Die Lust am Lärm und die Freiheit der Beschallten

Die Kultur der Achtsamkeit/3

Das Bedürfnis nach einem Ausagieren individueller Freiheitsrechte verhindert einen wirksamen Lärmschutz. In einer Kultur der Achtsamkeit würde daher das Recht auf Ruhe Vorrang vor dem Recht auf Lärmen haben.

Von einem Primat des Lärms zu einem Primat der Ruhe

Die offensichtlichste Form, in der die Freiheit einer Person die einer anderen tangiert, ist die akustische. Nichts dringt so unmittelbar in unser Leben ein wie die nachbarliche Geräuschkulisse. In einer Kultur der Achtsamkeit gäbe es daher grundsätzlich ein Primat der Ruhe.

Derzeit ist es genau umgekehrt: Es gilt das Primat des Lärms. Unterbrochen wird es lediglich von ein paar eng umrissenen Ruhestunden für den nächtlichen Schlaf und zuweilen noch zur Mittagszeit. In den übrigen Stunden darf nach Lust und Laune gelärmt werden.

Eine solche Praxis geht genau von jenem Kleinkindverständnis von grenzenlosem Ausleben eigener Bedürfnisse aus, das der Theorie nach durch das Abtreten eines Teils der individuellen Freiheit an eine höhere Instanz überwunden werden soll.

Umgang mit Lärm in einer Kultur der Achtsamkeit

Die Tatsache, dass diese höhere Instanz – sprich: der Staat – ihrer Aufgabe nicht gerecht wird,  bedeutet nun aber keineswegs, dass auf eine Kultur der Achtsamkeit verzichtet werden muss. In den Bereichen Verkehrs- und Baulärm sind wir zwar auf staatliche Regeln angewiesen, um eine Kultur der Achtsamkeit zu implementieren. Im Freizeitbereich kann das jedoch auch ohne staatliche Eingriffe gelingen.

In Mietshäusern lassen sich Lärmereignisse – wie sie etwa durch Partys oder den Einbau einer neuen Küche entstehen können – beispielsweise auf einem speziellen Schwarzen Brett am Hauseingang ankündigen. So könnten sich alle darauf einstellen, was dem Lärm einen Großteil seines Stresspotenzials nehmen würde.

Manche würden sich dann vielleicht sogar dazu entscheiden, beim Einbau der Küche zu helfen, um das Ganze schneller über die Bühne zu bringen. So lässt sich auf diese Weise ganz nebenbei auch der Zusammenhalt der Hausgemeinschaft fördern.

Unreflektiertes Arbeitsethos als Hindernis für Achtsamkeit

Bei der Gartenarbeit ist es schon weit schwerer, eine Kultur der Achtsamkeit zu erreichen. Das größte Hindernis ist hier der von vielen Anhängern der Fortschrittsideologie gepflegte Aberglaube, dass das lauteste auch das leistungsstärkste Gerät sei.

Hinzu kommt ein unreflektiertes Arbeitsethos, das Muße tendenziell als Sünde oder vergeudete Zeit und jede Form von Herumwerkeln als geheiligtes Tun einstuft. Anderen durch laute Geräte beweisen zu können, wie arbeitsam man ist, wird daher unbewusst auch als Möglichkeit genutzt, das eigene Verhalten anderen gegenüber als vorbildlich zu inszenieren.

Lärmschutzregeln in einer Kultur der Achtsamkeit

Eine Kultur der Achtsamkeit würde hier dagegen ganz anderen Grundsätzen folgen. Ihre maßgeblichen Regeln wären:

  1. Vermeide unnötigen Lärm.
  • Benutze stets die leiseste Variante eines Gerätes.
  • Einige dich mit deinen Nachbarn auf genau abgestimmte Zeiten für unvermeidlichen Lärm. So kann niemand von der Lärmkulisse der anderen gestört werden.     
  • Kümmere dich um Schallschutz oder zieh dich in Innenräume zurück, wenn längere Lärmemissionen unvermeidlich sind.
  • Lade deine Nachbarn zu deinen Partys ein. So können alle selbst entscheiden, ob sie mitfeiern oder an dem Tag lieber Abstand von dir halten wollen.

Weiterer Beitrag zum Thema mit Links zu Studien über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Lärm:

RB: Die Freiheit des Rasenmähenden. Lärm als verfassungsrechtliches Problem (PDF). In: Palmweinphilosophie, S. 72 – 77; April 2021.

Bild: Fotolia

3 Kommentare

  1. Es ist eigentlich erstaunlich, dass dieses „Primat des Lärms“ besteht. Lärm macht dumm und krank. Dazu gibt es eigentlich nichts zu diskutieren. Dennoch passiert in Sachen Lärmschutz viel zu wenig. Vielleicht will der Staat auch lieber dumme Bürger … und die Männer (und wenigen Frauen), die sich nur mir motorbetriebenen Lärmquellen im Freien bewegen können, haben Angst, in der Stille die Leere ihres Kopfes zu bemerken. Hier noch ein ausführlicher Artikel, der mal im Focus war zum Thema: https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/hoeren/hoerschaeden/konzentrationsmangel-burn-out-herzinfarkt-wie-laerm-uns-dumm-und-krank-macht_id_3806377.html

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  2. Ich habe auch so einen Nachbar, der eigentlich nie ohne irgendein Lärmgerät in den Garten geht. Er läuft mit laufenden Motor von Freischneider, Kettensäge oder Laubpuster herum und schaut, wo er diese Folterinstrumente zum Einsatz bringen kann. Sein Motto: „Ich lärme, also bin ich“. Das hält ihn vom lästigen Denken ab. Ich glaube, bei den einen Lärmfanatikern ist es einfach ein Übetrönen, der eigenen Leere im Hirn, bei anderen ist es die Vollendung der protestantischen Ethik. Das haben Sie ja in ihrem Text gut ausgeführt: „Hinzu kommt ein unreflektiertes Arbeitsethos, das Muße tendenziell als Sünde oder vergeudete Zeit und jede Form von Herumwerkeln als geheiligtes Tun einstuft. Anderen durch laute Geräte beweisen zu können, wie arbeitsam man ist, wird daher unbewusst auch als Möglichkeit genutzt, das eigene Verhalten anderen gegenüber als vorbildlich zu inszenieren.“ – Und es gibt Gründe, warum wir absolut keinen gesetzlich geregelten Lärmschutz haben: 1. Profit, der mit diesen unsäglichen Lärmgeräten gemacht werden kann. 2. Wollen die Herrschenden überhaupt, dass die Leute Muße haben? In dieser Zeit könnten sie lesen und nachdenken. Ist das gewollt?
    Was mich allerdings auch umtreibt: Beim „Verbrennerverbot“ wird immer nur über Autos und Heizungen geredet?- Was ist mit all diesen Lärmgeräten?- Wenn ich auf dem Land wohne, bin ich ohne Auto nicht mobil. Diese Gartengeräte lassen sich dagegen ganz leicht ersetzen? Warum wird darüber in Sachen Natur- und Klimaschutz nicht geredet?

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