Das Kabarett wird zum Fernsehstar

Zum Nachkriegskabarett in der Bundesrepublik

Kabarettgeschichte(n) 13

Nach 1945 setzte in der Bundesrepublik ein Höhenflug des Kabaretts ein, der dieses zu einem festen Bestandteil der Fernsehkultur werden ließ. Dies wirkte sich sowohl auf die Inhalte aus als auch auf die gesellschaftliche Stellung der Ensemble-Mitglieder.

Neuanfang nach 1945

Den Blick nach vorne richten!

Kritik mit angezogener Handbremse

Einträgliche Witztiraden

Wolfgang Neuss: Das Enfant terrible

des bundesdeutschen Nachkriegskabaretts

Verengung des Kabarett-Begriffs

Kabarett- und Liedermacherszene

Neuanfang nach 1945

Nachdem von den Alliierten die Wiederbelebung des Kulturbetriebs im Interesse der Reeducation gezielt gefördert worden war, kam es rasch zur Gründung neuer Kabarettbühnen.

In München brachten Rudolf Schündler und Otto Osthoff bereits im August 1945 das erste Programm der neu gegründeten Schaubude heraus. Nachdem diese ihre Tore wegen finanzieller Probleme bereits Anfang 1949 wieder schließen musste, eröffnete Trude Kolmann 1951 die Kleine Freiheit. Für beide Bühnen fungierte u.a. Erich Kästner als Autor.

„Münchner Abend“ Landesvertretung-Bayern Bonn

1956 riefen Dieter Hildebrandt und Sammy Drechsel die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ins Leben. Das Projekt war ursprünglich aus einem Faschingsspaß von Studierenden der Theaterwissenschaften an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hervorgegangen. Nach der Vorführung einzelner Sketche beim Faschingsball des Jahres 1952 war das Ensemble zunächst unter dem Label Die Namenlosen aufgetreten.

In Düsseldorf gründeten Kay und Lore Lorentz 1947 das Kom(m)ödchen, in Mainz Studierende das Kabarett Die Tol(l)eranten, an dem zeitweilig auch Hanns Dieter Hüsch mitwirkte. In Berlin nahmen 1949 die Stachelschweine in dem Künstler- und Studentenlokal Badewanne ihren Betrieb auf.

Auch in der Ostzone kam es bereits unmittelbar nach Kriegsende zu Neugründungen von Kabarettbühnen. So rief etwa Ferdinand May 1945 in Leipzig ein Literarisches Kabarett ins Leben, das ab 1947 den Namen Die Rampe trug und von dem Komponisten Joachim Werzlau geleitet wurde.

Den Blick nach vorne richten!

In der bleiernen politischen Atmosphäre der Adenauerzeit fanden die Kabarettbühnen reichlich Stoff für ihre Vorstellungen. Allerdings war es eben auch ein Kennzeichen dieser Jahre, dass eine tiefer gehende Gesellschaftskritik nicht gewollt war. Insbesondere die nationalsozialistische Vergangenheit sollte erst einmal unter den bunten Teppich des Wirtschaftswunders gekehrt werden.

Für die neuen Kabarettprojekte ergab sich daraus eine Doppelstrategie: Einerseits übten sie durchaus zum Teil bissige Kritik an den Zuständen in der jungen Bundesrepublik. Andererseits sollten die Kabarettprogramme auch positive Botschaften ausstrahlen und Mut zum Neuanfang machen. So fasste Kay Lorentz die Einstellung der jungen Generation, von der das Kabarett damals wesentlich getragen wurde, später mit den Worten zusammen:

„Es lohnt sich durchaus, wieder anzufangen, und wenn wir nicht anfangen, wer soll dann hier wieder neu anfangen? Und nicht alle Deutschen waren Nazis und alle Deutschen waren schlecht – und: Auf ein Neues. Das war unsere Devise damals.“ [1]

Mit ihrer Grundeinstellung, den Blick nach vorne zu richten und sich mit ihrer Kritik auf Mängel beim Neuaufbau des Landes zur konzentrieren, trafen die neuen Kabarettbühnen den Nerv des breiten Publikums. Schon bald erfreuten sie sich so großer Beliebtheit, dass die Programme der wichtigsten Ensembles im Fernsehen übertragen wurden. Dies gilt sowohl für das Düsseldorfer Kom(m)ödchen als auch für die Münchner Lach- und Schießgesellschaft und die Berliner Stachelschweine.

Kritik mit angezogener Handbremse

Die Übernahme der Kabarett-Programme durch das Fernsehen blieb allerdings nicht ohne Auswirkungen auf deren Inhalte. Dies zeigte sich, als das Kom(ö)dchen 1959 für seine Kritik an den Wiederbewaffnungsplänen der Bundesrepublik vom damaligen CSU-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß für ein Jahr vom Fernsehen verbannt wurde.

Kritik war demnach zwar erwünscht, durfte aber die Schmerzgrenze nicht überschreiten. Gefragt war nicht aufrüttelnde Satire, sondern eher der befreiende Witz, der die Probleme im Lachen auflöst, statt zu ihrer faktischen Lösung anzuregen.

Die Fernsehübertragungen bewirkten darüber hinaus auch eine Veränderung der Kabarettkultur. Kennzeichnend für diese war stets eine gewisse Intimität, die sich aus der oft noch spürbaren Nähe des ursprünglichen Kabaretts zu den Bohème-Bars der Jahrhundertwende ergab. Durch die Fernsehübertragungen wurde aus der echten nun jedoch eine vorgetäuschte Intimität. Die Fernsehillusion des kleinen, gemütlichen Kabarettsaals brach sich an der Realität eines Millionenpublikums, das die Vorstellungen de facto verfolgte.

Einträgliche Witztiraden

Der Wegfall des Schonraums der kleinen Bühnen nahm dem Kabarett auch seine tendenziell anarchische Stoßrichtung. Dies betrifft zum einen die Ebene der Inhalte, die sich nun unmittelbar an eine breite Öffentlichkeit richteten, also massentauglich sein mussten. Unverbindliches Probehandeln und das Ausprobieren neuer, kreativer Wege des künstlerischen Ausdrucks wurden so zumindest erschwert.

Zum anderen veränderte das Aufeinandertreffen von Fernseh- und Kabarettkultur aber auch die gesellschaftliche Position der einzelnen Ensemble-Mitglieder. Noch in den 1920er Jahren blieb selbst ein Star der Kleinkunstszene wie Joachim Ringelnatz ein sozialer Außenseiter, der sein Leben lang mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatte. Die zu Fernsehstars avancierenden Kabarettstars der Nachkriegszeit wurden durch ihre künstlerischen Erfolge jedoch rasch zu gesellschaftlich einflussreichen Personen, die auch materiell ein sorgloses Leben führen konnten.

Für viele von ihnen waren die Kabarettauftritte nur das Startbrett für eine weitergehende Karriere im Fernseh- und Showbusiness. So trat Günter Pfitzmann, Gründungsmitglied der Stachelschweine, später in zahlreichen Filmen und Fernsehserien auf. Dieter Hildebrandt war maßgeblich an der Entwicklung spezieller Kabarettformate für das Fernsehen beteiligt und erhielt später mit den Notizen aus der Provinz und dem Scheibenwischer eigene Sendeplätze im Fernsehen.

Die eigene herausgehobene Position der neuen Kabarett-Stars gab deren Kritik an gesellschaftlichen Missständen einen anderen Klang, als es einst bei den Satiren der Bohème der Fall gewesen war. Mit ihren wohlfeilen Pointen gegen „die da oben“ verdienten sie sich nun selbst einen Platz in der Beletage der Gesellschaft.

Wolfgang Neuss: Das Enfant terrible des bundesdeutschen Nachkriegskabaretts

Selbst das Enfant terrible des bundesdeutschen Nachkriegskabaretts, Wolfgang Neuss, wurde rasch in den Kulturbetrieb integriert. Nach erfolgreichen Auftritten mit Wolfgang Müller (als Die zwei Wolfgangs) sowie bei den Stachelschweinen startete er eine erfolgreiche Film- und Fernsehkarriere. Allein 1955 wirkte er an zehn Filmen mit, wobei er bei der Auswahl der Drehbücher nicht sehr wählerisch war.

Neuss blieb allerdings sowohl in seinem privaten Leben als auch in seinen öffentlichen Auftritten so nonkonformistisch, dass er immer wieder aneckte und teilweise auch mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Letzteres verdankte sich insbesondere seinem Drogenkonsum.

Nonkonformistisch war Neuss auch aufgrund seiner kompromisslosen politischen Haltung, die ihn etwa mit einer Sondernummer seiner Satirezeitschrift Neuss Deutschland gegen den Vietnamkrieg protestieren ließ. Im Unterschied zu anderen Nachkriegskabarettisten fand Neuss, dessen Markenzeichen seine Auftritte als „Mann mit der Pauke“ wurden, auch in der Studentenbewegung Anhänger und war gut mit Rudi Dutschke bekannt.

Neuss brach zudem immer wieder mit Konventionen des Kulturbetriebs. So ließ er seinen mit Stachelschwein-Kollege Wolfgang Gruner realisierten Film Wir Kellerkinder 1960 zunächst im Fernsehen ausstrahlen, was ihm einen Boykott der Filmverleiher einbrachte.

Selbst ein so kritischer Geist wie Wolfgang Neuss scheute allerdings davor zurück, seine eigene Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus offen zu thematisieren. So nutzte er die auf eine verschleppte Infektion zurückgehende Amputation eines seiner Finger für das Stricken einer Widerstandslegende: Aus Abscheu vor dem Töten habe er sich, so behauptete er später, an der Ostfront selbst in den Finger geschossen, um sich dem Krieg entziehen zu können [2].

Verengung des Kabarett-Begriffs

Bis 1945 war „Kabarett“ ein schillernder Begriff. Er konnte sowohl die Brettl-Kultur mit ihrer Mischung aus revuehaften Tanzeinlagen, Stegreif-Conférencen, clownesken Darbietungen und Chansons bezeichnen als auch das politische Kabarett oder literarische Kleinkunst.

Mit der Eingliederung des Kabaretts in die Fernsehkultur wurde „Kabarett“ jedoch zu einer Unterhaltungssparte, die trennschärfer gegen andere Formen von Revue und Kleinkunst abgegrenzt wurde. Unter „Kabarett“ verstand man nun in erster Linie ein Nummernprogramm, bei dem in einzelnen Sketchen die politische und wirtschaftliche Elite des Landes durch den Kakao gezogen wurde.

Revue-Einlagen erhielten ihren Platz in den großen Samstags-Shows, zu denen sich ab den 1960er Jahren die gesamte Republik um das virtuelle Fernseh-Lagerfeuer versammelte. Das Genre des eher unpolitischen Alltagshumors wurde von Künstlern wie Heinz Erhardt bedient, der in der Nachkriegszeit sowohl als Alleinunterhalter als auch durch sein Mitwirken in diversen Filmkomödien große Popularität erlangte.

Kabarett- und Liedermacherszene

Was dagegen in den Hintergrund trat, war ein Genre, das in den 1920er Jahren durch Dichter wie Walter Mehring und Erich Kästner eine besondere Blüte erlebt hatte: das literarische Chanson. So entwickelte sich neben dem Kabarett allmählich eine eigene Liedermacherszene.

Allerdings gab es zwischen  Liedermacher- und Kabarettszene weiterhin enge Verbindungen. Zwar verlor das literarische Chanson im Rahmen der Kabarettprogramme der einzelnen Ensembles an Bedeutung. Die Stars der Szene traten jedoch auch unabhängig von ihren jeweiligen Stamm-Ensembles auf. Dabei kam es auch immer wieder zu Kooperationen mit anderen künstlerischen Szenen.

Ein berühmtes Beispiel dafür ist das Quartett ’67. Dabei entwarfen die Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch und Wolfgang Neuss mit den Liedermachern Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp ein gemeinsames Programm, dessen Texte auch in Buchform dokumentiert wurden [3].

Die Künstler traten zwar nur ein einziges Mal gemeinsam auf, demonstrierten durch ihre Zusammenarbeit aber nichtsdestotrotz, dass Kabarett- und Chansonkultur einander nach wie vor gegenseitig befruchten konnten. Insbesondere galt das natürlich für das politische Lied, das im Zuge der Studentenbewegung als Mittel des politischen Kampfs wiederentdeckt wurde.

Nachweise

[1] Kay Lorentz, zit. nach Pfister, Eva: Komödiantisch gegen die Kommodität. Deutschlandfunk, 29. März 2007.

[2] Vgl. Salvatore, Gaston: Wolfgang Neuss – ein faltenreiches Kind. Biographie, S. 493. Frankfurt/Main Neuausgabe 1995 (zuerst 1974): Fischer; zu Neuss‘ eigener Darstellung vgl. Drücke, Bernd: „Ich bin kein Beispiel. Ich bin ein Vorspiel.“ Zum zehnten Todestag von Wolfgang Neuss. Graswurzel.net, 1. Mai 1999.

[3]  Degenhardt, Franz Josef / Hüsch, Hanss Dieter / Neuss, Wolfgang / Süverkrüp, Dieter: Da habt ihr es! Stücke und Lieder für ein deutsches Quartett. Hamburg 1968: Hoffmann & Campe. Die Tondokumentation des Programms ist als Doppel-CD erschienen und kann komplett im Internet angehört werden.

Beitrag über Franz Josef Degenhardt auf LiteraturPlanet:

Sonntägliche Gemütlichkeit auf den Kriegsgräbern. Zu Franz Josef Degenhardts Lied Deutscher Sonntag

Bilder: Lore Lorentz im September 1948 bei Dreharbeiten für den Film Das Fäustchen, der 1949, zum 200. Geburtstag Johann Wolfgang Goethes, in die Kinos kommen sollte (Bundesarchiv / Wikimedia commons); Egon Steiner: Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft bei einem Auftritt in Bonn, 1964 (von links: Ursula Noack, Jürgen Scheller, Hans Jürgen Diedrich, Dieter Hildebrandt, Klaus Havenstein); Bundesarchiv / Wikimedia commons; Joost Evers: Kay Lorentz (rechts, stehend) mit Karl Heinz Gerdesman, Ernst Hilbich und Werner Vielhaber bei einer Vorstellung des Düsseldorfer Kom(m)ödchens; Mai 1966 (Wikimedia commons); Werner Bethsold: Wolfgang Neuss (1985); Wikimedia commons; Cover des Doppelalbums mit dem Programm des Quartetts ’67 (von links nach rechts: Franz Josef Degenhardt, Wolfgang Neuss, Dieter Süverkrüp, Hanns Dieter Hüsch)

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s