Zwischen Straßentheater und Comedy

Das Kabarett im Umfeld von Studentenbewegung und Tendenzwende

Im Umfeld der 68er-Revolte erlebte das politische Kabarett noch einmal einen Aufschwung. Dieser schwächte sich aber bereits Mitte der 1970er Jahre in der „Tendenzwende“ wieder ab.

Aufschwung des politischen Kabaretts im Umfeld der 68er-Revolte

Studentische Initiativen als Frischzellenkur für das politische Kabarett

Den Riss zwischen Reden und Handeln aufheben: Das Reichskabarett

Dokumentations- und Kinderkabarett

Zähmung der Revolte in der „Tendenzwende“

Kabarettistischer Sturm gegen die Tendenzwende: Die 3 Tornados

Zu brisant für das Fernsehen?

Kabarett als Teil des Kampfs für eine humanere Gesellschaft

Dialogisches Kabarett

Aufreibendes Aktionskabarett

Vom Kabarett zur Comedy

Vom politischen Engagement zur Erwartung politischer Abstinenz

Nachweise

Aufschwung des politischen Kabaretts im Umfeld der 68er-Revolte

Je mehr das Kabarett in der bürgerlichen Amüsierkultur aufging, desto stärker wurden auch die Bestrebungen, dem Kabarett durch Neugründungen „von unten“ seine gesellschaftsverändernde Kraft zurückzugeben.

Eine Keimzelle dieser Erneuerungsbewegung waren stu­denti­sche Initiati­ven, aus denen an vielen Hochschulen neue Kaba­rett-Ensembles hervorgingen. Mit den Kaba­rett-Tagen an der Freien Universität Berlin erhielten sie ab 1961 sogar ein eigenes Forum.

Das dort ausgezeichnete, 1959 gegründete Heidelberger Kabarett Bügelbrett ist zugleich ein Beispiel für das Hineinwirken der studentischen in die allgemeine Kabarettszene. Mit dem Umzug nach Berlin im Jahr 1964 wurde es ein fester Bestandteil der allgemeinen Kabarettkultur. 

In Österreich war ebenfalls 1959 das Kabarett Der Würfel aus einer studentischen Initiative hervorgegangen. Das von Kuno Knöbl gegründete Ensemble war anfangs in Graz angesiedelt, gastierte nach seinen großen Erfolgen aber bald auch in Wien. Dort gründete Knöbl zusammen mit Peter Lodynski 1963 ein neues Würfel-Ensemble, das klassisches Kabarett mit Elementen des Theaters des Absurden verband.

Studentische Initiativen als Frischzellenkur für das politische Kabarett

Das studentische Kabarett stellte eben jene Themen in den Vordergrund, die von den etablierten Bühnen nicht oder weniger radikal angegangen wurden. Ein zentrales Thema war etwa der Demokratieverlust durch die Machtaufteilung zwischen den großen Volksparteien – auf die Spitze getrieben durch die Große Koalition, die von 1966 bis 1969 in der Bundesrepublik regierte und mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 wesentliche Grundrechte einschränkte.

Daneben wurde der 68er-Spruch „Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“ auch auf den studentischen Kabarettbühnen aufgegriffen, indem die personelle und strukturelle Kontinuität des Nationalsozialismus nach 1945 aufs Korn genommen wurde. Hinzu kamen andere bislang vernachlässigte Themen wie die Prüderie der Nachkriegsgesellschaft oder die Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung.

Der neue Elan der studentischen Kabarettbühnen wirkte auch auf das Mainstream-Kabarett zurück. Der frische Wind ergab sich allerdings oft eher aus einer Art Hassliebe, mit der die einen auf die anderen reagierten.

So wurden Kabarettisten wie Hanns Dieter Hüsch oder Werner Schneyder, ab 1974 Partner von Dieter Hildebrandt in gemeinsamen Kabarett-Auftritten, von studentischen Basisgruppen als Vertreter des Establishments bzw., wie Hildebrandt sich später erinnerte, „liberale Opas“ geschmäht und schon mal von der Bühne gebuht [1]. Umgekehrt machte die Münchner Lach- und Schießgesellschaft sich über den theorielastigen Jargon der Studentenbewegung lustig, mit dem diese das revolutionäre Bündnis mit der „arbeitenden Klasse“ zu schmieden versuchte [2].

Den Riss zwischen Reden und Handeln aufheben: Das Reichskabarett

Das 1965 von Volker Ludwig gegründete Reichskabarett – der Name war eine ironische Warnung vor der Gefahr eines neuen „Dritten Reichs“ – bemühte sich anfangs eher um eine Erneuerung als um eine Neuerfindung des politi­schen Kabaretts. So beteiligte Ludwig, selbst ein wichtiger Textlieferant für das Kabarett, auch andere etablierte Größen des Kabarett-Betriebs an seinem Projekt. Gerade diese Mischung aus „alten Hasen“ und „jungen Wilden“ erwies sich als Garant für den Erfolg der Neugründung.

Allerdings bedingte genau dieser Erfolg auch die Gefahr, dass das neue Kabarett wie so viele Projekte davor dem Sog der bürgerlichen Amüsierkultur erliegen könnte. Diese Gefahr sah Ludwig im Wesen des Kabaretts selbst begründet:

„Kabarett zieht vornehmlich Leute an, die sich für Gleichgesinnte halten. Folglich attackiert es sein Publikum nicht: Es schmeichelt ihm.“ [3]

Auf diese Weise unterstützt das Kabarett die Haltung eines sich progressiv gebenden Bürgertums, das salonkommunistisch redet, aber strukturkonservativ handelt.

Im Alltag des Spielbetriebs bemühte das Reichskabarett sich allerdings selbst nicht immer um eine klare Trennung zwischen bürgerlicher Amüsierkultur und politischem Kabarett. So gab es jeden Freitag eine Nachtvorstellung, in der alle, die Lust hatten, auf der Bühne eigene Projekte vorstellen konnten. Dabei wurden keineswegs nur neue Talente für das politische Kabarett entdeckt. Vielmehr erwies sich der Mitmachabend gerade als Startrampe für Künstler, die keinerlei Berührungsängste mit der Unterhaltungsindustrie aufwiesen.

Neben Ulrich Roski und dem Gesangsduo Schobert & Black präsentierten sich in der Night Session des Reichskabaretts auch Ingo Insterburg und Karl Dall dem Publikum. Ihre Auftritte waren so erfolgreich, dass der Geschäftsführer ihnen eine eigene Vorstellung anbot. Erweitert um Jürgen Barz und Peter Ehlebracht, war dies die Geburtsstunde des auf gehobenen Nonsens spezialisierten Gesangsquartetts Insterburg & Co [4].

Dokumentations- und Kinderkabarett

Um nicht länger die Haltung von Menschen zu unterstützen, die „links reden, aber nicht links handeln“ [5], beschloss Ludwig schließlich, mit seinem Kabarett neue Wege zu beschreiten. Diese wiesen in zwei Richtungen.

Zum einen wurde durch die Einführung eines „Dokumentationskabaretts“ versucht, Elemente des dokumentarischen Theaters auf das Kabarett zu übertragen. Zum anderen sollten durch ein gesellschaftskritisches Programm für Kinder auch jüngere, noch nicht so stark durch soziale Stereotypen geprägte Menschen angesprochen werden.

Beides bedeutete eine Abkehr von der Unterhaltungskultur und die Hinwendung zu einem am Ideal kritisch-reflexiver Bildung ausgerichteten modernen Theater. Konsequenterweise schloss das Reichskabarett auch 1971 seine Tore. Das Projekt eines gesellschaftskritischen Kinderkabaretts erwies sich dagegen als produktiver Ansatz, aus dem sich das bis heute bestehende Grips-Theater entwickelte.

Zähmung der Revolte in der „Tendenzwende“

Das Ende des Reichskabaretts steht symptomatisch für das erlöschende Feuer der kreativen Revolte des Kabaretts der Studentenbewegung. Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde klar, dass die APO, die außerparlamentarische Opposition, ihr Ziel einer vollständigen Neuordnung der Gesellschaft verfehlen würde. Die Beharrungskraft der staatlichen Strukturen erwies sich schlicht als zu stark.

Äußerer Ausdruck dieser Beharrungskraft war sowohl direkte Polizeigewalt als auch indirekte, strukturelle Gewalt. Das prägnanteste Beispiel für Letztere ist wohl der Radikalenerlass, durch den niemand mehr in den Staatsdienst aufgenommen werden konnte, bei dem auch nur der Verdacht einer „staatsfeindlichen“ – sprich: auf gesellschaftliche Veränderung ausgerichteten –  Gesinnung bestand.

Eine Minderheit unter den 68ern reagierte hierauf mit Gegengewalt und gründete bewaffnete Gruppen wie die Rote Armee Fraktion (RAF). Dies schreckte wiederum den Großteil der übrigen Protestierenden ab. Die Folge war die so genannte „Tendenzwende“, die ab Mitte der 1970er eine Abkehr von der Bemühung um unmittelbare gesellschaftliche Veränderungen anzeigte.

Die an­gestrebte Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen wurde nun nicht mehr primär durch objektive Veränderungen, sondern durch eine subjektive Neuorientierung zu erreichen versucht. Dies hatte teilweise einen Rückzug ins Private zur Folge, ging jedoch auch mit der Nutzung bewusstseinserweiternder Drogen, dem Ausprobieren neuer, vorwiegend fernöstlicher Religionspraktiken oder einem „Ausstieg“ aus der Gesellschaft einher.

Kabarettistischer Sturm gegen die Tendenzwende: Die 3 Tornados

Auch nach der Tendenzwende gab es allerdings Kabarett-Projekte, die sich dem Sog der Unterhaltungskultur und dem Rückzug ins Private entgegenstellten. Besondere Konsequenz legte dabei das Kabarett-Trio Die 3 Tornados an den Tag.

Die Anfänge dieses Projekts gehen auf Streiks Westberliner Studierender im Wintersemester 1976/77 zurück. Diese richteten sich gegen schlechte Studienbedingungen, aber auch gegen einen Begriff von Freiheit, der nur wirtschaftlich buchstabiert wurde, während mit Maßnahmen wie dem Radikalenerlass die politische Freiheit beschnitten wurde.

In diesem geistigen Umfeld gründeten Arnulf Rating und Günter Thews 1977 Die 3 Tornados. Für die musikalische, vorwiegend auf Akkordeonklängen basierende Unterstützung sicherten sie sich die Mitarbeit von Hans-Jochen Krank, dessen Part 1981 von Holger Klotzbach übernommen wurde.

Das Projekt verstand sich von Anfang an als Gegenbewegung zum etablierten Kabarett. Das ging so weit, dass das Trio sich anfangs gar nicht als Kabarett bezeichnete, sondern lieber als „Straßen-“ oder „Kneipentheater“ gesehen werden wollte [6].

Zu brisant für das Fernsehen?

Die Abgrenzung der 3 Tornados vom traditionellen Kabarett erfolgte sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Auf der inhaltlichen Ebene zeichneten sich ihre Beiträge durch eine Klarheit der Positionen aus, die es für ein bürgerliches Publikum unmöglich machte, die satirische Kritik einfach „wegzulächeln“. Bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1990 blieb das Ensemble daher in einer Außenseiterposition.

Abzulesen ist dies nicht zuletzt an der Art, wie das Fernsehen mit dem Trio umging. Während andere Ensembles geradezu für Auftritte umworben wurden, sahen Die 3 Tornados sich beim Kontakt mit den Medien immer wieder Drangsalierungen ausgesetzt. Aus Talkshows wurden sie kurzfristig wieder ausgeladen, Beiträge wurden aus dem Programm genommen, Sendezusagen zurückgezogen, nachdem sich Rundfunkräte und Programmchefs über die Texte gebeugt hatten.

Als das Ensemble daraufhin versuchte, sich durch bezahlte Werbesendungen Bildschirmpräsenz zu erkaufen, weigerte sich der betroffene SFB (Sender Freies Berlin), die Spots zu senden. Das Trio musste sich vor Gericht die Ausstrahlung erstreiten [7].

In einem anderen Fall waren die 3 Tornados selbst die Beklagten: Als Reaktion auf ihren Sketch Krippenspiel gründete sich in Soest eigens eine katholische Bürgerinitiative, die ein Strafverfahren gegen das Ensemble wegen „Beschimpfung religiöser Bekenntnisse“ anstrengte. Der Fall ging durch vier Instanzen, ehe die 3 Tornados freigesprochen wurden [8].

Kabarett als Teil des Kampfs für eine humanere Gesellschaft

Organisatorisch gingen Die 3 Tornados neue Wege, indem sie ihr Kabarett nicht als Bühnenprogramm anlegten, sondern als dialogisches Kabarett, das sich als Teil einer Bewegung für eine andere Gesellschaft verstand und präsentierte.

Das Trio hatte folglich keinen festen Ort für seine Auftritte, sondern absolvierte diese an Hotspots von Protesten: bei Sit-ins von Studierenden, in besetzten Häusern, im Rahmen von Demonstrationen der Antiatomkraft-Bewegung, in autonomen Kulturzentren. Diese „kleine[n] Bastionen der Gegenöffentlichkeit“ sah Arnulf Rating als ideales Umfeld für sein Kabarett an:

„Was dem bürgerlichen Mimen sein Stadttheater, einem klassischen Kabarettisten sein Kellertheater und einer arrivierten Freien Gruppe die Studiobühne im Künstlerhaus, das sind uns die Aktionszentren, Kneipen, selbstverwalteten Jugendzentren, Kinos und Kulturhäuser örtlicher Initiativen von Oldenburg bis Wien.“ [9]

Ziel war es, gesellschaftliche Missstände nicht nur satirisch zu spiegeln, sondern aktiv zu ihrer Veränderung beizutragen. So unterstützten Die 3 Tornados mit ihren Auftritten immer wieder die Arbeit von Bürgerinitiativen, aber auch die Gründung der tageszeitung, als Gegengewicht zur dominierenden bürgerlichen Presse.

Dialogisches Kabarett

Die Auftritte der 3 Tornados waren stets auf Diskussion und Aktion angelegt. Sie endeten nicht mit Applaus und Verbeugungen, sondern gingen in ein fröhlich-konspiratives Beisammensein über. Dieses förderte das Trio auch mit seinen Liedern.

Da die Texte vorwiegend zu Melodien der Alltagskultur gesungen wurden, luden sie zum Mitsingen und zur Nutzung der Lieder für den politischen Kampf ein. Für ein Lied gegen die Immobilienspekulation stützte das Trio sich etwa auf die Melodie des berühmten Liedes Veronika, der Lenz ist da der Comedian Harmonists:

„Victoria, der Sieg ist nah, / die Freaks, die singen tralala, / die ganze Scene ist wie verhext, / schon wieder ist ein Haus besetzt. / Wir zahlen keine Mieten mehr, / noch stehen viele Häuser leer. / Die Spekulantenschar / steht ohne Häuser da. / Victoria, der Sieg ist nah!“ [10]

Das Lied vom Kontaktbereichsbullen, das die Entstehung einer an Stasi-Bespitzelung und NS-Blockwartsysteme erinnernden Überwachungskultur beklagt, bedient sich der Titelmelodie der populären Fernsehserie rund um den zahmen Delphin Flipper:

„Wer fragt Frau Schulze, was sie trinkt, / wer fragt die Post, was sie dem Patzke bringt, / wer ist immer listig und schaut in jedes Klo, / und wer verschönert unsern Alltag so? / Wer guckt in alle Abfallkisten, / wer jagt im Hof nach Anarchisten, / wer ist zum Kampf allzeit bereit / mit Funkgerät und Draht zur Obrigkeit?“ [11]

Aufreibendes Aktionskabarett

Mit solchen Liedern etablierten sich Die 3 Tornados als Straßen- und Aktionskabarett – und damit als Gegenmodell zu dem auf Unterhaltung und passiven Kulturgenuss abzielenden bürgerlichen Kabarett. Die Satire sollte hier nicht mehr als Ventil für den Unmut über soziale Missstände dienen, sondern unmittelbar zu deren Veränderung anregen bzw. unmittelbarer Teil des Veränderungsprozesses werden.

Für die Entwicklung dieses antibürgerlichen Kabaretts mussten Die 3 Tornados allerdings einen hohen Preis zahlen. Vom offiziellen Kulturbetrieb ausgeschlossen und von den bürgerlichen Leitmedien ausgegrenzt, blieben sie auf die alternative Szene und ihre zwar lebendigen, aber doch beschränkten Veranstaltungsmöglichkeiten beschränkt.

Dies mochte zwar den Idealen der Ensemble-Mitglieder entsprechen, war aber doch mit – gegenüber dem Mainstream-Kabarett – empfindlichen finanziellen Einbußen und anderen Unannehmlichkeiten verbunden. Die fehlende Bühnenheimat bedingte ein ständiges Unterwegssein, auch die nächtelangen Diskussionen mit dem Publikum zehrten auf die Dauer an den Kräften. So begründete das Ensemble seine 1990 erfolgte Auflösung auch mit einem Zustand allgemeiner Entkräftung:

„Wir haben aufgehört. Warum? Aus Liebe. Aus Liebe zu uns und unserer Gesundheit. Die Auftritte für Euch waren ja nicht so anstrengend, aber was Ihr hinterher immer mit uns veranstaltet habt, da fehlt uns inzwischen doch die jugendliche Frische.“ [12]

Vom Kabarett zur Comedy

Die 3 Tornados stehen stellvertretend für ein alternatives Kabarett, das sich jenseits des Unterhaltungsbetriebs seine Nischen sucht. Diese Nischen gibt es auch heute noch. Aufspüren lassen sie sich wohl am ehesten im Rahmen der vielerorts organisierten Kabarett-Tage und Kabarett-Festivals – sofern diese auf studentischen oder anderen Graswurzelinitiativen basieren, die es dem Kabarett erlauben, sich ohne den Blick auf Marketinginteressen und Fernsehquoten zu entfalten.

Das Mainstream-Kabarett hat sich allerdings seit Mitte der 1970er Jahre in eine andere Richtung entwickelt. Der Anspruch, gesellschaftsveränderndes Handeln anzustoßen, ist dabei immer mehr in den Hintergrund getreten. Der Unterhaltungsaspekt steht klar im Vordergrund.

So ist es nur konsequent, wenn Kabarett heute immer häufiger mit „Comedy“ gleichgesetzt wird. Dies spiegelt zwar auch die zunehmende Anpassung der Comedians an die amerikanischen Stegreif-Komiker wider, die ihre Wortwitztiraden in Dauerschleife auf das Publikum herabregnen lassen. Vor allem aber trägt es der Erwartungshaltung von Letzterem Rechnung.

Von Comedians wird – anders als von dem frühen Kabarett – nicht erwartet, politische Aufklärung zu leisten oder gar zu gesellschaftsveränderndem Handeln zu ermuntern. Wer Comedy-Shows ansieht, möchte vielmehr schlicht zum Lachen gebracht werden.

Vom politischen Engagement zur Erwartung politischer Abstinenz

Die unpolitische Erwartungshaltung des Publikums geht allerdings nicht notwendigerweise mit einer unpolitischen Haltung der Comedians einher. Ob deren politisches Engagement eine Wirkung entfaltet, entscheidet sich heute jedoch weniger auf als abseits der Bühne.

Dies lässt sich gut an den erstaunten Reaktionen ablesen, mit denen politische Meinungsäußerungen von Comedians mitunter quittiert werden: „Wie? Der hat das ernst gemeint? Und ich dachte, der macht nur Witze!“

Nichts zeigt deutlicher, welche Funktion Comedians heutzutage zugedacht wird: Sie sollen dem Publikum dabei  helfen, sein Unbehagen an der Welt in Lachen aufzulösen. Sie sollen Possen reißen, keine Revolutionen anzetteln. Wer diese Erwartung enttäuscht, wird nicht selten mit Liebesentzug bestraft.

Nachweise

[1]  Dieter Hildebrandt in einem Spiegel-Interview: Am Schluß stark glühen und dann verlöschen. Der Spiegel, 7. September 1986 (Nr. 37).

[2]  Vgl. Ecco Meineke, interviewt von Hermann Weiß: „Die  haben den Schuss nicht gehört“. Die Welt, 26. Juni 2016.

[3]  Zivier, Georg / Kotschenreuther, Hellmut / Ludwig, Volker: Das Reichskabarett. In: Dies.: Kabarett mit K – Siebzig Jahre große Kleinkunst (zuerst 1974), S. 95 – 105. Berlin 1989: Berlin Verlag.

[4]  Vgl. Karl Dall und Ingo Insterburg im Interview mit Christian Schröder: „Jetzt begreifen wir die Begeisterung“. Der Tagesspiegel, 20. Februar 2005.

[5]  Zivier/Kotschenreuther/Ludwig, Das Reichskabarett (s. 3).

[6]  Hans-Jochen Krank-Hover, ehemaliges Mitglied der 3 Tornados, interviewt von Andreas Häcker: „Geschenke für alle“. Über die 3 Tornados und die Berliner Gegenkultur; Gespräch vom 19. Juli 2012. In: Cahiers d’Études Germaniques 64/2013: Contre-cultures à Berlin de 1960 à nos jours, S. 297 – 306; journals.openedition.org.

[7]  Vgl. Bayer, Martin: „Hey, was ist denn da los?“ Die 3 Tornados: Linke Geschichte als Brachial-Kabarett. In: analyse & kritik. zeitung für linke Debatte und Praxis, 23. September 1999 (Nr. 430); trend.infopartisan.net.

[8]  Vgl. Drücke, Bernd: Wie kam die Jungfrau zum Kinde? Die 3 Tornados, Mary, Josef, Jesses und „Das Krippenspiel“. Graswurzel.net, 1. Dezember 2002 [enthält auch den Sketch Krippenspiel].

[9]  Rating, Arnulf: Wandertheater auf neuen Wegen: Die 3 Tornados. In: Baumgarten, Michael / Schulz, Wilfried: Die Freiheit wächst auf keinem Baum: Theaterkollektive zwischen Volkstheater und Animation, S. 190 – 221 (hier S. 217). Berlin 1979: Medusa.

[10]    Zit. nachHäcker, Andreas: Aufbegehren, lachen und die Welt verändern. Zum libertä­ren Kabarett-Trio Die 3 Tornados aus Westberlin / 11. In: Cahiers d’Études Germaniques 64/2013: Contre-cultures à Berlin de 1960 à nos jours, S. 147 – 158; journals.openedition.org.

[11]    Zit. nach Rating, Wandertheater auf neuen Wegen (s. 8).          

[12]    Abschiedsbrief der 3 Tornados, zit. nach Häcker (s. 9) / 20.

Bilder: Günter Thews und Hans-Jochen Krank neben einem Plakat für einen Auftritt der 3 Tornados in Hagen, angebracht am Pfeiler einer Autobahnbrücke, März 1980 (Krank-Hover / Wikimedia commons); Christof Sonderegger: Hanns Dieter Hüsch (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Wikimedia commons); Miriam Guterland Fassade des Grips-Theaters am Berliner Hansaplatz (2013); Wikimedia commons; Die 3 Tornados 1980 bei einem Auftritt in der Hamburger Markthalle (von links nach rechts: Günter Thews, Hans-Jochen Krank, Arnulf Rating); Wikimedia commons

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