Ein Blick in den (Rück-)Spiegel
In der Corona-Krise lautet das Motto heute mal: Innehalten. Rückschau halten. Besinnung. Ein Blick auf die Anfänge der Corona-Diskussionen kann vielleicht dabei helfen, die spätere Entwicklung besser einzuordnen.
Befeuerung von Fremdenfeindlichkeit
Abschüssige Zugfahrt ohne Notbremse
Einladung zu einer Zeitreise
Fast anderthalb Jahre lang schlagen wir uns nun schon mit diesem nervtötenden Virus herum. Das ist ein so langer Zeitraum, dass man schon geistige Archäologie betreiben und fragen kann, wie sich die Diskussionen zu dem Virus und seinen Auswirkungen entwickelt haben.
Auf einem Blog wie diesem hier ist das besonders leicht möglich. Denn es ist ja alles archiviert. Ich kann euch also alle ohne weiteres zu einer virtuellen Zeitreise einladen, durch die wir uns noch einmal ins Frühjahr 2020 zurückbeamen können.
Klar, eine solche Reise ist vor allem für mich selbst interessant. Und genau das war für mich auch der Reiz daran: Ich wollte sehen, wie ich selbst zu Beginn der Pandemie auf die Krise reagiert habe und wie sich meine Auseinandersetzung damit entwickelt hat. Also habe ich noch einmal meine Faseleien von anno dunnemals aufgerufen und darin virtuell „geblättert“.
Der Mitmensch als Feind
Mein erster Post zur Corona-Krise trug den Titel Wenn menschliche Nähe zur Bedrohung wird. Darin ging es zunächst um das Unheimliche der Bedrohung – um die Tatsache, dass das Virus wie ein Feind mit Tarnkappe agiert; dass es wie einer dieser Außerirdischen aus den futuristischen Horrorfilmen andere Menschen kapern kann; dass es unsere Freunde dazu zwingen kann, uns den Tod zu bringen, ohne dass wir oder sie selbst dies bemerken würden.
So stand schon damals jener Aspekt im Vordergrund, der mich bis heute am meisten umtreibt, wenn ich an die Pandemie denke: Wie wird sich dadurch unser Sozialgefüge verändern – die Art, wie wir miteinander umgehen? Das hat sich dann damals so angehört:
„Welche Auswirkungen wird es auf den Kontakt mit anderen haben, wenn jede zwischenmenschliche Begegnung oder gar – man traut es sich ja kaum auszusprechen – körperliche Nähe über Monate hinweg als potenzielle Bedrohung hingestellt wird? Werden wir danach alle unter einem pathologischen Waschzwang leiden? Werden wir uns von allen, die uns nahe kommen wollen, erst einmal Impf- und Reisepass zeigen lassen? Oder werden wir wieder wie früher sorglos das Wagnis menschlicher Nähe eingehen?“
Masken-Mauern
Diese Sorgen haben sich bald darauf noch einmal verstärkt, als mit der Einführung der Schutzmaske eine zusätzliche zwischenmenschliche Barriere errichtet wurde. Ich habe mehrfach versucht, einer undifferenzierten Maskenpflicht mit rationalen Argumenten beizukommen – zuletzt in dem Beitrag Kritik des pauschalen Vermummungsgebots, in dem ich die neun wichtigsten Argumente dagegen zusammengefasst habe.
Der irrationale Wunsch, sich mit der Maske quasi gegen das Virus abzuschotten, ist aber einfach zu stark. So wird zum einen die Wirkung der Maske untergraben: Menschen brauchen nun einmal Sauerstoff. Wer es mit der Maskenpflicht übertreibt, leistet deshalb selbst Ausweichstrategien Vorschub, die die Wirkung der Schutzmaske konterkarieren.
Zum anderen führt die Ausblendung der Nebenwirkungen einer monatelangen Verschleierung aber auch dazu, dass der Weg zurück in ein vertrauensvolles Miteinander erschwert wird. Hiergegen habe ich vor allem in meinen literarischen Miniaturen angeschrieben, die im Literarischen Corona-Tagebuch zusammengefasst sind. Ein Text beschäftigt sich auch mit den Langzeitfolgen der Maskenpflicht. Zu der Zeit nach der Aufhebung der Maskenpflicht heißt es darin:
„Zwar haben alle die blauen Schleier abgelegt, die bis vor kurzem ihre Gesichter verdeckt hatten. Die Gesichter aber sind nicht mehr dieselben. Die Schleier haben sich ihren Zügen eingebrannt, auch unbedeckt wirken die Gesichter maskiert. Keine Regung zeigt sich auf ihnen, die Lippen sind fest verschlossen, eine heruntergelassene Schranke, die jeden Fremden abwehrt. (…) Ein jeder erzittert vor der Existenz des anderen. Ein jeder ist für den anderen eine lebensgefährliche Bedrohung. Niemand kennt mehr einen schlimmeren Feind als den, der seine Nähe sucht.“
Das Virus des Totalitarismus
Auch mein zweiter Post zum Coronavirus, Das Virus des Totalitarismus, kreiste um einen Aspekt, der mich bis heute beschäftigt: die Frage, inwieweit die Vollmachten, die der Staat sich im Zuge der Pandemiebekämpfung ausstellt, dauerhaft die Etablierung autoritärer, wenn nicht gar totalitärer Strukturen begünstigen können.
Damals beruhte die Furcht vor einem solchen Szenario zunächst nur auf einem diffusen Unbehagen; auf der abschreckenden Wirkung der zunehmenden Polizeipräsenz auf den Straßen und der Tatsache, dass plötzlich auch die banalsten Dinge unter Verbotsverdacht standen.
Später hat sich diese Empfindung mehr und mehr konkretisiert. Die Augen geöffnet haben mir insbesondere Überlegungen des französischen Philosophen Michel Foucault. Dieser hat den Anspruch des frühneuzeitlichen Staates, alle in seinen Grenzen lebenden Menschen einer bestimmten Norm zu unterwerfen, auf die Bekämpfung der großen Seuchen – der Pest und der Lepra – zurückgeführt (vgl. den Post Die Geburt des autoritären Staates aus dem Geist der Seuchenbekämpfung).
Die Mechanismen der Ein- und Ausschließung, die in diesem Zusammenhang entwickelt worden sind, standen nach Foucault am Anfang der Entwicklung all jener Sondereinrichtungen und Besserungsanstalten, in denen die Unangepassten „passend“ gemacht werden sollten: der „Zucht“-Häuser und Gefängnisse, der Spitäler und Psychiatrien, der Schulkasernen und der Arbeitshäuser.
Befeuerung von Fremdenfeindlichkeit
Etwas überraschend war es für mich, bereits in meinem ersten Post zum Coronavirus die folgenden Worte zu finden:
„Schon jetzt ist ja zu beobachten, dass die allgemeinen Tendenzen einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und einer Abschottung nach außen durch das Virus verstärkt werden. Menschen mit asiatischen Gesichtszügen – und bald wohl auch Menschen mit italienisch klingenden Namen – werden gemieden. Flüchtlinge, die schon vor der Krise von rechtsextremer Seite als ‚Mikrobenschleudern‘ diffamiert worden sind, erscheinen nun erst recht suspekt.“
Früher als ich im Rückblick gedacht hätte, wurde „das“ Fremde also auch in diesem Fall mit „den“ Fremden identifiziert. Auch diese Tendenzen haben sich seitdem leider immer weiter verstärkt.
Bestes Beispiel dafür sind die Grenzschließungen bzw. massiv erschwerten Grenzüberquerungen, die ebenfalls jeder rationalen Grundlage entbehren: Warum soll ein Grenzhüpfer von Salzburg nach Freilassing eher für eine Verbreitung von Viren sorgen als eine Reise von München nach Berlin?
Indem unreflektiert dem Impuls nachgegeben wird, alles Ausländische als „unrein“ abzuqualifizieren, zeigt sich, dass all das Gerede vom zusammenwachsenden Europa tatsächlich nichts anderes war als – Gerede. Das Misstrauen, das nun wieder gegeneinander gesät wird, ist ein gefährlicher Nährboden für Rechtspopulismus und -extremismus. So laufen wir Gefahr, durch die Corona-Politik mehr zu zerschlagen, als die Weltkriege und Totalitarismen des 20. Jahrhunderts zerstört haben.
Kafkaeske Bürokratie
„Richte deine Waffen immer ausschließlich gegen deinen Gegner. Vergiss nie, dass diejenigen, die ihm zum Opfer zu fallen drohen, deinesgleichen sind. Auch ein Freund, den dein ärgster Feind zur Geisel nimmt oder mit seinen Armeen umstellt, bleibt dein Freund.“
Diesen Ratschlag verdanke ich Meister Yoda, den ich zu einem späteren Zeitpunkt der Pandemie interviewt habe (vgl. Corona-Yoda). Auch hier muss man leider feststellen: Die Entwicklung ist in die entgegengesetzte Richtung gegangen.
Die Corona-Politik ist eben nicht darauf ausgerichtet, den Menschen zu helfen. Stattdessen wird jeder Einzelne als potenzielle Virenschleuder behandelt und bekämpft.
Die Folge ist ein Wirrwarr an ständig wechselnden Vorschriften, die oft weniger der Eindämmung des Virus als der Einschränkung persönlicher Freiheiten dienen. Das bürokratische Labyrinth ist dabei im Kern kafkaesk: Wie die Helden in Kafkas Romanen ist jeder Bürger zunächst einmal schuldig und muss sich durch den Dschungel undurchsichtiger Regelkataloge und zielloser Hotlines kämpfen, um seine Unschuld zu beweisen.
Wenn alles potenziell verboten ist, so führt dies zu einer massiven Verunsicherung der Bevölkerung. Alle schleichen mit eingezogenem Kopf durch den Alltag und trauen sich buchstäblich kaum noch frei zu atmen. Öffentliche Steinigungen von Abweichlern (wie im Falle der Aktion „allesdichtmachen“) tun ein Übriges, um den allgegenwärtigen Anpassungsdruck zu verfestigen.
Die zur Regel werdende Unberechenbarkeit staatlichen Handelns, verbunden mit ungeschriebenen Normen für erlaubte und unerlaubte Meinungsäußerungen, ist aber schon mehr als eine Vorstufe totalitärer Strukturen – sie ist bereits der erste Schritt zu ihrer Errichtung.
Abschüssige Zugfahrt ohne Notbremse
So ergibt sich bei vielem das Gefühl, in einem Zug zu sitzen, der in die falsche Richtung fährt. Er fährt und fährt, er wird immer schneller, aber es ist nirgendwo eine Notbremse zu finden. Du weißt, dass du nicht mehr derselbe sein wirst, wenn der Zug sein Ziel erreicht. Aber bei voller Fahrt abzuspringen, ist auch keine Lösung. Dafür ist der Zug viel zu schnell.
Also bleibt dir nichts anderes übrig, als aus dem Fenster zu schauen und abzuwarten. Den Blick fest in die Ferne gerichtet, hoffst du auf irgendein Zeichen am Horizont, an dem deine Gedanken vor Anker gehen können. Auf einen Hafen, der wenigstens deinem Geist eine Zuflucht bietet, wenn schon dein Körper hilflos den Zurichtungen der Höllenfahrt ausgesetzt ist
Bild: Stefan Keller: Zeit (Pixabay)
Ein Rückblick, er es in sich hat. Danke, es ist immer gut, wenn man einen Bekannten im Zug findet, der in den Abgrund rast. Man fühlt sich weniger allein. 😉
LikeGefällt 2 Personen
Und plötzlich erinnere ich mich an den Tunnel von Dürrenmatt…
Prima geschrieben, wie immer!
LG vom Lu
LikeGefällt 2 Personen
ja, an den dachte ich auch.
LikeGefällt 2 Personen
🐻
LikeLike
Die Zitate sprechen mir aus dem Herzen. Ich habe auch die verlinkten Texte mit Interesse gelesen. Besonders frappierend fand ich die Zusammenhänge zwischen „Seuchenbekämpfung“ und autoritärem Staat. Leider denken nur wenige Menschen nach. Völlig unreflektiert begrüßen sie entweder auch die unsinnigsten Maßnahmen oder behaupten, es gäbe keine Pandemie.
LikeGefällt 1 Person