Ein Kommentar zu den Wahlen im Saarland
Die SPD ist der unbestrittene Sieger der Landtagswahlen im Saarland. Ihre absolute Mehrheit hat sie aber nicht dem Wählerwillen, sondern der Wahlarithmetik zu verdanken.
Verzerrung des Wählerwillens durch die Fünf-Prozent-Hürde
Absolute Mehrheit der Sitze ohne absolute Mehrheit der Stimmen
Besonderheiten der politischen Kultur der Grünen im Saarland
Verhinderung politischer Erneuerung durch die Fünf-Prozent-Hürde
Genosse Zufall zwingt die Genossen, Farbe zu bekennen
Verzerrung des Wählerwillens durch die Fünf-Prozent-Hürde
Einer meiner ersten Posts auf diesem Blog beschäftigte sich vor nunmehr bereits zehn Jahren mit der Fünf-Prozent-Hürde.
Damals bin ich von der Fiktion ausgegangen, dass zwei große Parteien jeweils um die 35 Prozent erhalten, während die kleineren Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Auf diese Weise reichte einer der beiden größeren Parteien ein Drittel der Wählerstimmen zur absoluten Mehrheit.
Als Steigerung dieses Szenarios wäre nur noch denkbar, dass die beiden großen Parteien genau gleich viele Stimmen erhalten und alle anderen Parteien draußen bleiben müssen. Das Ergebnis wäre eine komplette Ausschaltung der Demokratie: Die Wahlarithmetik würde dann den Einparteienstaat in einer Mega-Koalition ohne jede parlamentarische Opposition erzwingen.
Absolute Mehrheit der Sitze ohne absolute Mehrheit der Stimmen
Dieses Szenario ist uns im Saarland erspart geblieben – und wäre durch die ungerade Zahl der Sitze im Parlament auch kaum möglich. Ansonsten kommt das Ergebnis meiner damaligen Fiktion aber recht nahe.
Was man in jedem Fall sagen kann: Die Sperrklausel hat zu einer massiven Verzerrung des Wählerwillens geführt. Zwar bedeuten 43,5 Prozent für eine Partei natürlich, dass die Wahlberechtigten dieser eine größere Rolle in der Politik ihres Landes übertragen möchten. Der Wunsch nach einer Alleinregierung dieser Partei lässt sich daraus aber nicht ableiten.
Bei der jetzigen Wahl im Saarland ist aber genau dies das Ergebnis. Weil gleich zwei der „großen“ kleinen Parteien nur um Haaresbreite an der 5-Prozent-Hürde gescheitert sind, reichen eben auch 43,5 Prozent zur absoluten Mehrheit.
Besonderheiten der politischen Kultur der Grünen im Saarland
Im Fall der Grünen ist das Ergebnis so knapp, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal feststeht, ob das Scheitern an der Sperrklausel auch dem endgültigen amtlichen Endergebnis entsprechen wird. Zudem ist ihr Scheitern maßgeblich einer zweiten grünen Partei – BUNT.saar – zu verdanken, die aus Unzufriedenheit mit den Strukturen des saarländischen Landesverbandes der Partei entstanden ist.
Nun kann man natürlich sagen: Das haben die Grünen sich selbst zuzuschreiben! Die Skandale rund um die Hinterzimmerpolitik des saarländischen Grünen-Patriarchen Hubert Ulrich gingen ja so weit, dass sogar die Landesliste der Partei für die letzte Bundestagswahl wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl von der Bundeswahlleitung für ungültig erklärt worden war.
Dennoch: Hätte man die Mitglieder der neuen sozial-ökologischen Partei gefragt, ob sie mit ihrer Parteigründung die von ihnen vertretene politische Richtung vollständig aus dem Parlament aussperren wollten, hätten sie diese Vorstellung natürlich entrüstet zurückgewiesen. Genau das ist aber jetzt das Ergebnis: Zusammen mit den Stimmen der neuen Partei hätten die Grünen die Fünf-Prozent-Hürde locker übersprungen.
Verhinderung politischer Erneuerung durch die Fünf-Prozent-Hürde
So sagt die Wahlarithmetik den Wahlberechtigten hier de facto: Entweder du findest dich mit den verkrusteten Strukturen deiner Partei ab – oder du musst deine politischen Ideale außerhalb des Parlaments vertreten. Anstatt politischen Wandel zu fördern, wird er auf diese Weise unterminiert.
Warum gibt man einer an der Sperrklausel gescheiterten Partei also nicht die Gelegenheit, ihre Stimmen auf eine größere Partei zu übertragen – gegen eine entsprechende Vereinbarung, die eine entsprechende Berücksichtigung von Inhalten und Personal des kleineren Partners vorsähe? Auf diese Weise könnte das Neue organisch in das Alte hineinwachsen und als eine Art Frischzellenkur wirken, anstatt zugunsten eines lähmenden Weiter-so des Parlamentes verwiesen zu werden.
Der Biergarten als Wahlfaktor
Bei einem so knappen Scheitern wie jetzt im Fall von FDP und Grünen kommt aber noch etwas anderes zu: der Zufallsfaktor. Die Vorstellung, dass die Zusammensetzung eines Parlaments für die nächsten fünf Jahre davon abhängt, ob ein paar mehr oder weniger Wahlberechtigte einen schönen Frühlingstag lieber im Biergarten statt in einem stickigen Wahllokal verbringen, ist schwer erträglich.
Genosse Zufall zwingt die Genossen, Farbe zu bekennen
Selbst für die Genossen muss die absolute Mehrheit, die ihr Genosse Zufall in den Schoß gelegt hat, nicht unbedingt von Vorteil sein. In der Vergangenheit konnte sich die SPD im Saarland immer hinter dem breiten Rücken der CDU verstecken. Das lieferte für jede Verzagtheit die passende Entschuldigung: Wir würden ja gerne konsequenter Reformen umsetzen – aber leider, die CDU …
Diese Entschuldigung fällt nun weg. In der kommenden Legislaturperiode gibt es für die SPD nur noch eine einzige Messlatte: ihr eigenes Wahlprogramm. Jetzt steht sie in der Pflicht, dieses konsequent umzusetzen. Nicht der Wahlarithmetik, wohl aber dem demokratischen Geist würde es dabei allerdings entsprechen, die so denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Parteien in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Ausführlicher Post zur Fünf-Prozent-Hürde: Mehr Demokratie wagen. Plädoyer für die Abschaffung der 5 %-Hürde
Als ich gelesen habe, dass die Schuldemacher-FDP, die einstige SED und die naturzerstörerischen Grünen unter 5% geblieben sind, war ich zum ersten Mal in meinem Leben froh über die 5%-Hürde. Von mir aus hätten die AfD, die CDU und die SPD auch noch drunterbleiben können.
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Gute Analyse des Wahlsystems. Das Saarland ist allerdings ein spezieller Fall. Selbstzerstörung ist so eine Art Volkssport in den „kleinen“ Parteien. Die FDP war halt ein bisschen blass. Aber ich kann dem Text generell zustimmen. Diese Hürde nimmt einen auch etwas den Mut, eine eigene Partei zu gründen.
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