Scharnierblick 2021/22: 6. Klimaschutz

Der Klimaschutz wäre eine wichtige Sache – wenn es beim Klimaschutz auch um den Klimaschutz gehen würde.

Top-Thema nach Corona

Um den Klimaschutz war es im Zuge der Coronakrise ein wenig ruhiger geworden. Sobald im vergangenen Sommer die Infektionszahlen zurückgingen, rückte das Thema aber wieder in den Vordergrund.

Das ist ja im Prinzip auch richtig so. Die Klimakrise ist in der Tat die zentrale Menschheitsaufgabe unserer Tage, die nur durch einen gemeinschaftlichen globalen zu Kraftakt lösen ist.

Allerdings wird der drohende Klima-Kollaps immer mehr als apokalyptisches Droh-Szenario genutzt, um damit bestimmte wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Dies ist sehr gut an der Werbung zu beobachten, in der immer häufiger Denkfiguren und sogar einzelne sprachliche Wendungen der Klimaschutzbewegung aufgegriffen werden.

Klimaschutz als Marketing-Gag

Letzterer droht es damit nicht anders zu ergehen wie vielen anderen sozialen Bewegungen vor ihr auch. Sobald eine bestimmte Vision hohe gesellschaftliche Akzeptanz genießt, wird sie von der Industrie als Marke aufgegriffen und für die Gewinnoptimierung genutzt.

Von diesem Ökonomisierungsprozess bleibt aber die Vision nicht unberührt. Wenn aus einer Zukunftshoffnung ein Verkaufsargument wird, steht nicht mehr die Vision selbst im Vordergrund, sondern das Wirtschaftswachstum, das durch sie generiert werden kann.

Damit landen wir hier am Ende wieder bei eben jener Wachstumsspirale, die erst zu der gegenwärtigen Klimakrise geführt hat. Nichts symbolisiert das deutlicher als die Windkraft, deren Stahlbetonkolosse ja geradezu ein materieller Ausdruck der Wachstumsideologie sind.

So kann nicht oft genug wiederholt werden, dass die Klimakrise eben nicht durch ein Mehr an Wachstum oder auch nur durch eine Verlagerung des Wachstums auf andere Gebiete der Ökonomie erreicht werden kann. Vielmehr ist dafür ein neues, an Suffizienz und Nachhaltigkeit orientiertes Denken und Handeln notwendig.

Konkrete Klimaschutzmaßnahmen

Konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz lassen sich übrigens recht einfach und ohne großen finanziellen Aufwand umsetzen. Hier noch einmal meine persönliche Top-Ten-Liste:

  • Eindämmung der Massentierhaltung und Förderung einer fleischfreien Ernährung. Der Umstieg auf eine vegane oder zumindest ve­getarische Ernährung hätte eine unmittelbar klimaschonende Wirkung. So führt der Anbau von Soja für die Futtermittelindustrie zur vermehrten Abholzung des für den Klima­schutz so bedeutenden Regenwaldes (1). Klimaschädliche Gase entstehen zudem so­wohl durch die Verdauung der Kühe – die mit dem Ausstoß von Methan einhergeht – als auch durch die Düngung der Felder mit dem Kot der Tiere, durch die u.a. das besonders potente Klimagift Lachgas freigesetzt wird (2).
  • Einführung eines durchgehenden Tempoli­mits auf Autobahnen. Deutschland ist das einzige Flächenland in Europa, in dem es kein generelles Tempolimit auf Autobahnen gibt (3). Indem wir uns hier an die Gepflogenhei­ten von Inselstaaten wie den Färöern anpas­sen, machen wir uns zwangsläufig zum euro­päischen Raser-El-Dorado und fördern so den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen (4).
  • Einschränkung des Individualverkehrs zuguns­ten des öffentlichen Personenver­kehrs. Be­reits eine Reduzierung des Kraft­stoffver­brauchs im Verkehr um 14 Prozent würde ebenso viel Energie einsparen, wie alle der­zeit ca. 30.000 deutschen Windkraftanla­gen liefern (5).
  • Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Die von Flug­zeugen emittierten klimaschädlichen Gase entfalten gerade dort, wo die Flugzeuge sie ausstoßen, die verheerendste Wirkung: in luftiger Höhe. So sind Flugzeuge für schät­zungsweise fünf Prozent der klimaschädli­chen Emissionen verantwortlich (6).
  • Einführung eines Tempolimits im Schiffsverkehr. Das in der Schifffahrt verwendete Schweröl, ein Abfallprodukt der Erdölgewinnung, ist besonders umweltschädlich und schlägt mit rund 3 Prozent der jährlichen globalen CO₂-Emissionen zu Buche (7). Neben einem langfristigen Umstieg auf emissionsarme Antriebstechniken lässt sich als Sofortmaßnahme auch ein Tempolimit auf See einführen. Da die Emissionen exponentiell ansteigen, könnte schon eine vergleichsweise geringe Geschwindigkeitsreduzierung um 30 Prozent zu einer Einsparung von 60 Prozent des Schadstoffausstoßes führen. Bei hohen Treibstoffpreisen würden sogar die Reedereien von der Maßnahme profitieren, da bei einer reduzierten Geschwindigkeit weniger Treibstoff benötigt wird (8).
  • Erhöhung der Recycling-Quote. Durch eine Verdreifachung der Recycling-Quote bei der Rohstoffnutzung von derzeit 14 auf über 40 Prozent ließe sich ebenso viel Kohlendioxid einsparen wie durch den gesamten Bereich der Erneuerbaren Energien (9).
  • Einschränkung der Smartphone-Nutzung, Eindämmung der Gaming-Industrie. Kaum etwas ist so energieintensiv wie die Produk­tion von Silizium für die Speicherchips (10) und die Kühlung der Server.
  • Intensivierung der Kraft-Wärme-Kopplung und der Abwärme-Nutzung.  Die verstärkte Investition in die Nutzung der Abwärme von Häusern sowie insbesondere von Industrie­anlagen würde gleichzeitig  zur  Schadstoffreduzierung  und  zur  emissionsarmen Ener­gierückgewinnung beitragen (11).
  • Verstärkter Einsatz von Carbon anstelle von Stahl. Der Beton, mit dem Stahl zum Schutz vor Korrosion ummäntelt wird, besteht zu einem großen Teil aus Zement. Bei der Zementherstellung werden jedoch große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt. Insgesamt kommen so 5 bis 8 Prozent der weltweiten Emissionen des klimaschädlichen Gases zustande. Eine klimafreundliche Alternative ergibt sich durch die Nutzung von Carbon statt Stahl. Denn Carbon rostet nicht, so dass es bei der Nutzung als Baumaterial mit weniger Beton umhüllt werden muss. Dadurch wird hier auch weniger Zement benötigt und folglich weniger Kohlendioxid emittiert (12). Für neue Baumaßnahmen wäre folglich die Nutzung dieses Baustoffs vorzuschreiben.
  • Ideologiefreie Förderung der Forschung zu alternativer Energieerzeugung. Die Intensi­vierung der Forschung zu alternativer Ener­giegewinnung könnte dazu verhelfen, die be­reits vorhandenen Möglichkeiten zu verbes­sern und weitere Möglichkeiten zu entde­cken. Hierauf hat Enoch zu Guttenberg, Dirigent und engagierter Umweltschützer, bereits 2017 in ei­ner von ihm und anderen herausgegebenen Aufklärungsschrift hingewiesen:

„Würden allein die den öffentlichen Haushal­ten aus der EEG-Umlage zufließenden Mehr­wertsteuereinnahmen von ca. 5 Milliarden Euro pro Jahr für die Forschung an neuen Energietechnologien eingesetzt, würde dies sehr wahrscheinlich einen Boom in der For­schung auslösen, die einseitige Verengung der Politik auf Windkraft und Photovoltaik beenden und neue Zukunftsfelder und Lö­sungsansätze eröffnen“ (13).

Nachweise

  1. Eine gute Übersicht über den Zusammenhang von Fleischkonsum und Erderwärmung bietet die Alber-Schweitzer-Stiftung: Tierprodukte befeuern Erderhit­zung.
  2. Vgl. Umweltbundesamt: Lachgas und Me­than: Methan ist 25-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid, Lachgas hat sogar das 300-fache Schadenspotenzial von CO₂.
  3. Vgl. die Übersicht auf wikipedia.de: Zulässige Höchstgeschwindigkeit, 1.2.1.
  4. Eine ausführliche Begründung für ein generel­les Tempolimit auf deutschen Auto­bahnen findet sich auf der Website des Ver­kehrsclubs Deutschland: Tempolimit auf Auto­bahnen. Für mehr Verkehrssicherheit und Klimaschutz.
  5. Vgl. Müller-Görnert, Michael: Flugverkehr: Weitreichende Folgen für Umwelt und Gesundheit. Verkehrsclub Deutschland, vcd.de.
  6. Dubbers, Dirk / Stachel, Johanna / Uwer, Ul­rich: Energiewende: Fakten, Missverständ­nisse, Lösungen – ein Kommentar aus der Physik (PDF), S. 4. Heidelberg, 14. Juli 2021: Physikalisches Institut der Universität Heidel­berg.
  7. Reidt, Lutz: Umweltverschmutzer Schifffahrt: Ungelöste Abgasprobleme. Deutschlandfunk (Hintergrund), 25. Juni 2019.
  8. Mrasek, Volker: CO₂-Emissionen: Tempolimit auf See. Deutschlandfunk (Forschung aktuell), 24. Juni 2019.
  9. Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Roh­stoffwirtschaft, hier zit. nach Blees, Chris­tian: Das Müllionengeschäft. Deutschland­funk Kultur (Zeitfragen), 30. Juni 2020.
  10. Hahne, Silke: Lieferengpässe bei Halblei­tern. Die Macht der Mikrochips. Deutschland­funk (Hintergrund), 22. Februar 2021.
  11. Vgl. Kempkens, Wolfgang: Münchner Startup macht aus Fabriken riesige Stromquelle. Wirt­schaftsWoche, 4. Juni 2013; Löfken, Jan Oliver: Mehr Strom aus Abwärme. Deutsche Physikalische Gesellschaft, weltderphy- sik.de, 27. Juni 2016; Urbansky, Frank: Technologien zur Nutzung von Abwärme in Wohngebäuden. Springer Professional, 5. Sep­tember 2018.
  12. Pramer, Philip: Böser Beton: Warum Zement der ge-heime Klimakiller ist. In: Der Standard, 3. Mai 2019; Schneider, Judith (Autorin) / Angres, Volker (Sendungsleitung) / Kessler, Manfred / Wiedemann, Michael (Redaktion): Zement – der heimliche Klimakiller; ZDF / planet e; Sendung vom 13. Mai 2018.
  13. Guttenberg, Enoch Freiherr zu / Solms-Lau­bach, Karl Georg Graf zu u.a.: Goldgrube Windkraftanlage? Eine Schrift zur Aufklärung von Waldbesitzern für Waldbesitzer über wichtige Zusammenhänge der Ökostromför­derung, die jeder von uns kennen sollte; 6. November 2017 (Zitat S. 9). [Die 17-seitige Schrift richtet sich nicht nur gegen die Errich­tung von Windkraftanlagen im Wald, sondern äußert grundsätzliche Kritik an der Wind­energie.]

Beiträge zum Themenkomplex 2021

Das Heilige Windrad als Höllenmaschine. Natur- und klimaschädliche Auswirkungen der Windkraft. Eine Argumentesammlung in Form eines Mini-Glossars. 28. Oktober 2021.

Homo bestialis. Der Schlachthof als moralischer Offenbarungseid. 22. Februar 2021.

Aus einer literarisch-musikalischen Perspektive ist das Thema Natur- und Klimaschutz in den ersten Beiträgen des Musikalischen Adventskalenders auf LiteraturPlanet beleuchtet worden:

Der Frieden nach dem Weltuntergang. Zu Angelo Branduardis Lied La favola degli aironi (Das Märchen von den Reihern).

Die Weisheit der Natur. Zu dem Lied Мусорный ветер (Mussornij wjetjer – Müllwind) der russischen Band Крематорий (Krematorij).

Die Nabelschnur des Wassers. Zu dem Gedicht Modlitba za vodu (Wassergebet) des tschechischen Dichters Jan Skácel, mit einer Vertonung von Jiří Pavlica & Hradišťan.

Die Rache der Natur. Zu dem Lied Glædur (Die Glut) der isländischen Band Mammút.

Traurige Fortschrittseuphorie. Zu dem Song Pjetschal‘ (Schwermut) von Viktor Tsoj und der Band Kino.

Bild: Andrea Spallanzani: Eisberg bei Sonnenuntergang in der Antarktis (Pixabay; modifiziert)

4 Kommentare

  1. Ein sehr schöner Essai, auch wenn ich gewisse Annahmen nicht teile. Soeben habe ich zu diesem Thema gebloggt: „AKW Grohnde schaltet aus – KKW Heyden schaltet an (= Energiewende „fossil free“)“ (https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2022/01/11/akw-grohnde-schaltet-aus-kkw-heyden-schaltet-an-energiewende-fossil-free/)
    Ansonsten denke ich so über die Sache: https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2021/01/15/der-temperaturanstieg-ist-naturlichen-ursprungs/

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  2. Danke für diesen tollen Beitrag mit konkreten Klimavorschlägen!!!! Mir scheint die undifferenzierte Verengung der Debatte auf Klimaschutz, CO2 und die so genannten „Erneuerbaren“ wirklich darauf hinzudeuten, dass es eher um die Umverteilung von Kapital und um Propaganda geht. Jede Diskussion wird abgewürgt, Skeptiker verunglimpft: Wer das nötig hat, kann offensichtlich nicht durch Argumente überzeugen. Im Kern ist diese Haltung antidemokratisch und „totalitär“. Ich war viele Jahre Mitglied der Grünen. Da ich sehr naturverbunden bin, bin ich ausgetreten. Seitdem wähle ich strategisch und halt das jeweils kleinere Übel auf der linken Seite. Ich bin nur noch entsetzt über die Aussagen und die Politik des „Führungspersonals“. Ich schäme mich diese Partei jemals unterstützt zu haben…und hoffe-man ist ja optimistisch- auf Vernunft und Demokratie.

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