Zwischen Anpassung und innerer Emigration

Das Kabarett im Dritten Reich

Kabarettgeschichte(n) 7

Politisches Kabarett war nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland nicht mehr möglich. Auch das unpolitische Kabarett hatte jedoch eine politische Wirkung.

Flüsterwitz statt politischem Kabarett

Kabarettistischer Teufelspakt

Freie Fahrt für unpolitisches Amüsement

Kompromisse eines Verfemten: das Beispiel Erich Kästner

Das irreführende Etikett der „Inneren Emigration“

Wenn das Unpolitische politisch wird

Flüsterwitz statt politischem Kabarett

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten brachen für das Kabarett schwere Zeiten an. Insbesondere jene, die das Kabarett als Medium für gesellschaftsveränderndes Handeln nutzen wollten, waren nun in ihrer Existenz bedroht. Viele mussten emigrieren und verloren abseits der Heimat jede Möglichkeit, ihre künstlerische Tätigkeit fortzuführen. Andere – wie Erich Mühsam, der 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet wurde – mussten ihr jahrelanges Engagement für eine humanere Gesellschaft mit dem Leben bezahlen.

Der politische Humor, sonst auf der Kabarettbühne zu Hause, verflüchtigte sich vor diesem Hintergrund in den Flüsterwitz, den man sich hinter vorgehaltener Hand zuraunte. Auch kursierten bald kurze, einprägsame Verse und Sprüche, die den Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Leben halten sollten. Ein Beispiel dafür ist das anonym verbreitete Gebet im Dritten Reich:

„Lieber Gott, mach‘ mich stumm,
dass ich nicht nach Dachau kumm‘.

Lieber Gott, mach‘ mich blind,
dass ich alles herrlich find‘.

Lieber Gott, mach‘ mich taub,
dass ich an den Schwindel glaub‘.

Mach‘ mich blind, stumm, taub zugleich,
dass ich pass‘ ins Dritte Reich!“

Noch besser für den Widerstand geeignet waren Zweizeiler in der Art von: „Räder müssen rollen für den Sieg, / Nazi-Köpfe rollen nach dem Krieg“. Derartige Sprüche, die oft Parolen der nationalsozialistischen Propaganda persiflierten, wurden mitunter auch an Häuserwände geschrieben.

Dies war dann allerdings kein verdecktes Aufbegehren mehr, sondern ein Akt des offenen Widerstands, der angesichts des engmaschigen Spitzelnetzes lebensgefährlich sein konnte. Entsprechende Kritik auf offener Bühne zu äußern, war undenkbar.

Kabarettistischer Teufelspakt

Allerdings verschwand das Kabarett mit der nationalsozialistischen Machtergreifung keineswegs vollständig in der Versenkung. So konnte etwa das Kabarett der Komiker (KadeKo) fast während der gesamten Zeit der NS-Herrschaft Programme anbieten.

1924 von Kurt Robitschek, Paul Morgan und Max Hansen gegründet, geriet das KadeKo 1933 zwar kurzzeitig in schwieriges Fahrwasser, als Robitschek und andere führende Repräsentanten des Kabaretts emigrieren mussten. Unter der neuen Leitung, die zuerst Hanns Schindler und ab 1938 Willi Schaeffers übernahm, schloss das Kabarett jedoch eine Art Teufelspakt mit dem nationalsozialistischen Regime.

Schaeffers, der auch selbst als Kabarettist und Conférencier auftrat, sicherte dem Propagandaministerium eine explizit unpolitische Ausrichtung der Programme zu. Wie ernst dieses Versprechen von Goebbels und seiner Zensorenriege genommen wurde, zeigte sich, als das Trio Die Drei Rulands sich in einer Songeinlage über die nationalsozialistischen Umbaupläne für die Hauptstadt lustig machte – die Sänger erhielten daraufhin ein sofortiges Auftrittsverbot.

Freie Fahrt für unpolitisches Amüsement

Mit seinem Kniefall vor den neuen Machthabern gelang es dem Kabarett der Komiker auch nach 1933, ein Zentrum der kabarettistischen Prominenz zu bleiben. Auch die nationalsozialistischen Granden selbst suchten hier regelmäßig Zerstreuung. Zu denen, die im KadeKo Gastspiele gaben, gehörten beispielsweise Karl Valentin und Liesl Karlstadt oder auch Trude Hesterberg.

Nachdem Hesterbergs eigenes Kabarett – die Wilde Bühne – 1923 abgebrannt war, hatte sie 1933 zunächst erneut ein eigenes Kabarett zu gründen versucht – die Musenschaukel. Diese wurde zwar aufgrund der jüdischen Herkunft der Künstlerin von den Nationalsozialisten geschlossen. Dennoch genoss Hesterberg die Protektion von ganz oben: Sie war die Geliebte eines bedeutenden Bankiers, Propagandaminister Joseph Goebbels höchstpersönlich hielt seine schützende Hand über sie.

So konnte Hesterberg ihre Karriere fortsetzen, die sie bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Chanson- und Operettensängerin sowie als Filmschauspielerin begonnen hatte. Dank ihrer Gönner konnte sie weiterhin als Künstlerin öffentlich in Erscheinung treten und sogar eigene Revuen inszenieren.

Ein anderer Kabarettist, der nach 1933 weiterhin auftreten durfte, war Werner Finck. Dies ist besonders bemerkenswert, da der Künstler in dem 1929 von ihm zusammen mit Hans Deppe gegründeten Berliner Kabarett Die Katakombe teils äußerst bissige Kritik an den aufstrebenden Nationalsozialisten geübt hatte.

Zwar wurde Finck 1935 kurzzeitig im Konzentrationslager Esterwegen interniert, mit einem einjährigen Arbeitsverbot belegt und später auch aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. Seit 1937 konnte er aber wieder am Kabarett der Komiker auftreten. Im Krieg leitete Finck die Frontbühne Italien, nachdem er zuvor in der Sowjetunion und in Frankreich als Wehrmachtssoldat gekämpft hatte.

Einen ähnlichen Weg wie Finck schlugen auch die Münchner Nachrichter ein. Der Name dieses aus einer studentischen Initiative hervorgegangenen Kabaretts spielt auf den nach dem Richter das Urteil vollstreckenden Scharfrichter an und erinnert so an das legendäre erste Münchner Kabarett, Die Elf Scharfrichter.

Nachdem das Ensemble noch 1933 für ein Programm mit dem Titel Der Esel ist los Hitler-Porträts plakatiert hatte, ging es ein Jahr später zu einer harmloseren Krimi-Parodie über. Nach dem Verbot des Kabaretts im Jahr 1935 fand sich der Großteil des Ensembles mit dem Ausschluss des einzigen „nicht-arischen“ Mitglieds ab und trat der NS-Bühnengenossenschaft bei. Ein Jahr vor Kriegsbeginn brachte Helmut Käutner, der nach seiner Zeit bei den Nachrichtern im „Dritten Reich“ auch als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor tätig war, dann eine politisch unverdäch­tige Komödie der Nachrichter-Truppe im Kabarett der Komiker zur Aufführung.

Kompromisse eines Verfemten: das Beispiel Erich Kästner

Auch bei jenen, die nicht in erster Linie selbst auf der Bühne in Erscheinung traten, sondern teilweise oder überwiegend Texte für das Kabarett verfassten, war das Bild nach 1933 nicht einheitlich.

Viele konnten sich zwar nur durch die Emigration, oft nur mit knapper Not, der Verhaftung durch die neuen Machthaber entziehen. Andere dagegen konnten auch unter dem nationalsozialistischen Regime – wenn auch meist nur mit größeren Einschränkungen – weiter ihrer Arbeit nachgehen. Ein Beispiel dafür ist Erich Kästner.

Der Autor zählte zwar zu jenen, denen die Nationalsozialisten – als  Teil einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ – am 10. Mai 1933 die zweifelhafte Ehre einer Verbrennung ihrer Bücher zuteilwerden ließen. Dennoch konnte er im „Dritten Reich“ als Drehbuchautor sowie mit Texten, die er unter Pseudonym veröffentlichte, weiter seine Existenz bestreiten. Außerdem wurde ihm stillschweigend gestattet, mit der Veröffentlichung selbst seiner unter den Nationalsozialisten verbotenen Bücher im Ausland Geld zu verdienen.

Der Grund für diese Vorzugsbehandlung Kästners durch das Regime war offenbar, dass man zwar die gesellschaftskritischen Elemente im Werk dieses Autors ablehnte, sich dessen Talent als versierter Produzent von Unterhaltungsstoffen aber gleichwohl zunutze machen wollte. So schrieb Kästner auch das Drehbuch für den Film Münchhausen, ein von Goebbels massiv vorangetriebenes Prestigeprojekt zum 25-jährigen Bestehen der Babelsberger Filmstudios der Ufa im Jahr 1943.

Das irreführende Etikett der „Inneren Emigration“

Die häufig anzutreffende Einordnung von Erich Kästner unter die Autoren der „Inneren Emigration“ ist daher nur bedingt zutreffend. Sie trifft zu, wenn damit  gemeint ist, dass Kästner nicht ins Ausland gegangen ist, sondern an die Stelle der äußeren eine innere Distanzierung gesetzt hat. Und sie trifft auch zu, wenn damit ein Rückzug in eine Art Innerlichkeit gemeint ist, die explizit politische Äußerungen oder Handlungen ausschloss.

Unzutreffend ist allerdings, dass Kästner jeden Kontakt mit dem Regime vermieden hätte. Wie viele andere Größen der Kabarettszene hat auch er sich bis zu einem gewissen Grad mit den neuen Machthabern arrangiert.

Dass manche angesichts des drohenden Verlusts ihres Betätigungsfeldes davor zurückgeschreckt sind, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, ist zwar verständlich. Ebenso nachvollziehbar ist, dass sie, nachdem sie sich einmal gegen die Emigration entschieden hatten, von irgendetwas leben mussten und sich so gezwungen sahen, Kompromisse mit dem NS-Regime einzugehen.

Die nach Kriegsende vielfach zu hörende Rechtfertigung, man habe die Nationalsozialisten ja nicht aktiv unterstützt, sondern nur harmlose Unterhaltungskost geboten, lässt sich so allerdings nicht aufrechterhalten. Diese Argumentation lässt die unterschwellige Beeinflussung des Volkes für die eigenen Ziele außer Acht, welche die Nationalsozialisten durch Freizeitaktivitäten aller Art herbeizuführen suchten.

Wenn das Unpolitische politisch wird

Nicht zufällig firmierten die  staatlich gesteuerten Freizeitaktivitäten im Nationalsozialismus unter dem Schlagwort „Kraft durch Freude“. Die entsprechende Institution – eine Unterabteilung der Deutschen Arbeitsfront – hatte neben kleineren Ausflügen, Reisen und Sportveranstaltungen auch Konzerte und Theaterabende im Angebot.

Die eigene künstlerische Kraft in den Dienst des nationalsozialistischen Kulturprogramms zu stellen, war also keineswegs so harmlos, wie es zunächst erscheint. Denn gerade über scheinbar unverdächtige Freizeitangebote versuchte das Regime die Menschen für sich einzunehmen und auf die allseits propagierte „nationalsozialistische Gemeinschaft“ einzuschwören.

Heute wurde gemeinsam gelacht, morgen zog man gemeinsam in den Krieg. Ein seinem eigenen Selbstverständnis nach unpolitisches Kabarett diente unter diesen Umständen eben durchaus bestimmten politischen Zielen.

Die zitierten antifaschistischen Verse sind entnommen aus:

Greuner, Ruth (Hg.): Zeitzünder im Eintopf. Antifaschistische Satire 1933 – 1945, S. 64 (Gebet im Dritten Reich). Berlin 1975: Der Morgen.

Brekle, Wolfgang: Schriftsteller im antifaschistischen Widerstand 1933 – 1945 in Deutschland, S. 45 (Räder müssen rollen …). Berlin und Weimar 1985: Aufbau.

Zu Erich Kästners Gedicht „Vorstadtstraßen“

Melancholischer Fatalismus 

Bilder: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels mit Mitarbeiterstab in der Loge des Kabaretts der Komiker (1939); Foto von Willy Pragher (Deutsche Digitale Bibliothek); Trude Hesterberg  bei einem Auftritt in der Berliner Scala (1939); Foto von Willy Pragher (Deutsche Digitale Bibliothek); Werner Finck bei einem Auftritt im Kabarett der Komiker (1937); Foto von Willy Pragher (Deutsche Digitale Bibliothek); Almondox: Foto der Statue des Barons von Münchhausen im Filmpark Babelsberg (Wikimedia commons). Die Statue spielt auf die berühmte Lügengeschichte des Barons von seinem angeblichen Ritt auf einer Kanonenkugel an.

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