Die öffentliche Toilette als Nachweis einer inklusiven Gesellschaft

Die Kultur der Achtsamkeit/4

Bei Unisex-Toiletten besteht die Gefahr, dass sie die Probleme einer gesellschaftlichen Gruppe auf Kosten der Bedürfnisse anderer Gruppen lösen. Ein inklusiver Ansatz würde dagegen versuchen, den Bedürfnissen aller Gruppen gleichermaßen Rechnung zu tragen.

Individuum- und gruppenbezogene Achtsamkeit

Ein entscheidender Aspekt der Kultur der Achtsamkeit ist es, dass sie stets von konkreten Einzelnen ausgeht. Im öffentlichen Raum fragt sie danach, wie sich bestimmte Personen in bestimmten sozialen Situationen fühlen und zurechtfinden. Auf dieser Grundlage wird dann nach Möglichkeiten gesucht, etwaige Probleme bei der Bewältigung der betreffenden Situationen zu beheben.

Bei einer gruppenbezogenen Achtsamkeit besteht dagegen die Gefahr, dass die Situation einer Gruppe auf Kosten einer anderen verbessert wird. Im Extremfall werden dann für einige neue Probleme geschaffen, damit andere sich im Alltag besser zurechtfinden.

Unisex-Toiletten: Achtsamkeit für die einen auf Kosten der anderen

Ein Beispiel für dieses Phänomen ist die aktuelle Diskussion um Unisex-Toiletten. Dabei wird von den Alltagsproblemen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe ausgegangen: der von Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zuordnen können oder wollen.

Diesen Menschen soll es durch die Einführung von Unisex-Toiletten erleichtert werden, sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Allerdings führt dies bei anderen gesellschaftlichen Gruppen zu neuen Problemen, die bislang gerade durch die Existenz getrennter Toiletten für Männer und Frauen vermieden werden konnten.

Der entscheidende Punkt ist dabei, dass durch Unisex-Toiletten der Schonraumcharakter entfällt, den spezielle Toiletten für das weibliche Geschlecht bieten.

Es gibt sicher auch Frauen, die darauf keinen Wert legen. Bei jenen Frauen, die schon einmal Opfer sexueller Übergriffe waren, dürfte dies in der Regel aber sehr wohl der Fall sein. Gleiches gilt für junge Mädchen und auch viele Jungen in der Pubertät, die den Gestaltwandel ihres Körpers bewältigen müssen und dabei das Bedürfnis nach einem verstärkten Schutz der Intimsphäre empfinden.

Hinzu kommen schließlich noch kulturelle Barrieren, die gerade bei Toiletten im öffentlichen Raum beachtet werden müssen. In zahlreichen Kulturen ist es undenkbar, dass Frauen ihr Bedürfnis an denselben öffentlichen Orten verrichten wie Männer. Für sie würden durch die Errichtung von Unisex-Toiletten neue Hindernisse entstehen.

Pragmatische Lösungen statt Unisex-Toilette

Eine an den Einzelpersonen orientierte Achtsamkeit würde folglich die Probleme von Menschen mit unklarer geschlechtlicher Orientierung zwar nicht missachten – sie würde ihnen aber auf andere Weise gerecht zu werden versuchen.

So könnte beispielsweise den betreffenden Personen schlicht freigestellt werden, Toiletten für Männer oder für Frauen zu besuchen. Dies würde auch der Tatsache Rechnung tragen, dass bei manchen Menschen mit unklarer geschlechtlicher Identität die Tendenz, sich eher auf der einen oder der anderen Seite des Geschlechterspektrums zu Hause zu fühlen, Schwankungen unterliegt.

Unisex-Toiletten als Sparmodell

Bleibt die Frage, warum trotz des Vorhandenseins einfacher, pragmatischer Lösungsansätze so intensiv um die Einführung von Unisex-Toiletten gerungen wird.

Ein Grund ist schlicht monetärer Natur: Unisex-Toiletten bieten ein ungeheures Einsparpotenzial, da bei öffentlichen Gebäuden dann jeweils nur noch eine einzige Toilettenanlage vorgesehen werden muss. Unter dem Deckmantel von Progressivität und Humanität lassen sich so massive Einschränkungen bei Investitionen in die öffentliche Hygiene vornehmen.

Diversitäts- vs. Inklusionsparadigma

Der tiefer liegende Grund des Kampfs für Unisex-Toiletten dürfte jedoch das Paradigma sein, das der Diskussion zugrunde liegt. Maßgeblich dafür ist das Konstrukt der Diversität.

Der Diversitätsansatz fragt danach, wie die gesellschaftliche Teilhabe sozialer Gruppen, die in irgendeiner Form quer zum Mainstream stehen, verbessert werden kann. Es wird hierbei also zunächst Andersartigkeit festgestellt, um anschließend nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, wie diskriminierungsfrei mit dieser Andersartigkeit umgegangen werden kann.

Demgegenüber geht das Inklusionsparadigma nicht von der Andersartigkeit einzelner gesellschaftlicher Gruppen aus, sondern von der unverwechselbaren Individualität jedes einzelnen Menschen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass Einrichtungen im öffentlichen Raum so gestaltet sein müssen, dass sie von allen Menschen diskriminierungsfrei genutzt werden können.

Der Vorteil dieses Ansatzes ist es, dass nicht eine Gruppe gegenüber anderen herausgestellt werden muss, um das Ideal einer uneingeschränkten gesellschaftlichen Teilhabe umzusetzen. Dies führt in der Praxis nämlich immer wieder zu einer Art Wettbewerb um öffentliche, insbesondere mediale Aufmerksamkeit. Dabei erhält dann nicht die Personengruppe die größte Unterstützung, die dieser am dringendsten bedarf, sondern jene, die sich am besten und „coolsten“ darstellen kann.

Anforderungen an öffentliche Toiletten in einer Kultur der Achtsamkeit

Um das Ganze noch einmal am Beispiel öffentlicher Toiletten zu konkretisieren: Eine nicht auf einzelne gesellschaftliche Gruppen, sondern auf die Bedürfnisse einzelner Personen bezogene Zugangsweise würde hier sicher auch dazu führen, die Probleme von Menschen mit unklarer geschlechtlicher Orientierung zu thematisieren und entsprechend zu berücksichtigen. Daneben würden aber auch eine Reihe anderer Fragestellungen in den Fokus rücken.

Öffentliche Toiletten würden dann noch unter ganz anderen Aspekten betrachtet werden, die eine mindestens ebenso große Dringlichkeit aufweisen. Ein entsprechender Forderungskatalog würde dann etwa  wie folgt aussehen:

  • Öffentliche Toiletten müssen im öffentlichen Raum in ausreichender Zahl vorhanden sein.
  • Die Wege zu öffentlichen Toiletten müssen für alle erkennbar ausgeschildert und barrierefrei zu bewältigen sein.
  • Der Zugang zu öffentlichen Toiletten muss sowohl in räumlicher als auch in finanzieller Hinsicht barrierefrei sein, das heißt ihre Benutzung muss kostenlos und mit körperlichen Beeinträchtigungen aller Art möglich sein.
  • Investitionen in öffentliche Hygiene sind ein Kernelement staatlicher Gesundheitsvorsorge. Deshalb darf auch nicht an der Pflege öffentlicher Toiletten gespart werden.

Diskriminierende Wirkung unzureichender öffentlicher Toiletten

Die Erfüllung dieser Forderungen käme grundsätzlich allen Menschen zugute, die sich im öffentlichen Raum bewegen. Die derzeit vielerorts gepflegte Praxis, den Toilettengang in der Öffentlichkeit als überflüssigen Luxus zu behandeln, wirkt sich dagegen für einige gesellschaftliche Gruppen als unmittelbare Diskriminierung aus und schränkt ihre Teilhabemöglichkeiten am öffentlichen Leben ein.

Dies gilt in besonderem Maße für Menschen, die an Blasen- oder Darminkontinenz leiden und deshalb auf die Möglichkeit angewiesen sind, stets rasch eine Toilette aufsuchen zu können. Aber auch Frauen sind bei fehlenden oder ungepflegten öffentlichen Toiletten gegenüber Männern benachteiligt. Während Männer schnell mal hinter einem Busch verschwinden können, müssen Frauen sich ihr Bedürfnis entweder verkneifen oder erst irgendwo einkehren, um Zugang zu einer sauberen Toilette zu erhalten.

Eine Kultur der Achtsamkeit würde derartige Probleme bei der Gestaltung des öffentlichen Raums von Anfang an berücksichtigen. Um sie zur Geltung zu bringen, müssten alle Planungsschritte ebenso wie nötige Veränderungen des öffentlichen Raums von Komitees begleitet werden, die von möglichst verschiedenartigen Menschen besetzt sein sollten.

Nur so kann sichergestellt werden, dass die Gestaltung des öffentlichen Raums nicht an den Bedürfnissen derer vorbeigeplant wird, die sich in ihm bewegen müssen.

Bild: Collage. Bildautoren: Waldemar Witt, Bernd, Scottinthailand, Thomas Malyska (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Das ist wirklich ein wichtiges Thema. Leider wird so getan als seien saubere Toiletten ein überflüssiger Luxus. Statt schon über Uni-Sex-Toiletten zu sprechen, sollte man wirklich mal zuerst darüber reden, ob überhaupt überall zumutbare Toiletten vorhanden sind, wo sie gebraucht werden. Die Bedürfnisse von Frauen spielen in der Gestaltung des öffentlichen Raumes überhaupt keine Rolle. Frauen dürfen zwar in jeder Unterführung den „Duft“ von Männerpisse einatmen. Für sie selbst gibt es kaum eine diskriminierungsfreie, hygienische und kostenfreie Möglichkeit sich in einer Stadt zu erleichtern… Ich stimme Ihnen zu, Uni-Sex-Toiletten sind deshalb ein politisches Thema geworden, weil man damit möglicherweise Geld sparen kann. Eine wirklich diskriminierungsfreie Toilette müsste barrierefrei, altersgerecht, hygienisch sein und abschließbare Kabinen vorhalten. Welche Frau möchte denn gerne an pinkelnden Männern vorbei aufs Klo gehen? – Es gibt deutlich mehr Frauen als Menschen unklarer geschlechtlicher Zuordnung. Es gibt auch mehr alte und behinderte Menschen… Für diese Gruppen gibt es leider keine politische „Toilettendiskussion“. Warum wohl?

    Gefällt 1 Person

Schreibe einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s