… und einem kurzen Rückblick auf die Reise durch die Welt des Kabaretts
Heute endet die Reihe zur Kabarettgeschichte auf rotherbaron. Zum Abschluss gibt es noch einmal alle Einzelposts als PDF und Ebook.
Warum dieser historische Abriss an dieser Stelle endet
Zum Abschluss der Reise durch die Welt des Kabaretts gibt es heute alle Einzelposts gebündelt als PDF und Ebook. Dabei werden die auf rotherbaron und LiteraturPlanet veröffentlichten Posts zusammengeführt. Auf den historischen Abriss folgt also in jedem Kapitel ein passendes Gedicht.
Die Gesamttext-Ausgabe bietet außerdem zu jedem Kapitel weiterführende Literaturhinweise – und natürlich ein interaktives Inhaltsverzeichnis.
Allerdings werden sich manche an dieser Stelle auch fragen, warum dieser historische Abriss an dieser Stelle endet. Schließlich existiert doch auch heute noch eine lebendige Kabarettkultur.
Hierzu lässt sich zunächst anmerken, dass ein historischer Rückblick sich stets umso schwerer tut, je näher er der Gegenwart kommt. Wer in der Mitte eines Flusses schwimmt, kann dessen Verlauf eben schlechter beurteilen als diejenigen, die von oben auf ihn herabblicken.
Soll heißen: Welche Entwicklungen bedeutsam sind und wie sie mit anderen Entwicklungen interagieren, lässt sich oft erst im Nachhinein beurteilen. Manches wird in der Hektik des Tagesgeschehens schlicht übersehen, obwohl es im Rückblick als weit wegweisender erscheint als der Mainstream der Gegenwart. Eben dieser aber dominiert das Tagesgeschehen, weil er unseren Vorlieben und Rezeptionsgewohnheiten stärker entgegenkommt.
Flüchtiger Zutaten-Mix des modernen Kabaretts
Der zweite Grund dafür, dass dieser Abriss der deutschsprachigen Kabarettgeschichte nicht näher an die Gegenwart heranführt, ist für mich persönlich allerdings noch wichtiger. Er beruht auf dem, was ich zu Beginn dieser Arbeit als das Besondere des modernen Kabaretts beschrieben habe – auf dessen ganz spezieller Mischung aus Bohème-Atmosphäre, literarisch-satirischen Ausdrucks- und teils anarchischen Darbietungsformen, verbunden mit einem dezidiert gesellschaftskritischen Anspruch.
Dieser Zutaten-Mix wies von Anfang an keine starke Bindekraft auf. Immer wieder traten einzelne Aspekte in den Hintergrund oder gingen ganz verloren. Das Kabarett näherte sich dann entweder der auf das reine Amüsement abzielenden Brettl-Kultur an, oder es nahm – wie etwa am Züricher Cabaret Voltaire – so avantgardistische Formen an, dass es sich im Rückblick kaum mit unserem heutigen Verständnis von Kabarett verbinden lässt.
Schließlich hätte es, wenn Kabarett und gesellschaftskritisches Engagement eine untrennbare Einheit bilden würden, auch keinen kabarettistischen Kniefall vor den nationalsozialistischen Machthabern geben dürfen. Tatsächlich haben sich aber einzelne Akteure durchaus als opportunistisch genug erwiesen, um an politisch unverfänglichen „Lachtheatern“ und Komiker-Kabaretts als Hofnarren der Herrenmenschen zu agieren.
Das Kabarett als Keimzelle verschiedener Arten von Kleinkunst
In gewisser Weise war das frühe Kabarett die Keimzelle, aus der sich später eine Vielzahl verschiedenartiger Formen von Kleinkunst entwickelt hat. Dazu zählen heute – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – so unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen wie
- klassisches Kabarett mit Nummernprogramm;
- Comedy im Stil von Stegreif-Conférencen;
- Polit-Comedy;
- Vorstellungen im traditionellen Komiker- und Clownsstil;
- Lesungen, insbesondere szenischer Natur;
- Poetry Slams;
- Liedermacherabende;
- Happening- und Improvisationskunst;
- Straßen- und Aktionskabarett.
All diese Veranstaltungs- und Ausdrucksformen waren in der Frühzeit des Kabaretts – wenn auch nicht in ihrer heutigen Gestalt – eng miteinander verbunden und aufeinander bezogen. Dabei hatten sie ihrerseits selbst wiederum verschiedene Vorläufer. So könnte man auch sagen, dass das Kabarett in einer bestimmten historischen Phase Dinge miteinander verknüpft hat, die sich vorher und nachher unabhängig voneinander entwickelt haben.
Heute ist der Zutaten-Cocktail, der das frühe Kabarett ausgemacht hat, allerdings endgültig auseinandergebrochen. Dies gilt insbesondere für die anfangs enge Verbindung zwischen Dichtung und Kabarett. Zwar gibt es hier auch heute noch Berührungspunkte und Überschneidungen. Eine organische Verbindung, wie sie in der Frühzeit des Kabaretts durch eine gemeinsame Bohème-Kultur entstanden ist, besteht jedoch nicht mehr.
Auch dies setzt einem historischen Abriss, der gerade den dichterischen Aspekten der Kabarettgeschichte nachspüren möchte, ein natürliches Ende.
Die verschiedenen Gesichter des Kabaretts
Eine ganz andere Frage ist, ob das, was wir heute unter „Kabarett“ verstehen, noch etwas mit dem zu tun hat, was das Kabarett in seinen Anfängen war. Oder, genauer ausgedrückt: ob das eine mit dem anderen angesichts der völlig anderen sozialen und medialen Rahmenbedingungen überhaupt noch etwas zu tun haben kann.
Das Kabarett war ursprünglich ein Kind der Bohème-Kultur. Wer sich ihm verschrieb, dem ging es um Abgrenzung von der bürgerlichen Gesellschaft, darum, in der Nische eines künstlerischen Biotops satirische Kritik an dieser Gesellschaft zu üben und Utopien für ihre Veränderung zu entwerfen.
Diesen Weg zu beschreiten, mochte geistige Erfüllung ermöglichen – reich konnte man damit aber nicht werden. Noch in den 1920er Jahren war ein Leben für das Kabarett, materiell gesehen, gleichbedeutend mit einem Leben auf Sparflamme, bei dem man froh sein musste, mit seinen Engagements irgendwie über die Runden zu kommen.
Das Fernsehen als Spielverderber
Die Schauspielerei ist auch heute noch für viele kein Ruhekissen, das ein sorgloses Leben ermöglicht. Eben deshalb aber wird niemand, der erfolgreich Kabarett macht, abwinken, wenn das Fernsehen anklopft. Einen solchen Sechser im Lotto abzulehnen, kann (und will) sich schlicht niemand leisten.
Kabarett im Fernsehen zu machen, ist aber etwas ganz anderes als das frühere Kabarett mit seinen Konspiration und Anarchie ausstrahlenden Räuberhöhlen. Selbst wenn das Kabarett seiner revolutionären Aura nur selten gerecht geworden ist – etwas Aufmüpfiges oder zumindest Nonkonformistisches haftete ihm doch stets an.
Das Fernsehen dagegen zähmt das Kabarett gleich auf doppelte Weise. Zum einen müssen Inhalte und Ausdrucksformen dem Mainstream-Kodex der Gesellschaft entsprechen, was der Satire bestimmte Grenzen setzt. Zum anderen werden die Stars der Szene aber schnell auch in andere Bereiche der Unterhaltungskultur weitergereicht.
Fernseh-Kabarett und Bohème-Kabarett
Auf diese Weise werden die Fernseh-Comedians selbst zu eben jenen wohlbetuchten Angehörigen des Establishments, das sie in ihren kabarettistischen Auftritten kritisieren. Ihre Satiren sind dann kein Ausdruck des Veränderungswillens mehr, sondern schlicht ein Mittel des Gelderwerbs. Dies bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf das Publikum, für das der wohlkalkulierte Spott eher ein Ventil für den Abbau von Frustrationen ist als ein Anlass für gesellschaftsveränderndes Denken und Handeln.
Natürlich gibt es auch heute noch ein bissigeres und kompromissloseres Underground-Kabarett, das sich jenseits des Unterhaltungsbetriebs seine Nischen sucht; ein Kabarett, das sich mit innovativen Ausdrucks- und Darbietungsformen wenigstens eine Zeit lang dem Sog der Unterhaltungsindustrie entzieht; ein Kabarett, das sich nicht als Surrogat, sondern als aktiver Teil gesellschaftlicher Veränderungsprozesse versteht. Da aber das Fernsehen und seine digitalen Geschwister die Leitmedien unserer Gesellschaft sind, bestimmt die dort gebotene Comedy auch unser Bild vom Kabarett der Gegenwart.
Aufspüren lassen sich Ansätze zu einem alternativen Kabarett wohl am ehesten im Rahmen der vielerorts organisierten Kabarett-Tage und Kabarett-Festivals – sofern diese auf studentischen oder anderen Graswurzelinitiativen basieren, die es dem Kabarett erlauben, sich ohne Rücksicht auf Marketinginteressen und Fernsehquoten zu entfalten.
Sich hier auf Wühlarbeit zu begeben, wäre sicher eine reizvolle Aufgabe. Dies aber wäre ein eigenes Projekt, das den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
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Bilder: Peggy und Marco Lachmann-Anke: Bühne (Pixabay); Gerd Altmann: Abspann (Pixabay)
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