Krisenmanagement: ausbaufähig
Die deutsche Corona-Politik ist inkonsequent und unsozial. Die Maßnahmen zur „Kontaktsperre“ werden überall anders und unterschiedlich streng gehandhabt, und die sozialen Kollateralschäden werden nur unzureichend berücksichtigt.
News in Zeiten von Corona
Corona-Stille?
Lärmschutz in Corona-Zeiten
Vertiefung der sozialen Kluft
Schulfernsehpflicht
Halbherzige Maßnahmen
News in Zeiten von Corona
Langsam wird es langweilig. Egal, wohin man schaut und was man hört: Überall heißt es nur noch: Corona, Corona, Corona!
Politik: Trump im Krieg gegen Corona! Merkel unter Corona-Quarantäne! Macron im Corona-Fieber!
Wirtschaft: Auswirkungen der Corona-Krise: Schlimm! Ganz schlimm! Brutal schlimm!
Kultur und Religion: Auch Promis nicht immun gegen Corona! Papst: Gebete gegen Corona! Udo Lindenberg und Dieter Bohlen: Duett gegen Corona!
Corona-Stille?
So kommt der Wunsch auf, abzutauchen und sich in seine eigene Welt zurückzuziehen. Vielleicht sogar auf altmodisch-analoge Weise, mit einem guten Buch, um dem Corona-Geschrei auf den Startseiten der Suchmaschinen zu entgehen.
Also fläzt du dich in deinen Lieblingssessel, klappst dein Buch auf, beginnst darin zu versinken – und wirst dann von einem Geschabe und Gewummer aus der Wohnung unter dir aus deiner Versenkung gerissen. Du horchst auf, denkst nach, erinnerst dich: Ach ja: Der Nachbar hatte dir ja erzählt, dass er die Corona-Krise zum Großreinemachen nutzen wolle.
Was er dir nicht erzählt hatte: dass er darunter auch das Tapezieren seiner Wohnung und das Abschaben der alten Tapeten versteht. Und: dass er sich dafür, damit’s ihm nicht fad wird, seine Boxen neben dem Tapeziertisch aufgebaut und seine Lieblingsmusik voll aufgedreht hat. Leider hat er einen anderen Musikgeschmack als du …
Wie? Du wohnst gar nicht in der Stadt? Dann gehörst du vielleicht zu den Glücklichen, die jetzt gerade in ihrem eigenen Garten stehen und in die Frühlingssonne blinzeln; zu denjenigen, die sich am Geflüster des Windes in den jungen Blättern erfreuen und dem Frühlingsgesang der Vögel am coronalosen Himmel lauschen – bis auf einmal das Gekreisch einer Kreissäge deiner Meditation ein jähes Ende bereitet. Denn dein Nachbar hat beschlossen, die Corona-Krise für das Auffrischen seiner Holzvorräte zu nutzen.
Lärmschutz in Corona-Zeiten
Lärmschutz in Zeiten von Corona? Fehlanzeige! Natürlich würde das auch der Logik von Lärmschutzgesetzen widersprechen, die diesen Namen nicht verdienen – weil sie eher den Lärmenden als den Lärmgeschädigten schützen. Wichtiger als das Ruhe- und Konzentrationsbedürfnis des einen sind das Bohr- und Laubbläserbedürfnis des anderen. Wichtiger als die störungsfreie Durchführung der Büroarbeit ist der Presslufthammer vor dem Bürohaus. Wichtiger als ein erholsamer Schlaf ist der Verkehrsfluss vor dem Schlafzimmer.
In der Corona-Krise verschärfen sich die schädlichen Auswirkungen des Lärms jedoch noch einmal ganz erheblich. Denn Lärm macht sich umso negativer bemerkbar, je weniger wir vor ihm fliehen können. Das liegt daran, dass Lärm von unserem Körper, unseren noch immer steinzeitlichen Reiz-Reaktionsmechanismen folgend, eine Fluchtreaktion auslöst. Können wir diese nicht in Aktivität umsetzen, richten sich die durch den Flucht-Stress ausgeschütteten Hormone gegen unseren eigenen Körper. Langfristig kommt es so zu massiven Gesundheitsschäden, insbesondere zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
In einer Situation, in der wir uns in unseren eigenen vier Wänden eingesperrt fühlen, wirkt sich Lärm folglich noch schädlicher aus als ohnehin schon. Dies gilt erst recht dann, wenn unser Körper bereits durch andere Krankheits- oder Stressfaktoren vorgeschädigt ist. An „anderen Stressfaktoren“ herrscht in der aktuellen Ausnahmesituation jedoch für uns alle kein Mangel.
Vertiefung der sozialen Kluft
In der aktuellen Krise muss der Gesundheitsschutz der Bevölkerung oberste Priorität genießen. Mit Infektionsschutzmaßnahmen allein ist es dabei nicht getan. Vielmehr müssen auch andere Belastungsfaktoren so weit wie möglich reduziert werden, um die Abwehrkräfte der Menschen nicht zu schwächen.
Außer einem verbesserten Lärmschutz zählen hierzu auch Maßnahmen gegen den Dichtestress, der bei beengten Wohnverhältnissen auftreten kann. Dass es hierzu kommen kann, war von Anfang an klar. Nur kennen die politischen Entscheidungsträger die entsprechenden Wohnverhältnisse eben nur vom Hörensagen.
Gut, man kann ihnen zugute halten, dass sie wie alle anderen auch von der Entwicklung überrollt worden sind und nicht gleich alle Folgen der Ausnahmesituation im Blick haben konnten. Spätestens jetzt aber sind die Folgen für alle sichtbar. Also wäre jetzt auch die Zeit, gegenzusteuern.
Geschieht dies nicht, so vertieft sich die soziale Kluft, von der unsere Gesellschaft ohnehin schon geprägt ist. Besser gestellte Zeitgenossen können sich in der Krise in ihren Villen verteilen und sich, wenn nötig, aus dem Weg gehen. Die Sprösslinge sind es gewohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wenn sie in der Krise die Schulbücher links liegen lassen, wird ihnen hinterher ein auf sie zugeschnittener Nachhilfeunterricht spendiert.
Dort, wo jene leben, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt kommen, geht es dagegen weniger gemütlich zu. Wenn das erzwungene Nichtstun sich mit Kindergeschrei und dem Geruch von verkohlten Zwiebeln mischt, kann der Streit ums Klopapier noch ganz anders eskalieren als im Supermarkt.
Es ist nicht einfach, aber durchaus möglich, hier gegenzusteuern. Man muss dafür lediglich durchgehend der Maxime folgen, dass außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Konkret könnte dies etwa bedeuten: Verstärkte Einrichtung von Krisen-Hotlines und Öffnung der Hotels für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder. Nebeneffekt für die Hotels: Sie können mit der staatlichen Kompensation den Verdienstausfall in der Krise ein klein wenig absenken.
Analoge Maßnahmen müssen natürlich auch zum Schutz von Obdachlosen getroffen werden. Sie aber sind sichtbar, weshalb ihre Probleme auch eher thematisiert und angegangen werden. Was hinter den Wohnungstüren passiert, bleibt dem Blick der Öffentlichkeit dagegen verborgen.
Schulfernsehpflicht
Eine zweite sinnvolle Maßnahme wäre es, die Schulpflicht auf ein Schulfernsehen zu übertragen, das zumindest in den Vormittagsstunden einen Ersatz für den Unterrichtsausfall bietet. Natürlich ist das alles andere als ideal. Die Kinder, wird man sagen, hocken ohnehin schon zu viel vor der Glotze, und diese kann auch nie den lebendigen Austausch mit anderen Lernenden und Lehrkräften ersetzen.
Lehrkräfte sind jedoch, wie sehr sie sich auch engagieren mögen, „Autoritäten“. Und zu solchen hält man in Hartz-IV-geschädigten Familien ohnehin instinktiv Abstand. So bemüht man sich auch in der Krise nicht um verstärkten Kontakt zu ihnen, selbst wenn sie eine entsprechende Telefonberatung anbieten und sich um einen Online-Ersatz für den Unterrichtsausfall bemühen.
Demnach ist der Fernsehunterricht in der Krise die einzige Möglichkeit, den Familien ein klein wenig Normalität zurückzugeben und auch sozial benachteiligten Kindern den Lernalltag zu erhalten. Dies müsste dann aber auch bedeuten, dass nicht einfach die „Sendung mit der Maus“ auf Tageslänge aufgebläht wird. Vielmehr müsste ein Schulfernsehen, das vorübergehend an die Stelle des Unterrichts tritt, auch dessen Rhythmisierung übernehmen, also neben abwechselnden Lernangeboten auch gemeinsames Singen und kleine Fitnessübungen anbieten.
Sicher würden nicht alle Kinder ein solches Angebot annehmen. Wenn es jedoch als verpflichtender Ersatz zumindest für den Grundschulunterricht deklariert würde, könnte man auf diese Weise doch viele Familien wirksam entlasten und einer Vertiefung der sozialen Spaltung durch den Unterrichtsausfall vorbeugen.
Halbherzige Maßnahmen
Anstatt auf die immer offensichtlicher werdenden sozialen Kollateralschäden der Corona-Krise zu reagieren, sind von der Politik bislang nur hochtrabende Versprechungen für „die Zeit danach“ zu hören. Ansonsten ist kollektiver Tiefschlaf angesagt.
So entsteht der Eindruck, dass die Krise mehr oder weniger ausgesessen und mit eher symbolischen Maßnahmen in die Knie gezwungen werden soll. Kontaktverbot? Ja, aber jeder kann es handhaben, wie es ihm gefällt. Manche Supermärkte bieten Extra-Öffnungszeiten für Risikogruppen an und setzen die KassiererInnen hinter Plexiglas, andere verzichten darauf. Vielfach wird auch nur ein bestimmtes Kontingent von Kunden eingelassen – das dann aber am Klopapierregal in den Nahkampf-Modus übergeht. Baumärkte sind hier geöffnet, dort geschlossen, Wochenmärkte grundsätzlich abgesagt, mancherorts aber doch zugelassen. Das Virus wird schon Verständnis haben für die prekäre Situation der Marktbetreiber und das Einkaufsbedürfnis der Kunden.
Bei einem solchen Flickenteppich nicht aufeinander abgestimmter Maßnahmen muss sich niemand wundern, wenn die Bedrohung durch das Coronavirus von manchen noch immer auf die leichte Schulter genommen wird. Ein entschlossenes Krisenmanagement, das der Gefahr mit klaren und einheitlichen Regeln begegnet und absehbare Kollateralschäden der getroffenen Maßnahmen abzumildern versucht, würde jedenfalls anders aussehen.
Ausführlicher Beitrag zum Thema „Lärm“ mit weiterführenden Links: Die Freiheit des Rasenmähenden. Lärm als verfassungsrechtliches Problem
Es kann kein Corona Benefit geben. Menschen werden krank, einige sterben, viele haben Angst, andere Sorgen sich um ihre Angehörigen, viele haben plötzlich keine Arbeit, kein Einkommen, Firmen werden ruiniert. Die bürgerlichen Freiheiten wie die Versammlungsfreiheit und die Freizügigkeit werden eingeschränkt. Der Staat und die Länder ergreifen verspätete und willkürliche Maßnahmen. So werden in Mecklenburg-Vorpommern Menschen, die ihren Erstwohnsitz nicht bei uns haben, mittels Polizeikontrollen aufgestöbert und ausgewiesen. Da steht plötzlich abends eine Polizeistreife vor dieser oder jener Tür. Wie es in einer Diktatur üblich ist, wird munter denunziert. Aus meinem Dorf wurde eine Berliner Mutter, die hier ein Haus besitzt, mit ihrer zwölfjährigen Tochter (nach Denunziation) ausgewiesen. In einem anderen Dorf wurde ein Elterpaar mit drei Kindern, die dort ein Sommerhaus haben, (nach Denunziation) ausgewiesen. Natürlich ist es gut, wenn die Umweltbelastung sinkt. Aber eine solche Wirkung sollte im Rahmen eines demokratischen Prozesses als Ergebnis gesellschaftlicher Willensbildung erzielt werden und nicht als Nebeneffekt von Maßnahmen, die ein Ausnahmezustand notwendig macht. Ich bin en passant auf die Corono-Krise in folgendem Beitrag eingegangen: https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2020/04/01/manuela-schwesig-lasst-dem-bundnis-der-burgerinitiativen-durch-das-energieminsterium-antworten/
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Das klingt richtig schlimm, was du berichtest.
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Ich kann dem Artikel von rotherbaron nur zustimmen. Die Maßnahmen sind halbherzig und unausgegoren. Der Umgang mit der schlimmen Situation ist bei manchen Menschen auch von der gleichen Rücksichts- und Gedankenlosigkeit geprägt, die sie auch sonst an den Tag legen. Insofern macht die Krise uns keineswegs zu klügeren oder besseren Menschen. Mit dem Schulfernsehen habe ich allerdings ein wenig Probleme 😉 …. @René Sternke: Ich fand zwar Ihren Blog-Post interessant und das Geschilderte erschreckend, kann aber nicht so recht einen Zusammenhang mit dem Artikel auf diesem Blog erkennen. Hier geht es ja gerade um ein schlechtes Krisenmanagement.
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Meine Wortmeldung hat sich auf die Gesamtheit der bisherigen Beiträge zu diesem Thema auf dem Blog des Rothen Barons bezogen und der Rothe Baron hat, so glaube ich, verstanden, worauf ich damit abzielte.
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