Wortwitz und wilde Bühnen

Kabarettgeschichte(n) 6

Kommerzialisierungstendenzen und die Gewalt von Rechts drängten das politische Kabarett in der Weimarer Republik zunehmend in die Defensive. Dafür erlebte das Kabarett in dieser Zeit aber eine literarische Blüte.

Günstige Bedingungen für die Entwicklung des Kabaretts

Kabarett und Brettl-Kultur

Kabarett im Visier der Rechtsnationalen

Neue Formen des politischen Theaters

Literarische Blütezeit des Kabaretts

Brotloses Bravissimo

Nachweise

Günstige Bedingungen für die Entwicklung des Kabaretts

Zu Beginn der 1920er Jahre waren die Bedingungen für das Kabarett in Deutschland ausgesprochen günstig. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gab es ein verbreitetes Bedürfnis nach einer gewissen anarchischen Lebensfreude, nach einem Hinweglachen aller Konventionen. Dafür war das Kabarett der geeignete Ort.

Die dadaistische Aktionskunst hatte zudem gezeigt, dass und wie sich mit dieser Stimmungslage politische Botschaften verknüpfen ließen. Zwar hatte sich der Dadaismus nicht als dauerhafte Kunstform etablieren können – was nicht zuletzt an der Vermengung mit Vermarktungsinteressen lag. Eben dies konnte für die Entwicklung des Kabaretts aber auch als positives Vorzeichen gesehen werden.

Die Kommerzialisierung mochte in strukturellem Widerspruch zu der Fundamentalkritik des Dadaismus an der bürgerlichen Gesellschaft stehen. Bei Kabarettbühnen stellte sich die Sache jedoch ein wenig anders dar. Sie waren für ihr wirtschaftliches Überleben darauf angewiesen, dass genügend Menschen bereit waren, für den kabarett-typischen anarchischen Witz Geld auszugeben – selbst wenn dieser die Verhältnisse, unter denen sie lebten, grundlegend in Frage stellte.

Kabarett und Brettl-Kultur

Allein in Berlin gab es unmittelbar nach Kriegsende mehrere Neugründungen von Kaba­rettbühnen. Bereits 1919 reaktivierte Max Reinhardt im Keller des von ihm geleiteten Großen Schauspielhauses das Ka­barett Schall und Rauch, mit dem er schon von 1901 bis 1903 an wechselnden Orten aufgetreten war. 1920 entstand in den Räumen des Cafés des Westens, schon zuvor ein beliebter Treffpunkt der Bohème, das von Rosa Paletti geführte Kabarett Größenwahn. 1921 rief Trude Hesterberg im Keller des Theaters des Westens ihre Wilde Bühne ins Leben.

Während diese Kabarettbühnen an die gesellschaftskritische Tradition des Kabaretts anknüpften, überwog bei der Mehrzahl der übrigen Neugründungen allerdings die Brettl-Kultur, wo die pure Unterhaltung im Vordergrund stand. Hier wurden vor allem zotenhafte Witze und schlüpfrige Tanzeinlagen geboten.

So konnte das Publikum die Vorzüge des Kabaretts genießen, ohne sich kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen. Die gegenüber dem Theater entspanntere Atmosphäre, in der man Kulturgenuss mit Alkoholkonsum verbinden konnte, direkteren Kontakt zum Ensemble und einen größeren Abwechslungsreichtum bei den Darbietungen hatte – all das ließ sich hier in einem apolitischen Raum genießen.

Diese Entwicklung beschleunigte sich noch durch den amerikanischen Einfluss auf die deutsche Kultur, der sich nun immer stärker bemerkbar machte. In der Folge orientierten sich die Ka­barettprogramme vermehrt an den großen Revuen, in denen Schlager, Tanz und Erotik zu einem bunten Unterhaltungsstrauß zusammengebunden wurden.

Kabarett im Visier der Rechtsnationalen

Der Übergang zu einer reinen Amüsierkultur hatte bei vielen Kabarettbühnen allerdings noch einen anderen Grund. Manche hatten schlicht Angst vor einer klaren politischen Positionierung. Der Wegfall der rigiden Zensurbestimmungen des Kaiserreichs bedeutete nämlich keineswegs eine völlige Freiheit für politische Aussagen auf der Kabarettbühne.

Die größere behördliche Toleranz wurde mehr als kompensiert durch die implizite Zensur, die von rechtsnationalen Kreisen ausgeübt wurde. Ermutigt durch die staatstragende Rolle, welche die in ihrem Dunstkreis angesiedelten Freikorpsverbände bei der Niederschlagung linksgerichteter Bewegungen zu Beginn der Weimarer Republik gespielt hatten, nahmen sie sich das Recht heraus, auch entsprechende künstlerische Tendenzen zu bekämpfen.

Wer politisches Kabarett im klassischen Sinn betrieb, musste daher immer mit öffentlichen Anfeindungen und Störungen der Aufführungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen rechnen. So wurde Trude Hesterbergs Kabarett von der Rechtspresse als „Brutstätte des Kulturbolschewismus und der entarteten Literatur“ beschimpft [1].

Als ihre Wilde Bühne 1923 bei einem Brand zerstört wurde, lag es nahe, dies auf einen Anschlag reaktionärer Kräfte zurückzuführen. Die Ermittlungen liefen allerdings ins Leere. Wie so oft bewahrheitete sich auch hier, dass die Weimarer Justiz auf dem rechten Auge blind war. Da Hesterberg nicht über die Mittel verfügte, das Kabarett wieder aufzubauen, erreichten die mutmaßlichen Attentäter, was sie mit der Brandstiftung bezweckt hatten: Die kritische Stimme dieses Kabaretts verstummte.

Neue Formen des politischen Theaters

Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung der Kabarettkultur entstanden Mitte der 1920er Jahre neue Formen einer kritisch-subversiven Bühnenkultur. So adaptierte etwa Erwin Piscator für seine Revue Roter Rummel Elemente des neuen Amüsierbetriebs, gab ihnen jedoch zugleich eine neue, gesellschaftskritische Richtung. Mit seiner „politisch-proletarischen Revue“ wollte er von der passiven Unterhaltung zu „direkter Aktion“zurückkehren [2].

Ähnliche Intentionen verfolgte auch Bertolt Brecht mit seinem epischen Theater [3] – einem auch von Piscator vertretenen und auf der Bühne realisierten Konzept. Dieses entwickelte sich allerdings vor allem aus einer kritischen Auseinandersetzung mit dem klassischen Theater. Brecht machte seine Kritik dabei insbesondere an dem Wirkprinzip der Katharsis fest, die ihm zufolge im Anschluss an die antike Tragödie auch die Rezeptionsgewohnheiten im bürgerlichen Theater bestimmte.

Brechts Hauptkritikpunkt bestand darin, dass die Katharsis sich nur auf die innerpsychische Ebene beziehe: Das Publikum reinigt seine Seele, indem es, vermittelt durch das Bühnengeschehen, zentrale Konflikte durchlebt. Diese verlieren dadurch ihre belastende Wirkung und ermöglichen so eine unbeschwertere Bewältigung der Alltagsaufgaben.

Für Brecht war dies gleich aus zwei Gründen problematisch: Zum einen handelt es sich bei den klassischen Konflikten der Tragödie um allgemein-existenzielle Fragen, welche die sozialen Probleme der Gegenwart nicht berühren. Zum anderen begünstigt die kathartische Wirkung der klassischen Tragödie eine affirmative Haltung gegenüber der Gesellschaft. Die Konflikte werden gewissermaßen hinter der Pforte des Theaters zurückgelassen: Man durchleidet sie während der Vorstellung, ist hinterher aber umso weniger durch sie beunruhigt.

Brecht richtete seine Dramen daher zum einen gezielt sozialkritisch aus. Zum anderen führte er Elemente in sein Theater ein, die eine Distanzierung von dem Bühnengeschehen ermöglichen und das Publikum so dazu anregen sollten, die dargestellten sozialen Verhältnisse zu hinterfragen. Hierzu zählten etwa Kommentare durch einen Erzähler (daher der Name „episches Theater“), aber auch Lieder und Bühnenbildelemente, durch welche die Handlung gezielt verfremdet und so der kritischen Reflexion zugänglich wurde.

Ziel war es, die bisherige Wirkungsweise des Theaters umzudrehen. Anstatt als Ventil für den Abbau des Leidens an scheinbar unlösbaren Konflikten zu dienen, sollte es dazu anregen, aktiv nach Lösungen für diese zu suchen. So sollte das Theater zu einer Keimzelle für gesellschaftsveränderndes Handeln werden.

Literarische Blütezeit des Kabaretts

Zentralbild Vom Winterfest der Schlaraffia-Berolina im Jahre 1908 UBz: (1) Hofschauspieler Dehnike, (2) Baron von Bretfeld, der Führer des Oesterreichischen Lloyddampfers „Thalia“, (3) Otto Reutter.

Vor dem Hintergrund der dramaturgischen Innovationen, die auf eine politischere Ausrichtung des traditionellen Theaters abzielten, verlor das politische Kabarett zunehmend sein Alleinstellungsmerkmal. Bedeutungslos wurde das Kabarett dadurch allerdings nicht.

Dies liegt nicht nur an den zahlreichen Bühnen, die sich auf eine reine Unterhaltungskultur spezialisierten. Vielmehr zeichnete sich das Kabarett der 1920er Jahre vielfach auch durch einen besonderen Wortwitz aus. Das berühmteste Beispiel dafür sind wohl Karl Valen­tin und Liesl Karlstadt, die in München am Kabarett Wien-München wirkten.

Auch die literarische Qualität der Texte war bei vielen Kabarettprogrammen hoch. So erlebte etwa das Chanson in der Weimarer Republik eine Blütezeit. Dichter wie Walter Mehring – der, so Kurt Tucholsky, die Kunst des Chansons „ungeheuer raffiniert“ zu handhaben wusste [4] – verfassten teils anspruchsvolle Texte, die Sängerinnen wie die unver­wechselbar berlinernde Claire Waldoff durch ihre Bühnenpräsenz populär machten. Auch Otto Reutter – schon vor dem Ersten Weltkrieg eine feste Größe in der Kulturszene – prägte die Kabarettkultur der Weimarer Zeit mit seinen Liedern. Einige davon – wie das berühmte In 50 Jahren ist alles vorbei – wurden zu regelrechten Gassenhauern.

Neben Mehring schrieben in den 1920er Jahren auch andere bedeutende Literaten – wie etwa Erich Kästner und Kurt Tucholsky – Texte für das Kabarett. Manche gaben ihre Werke auch selbst auf der Bühne zum Besten. Dies gilt beispielsweise für Joachim Ringelnatz, der in den gesamten Zwanzi­gerjahren in seinem Markenzeichen, einem Matrosenanzug, durch Deutschland tingelte.

Brotloses Bravissimo

Die teils hohe literarische Qualität der Kabarett-Texte hatte allerdings auch eine Kehrseite. Sie beruhte nicht zuletzt auf der zunehmend prekären Lage von Menschen mit dichterischen Ambitionen in einer immer zweckrationaler organisierten Gesellschaft. Zwar hatte die Dichtung auch schon vor dem Ersten Weltkrieg keinen leichten Stand. Damals gab es aber noch ein lebendigeres Mäzenatentum, das Dichtern wie Georg Trakl oder Rainer Maria Rilke die Existenz sicherte bzw. deren Aufbau ermöglichte.

Walter Mehring dagegen musste sich 1923 mit einem Abendbrot und dem Gegenwert von zweieinhalb Logenplätzen begnügen, als er Texte zu einem Programm von Trude Hesterbergs Wilder Bühne beisteuerte. Zwar lag die nicht-pekuniäre Entlohnung auch an der damals herrschenden galoppierenden Inflation. Dennoch kam Mehrings Honorar einem besseren Trinkgeld gleich.

So war der literarische Aufschwung des Kabaretts jener Jahre gleichzeitig ein Beleg für den gesellschaftlichen Abstieg der Dichtung. Sie diente nun nur noch als Vorlage für die kabarettistische Selbstdarstellung. Der Text allein war buchstäblich nichts mehr wert.

Nachweise

[1]  Zit. nach Mehring, Walter: Großes Ketzerbrevier. Die Kunst der lyrischen Fuge, S. 195. München und Berlin 1974: Herbig.

[2]  Piscator, Erwin: Das politische Theater (1929), S. 65 ff. Reinbek 1963: Rowohlt.

[3]  Die Elemente des epischen Theaters hat Brecht in verschiedenen Essays erläutert (so etwa in Das Prinzip der Verfremdung oder in Über experimentelles Theater (vgl. die mehrbändige Ausgabe seiner Schriften zum Theater im Suhrkamp-Verlag). Das Standardwerk zum epischen Theater stammt von Marianne Kesting: Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas (1959). Stuttgart 8. Auflage 1989: Kohlhammer.

[4]  Tucholsky, Kurt (alias Peter Panter): Das neue Lied (1920). In: Mehring, Walter: Chronik der Lustbarkeiten. Die Gedichte, Lieder und Chansons 1918 – 1933, herausgegeben von Christoph Buchwald, Anhang: Zeitgenössische Rezensionen, S. 521 – 524 (hier S. 522). Düsseldorf 1981: Claassen.

Gedicht von Joachim Ringelnatz auf LiteraturPlanet:

Ein Loblied auf den Zauberstab der Phantasie. Über Joachim Ringelnatz‘ Gedicht Komm, sage mir, was du für Sorgen hast

Bilder: Claire Waldoff in der Operette Drei alte Schachteln von Walter Kollo; Libretto: Hermann Haller; Liedtexte: Fritz Oliven (Künstlername „Rideamus“); (Bundesarchiv / Wikimedia commons); Das Berliner Café des Westens im Jahr 1900; aus: Metzger, Karl-Heinz / Dunker, Ulrich: Der Kurfürstendamm, Berlin 1986: Konopka (Wikimedia commons); László Moholy-Nagy (1895 – 1946): Cover zu Erwin Piscators Buch Das politische Theater, 1929 (Wikimedia commons)

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