Der erhobene Zeigefinger deutscher Krimi-Serien

Die geheimen Botschaften des Fernsehens, Teil 4

Krimi-Serien wie der Tatort verbinden die Darstellung staatlicher Ermittlungsarbeit mit einem aufklärerischen Anspruch. Dabei offenbaren gerade sie zuweilen ein problematisches Verhältnis zum Rechtsstaat.

Ein Blick auf die Ermittler-Genies der Film- und Literaturgeschichte

Wenn ich an die großen Ermittler der Film- und Literaturgeschichte denke, fällt mir – na klar – zunächst Arthur Conan Doyles Dandy-Detektiv Sherlock Holmes ein. Außerdem kommen mir in den Sinn: Agatha Christies Miss Marple und Hercule Poirot, Francis Durbridges Paul Temple und auch Jacques Futrelles Professor van Dusen, der in Deutschland vor allem durch die darauf basierende Hörspielreihe Michael Kosers bekannt ist.

Der Urahn all dieser ermittelnden Privatiers ist die von Edgar Allan Poe erschaffene Figur des Auguste Dupin. Mit diesem teilen sie denn auch eine Reihe von Eigenschaften. Die wichtigste ist wohl, dass die Aufklärung von Verbrechen für sie kein Beruf ist, sondern ein Hobby, das allenfalls als Nebenerwerbsquelle dient.

Selbst bei Hercule Poirot, der seine Tätigkeit als Einziger auch gewerbsmäßig betreibt, steht der Verdienst nicht im Vordergrund. Hauptantriebskraft ist bei ihm wie bei all seinen berühmten Kollegen und Agatha Christies Lady-Ermittlerinnen nicht ein besonderer Sinn für Gerechtigkeit, sondern die geistige Herausforderung, die das Verbrechen darstellt. Ist dieses raffiniert ausgeführt, so wird durchaus auch den Bösewichten mit einer gewissen Hochachtung begegnet.

Auf diese Weise wird dem Publikum signalisiert: Das Ganze ist ein Spiel. Lass uns gemeinsam das dunkle Geheimnis aufklären, das scheinbar unentwirrbare Rätsel entwirren. Beweisen wir, dass der Geist stärker ist als die finsterste Tat.

Das Genie und seine Trabanten

Wer den Denkprozessen der Ermittler-Genies an Bildschirm und Radio oder lesend folgt, hat dabei zwei Identifikationsmöglichkeiten. Er kann natürlich dem Genie auf seinen gedanklichen Wegen folgen, sich also gewissermaßen zu einem stillen Teilhaber von dessen Aufklärungserfolg machen. Naheliegender ist es allerdings, sich mit jenen zu identifizieren, die dem Genie als staunende Begleiter an die Seite gestellt werden.

Auch hierin stehen die Ermittler-Heroen in der Tradition von Poes Auguste Dupin. Bereits hier gab es in dem Ich-Erzähler einen Chronisten und Bewunderer, der die Denkleistung des großen Detektivs eben deshalb dokumentiert, weil sie seine eigenen geistigen Möglichkeiten übersteigt.

Indem die untauglichen Aufklärungshypothesen dieser Begleiter mit der Genialität des Helden kontrastiert werden, erscheint diese zum einen in einem noch helleren Licht. Zum anderen ergibt sich hieraus jedoch auch ein humoristisches Element, das den spielerischen Charakter der Rätselentwirrung unterstreicht.

Verstärkt wird dies durch das Erscheinungsbild der Polizei in den literarischen Vorlagen und ihren Verfilmungen oder Vertonungen. Die offiziellen Ermittler werden stets als mindestens ebenso hilf- und ahnungslos dargestellt wie die ständigen Begleiter der genialischen Detektive. Zuweilen stellt sich sogar heraus, dass sie selbst mit den Bösewichten unter einer Decke stecken oder diesen zumindest durch ihre mangelnde Phantasie ihr finsteres Werk ermöglichen.

Beamten-Helden statt genialischer Privatiers

Bei einem Vergleich der berühmten Ermittler-Genies mit den Protagonisten der Fernseh-Krimis fallen unmittelbar eine Reihe von Unterschieden ins Auge.

Zunächst einmal haben wir es in letzterem Fall in der Regel mit staatlichen Ermittlern zu tun. Dabei handelt es sich zudem – anders als in den oben aufgezählten klassischen Detektivgeschichten – nicht um minderbemittelte Komparsen. Vielmehr sind sie in diesem Fall selbst diejenigen, die das Verbrechen aufklären.

Wenn in den Serien Privatermittler auftauchen, so sind diese selbst dann suspekte Gestalten, wenn sie zum Ermittlungserfolg beitragen. Das Verhältnis zu Holmes und Co. ist damit umgedreht: Untadelig sind nicht die privaten, sondern die staatlichen Ermittler. Dass diese selbst auf Abwege geraten, erscheint undenkbar.

Wenn doch einmal der Verdacht eines ungesetzlichen Tuns gegen das Mitglied eines Ermittlungsteams aufkommt, so ist der Grund dafür zumeist nicht Eigennutz, sondern ein über das Ziel hinausschießendes Gerechtigkeitsbedürfnis. In den Augen der Bildschirmbeamten mahlen dann schlicht die Mühlen des Rechtsstaats zu langsam. Keineswegs zweifeln sie an der Rechtmäßigkeit von Gesetzen oder wollen diese gar außer Kraft setzen. Vielmehr wollen sie das Gesetz noch kompromissloser durchsetzen.

Erzieherischer Charakter der Fernseh-Krimis

Daraus folgt zugleich: Bei den Fernsehkrimis steht nicht – wie bei den klassischen Detektivgeschichten – die geistige Herausforderung im Vordergrund, die sich aus der Aufklärung des Verbrechens ergibt. Entscheidend ist vielmehr die Überführung derjenigen, die das Gesetz gebrochen haben.

Die Fernseh-Krimis haben damit einen erzieherischen Charakter. Sie sind eine Art moralischer Zeigefinger, der die Barrieren für ungesetzliches Verhalten erhöhen soll. Sie zeigen, dass sich Verbrechen nicht lohnt, weil die staatlichen Stellen den Bösewichten immer auf die Schliche kommen. Und sie vermitteln dabei zugleich ein positives Bild derer, die sich dieser Aufgabe widmen.

Gerade für das Flaggschiff der deutschen Krimi-Serien, den Tatort, ist der Aspekt der moralischen Erziehung ein zentrales Element. Die ganze Serie beruht ja auf dem Gedanken, die Vermittlung gesellschaftlicher Problemlagen in das Gewand einer spannenden Geschichte zu kleiden – und sie so leichter konsumierbar zu machen.

Deutsche Rechtsnormen – universell gültig?

Diese Idee war schon zum Startschuss des Tatorts im Jahr 1970 nicht neu. So hatte bereits Friedrich Dürrenmatt das Genre des Kriminalromans genutzt, um komplexe soziale Probleme anschaulich und spannend zu vermitteln. Dabei ging es ihm allerdings darum, die komplexen Wechselbeziehungen von Recht und Gerechtigkeit, die Relativität des Rechtsempfindens und das prinzipiell uneinlösbare Versprechen absoluter Gerechtigkeit vor Augen zu führen.

In den Tatort-Folgen steht dagegen stets die Legitimierung der aktuell gültigen Rechtsnormen im Vordergrund – eine Tendenz, die sich nach meinem Eindruck in den letzten Jahren verstärkt hat. Die Serie dient somit eher dazu, kritische Diskussionen zu unterbinden, anstatt sie zu fördern. Es ist deshalb auch bezeichnend, dass der Tatort eines der wenigen westdeutschen Fernsehformate ist, das in der DDR mit dem Polizeiruf 110 ein Nachahmer-Produkt gefunden hat.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Fernseh-Krimis in letzter Zeit vermehrt eine universelle Geltung für deutsche Rechtsnormen in Anspruch nehmen, indem diese im Gewand fremder Kulturen präsentiert werden. Deutsche Krimi-Szenarien mit deutschen Schauspielern in fremde Länder zu verpflanzen, ist nicht nur ein schwer erträglicher Akt von kulturellem Imperialismus. Es negiert auch die Distanz zwischen kulturell gewachsenen Rechtsnormen.

Problematische Rollenmodelle

Angesichts ihres aufklärerischen Anspruchs sind insbesondere die Krimis aus der Tatort-Reihe in der Regel eine ernste Angelegenheit. Humor ist in ihnen eher eine Randerscheinung. Eine Ausnahme ist der – eben deshalb so erfrischende – Münster-Tatort. Unter den ZDF-Krimis ist das humoristische Element am stärksten in den Marie-Brand-Filmen und in der Wilsberg-Reihe vertreten, wobei Letztere allerdings in letzter Zeit deutliche Abnutzungserscheinungen zeigt.

Gerade vor dem Hintergrund des Fehlens einer ironischen Distanz in den meisten Fernseh-Krimis sind die dargebotenen Rollenmodelle problematisch. So wird insbesondere männlichen Kommissaren immer wieder das Recht zugestanden, ihre Wut über eine angeblich mangelnde Kooperationsbereitschaft von Verdächtigen offen herauszuschreien. Dies manifestiert sich dann auch in einer entsprechend suggestiv-bedrohlichen Verhörtechnik („Sie waren es doch! Geben Sie es endlich zu!“).

Ein solches Verhalten als entschuldbare Überidentifikation mit dem eigenen Beruf hinzustellen, ist eine offene Einladung zu Polizei-Willkür. Diese ist ohnehin – auch in Deutschland –  kein unbekanntes Phänomen. So wird Immer wieder von Verdächtigen berichtet, die dem Druck im Verhörzimmer nicht standhalten und ein Geständnis ablegen, obwohl sie unschuldig sind.

Das vielleicht bekannteste Beispiel dafür betrifft ausgerechnet einen Schauspieler: Der vor allem aus den Filmen Rainer Werner Fassbinders bekannte Günther Kaufmann fühlte sich bei einem Verhör so sehr unter Druck gesetzt, dass er einen Mord gestand, den er gar nicht begangen hatte. Nachdem er 2002 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war, wurde er Anfang 2005 aus der Haft entlassen, als die wahren Täter doch noch gefasst worden waren.

Banalisierung polizeistaatlicher Methoden

Fernseh-Krimis, vorneweg der Tatort, erzielen hohe Einschaltquoten. So bleiben auch die darin präsentierten Rollenmodelle nicht ohne Auswirkung auf das Bild der Polizei und die Sicht auf das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Individuum einerseits und staatlicher Rechtsetzung und Polizeigewalt andererseits.

Hierbei ergibt sich ein Gesamtbild, das in Bezug auf die Standards eines demokratischen Rechtsstaats – gelinde gesagt – defizitär ist. Fernsehkommissare legen ein selbstherrliches, obrigkeitsstaatliches Verhalten an den Tag („Die Fragen stellen wir!“), sie neigen zu Vorverurteilungen, schüchtern Verdächtige ein, mokieren sich über Gesetzesvorbehalte, die der Polizeiarbeit Grenzen auferlegen. Selbstjustiz lehnen sie ab – aber nur, solange sie sie nicht selbst anwenden. Gesetzliche Vorgaben setzen sie ebenso humor- wie kompromisslos um, der Unterschied zwischen Lex und Legitimität ist ihnen fremd.

All dies entspricht nicht dem Ideal von Polizeiarbeit in einem Rechtsstaat. Es erinnert eher an einen Polizeistaat.

Mehr zum Thema:

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Larmoyanter Sadismus. Zu Fernsehkrimis in der Art des Tatort-Zweiteilers In der Familie

Zu Günther Kaufmann vgl. die Ausführungen der Kriminalpsychologin Lydia Benecke in dem ZDF-Beitrag von Regine Gerriets: Mord-Geständnis trotz Unschuld. Der Fall Günther Kaufmann.

Bild: OpenClipart-Vectors: Verdächtige (Pixabay)

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