Das harte Brot des Exils: Die Odyssee des Walter Mehring
Kabarettgeschichte(n) 9
Ins Exil gehen zu müssen, war für alle Verfolgten des NS-Regimes ein schwerer Schlag. Besonders hart traf dies aber jene, die auf den lebendigen Vortrag ihrer Texte auf der Kabarettbühne angewiesen waren. Dies zeigt u.a. das Beispiel Walter Mehrings.
Der 30. Januar 1933 – von heute und von damals aus betrachtet
Von der einen Unfreiheit in die andere
„Katastrophen-Mehring“ – wenn ein Alptraum Wirklichkeit wird
Der Kaufmann von Berlin: ein visionäres Theaterstück
Ein warnender Anruf aus dem Außenministerium
Schreiben als gelebter Widerstand
Abenteuerliche Flucht durch Frankreich
Ein Fremder in der alten Heimat
Der 30. Januar 1933 – von heute und von damals aus betrachtet
1933 bis 1945 – 12 Jahre währte die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland. Von heute aus betrachtet, erscheint es daher selbstverständlich, dass Menschen, die von den Nationalsozialisten zu Volksfeinden erklärt worden waren, zwölf Jahre lang einen breiten Bogen um Deutschland machen mussten.
Anfang 1933 war das so jedoch noch keineswegs abzusehen. Zwar hatten die nationalsozialistischen Schlägertrupps von SA und SS ihre Gewaltbereitschaft bereits zur Genüge unter Beweis gestellt. Dennoch hatten viele nicht damit gerechnet, dass bereits unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eine systematische Verfolgung der Opposition einsetzen würde.

Schließlich war die Demokratie mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 ja keineswegs außer Kraft gesetzt – und die NSDAP hatte zuletzt Einbußen in der Wählergunst hinnehmen müssen. Konnte sie also nicht bei den für den 5. März 1933 angesetzten Reichstagswahlen endgültig in die Schranken gewiesen werden? War es nicht denkbar, dass die Kanzlerschaft dieses Herrn Hitler, der für die Mehrzahl der deutschen Intellektuellen nichts anderes als eine Spottgestalt war, eine bloße Episode bleiben würde, ein makabrer Scherz der Geschichte?
Selbst als klar wurde, dass es sich dabei um reines Wunschdenken handelte, hofften viele noch, das nationalsozialistische Herrschaftsgebäude mit vereinten Kräften zum Einsturz bringen oder doch zumindest erschüttern zu können. Eben dies bringt die in Amsterdam von Klaus Mann herausgegebene Exilzeitschrift Die Sammlung zum Ausdruck. Ihr Ziel war es, durch Sammlung aller oppositionellen Kräfte – unabhängig von der politischen Überzeugung – eine kraftvolle Widerstandsfront gegen das NS-Regime zu bilden.
Mittellos in der Fremde
Mit der Einstellung der Zeitschrift im August 1935 zerstoben auch endgültig die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der NS-Herrschaft. Wer ins Ausland geflohen war, musste sich nun eingestehen: Aus dem vorübergehenden Auslandsaufenthalt würde ein Exil von unabsehbarer Dauer werden.
Damit sahen sich die Exilierten vor dieselben Probleme gestellt, vor denen politisch Verfolgte auch heute noch stehen. Viele hatten bei ihrer überstürzten Abreise nur das Nötigste mitnehmen können – und mit der Konsolidierung der nationalsozialistischen Herrschaft wurde es bald auch schwierig bis unmöglich, vom Ausland aus auf die eigenen Vermögenswerte zuzugreifen. So fanden sich nicht wenige auf einmal mittellos in einem fremden Land wieder.
Zwar hatten einige sich schon zuvor ein internationales Netzwerk an Kontakten aufgebaut, auf das sie nun zurückgreifen konnten. Für den Aufbau einer neuen Existenzgrundlage reichte das aber nur bei den Stars der Szene – bei jenen also, die sich zuvor schon durch die Übersetzung ihrer Werke in andere Sprachen auch im Ausland einen Namen gemacht hatten. Alle anderen standen buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz.
Von der einen Unfreiheit in die andere
Ein Neuanfang im Ausland ist immer schwer. Besonders steinig ist ein solcher Weg aber für jene, die für ihre Arbeit auf die Sprache angewiesen sind. Abgesehen von den erschwerten Publikations- und Auftrittsmöglichkeiten ist man im Ausland auch von dem lebendigen Strom der Muttersprache abgeschnitten. Dies kann zudem nicht einfach durch ein Ausweichen auf die Sprache des Gastlandes kompensiert werden.
Selbst jene, die über ausreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügten, konnten in der Sprache ihrer neuen Wahlheimat nicht zwangsläufig publizieren oder im Theater auftreten. Nicht nur musste man dafür Feinheiten der fremden Sprache kennen, die erst durch einen längeren Aufenthalt in der Fremde zu erwerben sind. Die Exilierten wurden von den Einheimischen vielfach auch als unerwünschte Konkurrenz betrachtet, zumal vielerorts vom Ersten Weltkrieg noch mehr oder weniger starke Ressentiments gegenüber Deutschen zurückgeblieben waren.
So wurden den Exilierten keineswegs überall großzügig die Türen geöffnet. Viele hatten einen unsicheren Rechtsstatus. Dies lag anfangs auch daran, dass die Gastländer es sich mit der großspurig auftretenden nationalsozialistischen Regierung nicht verscherzen wollten. Im Krieg wurden Deutsche jenseits der Grenzen des Dritten Reichs dann vielerorts pauschal zu „feindlichen Ausländern“ erklärt und teilweise vorsorglich interniert. So endete die Flucht in die Freiheit für viele nur in einer anderen Art von Gefängnis.
„Katastrophen-Mehring“ – wenn ein Alptraum Wirklichkeit wird
Besonders prekär gestaltete sich die Lage für jene, die auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“, zu Hause waren. Die größten Schwierigkeiten hatten dabei diejenigen, die den Stoff für diese Welt lieferten. Dies galt erst recht dann, wenn diese Welt „Kabarett“ hieß.
Gedichte, Prosawerke, Essays und selbst Bühnenstücke ließen sich notfalls noch in Exilverlagen und -zeitschriften unterbringen. Auf das aktuelle Zeitgeschehen bezogene Sketche und Chansons verloren jedoch ihren Sinn, wenn sie nicht aufgeführt werden konnten. Sie brauchten die Bühne und ein lebendiges Publikum, um ihre Wirkung entfalten zu können.

Ein Autor, der besonders unter dem Entzug seines künstlerischen Biotops zu leiden hatte, war Walter Mehring (1896 – 1981). Nachdem er anfangs zu den führenden Repräsentanten des Berliner Dadaismus gehört hatte, hatte er sich im Verlauf der 1920er Jahre zu einem der bedeutendsten Textschreiber für das Kabarett entwickelt. Unzählige Chansons stammten aus seiner Feder.
Mehrings Chansons hatten oft einen satirischen Charakter, mit dem ein dezidiert politischer Anspruch verbunden war. Dies verdeutlichte bereits sein erster, 1920 erschienener Gedichtband, dem Mehring den Titel Das politische Cabaret gab.
Mehring gehörte auch zu jenen, die schon früh vor den drastischen Gefahren warnten, die Deutschland und der Welt durch den Nationalsozialismus drohten. Von Freunden wurde er dafür als „Katastrophen-Mehring“ belächelt, von den Nationalsozialisten bekämpft und verunglimpft [1]. Und auch die bürgerliche Presse fand es seinerzeit unerträglich, dass Mehring beispielsweise in dem Lied der drei Straßenkehrer die nationalsozialistischen Schlägertrupps als „Dreck“ bezeichnete [2].
Der Kaufmann von Berlin: ein visionäres Theaterstück
Einen handfesten Skandal löste Mehring mit dem 1929 von Erwin Piscator inszenierten Theaterstück Der Kaufmann von Berlin aus. Das Stück spielt 1923, im Jahr der Hyperinflation, zu deren Ende ein Brot über fünf Milliarden Mark kostete. Dem im Titel erwähnten Kaufmann gelingt es, aus dieser Situation Profit zu schlagen, indem er sein Geld in Sachwerte investiert, die er sukzessive für immer wertvollere Güter eintauscht. Am Ende verfügt er über ein beträchtliches Vermögen, das ihm auch politischen Einfluss sichert.
Dieser Kaufmann ist Jude. So müsste man eigentlich annehmen, dass das Stück in nationalsozialistischen Kreisen mit Beifall aufgenommen worden wäre. Das Gegenteil war jedoch der Fall – und das hatte einen guten Grund. Der Kaufmann ist nämlich bei Mehring – der selbst von Geburt Jude war – nur ein Instrument in den Händen des deutschen Rechtsanwalts Müller, der als der eigentliche Drahtzieher hinter den Geschäften des Kaufmanns fungiert. Dieser handelt letztlich aus edlen Motiven. Ihm geht es in erster Linie darum, Geld für die Behandlung seiner kranken Tochter aufzutreiben.
Geblendet durch die erfolgreichen Spekulationsgeschäfte, lässt der Kaufmann sich schließlich von Müller dazu verleiten, einen Staatsstreich rechtsnationaler Kreise zu unterstützen. Einmal an der Macht, reißen diese sein Vermögen an sich und vergeuden es für ihre Zwecke.
Der nationalsozialistische Topos der „jüdischen Weltverschwörung“ wird damit in Mehrings Stück auf den Kopf gestellt. Nicht die Juden sind es hier, die sich gegen die Welt verschwören, sondern die Deutschnationalen, indem sie mit falschen Versprechungen der bürgerlichen Wirtschaftselite das Geld aus der Tasche ziehen. Dass dabei auch Menschen mit jüdischem Hintergrund zu Schaden kommen, ist ein gerne in Kauf genommener Kollateralschaden.
Mehring rückte damit nicht nur das Täter-Opfer-Verhältnis zurecht. Er wies auch hellsichtig auf die Gefahren hin, die sich aus dem sich abzeichnenden Versuch der konservativen Magnaten, Hitler als Statthalter für die Durchsetzung ihrer Interessen zu benutzen, ergaben.
So ist es auch kaum verwunderlich, dass die Nationalsozialisten gegen die Aufführung des Stückes Sturm liefen. Goebbels verfasste eine veritable Hetzschrift dagegen – unter der Überschrift „An den Galgen!“ Und die SA störte die Vorstellungen so massiv, dass das Stück nach wenigen Aufführungen abgesetzt werden musste.
Ein warnender Anruf aus dem Außenministerium
In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brannte in Berlin der Reichstag. Einen Tag zuvor erhielt Walter Mehring einen Anruf einer wohlmeinenden Person aus dem Außenministerium, die ihm riet, sich umgehend außer Landes zu begeben.
Der Anruf ist ein klares Indiz dafür, dass der Reichstagsbrand keinesfalls – wie später von den Nationalsozialisten behauptet – das Werk eines einzelnen Brandstifters war. Vielmehr war er offenbar unter aktiver Beteiligung der neuen Machthaber inszeniert worden, um einen Vorwand für die systematische Verfolgung der Opposition zu haben.
Die Internierungswelle setzte denn auch so prompt ein, dass an der Existenz vorbereiteter Verhaftungslisten kein Zweifel bestehen kann. Auf diesen Listen muss sich auch der Name Walter Mehrings befunden haben – anders ist der warnende Hinweise aus dem Außenministerium kaum zu erklären.
Selbst einem Lieblingsfeind der Nationalsozialisten wie Mehring erschien es allerdings damals noch unvorstellbar, grundlos verhaftet zu werden. Er plante deshalb zunächst, noch einen für den Folgetag geplanten Auftritt zu absolvieren. Am Veranstaltungsort aber wartete bereits die Polizei auf ihn. Nur weil seine Schriftstellerkollegin Mascha Kaléko ihn rechtzeitig vor der drohenden Verhaftung gewarnt hatte, fiel Mehring seinen Häschern nicht in die Hände. Noch am selben Abend floh er mit dem Nachtzug nach Paris, wo er in den 1920er Jahren lange als Korrespondent gewirkt hatte.
Schreiben als gelebter Widerstand
Mehring widmete sich nun zunächst ganz der antifaschistischen Arbeit. Bereits 1934 veröffentlichte er – in Anspielung auf Johann von Leers‘ antisemitische Hetzschrift Juden sehen dich an – das Buch Naziführer sehen Dich an – 33 Biographien aus dem Dritten Reich.
1935 folgte der satirische Roman Müller. Chronik einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler. Daneben verfasste Mehring diverse kleinere Glossen und Satiren über das nationalsozialistische Regime, die er in den anfangs noch zahlreicheren Exilzeitschriften auch größtenteils veröffentlichen konnte.
Bald jedoch nahmen die Publikationsmöglichkeiten immer mehr ab. Darüber hinaus machte Mehring sich Sorgen um seine in Berlin zurückgebliebene Mutter, die nach seiner Flucht eine Hausdurchsuchung über sich hatte ergehen lassen müssen. In der Tat waren diese Sorgen keineswegs unbegründet. Seine Mutter wurde später ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und starb dort im August 1942.
Abenteuerliche Flucht durch Frankreich
Bei Kriegsausbruch wurde Mehring – wie auch etliche andere in Frankreich lebende Deutsche – in einem Lager interniert. Mehring, der in das in der Normandie gelegene Camp de Falaise kam, litt sehr darunter, dass er in seiner Wahlheimat Frankreich nun plötzlich als feindlicher Ausländer angesehen wurde. Auch der Zwang, im Lager „ungenutzt die Zeit verstreichen“lassen zu müssen und nicht zu wissen, was weiter mit ihm geschehen würde, lastete schwer auf ihm [3].
Einflussreiche Freunde bewirkten im Februar 1940 Mehrings Freilassung aus dem Lager. Nachdem er zunächst als Übersetzer für die Regierung eingesetzt worden war, musste er im Juni desselben Jahres, als die deutschen Truppen vor Paris standen, schon wieder die Flucht ergreifen. Zusammen mit Hertha Pauli und anderen schlug er sich nach Südfrankreich durch, wo er sich eine Zeitlang im Hinterzimmer einer Bar versteckte.
Auf Vermittlung des amerikanischen Emergency Rescue Committee reiste er weiter nach Perpignan, wo er Kontakt zu Vertrauenspersonen aufnehmen sollte. Ziel der Reise war Portugal, wo Mehring sich in die USA einschiffen wollte.
Als er sich in Perpignan jedoch zunächst erschöpft in einem Café niederließ, hielt ein Gendarm ihn aufgrund seiner abgetragenen Kleidung für einen gesuchten Taschendieb und verhaftete ihn. So gelangte Mehring doch noch in die Fänge der Sûreté Nationale, die im Rahmen der Kollaboration des Vichy-Regimes mit den Nationalsozialisten für die Festsetzung von Juden und anderen Verfolgten des Naziregimes zuständig war.
In der „Pyrenäenhölle“

Von der Sûreté Nationale wurde Mehring in das als „Pyrenäenhölle“bekannte Konzentrationslager von Saint-Cyprien gebracht. In seinen Erinnerungen schreibt er lakonisch über dieses, es sei „gewiss nicht eines der ärgsten dieser Gattung“gewesen:
„Geprügelt wurde nur gelegentlich, wenn die Wächter (…) sich gerade langweilten. Gestorben wurde an Typhus. Erschossen bei fahrlässigen Fluchtversuchen.“ [4]
Für ihn persönlich war es am schlimmsten, dass ihn „zuletzt noch ins Exil / die Liebe stieß“ [5]. Denn im Rahmen des Ausreiseversuchs nach Amerika war Mehring von seiner Freundin Hertha Pauli getrennt worden und saß nun ohne jede Aussicht, Nachricht von dieser zu erhalten oder selbst Kontakt zu ihr aufzunehmen, im Lager fest. Seine Verzweiflung hierüber bringt er in seinen Briefen aus der Mitternacht zum Ausdruck:
„Ich träum, Dich suchend, festgehext,
wie Du mit Küssen mich bedeckst …
Ich fühl Dich noch – aus Deinem Glück
reißt mich ein roher Griff zurück.
Und wie Dein Lachen schon verklingt,
kein Schrei, kein Brief mehr zu Dir dringt,
abstürzend greif ich voll Verlangen
in Stacheldraht … ich bin gefangen …“ [6]
Aufgrund der diplomatischen Bemühungen des Emergency Rescue Committee kam Mehring nach zwei Monaten wieder frei und konnte sich schließlich am 3. Februar 1941 nach Amerika einschiffen. Den Platz an Bord des Blockadebrechers Wyoming erhielt er allerdings nur aufgrund des Verzichts des sozialdemokratischen Politikers Rudolf Hilferding, der acht Tage später in einem Gefängnis der Gestapo an den Folgen eines Selbstmordversuchs starb.
Ein Fremder in den USA
In den USA lebte Mehring zwar in relativer Freiheit, doch wurde seine wirtschaftliche Lage dort zunehmend prekär. In den bürgerlichen Emigrantenkreisen blieb er ein Außenseiter, Publikationsmöglichkeiten gab es für ihn – bis auf wenige Ausnahmen – kaum. So konnte er lange nur als Almosenempfänger überleben.
Erschwerend kam hinzu, dass Mehring innerlich eine große Distanz fühlte zu diesem Land mit seinen „wimmelnden Handelshallen“, in dem „Bach-Kantaten kommerziell erschallen“ [7]. Auch blieben ihm als sozial engagiertem Autor natürlich die Widersprüche und sozialen Unterschiede in der amerikanischen Gesellschaft nicht verborgen. In seinem Transatlantischen Psalter kritisiert er etwa die Rassendiskriminierung und den Puritanismus der Amerikaner, indem er von der „Plantagenzucht der Rassen, gestützt von Puritanern, / die den Urtrieb hassen“, spricht [8].
Zu der sozialen und künstlerischen Isolation trat so auch noch die Erkenntnis hinzu, in ein Land geraten zu sein, in dem die sozialen Unterschiede mindestens ebenso ausgeprägt waren wie einst in der Weimarer Republik. Dabei war es Mehring – als nur geduldetem Exilierten – nun allerdings verwehrt, öffentlich auf die soziale Schieflage der Gesellschaft hinzuweisen.
Von der düsteren Stimmung, die sich daraufhin in ihm ausbreitete, zeugt ein Ausspruch des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe (1900 – 1938), den Mehring einem an seinen Freund George Grosz geschickten Gedicht als Motto voranstellte:
„We are so lost, so naked and so lonely in America.“ [9]
Ein Fremder in der alten Heimat
Das in dem Wolfe-Zitat zum Ausdruck gebrachte Fremdheitsgefühl verließ Mehring auch nicht, als er 1953 wieder nach Deutschland zurückkehrte. Zwar erhielt er durchaus Anerkennung für seine literarischen Leistungen. So wurde ihm u.a. der Fontane-Preis verliehen, er erhielt das Bundesverdienstkreuz und war Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Außerdem wurde er 1956 in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen.
Dennoch fand Mehring wie viele andere Exilierte auch keinen rechten Anschluss mehr an die Kulturszene seiner alten Heimat. In gewisser Weise war das ja jetzt auch nicht mehr seine Heimat.
Zum einen hatte diese selbst sich verändert: Der Nationalsozialismus hatte seine Spuren hinterlassen, die im Verborgenen weiterwucherten, einstweilen aber unter den glitzernden Teppich des Wirtschaftswunders gekehrt wurden. Für jemanden, dessen Mutter von den Nationalsozialisten ermordet worden war und der sich selbst mehrfach nur knapp deren Zugriff entzogen hatte, war das nur schwer zu ertragen.
Zum anderen hatte aber auch Mehring selbst sich durch die 20 Jahre im Ausland verändert. Auch er sah nun vieles mit anderen Augen.
Schließlich war auch das Kabarett – vor 1933 ein zentraler Bezugspunkt für Mehrings künstlerische Aktivitäten – nach 1945 nicht mehr dasselbe wie in der Weimarer Republik. Andere Zeiten brachten andere Schreibweisen, andere Texte, andere Autoren hervor.
So blieb Mehring im Nachkriegsdeutschland ein Fremder. Die innere Distanz brachte er auch durch äußeren Abstand zum Ausdruck, indem er sich mehr und mehr in die Schweiz zurückzog. Dort starb er auch im Jahr 1981.
Nachweise
[1] Vgl. Buchwald, Christoph: Nachwort. In: Walter Mehring. Chronik der Lustbarkeiten. Die Gedichte, Lieder und Chansons 1918 – 1933, S. 463 – 483 (hier S. 476). Düsseldorf 1981: claassen.
[2] Walter Mehring: Lied der drei Straßenkehrer (1929). In: Ebd., S. 336.
[3] Mehring: Camp de Falaise. In: Briefe aus der Mitternacht. 1937 – 1941, S. 21 – 23. Heidelberg 1971: Schneider; auch in Ders.: Staatenlos im Nirgendwo. Die Gedichte, Lieder und Chansons 1933 – 1974, herausgegeben von Christoph Buchwald. Düsseldorf 1981: claassen.
[4] Mehring, Wir müssen weiter. Fragmente aus dem Exil, S. 85. Düsseldorf 1979: claassen.
[5] Mehring: Flucht durch Frankreich 1940. In: Briefe aus der Mitternacht (s. 3), S. 24 – 26.
[6] Mehring: Camp de Saint-Cyprien 1940. In: Ebd., S. 27 – 30.
[7] Mehring: Rescue-Visa. In: Ders.: Staatenlos im Nirgendwo (s. 3), S. 152.
[8] Mehring: Transatlantischer Psalter (1943 – 1946). In: Das neue Ketzerbrevier (1962), S. 191 – 221; hier zit. nach ebd.
[9] Vgl. die Rezension von Hans Sahl im Anhang zu Mehrings Chronik der Lustbarkeiten, (s. 1), S. 271.
Gedicht von Walter Mehring auf LiteraturPlanet: Im Labyrinth der Fremde. Über Walter Mehring Gedicht Die kleinen Hotels
Bilder: Ignatij Nivinskij (1880 – 1930): Bühnenbild für die Aufführung von Carlo Gozzis Theaterstück Turandot im Moskauer Kunsttheater (1922); Titelblatt der Zeitschrift Die Sammlung (September 1933); Wikimedia commons; Willem van de Poll: Walter Mehring bei der Arbeit (Juni 1964); Wikimedia commons; Felix Nussbaum (1904 – 1944): Im Lager; auf der Inhaftierung des Künstlers im Camp de Saint-Cyprien basierendes Gemälde (1940); Wikimedia commons (Ausschnitt)
Ich erinnere mich, diese Internierung der feindlichen Ausländer bei Feuchtwanget gelesen zu haben. Ein Kapitel in der Geschichte, dass ich bis dahin nicht gekannt hatte.
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Ich finde die Kabarettreihe super spannend und freue mich jedes Mal auf den nächsten Beitrag!!!!!! 🙂
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