wahn, ohne Rücksicht auf Verluste andere Länder erobern, ganze Völker unterdrücken und überall bauliche Duftmarken des eigenen weltbewegenden Wirkens hinterlassen zu müssen.“ Was für ein Mann!- Ihm gehört ein Denkmal in unserem Herzen!
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