
In meinem Post vom vergangenen Montag (Das Virus des Totalitarismus) findet sich die Einschätzung: „Bis zu einem gewissen Grad mögen die Schutzmaßnahmen ja sinnvoll sein. Ein Minimum an Vernunft im Umgang miteinander kann den geschätzten ‚Bürgerinnen und Bürgern‘ aber ruhig zugetraut werden.“
Diese Aussage muss ich, fürchte ich, revidieren. Noch gestern Abend habe ich zu denen gehört, die bei der Ansprache von Angela Merkel vor der Ausrufung eines bundesweiten Ausgangsverbots gezittert haben. Mittlerweile häufen sich jedoch die Berichte über gezielte Verharmlosungen der Pandemie und von Menschen, die dementsprechend leichtsinnig mit der Bedrohung umgehen.
Dreifache Überforderung durch das Virus
Offensichtlich sind viele durch die Pandemie gleich in mehrfacher Hinsicht überfordert. Erstens haben wir es hier nun einmal mit einem unsichtbaren Gegner zu tun. Dass man bei derartigen Gegnern zur Unterschätzung der Gefahr neigt, hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wenn Sperrgebiete nach Giftgas- oder Atomkatastrophen allen Warnungen zum Trotz betreten worden sind.
Zweitens ist es – eben deshalb – für viele doppelt schwer, etwas zu tun, was man in einer Krise am allerwenigsten tun möchte: von seinen Gewohnheiten abweichen. Denn eben dies – die alltägliche Routine, das unbeschwerte Freizeitvergnügen, die Treffen mit Freunden und Bekannten – ist ja das, was einem in einer Ausnahmesituation über die Bedrohungsgefühle hinweghilft.
Drittens hat speziell dieses Virus den tückischen Nebeneffekt, dass es sich mit Vorliebe über jene verbreitet, bei denen es allenfalls harmlose Symptome verursacht. In den betreffenden Personen ist die Konzentration des Virus zwar geringer als bei anderen. Dadurch, dass dieser Personenkreis jedoch die Mehrzahl der Fälle (80 Prozent) repräsentiert, trägt er dennoch verstärkt zur Ausbreitung des Virus bei (vgl. Pressemitteilung der Columbia University vom 16. März: „Stealth transmission“ fuels fast spread of coronavirus outbreak). Deshalb muss man bei diesem Virus begreifen, dass man vielfach gar nicht sich selbst, sondern andere schützen muss, indem man sich dem Virus nicht aussetzt. Diese permanent in das eigene Verhalten integrierte Rücksichtnahme auf andere scheint vielen schwerzufallen.
Hinzu kommt noch, dass uns in der Krise mal wieder unser föderaler Flickenteppich auf die Füße fällt. Statt für alle nachvollziehbarer einheitlicher Regelungen gibt es von Bundesland zu Bundesland, teilweise sogar von Landkreis zu Landkreis unterschiedliche Regelungen. Diese sind mitunter ebenso unsinnig wie gesundheitsgefährdend – wie etwa die Praxis, aus Lehrkräften Leerkräfte zu machen, indem man ihnen eine Präsenzpflicht in den schülerlosen Schulen auferlegt.
Was bei einer Ausgangssperre zu beachten ist
Angesichts der angekündigten und nun in der Tat auch zu beobachtenden exponentiellen Verbreitung des Virus haben wir keine Zeit, auf die nötigen Lernprozesse zu warten. Wenn wir wirklich so viele Leben wie möglich retten und das Gesundheitssystem nicht überlasten wollen, scheinen wir daher um eine vorübergehende Ausgangssperre nicht herumzukommen.
Dabei sollten drei Dinge bedacht werden: Erstens ist es kontraproduktiv, ständig über Ausgangssperren zu reden, sie aber dann nicht einzuführen. Damit erreicht man das Gegenteil des Bezweckten: Es kommt zu immer neuen Hamsterkäufen und Corona-Abschiedspartys. Zweitens darf nie vergessen werden, dass die Ausgangssperre zum Schutz der Bevölkerung erlassen wird. Nicht die Menschen, die eventuell Träger des Virus sind, müssen bekämpft werden, sondern dieses selbst ist der Gegner. Schwer bewaffnete Polizisten, wie sie in Frankreich auf den Straßen zu sehen sind, oder gar patrouillierende Soldaten wären folglich dysfunktional, zumal sie die Verunsicherung in der Bevölkerung nur erhöhen würden.
Drittens muss die Ausgangssperre, wenn sie wirken soll, auch sinnvoll – und das heißt: lückenlos – durchgeführt werden. Die Versorgung mit den lebensnotwendigen Gütern muss daher zentral organisiert werden. Was schwierig klingt, ließe sich ganz einfach dadurch bewerkstelligen, dass die ohnehin regelmäßig die Straßen abfahrenden Entsorgungsbetriebe und Postautos vorübergehend zu einem Bringservice für Grundnahrungsmittel und unverzichtbare Hygieneartikel umfunktioniert würden. Hinzu kämen eigene Fahrdienste der Apotheken.
Das dafür unzweifelhaft benötigte zusätzliche Personal könnte leicht über all jene Betriebe rekrutiert werden, die jetzt wegen der Corona-Krise ihre Arbeit einstellen mussten. Die pro Haushalt anfallenden Kosten könnten, sozial gestaffelt, nach und nach über die Steuerabrechnungen der kommenden Jahre abgegolten werden.
Um die psychischen Belastungen der Ausnahmesituation abfedern zu können, sollten auch die Seelsorgedienste personell aufgestockt und zusätzliche Beratungs-Hotlines eingerichtet werden. Grundsätzlich muss Ausgangssperre jedoch nicht bedeuten, dass man die Menschen zum Hausarrest verurteilt. Um einer solchen Wahrnehmung der Maßnahme – die Trotzreaktionen provozieren und damit den Erfolg der Maßnahme in Frage stellen könnte – vorzubeugen, sollten Aufenthalte im Freien grundsätzlich ermöglicht werden. Allerdings müssten sie reglementiert werden, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Dafür könnten Ausgehzeiten in den Städten etwa straßenweise zu verschiedenen Uhrzeiten gestattet werden.
Sicher werden Menschen auch in diesem Fall, ihrer natürlichen Neigung folgend, aufeinander zugehen. Um sie davon zu überzeugen, dass dabei vorübergehend ein Mindestabstand einzuhalten ist, benötigt man allerdings keine Maschinengewehre.
Als kleiner Trost hier noch ein Blick auf die schönen Seiten von Balkonien:
Zaz: Je veux, bei BalconyTV
Das habe ich mir beim Lesen des vorigen Beitrages schon gedacht, dass das nicht der letzte zu dem Thema sein würde und dass das, was jetzt gekommen ist, auch noch kommen würde. In Berlin herrschte im Freien an den Tagen, an denen die Sonne geschienen hat, eine Art Volksfeststimmung. Ich weiß nicht, ob sich das inzwischen geändert hat. Waldeinsamkeit, die mich erfreut, …
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Lieber René, auch hier ändert sich wenig. Wir füttern die Vögel, gehen in den Garten und den Wald … (Ilka ist nicht ständig unterwegs, das hat sich geändert). Bleib gesund!
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