Die Windkraft als blinder Fleck im Kampf der Grünen für Artenvielfalt
Im Herbst 2017 sorgte eine Studie zum Insektensterben für großes Aufsehen. Wissenschaftler hatten in einer Längsschnittstudie die Entwicklung der Biomasse an Insekten untersucht. 27 Jahre lang waren in 63 deutschen Naturschutzgebieten spezielle Insektenfallen aufgestellt und ausgewertet worden. Als Ergebnis konnte ein Rückgang der Biomasse um durchschnittlich 75 Prozent konstatiert werden. Ausdrücklich machten die Forscher dabei auch auf die „cascading effects“ (Dominoeffekte) aufmerksam, die das Insektensterben für Nahrungsketten und Ökosysteme habe (1).
Unter denen, die sofortige Konsequenzen aus der Studie forderten, waren auch die Grünen. In einer unmittelbaren Reaktion wies die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Steffi Lemke, der Landwirtschaft die Hauptschuld am Insektensterben zu: „Großflächige Monokulturen, Erosion, Stickstoffüberschüsse aus Düngung oder Massentierhaltung und Belastungen aus dem massiven Pestizideinsatz“ hätten „entscheidenden Anteil“ daran (2).
In einem Fraktionsbeschluss vom 4. Mai 2018 rufen die Bundestagsgrünen eindringlich dazu auf, „das Insekten- und Vogelsterben [zu] stoppen“. Auch hier wird wieder eine „bienen- und vogelfreundliche Landwirtschaft“ gefordert, die „ohne den massiven Einsatz von Pestiziden auskommt“ (3; Zitat S. 1). Ein Beschluss des Fraktionsvorstands vom 5. September 2018 beklagt ebenfalls den Rückgang der Artenvielfalt. Auch in Deutschland seien immer mehr Tier- und Pflanzenarten bedroht: „Es summt und zwitschert immer weniger auf Feld und Flur. Allerweltsarten unserer Kindheit wie die Spatzen sind vielerorts bereits Raritäten“ (4; S. 1).
Als Konsequenz hieraus werden in dem Papier ein an der ökologischen Landwirtschaft orientierter „Umbau der Agrarförderung“, die Implementierung von „Pestizid- und Stickstoffreduktionsstrategien“ sowie ein „Bund-Länder-Programm für eine bienen- und vogelfreundliche Landschaft mit Blühwiesen und Wildfruchthecken, Streuobstwiesen und Auen sowie Acker- und Gewässerrandstreifen“ gefordert (ebd., S. 12).
Lauter sinnvolle Vorschläge, keine Frage. Leider zerstören die Grünen mit der einen Hand jedoch das, was sie mit der anderen Hand aufbauen wollen. Schuld daran ist insbesondere ihre kritiklose Förderung der Windkraft. So fordern sie im selben Papier, die jährlichen Ausschreibungsmengen für Windenergieleistung allein an Land auf 5.000 Megawatt anzuheben (vgl. ebd., S. 8). Bei einer durchschnittlichen Nennleistung eines modernen Windrads von 3 Megawatt – die nicht mit dem tatsächlichen, u.a. von Windstärke und Einspeisemöglichkeiten abhängigen Output zu verwechseln ist – entspricht dies einem jährlichen Zubau von über 1.600 Windkraftanlagen, zusätzlich zu den jetzt bereits vorhandenen ca. 30.000 Anlagen.
Gerade beim Vogel- und Insektensterben ist die Windkraft jedoch nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. So hat eine Studie des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt erst kürzlich ergeben, dass pro Jahr mindestens 5 Prozent der nicht standortgebundenen Insekten bei ihrem Flug zu den Brutgebieten durch deutsche Windkraftanlagen zu Tode kommen – wodurch die Stabilität der entsprechenden Insektenpopulationen bedroht sei. Grund dafür ist, dass die Insekten für eine möglichst effiziente Fortbewegung eben jene Luftschichten mit stärkerer Windzirkulation nutzen, in denen sich auch die Rotoren der Windkraftanlagen drehen (5).
Eine britische Studie hat zudem ergeben, dass Insekten von der hellen Farbe der Windkraftanlagen angezogen werden. In der Folge werden die Anlagen nicht nur für die Insekten zur Todesfalle. Vielmehr erhöht dies auch für die Insekten fressenden Vögel und Fledermäuse die ohnehin schon vorhandene Bedrohung durch Windkraftanlagen. Die für die Insekten am wenigsten attraktive Farbe ist laut der Studie „purple“ (purpur/violett). Beruhigenderweise fügen die Forscher jedoch hinzu, dass es nichts bringen würde, die Windkraftanlagen entsprechend anzustreichen – denn die Insekten würden zusätzlich von der Wärmeentwicklung in der Nähe der Anlagen angezogen (6).
Auch an anderer Stelle macht die kritiklose Förderung der Windkraft die positiven Ansätze in dem Positionspapier der Grünen zunichte. So findet diese etwa auch bei den darin vorgebrachten Vorschlägen zum klimaneutralen Bauen keine Berücksichtigung. Zwar wird für die Zukunft die Förderung kohlendioxidarmern Zements gefordert (4; S. 9). Rückschlüsse auf die umweltschädlichen Auswirkungen, die sich aus der tausendfachen Produktion von Stahlbetontürmen für Windkraftanlagen ergeben, werden daraus jedoch nicht gezogen
Für eine Beantwortung der Frage, warum die Grünen sich einerseits als kompromisslose Umweltschützer gerieren, andererseits aber der umweltschädlichen Windkraft so kritiklos begegnen, ist man auf Spekulationen angewiesen. Vielleicht ist es die Verflechtung mit der Windstromlobby, die ihnen die Augen verschließt (7). Vielleicht ist der Grund dafür aber auch schlicht der Wunsch nach dem einen, alles heilenden Zaubermittel, mit dem sich die Horrorvisionen des Klimawandels noch abwenden lassen.
Dies könnte vielleicht auch die hysterischen Reaktionen erklären, die viele Grüne an den Tag legen, wenn man sie mit den schädlichen Auwirkungen der Windkraft konfrontiert. Viele reagieren dann wie Donald Trump, wenn man das Wort „Klimawandel“ erwähnt. Sie werden ausfallend oder verfallen in Sarkasmus, leugnen die Fakten, verhöhnen ihre Kritiker oder behaupten Dinge, die sich nicht belegen lassen. Dadurch aber diskreditieren sie nicht nur ihre Naturschutz- und Klimapolitik, sondern auch ihr Engagement im Bereich der Bürgerrechtsbewegung. Denn Krtitikfähigkeit und Diskursbereitschaft sind ja gerade entscheidende Merkmale dieser Bewegung. Wer für sich selbst stets die alleinige Definitionshoheit beansprucht, folgt dagegen einem diktatorischen Handlungsmuster.
Zwischen Naturschutz und Klimaschutz passt kein Oder. Die Natur zu zerstören, um das Klima zu retten – wie es durch den kritiklosen Ausbau der Windkraft praktiziert wird –, ist ein Lösungsansatz aus Absurdistan.
Durch die autoritäre Heiligsprechung der Windstromindustrie fühlen sich Windkraftbetreiber auch immer wieder ermuntert, sich über die letzten Reste von Naturschutz, die bei der Errichtung von Windkraftanlagen noch beachtet werden müssen, hinwegzusetzen. Immer wieder gibt es Berichte über die Vertreibung oder gar Tötung seltener Vogelarten, die eines der wenigen Hindernisse für die Errichtung der Anlagen darstellen (8). Sogar Greenpeace hat sich über seine Stromerzeugungstochter Greenpeace Energy an der Planung eines Windparks beteiligt, der das einzige Brutgebiet von Seeadlern in einem deutschen Mittelgebirge (dem Weserbergland) gefährdet hätte. Erst der massive Widerstand von Umweltschützern hat die einstigen Ökoaktivisten dazu bewogen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen (9).
„Radikal“ ist die von den Grünen geforderte Umweltpolitik (4) also vor allem im Sinne einer radikal-rücksichtslosen Durchsetzung der Interessen der Windkraftlobby. Sie ist damit der schlagende Beweis für die Unhaltbarkeit des Credos der Grünen, wonach Ökologie und Wachstumswirtschaft miteinander vereinbar seien. Es gibt kein „grünes Wachstum“ – vielmehr ist es die Wachstumsideologie, die wir überwinden müssen, wenn wir Natur und Klima retten wollen. Deshalb darf es auch nicht heißen: Zwischen Ökologie und Ökonomie passt kein Oder. Sondern: Zwischen Naturschutz und Klimaschutz passt kein Oder. Die Natur zu zerstören, um das Klima zu retten – wie es durch den kritiklosen Ausbau der Windkraft praktiziert wird –, ist ein Lösungsansatz aus Absurdistan.
Den Endzustand, in den eine solche Politik münden würde, skizzieren die Grünen selbst unfreiwillig in ihrem Positionspapier, indem sie fordern, 5 Prozent der deutschen Wälder einschlagfrei zu halten und 2 Prozent der Fläche Deutschlands als „Wildnisgebiete“ auszuweisen (4; S. 13). Im Umkehrschluss bedeutet dies nichts anderes, als dass 93 Prozent der Fläche für Bebauung und wirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen. Die Natur wäre dann nur noch in musealen Reservaten zu besichtigen, wo ein paar nostalgisch angehauchte ältere Grüne ihre Sehnsucht nach dem ‚Summen und Zwitschern‘, das sie in ihrer Kindheit in „Feld und Flur“ umgeben hat (s.o.), befriedigen könnten.
Und der Insekten- und Vogelschutz? Für den bräuchte es dann eine Mischung aus Pippi-Langstrumpf-Größenwahn und Harry-Potter-Phantasterei. Wer weiß, vielleicht werden die Grünen ja 2030 in einem Positionspapier die Ausbildung von Fachleuten für Insekten- und Vogelsprech fordern, die den Restpopulationen den Weg durch das Gitterwerk der Windkraftanlagen weisen und sie sicher in die für sie eingerichteten Naturghettos geleiten sollen.
Nachweise:
- Hallmann, Caspar A. u.a.: More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. In: Plos One, 18. Oktober 2017.
- Lemke, Steffi: Biologische Vielfalt: Rasantes Insektensterben bestätigt. Gruene-bundestag.de, 19. Oktober 2017.
- Bündnis 90 / Die Grünen: Insekten- und Vogelsterben stoppen; Gruene-bundestag.de, Fraktionsbeschluss vom 4. Mai 2018.
- Bündnis 90 / Die Grünen: Grüne Umweltpolitik muss radikal sein … weil sie realistisch ist. Gruene-bundestag.de, Beschluss des Fraktionsvorstandes vom 5. September 2018.
- Trieb, Franz: Interference of flying insects and wind parks. Study Report. Stuttgart, 30. Oktober 2018: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
- Walker, Matt: Wind turbines: Wrong colour for wildlife. BBC Earth News, 15. Oktober 2010; vollständige Studie: Long, V. C. / Flint, James / Lepper, Paul A.: Insect attraction to wind turbines: Does colour play a role? In: European Journal of Wildlife Research 57/2 (2010), S. 323 – 331; zu den tödlichen Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vögel und Fledermäuse vgl. die Nachweise im Windstromkartell, Abschnitte „Leugnung von Problemen des Artenschutzes“ und „Fledermäuse als Klimamärtyrer“.
- Vgl. RB, Gute und böse Lobbyisten
- Ein Beispiel für Vogelvertreibungen unter vielen findet sich auf der Website des NABU: NABU zeigt Investor einer Windkraftanlage an. Rotmilane vertrieben, damit Windräder nicht abgeschaltet werden müssen. Eintrag vom 18. Mai 2017.
- Krumenacker, Thomas: Ökokrieger gegen Seeadler? In: Spektrum.de, 10. September 2018.
Anmerkung: Mein besonderer Dank geht an Herbert und Frederike aus der RB-Community, die mich auf den Zusammenhang zwischen Insektensterben und Windkraftanlagen hingewiesen und mir die einschlägigen Links zum Thema geschickt haben!
Fundiert und gut recherchiert wie immer. Vielen Dank für diesen Beitrag!!!! Es ist traurig, dass den Grünen die Widersprüche in ihrem Denken und Handeln nicht auffallen. Das lässt sich nur durch eine zu enge Verflechtung mit der Windstrom-Branche erklären … und das ist die übelste Form von Käuflichkeit. Schade um eine ansonsten durchaus wichtige Partei …
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Nicht nur die Begeisterung für die Windkraft passt nicht zum Gesamtprogramm, auch die Vorstellung von „Energielandschaften“, die mit Monokulturen aus Mais und Raps einhergehen. Diese Brutalität, mit der eine nicht durchdachte „Energiewende“ durchgesetzt werden soll, passt nicht so ganz zu den kitschigen „Vogelgezwitscher-Passagen“ im Grünen-Programm. Diese Mischung aus maximaler Naturferne einerseits und kitschiger Überhöhung der Natur andererseits haben Forscher in einer Studie 2016 als „Bambi-Syndrom“ bezeichnet. https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/fremde-natur/
Ich habe mich unlängst auf dem Freitag mit der Entfremdung von der Natur im Zusammenhang mit der Windkraft auseinandergesetzt und einige Ihrer Beiträge verlinkt:https://www.freitag.de/autoren/bibliofiline/fremde-natur#1564060386387578
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