Energiepolitisches Rowdytum

Ein Blick auf die außenpolitischen Auswirkungen der deutschen Energiepolitik

Die deutsche Regierung stellt sich im Ausland gerne als energiepolitischer Musterschüler dar. Hinter der schönen Fassade verbirgt sich aber ein rücksichtsloser Umgang mit den Ressourcen anderer Länder.

Zunahme der Kohleverstromung in Deutschland

Verlagerung der Umweltprobleme in andere Länder

Französischer Atomstrom? Ja, bitte!

Niederländische Erdbeben durch deutschen Gasverbrauch

Deutsche Windenergie: zu Hause gehätschelt, im Ausland gefürchtet

Die Zukunft als grün angestrichene Vergangenheit

Nachweise, Anmerkungen, Links

Zunahme der Kohleverstromung in Deutschland

Die deutsche Energiepolitik erscheint in mehrfacher Hinsicht als pharisäerhaft. Während man sich nach außen hin als Musterschüler präsentiert, werden hinter den Kulissen der Hochglanzprojekte und Feiertagsreden Naturschutz und Menschenrechte mit Füßen getreten.
Dies wird bereits bei einem kurzen Blick auf die deutsche Energiebilanz deutlich. Laut Mitteilung des Statistischen Bundesamts hat die Stromerzeugung aus „konventioneller Energie“ zuletzt nicht etwa ab-, sondern zugenommen. Im ersten Halbjahr 2021 belief sie sich auf 56 Prozent der Gesamtstromerzeugung.
Als Grund dafür wird das windarme Frühjahr genannt. In der Folge hat sich auch der Anteil des aus Kohle gewonnenen Stroms im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel erhöht (1).

Verlagerung der Umweltprobleme in andere Länder

So erweist sich auch der deutsche Kohleausstieg als potemkinsche Show-Politik. Während in Deutschland Kohlebergwerke stillgelegt werden, wird weiterhin Kohle importiert.
In den Ländern, aus denen die Kohle bezogen wird, werden Umwelt- und Gesundheitsschutzauflagen aber viel weniger strikt befolgt als hierzulande. Proteste gegen Umweltzerstörung und Umsiedlungsprojekte für den Braunkohleabbau werden rigoros unterdrückt (2).
Nicht anders sieht es aus, wenn man die für die so genannte Energiewende benötigten Rohstoffe betrachtet. Kobalt (3), Lithium (4), Seltene Erden (5) – der Abbau ist fast immer mit Naturzerstörung und Gesundheitsschäden für die Menschen in den Abbaugebieten verbunden. All das spielt in der deutschen Energiepolitik aber kaum eine Rolle.

Französischer Atomstrom? Ja, bitte!

Pharisäerhaft ist schließlich auch die Haltung der deutschen Regierung zu dem Taxonomie-Ungetüm der Europäischen Kommission.
Offiziell wird aufgeheult, wenn Atomstrom als „nachhaltige“ Technologie zur Förderung des Klimaschutzes eingestuft werden soll. Wenn die deutschen Windkraftanlagen aber mal wieder in einer Flaute nutzlos in der Gegend herumstehen, lässt man sich gerne von der verpönten französischen Atomwirtschaft unter die Arme greifen.
Der Anteil des aus Frankreich importierten Stroms ist zwar zuletzt zurückgegangen. Im ersten Halbjahr 2021 betrug er aber noch immer 4,3 Milliarden Kilowattstunden (6).
Einen Anstieg gab es dagegen bei den Energieimporten aus den Niederlanden zu verzeichnen. Der Grund dafür ist, dass diese zum größten Teil aus Gas bestehen. Dieses aber wird von Deutschland – im Tausch für die Anerkennung des französischen Verlangens, die Atomenergie als „sauber“ anzuerkennen – als nachhaltige Überbrückungsstromquelle auf dem Weg zur Klimaneutralität eingestuft.

Niederländische Erdbeben durch deutschen Gasverbrauch

Eine solche Schönzeichnung der eigenen Energienutzungspraxis ist sowohl in politischer Hinsicht – siehe North Stream 2 – als auch unter Klima- und Umweltschutzaspekten problematisch. In den Niederlanden resultieren daraus zudem erhebliche Gefahren für die Bevölkerung.
Nach Norwegen und Großbritannien sind die Niederlande das Land mit der drittgrößten Gasfördermenge in Europa (7). Lange Zeit hatte das Land seine Erdgasfelder intensiv ausgebeutet. Dies hat zu seismischen Aktivitäten geführt, die die Sicherheit der in der Nähe der Förderstätten lebenden Menschen bedrohen. In der Folge haben die Niederlande einen Ausstieg aus der Erdgasförderung bis 2030 beschlossen.
Anfang des Jahres hat Deutschland jedoch von den Niederlanden eine zusätzliche Erdgaslieferung in erheblichem Umfang verlangt. Dadurch müsste die Förderung – entgegen den ursprünglichen Plänen – sogar deutlich ausgeweitet werden, anstatt sukzessive zurückgefahren zu werden (8).

Deutsche Windenergie: zu Hause gehätschelt, im Ausland gefürchtet

So ist Deutschland in Europa schon seit längerer Zeit als energiepolitischer Rowdy unterwegs. Die Selbstdarstellung als Welt- und Klimaretter kontrastiert schmerzlich mit den realen Auswirkungen der deutschen Energiepolitik.
Die massive Förderung der deutschen Windstromindustrie hat dazu geführt, dass überall in Europa ländliche Gebiete mit Stahlbetontürmen verschandelt werden – bis hin zur Zerstörung von Siedlungsgebieten autochthoner Ethnien, wie der Samen in Norwegen (9).
Eine weitere Auswirkung der Konzentration auf die Windenergie ist die Überlastung der Netze in windreichen Zeiten. Sie hat mittlerweile zum Einbau künstlicher Sperren, so genannter „Phasenschieber“, an den Grenzen geführt. Dies behindert die Entwicklung eines europäischen Strom-Binnenmarktes und untergräbt damit ein Kernelement des einheitlichen Wirtschaftsraums in der EU, nämlichen den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen (10).

Die Zukunft als grün angestrichene Vergangenheit

In vielen Punkten erschwert die deutsche Energiepolitik also gerade das, was sie dem eigenen Anspruch nach fördern will. Sie führt zu einer Abschottung der einzelnen Länder gegeneinander statt zu mehr Zusammenarbeit, zu einer Unterlaufung von Menschenrechtsstandards und zur Förderung oder zumindest Tolerierung von Naturzerstörung.
Was in der Eigenwerbung als nachhaltiges Zukunftsprojekt angepriesen wird, erweist sich somit bei näherem Hinsehen als energiepolitisches business as usual.

  1. Vgl.  Statistisches Bundesamt: Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2021: Kohle wichtigster Energieträger. Pressemitteilung Nr. 429 vom 13. September 2021.
  2. Vgl. Geadah, Kira: Fossile Rohstoffe aus Kolumbien und Russland: Blutkohle für Datteln. Taz, 27. Juni 2020.
  3. Vgl. Staude, Linda: Kobaltabbau im Kongo: Der hohe Preise für Elektroautos und Smartphones. Deutschlandfunk (Hintergrund), 25. Juli 2019.
  4. Vgl. Aigner, Susanne: Tödliche Spuren des weißen Goldes. Tierwelt.ch, 6. Februar 2020 (mit weiteren Links). Boddenberg, Sophia: Lithiumabbau für E-Autos raubt Dörfern in Chile das Wasser. Deutsche Welle, 27. Ja­nuar 2020; Faget, Jochen: Lithium-Krieg in Portugal. Elektroautos und die Folgen. Deutschlandfunk Kultur, 27. Januar 2020; Götze,  Susanne:  Lithium-Abbau  in  Südamerika:  Kehrseite  der  Energiewende.  Deutschlandfunk (Hin­tergrund), 30. April 2019.
  5. Hier ist vor allem Neodym zu nennen, das für die neueren, getriebelosen Windkraftanlagen benötigt wird. Bei seinem Abbau – überwiegend in China – wird Uran freigesetzt, was zur radioaktiven Verseuchung ganzer Landstriche führt. Vgl.: Globalmagazin: Windräder sorgen für radioaktiven Abraum in China (undatiert); Haber, N. / Thöne, I. / Reimers, A. / Adelhardt, C.: Das schmutzige Geheimnis sauberer Windräder; 28.4.2011; Weß, Ludger: Ein Fall für Greenpeace: Windräder produzieren Atommüll. Achgut.com, 30.1.2012. Winkelmann, Edith: Die hässliche Kehrseite des „sauberen“ Stroms. Ruhrkultour, 13. Februar 2014 (mit weiteren Links).
  6. Vgl. Statistisches Bundesamt (s. 1).
  7. Vgl. Globales Energie- und Klimastatistik-Jahrbuch 2021: Erdgasförderung. Statistik für das Jahr 2020.
  8. Vgl. Schweighöfer, Kerstin: Unruhe in Groningen: Niederlande in Sorge wegen höherer Gasnachfrage aus Deutschland. Deutschlandfunk (Europa heute), 13. Januar 2022.
  9. Vgl. Wolff, Reinhard: Bauprojekt bedroht indigene Kultur: Windpark versus Lebensraum. Taz, 6. August 2020. Nachdem die Missachtung der samischen Kultur beim Bau von Windkraftanlagen bereits von den Vereinten Nationen kritisiert worden war, hat eine samische Klage vor dem Obersten Gericht Norwegens mittlerweile Erfolg gehabt: Der Bau von zwei der größten Windparks des Landes – mit zusammen 150 Windkraftanlagen – wurde für unrechtmäßig erklärt; vgl. Seliger, Andrea: Norwegen: Samen siegen gegen Windpark – Folgen des Urteils unklar. Polarkreisportal.de, 18. Oktober 2021. In Deutschland sind u.a. die Münchner Stadtwerke am Bau von Windkraftanlagen in Norwegen beteiligt; vgl. Ratzesberger, Pia / Strittmatter, Kai: Ausbau der Windkraft: Warum Norweger gegen Münchens Öko-Strom kämpfen. (Titel in der Druckausgabe: Gegen den Strom). Süddeutsche Zeitung, 3. April 2019.
  10. Vgl. Fischer, Eva / Stratmann, Klaus: Netzausbau: Europas Energie-Binnenmarkt ist ein Experiment mit offenem Ende. Handelsblatt, 18. April 2019.

Bild: Scott Warburton (Rochdale, UK): Zerbrochen (Pixabay)

2 Kommentare

  1. Es ist leider bei dieser wie bei anderen Fragen auch, dass nationale oder regionale Lösungen gesucht werden, wo nur großräumige Lösungen einen Fortschritt bringen könnten. ZB das Abschalten der deutschen Atomreaktoren – ja, ich bin auch gegen den Atomstrom, aber der Alleingang der Deutschen war vollkommen sinnlos, und er verstellt zudem den Blick auf das größere Thema: wie der Energieverbrauch in EUROPA gesichert und langsam heruntergefahren werden kann. Dasselbe auch in der Flüchtlingsfrage: Merkels „humane Geste“ – ja, ich als Mensch verstehe sie, ja, auch ich wünsche mir einen humane Umgang der Menschen miteinander – war politisch völlig daneben, weil der europäische Rahmen nicht abgeklärt und die Folgen nicht bedacht worden waren. Leben wir in einer Europäischen Gemeinschaft oder nicht? Wenn ja, dann müssen Handlungskonzepte ausgearbeitet und angewendet werden, mit denen ALLE europäischen Partner leben können. Sonst wird nur Sprengstoff an die EU gelegt (siehe Brexit, siehe Atombefürworter und -gegner, siehe Außenpolitik, siehe Geldpolitik). Wenn das Handeln nicht mal im „Europäischen Haus“ und oft genug nicht mal zwischen Stadt und Land abgesprochen und koordiniert wird, ist es Blödsinn, über Weltverbesserungsprogramme nachzudenken (Weltflüchtlingsprogramme, Weltklima, Weltfrieden, Weltgesundheit etc). Learning by doing ist in lebenswichtigen Fragen nicht genug. Aber es wäre immerhin ein Schritt, wenn man aus den Fehlentwicklungen lernen würde, um sie nicht zu wiederholen.

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