Das versunkene Dorf

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Windkraft-Horror II

Wenn ein Tal für ein Wasserkraftwerk geflutet wird, verlieren die Menschen, die dort gelebt haben, ihre Heimat. Sie müssen ihre Häuser verlassen, und mit ihren Häusern verlieren sie ihre Geschichte, ihre Vergangenheit, ihre Kultur, alles, was ihr bisheriges Leben ausgemacht hat. Alles versinkt, alles wird verschlungen von den Fluten einer energiehungrigen Zeit. Nur der Kirchturm streckt zuweilen noch seinen Arm aus dem Wasser, wie ein Ertrinkender, dem niemand zu Hilfe eilt.

Was sollen die Bewohner des Dorfes tun? Sie wissen: Diesem Opferritual können sie sich nicht entziehen. Ihr Leben wird geopfert, damit ein anderes Leben ermöglicht wird – eines, das dem Fiebertraum der Moderne entspricht, dem Traum von einem Leben im Sitzen, einem Leben als Gebieter, der von seinem Thron aus die Dynamik des Weltgeschehens überwacht.

So fügen die Menschen sich in ihr Schicksal und siedeln an die Orte über, die man ihnen als Ausweichquartiere anbietet – Orte ohne Geschichte, ohne Vergangenheit, ohne Kultur. In ihren Herzen aber lebt weiter, was sie verloren haben. Das Bild der alten Heimat bleibt lebendig in ihnen. So können sie ihre neuen Wohnorte nach dem Bild der alten Heimat formen. Gewiss, es wird nicht dieselbe Heimat sein. Aber vielleicht doch ein Zuhause und, wer weiß, irgendwann auch eine neue Heimat für ihre Nachkommen.

Wenn ein Tal von Windkraftanlagen umstellt wird, verlieren die Menschen, die dort leben, ebenfalls ihre Heimat. Von einem Tag auf den anderen ist ihr Dorf nur noch der Vorplatz eines Kraftwerks, ihre Hügel verwandeln sich in Fundamente für gigantische Industrieanlagen, die das Tal mit ihrem flackernden Schattenwurf beflecken. Vergangenheit, Kultur, Geschichte – alles versinkt in dem gewaltigen Schatten einer energiehungrigen Zeit.

Natürlich: Die Häuser stehen noch. Kein Stausee hat sie überflutet, und auch der Kirchturm ragt noch immer unversehrt aus ihrer Mitte. Könnte er sprechen, würde er sich aber vielleicht wünschen, als Mahnmal gegen den erlittenen Verlust aus einem großen, finsteren See ragen zu können. So wirkt er wie ein mahnender Zwergenfinger, den neben den gigantischen Stahltürmen niemand wahrnimmt.

Auch die Bewohner eines solchen Dorfes werden dem Fiebertraum der Moderne geopfert, die elektrisiert ist von ihren eigenen, scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Auch sie verlieren ihre Heimat, ihre Kultur, ihr Leben. Niemand möchte so leben wie sie, niemand möchte mit ihnen tauschen. Wie der Fährmann in dem Märchen, der dazu verurteilt ist, im Dämmerreich zwischen Leben und Tod hin und her zu schippern, bis ihm ein unvorsichtiger Reisender das Ruder abnimmt, sind sie Verfemte, mit denen niemand etwas zu tun haben möchte.

Aber man sagt ihnen: Was wollt ihr denn? Eure Häuser sind doch noch da! Was kann es Schöneres geben, als unter den Kathedralen der Gegenwart leben zu dürfen? Oder wollt ihr euch etwa dem Glauben an die neue Zeit verweigern? Leugnet ihr ernsthaft die heilbringende Kraft der großen Windverwertungswunder?

Und so bleibt den Bewohnern des Dorfes keine Fluchtmöglichkeit. Es gibt keine Umsiedlungsprogramme für sie, niemand bietet ihnen an, die alte Heimat an einem anderen Ort neu aufzubauen, so illusorisch das auch sein mag. Sie können sich nicht sagen: Gut, das Alte ist zerstört, aber es lebt in unseren Herzen weiter, lasst es uns nach diesem Bild neu erschaffen. Denn auch die Bilder in ihren Herzen bleiben nicht unberührt von der Realität der verschütteten Welt, in der sie leben müssen.

Ja, ihre Welt ist untergegangen wie in einem unsichtbaren Stausee. Man kann durch sie hindurchtauchen wie durch ein unterirdisches Museum, das schweigend Zeugnis ablegt von einer vergangenen Zeit. Gespenstisch, als ihre eigenen Wiedergänger, schleichen die Bewohner um ihre Häuser.

3 Kommentare

  1. So ist es. Alles soll mit diesen gigantischen Betonpfeilern geflutet werden. 0,60 % der Fläche Deutschlands sind Nationalparks. Von den Jüngern der WKA-Branche werden mindestens 3% der Fläche für Windparks gefordert. Es wird keine Landschaft und keine Natur mehr geben. Keinen freien Horizont …und alle glauben an den Klimaschutz durch flächendeckende Naturzerstörung. Es ist wie ein Wahn von Dummheit und Verblendung. Das einzige, was gegen unseren Untergang hilft: Achtsamkeit gegenüber der Natur und DENKEN!- Wer für noch mehr Windkraft in Deutschland ist, ist rücksichts- und gedankenlos! – Danke für deinen starken Text!

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  2. Dieser eindrucksvolle Text spricht mir aus dem Herzen. Er spricht aber auch einen „blinden Fleck“ in der Debatte an. Es wird viel über die Kosten, die Effizienz, die Arbeitsplätze und auch den Artenschutz gestritten …aber was es mit den Menschen auf dem Land macht, diese tiefgreifende Entfremdung von der Natur, ja auch der „Heimat“ – das ist ein Tabuthema. Auch wenn „Heimat“ so viel als Begriff von den rechten Kräften missbraucht wurde, so beinhaltet der Begriff doch eine Gefühlsqualität, die auch eine Grundlage für nachhaltiges Handeln sein kann. Die Stadt mit ihren zufälligen Bindungen, ihrer Unverbindlichkeit bedeutet auch eine Entfremdung von der Natur, dem Kreislauf der Natur, dem ökologischen Miteienderverwobensein. Dieses Gefühl für die Natur – bzw. die Reste davon – werden durch die flächendeckende Industrialisierung, die Zerstörung von Traumlandschaften und Erinnerungsräumen, zerstört …und warum sollte man etwas schützen, das einem entfremdet wurde. Zuerst werden die WKA kommen, dann wird man von „landschaftlicher Vorbelastung“ sprechen und Straßen und weitere Industrieanlagen werden folgen. Der weitere Ausbau dieser Industrie bedeutet den Tod jeder lebendigen Verbindung des modernen Menschen zur Natur!

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