Das Bürgergeld: eine Totgeburt

Notwendig wäre stattdessen die Einführung eines „Würdeminimums“

Das neue „Bürgergeld“ ist am Ende nichts als ein Etikettenschwindel. An die Stelle des verheißenen Paradigmenwechsels in den Beziehungen zwischen Regierten und Regierenden ist eine bloße Umstrukturierung der staatlichen Leistungen getreten.

Das Ende einer Utopie

Entzogenes Vertrauen

Propagandistischer Etikettenschwindel

Orientierung am Würde- statt am Existenzminimum

Veränderter Arbeitsbegriff

Umstrukturierung des Gehaltsgefüges

Finanzierung des Würdeminimums

Das Ende einer Utopie

Es war einmal eine Utopie. Sie ging von einem Menschenbild aus, das auf dem Glauben an die Phantasie, die Kreativität und die Eigeninitiative der Einzelnen beruhte.

Diese Utopie bedeutete, dass Menschen in Notlagen die nötige staatliche Unterstützung gewährt werden sollte, damit sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Diese Unterstützung wäre sowohl materieller als auch emotionaler und sozialer Natur. Finanzielle Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts sollten durch Ermutigung zum Beschreiten eigener Wege und durch Tipps für die Umsetzung des neuen Lebenswegs ergänzt werden.

Diese Utopie hieß: bedingungsloses Grundeinkommen. Sie setzte auf eine Stärkung der Persönlichkeit statt auf deren Brechung durch bürokratische Vorschriften, auf Autonomie statt auf paternalistische Gängelung.

Entzogenes Vertrauen

Der Kern dieser Utopie lautete: Vertrauen. Entscheidend war, dass der Staat den Einzelnen wieder mehr Vertrauen entgegenbringen sollte, anstatt stets misstrauisch darüber zu wachen, dass die gewährten Unterstützungsleistungen auch in seinem Sinne verwendet werden.

Bei dem neuen „Bürgergeld“, einem Vorzeigeprojekt der Ampel-Koalition, war von dieser neuen Qualität der Beziehungen zwischen Regierten und Regierenden ohnehin nur eine Schwundform übriggeblieben. Ein halbes Jahr lang sollte sie – als so genannte „Vertrauenszeit“ – die Basis für den Umgang des Staates mit den Unterstützten bilden. Sechs Monate lang sollten diese im Falle der Erwerbslosigkeit ihr Leben selbst in die Hand nehmen und frei nach neuen Wegen suchen dürfen, ohne ständig das Damoklesschwert von Leistungskürzungen über ihrem Haupt zu fühlen.

Es ist deshalb bezeichnend, dass selbst diese Schwundform der Utopie aus dem endgültigen Gesetzentwurf zum Bürgergeld gestrichen worden ist. Damit bleibt von dem großen Wurf am Ende nur eine bürokratische Umstrukturierung der staatlichen Leistungen übrig.

Propagandistischer Etikettenschwindel

Das „Bürgergeld“ ist so letztlich nur ein weiteres Beispiel aus der langen Reihe propagandistisch aufgeladener Selbstbelobigungen der Regierenden.

Irgendwann muss irgendeine PR-Agentur den Ministerien geraten haben, ihre Gesetze nicht mehr mit Wortungetümen zu bezeichnen, sondern sie für „positive Botschaften“ zu nutzen. So spricht man nun eben vom Rüstige-Rentner-Gesetz, wenn man die Renten um ein paar Cent erhöht, und vom Fröhliche-Familien-Gesetz, wenn die Elternzeit um ein paar Tage verlängert wird.

Auf diese Weise lässt sich trefflich verschleiern, dass sich an den obrigkeitsstaatlichen Beziehungen zu den Menschen im Lande nichts ändert und dass echte Strukturreformen ausbleiben.

Orientierung am Würde- statt am Existenzminimum

Was wir statt eines „Bürgergelds“, das diesen Namen kaum verdient, bräuchten, wäre ein echter Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der staatlichen Leistungen. Dafür müssten diese erstens stärker auf der Basis eines grundsätzlichen Vertrauens in die Eigenverantwortung der Unterstützten gewährt werden. Zweitens dürften sie sich nicht mehr am Existenzminimum orientieren – also lediglich auf das Abdecken der vegetativen Grundbedürfnisse abzielen –, sondern an einem „Würdeminimum“.

Dies würde bedeuten, dass allen ohne Ausnahme ein Anspruch auf Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft zugestanden und dieser Anspruch auch materiell eingelöst wird. Dadurch würde sich natürlich auch der Arbeitsbegriff grundlegend verändern.

Die Einführung eines Würdeminimums hätte zur Konsequenz, dass es für niemanden mehr einen Grund gibt, entfremdende oder gesundheitsschädliche Erwerbstätigkeiten auszuführen. Die Folge wird sein, dass man diese Tätigkeiten nur noch als das bezeichnet, was sie sind: eben als reine Erwerbstätigkeiten, die dann von persönlich bereichernden Arbeitstätigkeiten und dem Engagement in Vereinen und Nichtregierungsorganisationen abgegrenzt werden.

Veränderter Arbeitsbegriff

Da es dennoch auf absehbare Zeit eine Reihe von Tätigkeiten geben wird, die nicht den Kriterien idealer Arbeit entsprechen, im Interesse eines funktionierenden Gemeinwesens aber dennoch ausgeführt werden müssen (Müllabfuhr, Straßenbau, untergeordnete Verwaltungstätigkeiten …), werden zum einen die finanziellen Anreize hierfür erhöht werden müssen. Zum anderen wird es notwendig sein, die entsprechenden Tätigkeiten stärker zeitlich zu begrenzen, um den Betreffenden mehr Freiräume für andere, der Selbstentfaltung dienende Tätigkeiten zu eröffnen.

Auf diese Weise würde dann auch der stigmatisierende Charakter der entsprechenden Tätigkeiten entfallen. Denn dann könnte niemand mehr mit seiner Erwerbstätigkeit identifiziert werden. Es gäbe keine „Müllmänner“ oder „Putzfrauen“ mehr, sondern nur noch Menschen, die sich dankenswerterweise von Zeit zu Zeit in den Dienst der Gemeinschaft stellen, um deren Dreck wegzuräumen.

Dafür würden diese Menschen dann einen Lohn erhalten, mit dem sie sich Dinge leisten können, die sich vom Würdeminimum nicht finanzieren lassen – wie etwa ein neues Auto oder eine längere Reise. Gleichzeitig würde ihnen dies auch den nötigen Freiraum verschaffen, sich durch entsprechende Fortbildungen für andere Tätigkeiten zu qualifizieren.

Umstrukturierung des Gehaltsgefüges

Das Würdeminimum würde damit nicht nur zu einer neuen Sicht auf die ausgeführten Tätigkeiten führen. Es hätte auch zwangsläufig eine stärkere Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zur Folge. Denn diejenigen, die einer erfüllenden Tätigkeit nachgehen dürfen, müssten dann ja nicht noch zusätzlich durch ein besonders hohes Gehalt belohnt werden. So käme es hier zu einer Abschmelzung, während umgekehrt bei bislang unterbezahlten Tätigkeiten das Gehaltsniveau angehoben würde.

Natürlich müsste dabei auch der Aspekt der Verantwortung berücksichtigt werden, den jemand durch seine Tätigkeit auf sich nimmt. Dies würde allerdings nicht notwendigerweise bedeuten, dass etwa eine Tätigkeit im Management automatisch mit einer höheren Gehaltsstufe einhergeht. Schließlich hat auch ein Klomann eine große Verantwortung zu tragen, da von der gründlichen Ausführung seiner Arbeit ja die Gesundheit der Toilettenbenutzer abhängt.

Zusätzlich zu den finanziellen Anreizen bei der Übernahme gemeinschaftsdienlicher, aber nicht persönlich bereichernder Tätigkeiten müsste das Würdeminimum auch von einem Bonussystem für ehrenamtliches Engagement begleitet werden. Dies würde die Kreativkräfte der Einzelnen anregen und sie ermutigen, neue Formen des sozialen Miteinanders und der gegenseitigen Unterstützung auf den Weg zu bringen (Fahrdienste für alte Leute, Repair Cafés, Tauschbörsen etc.).

Finanzierung des Würdeminimums

Um die Aufnahme bezahlter Tätigkeiten nicht zu behindern, müsste die Steuerprogression bei Einführung eines Würdeminimums entsprechend niedrig angesetzt sein. Liegt das Würdeminimum bei 1.000 Euro, dürfte ein Zusatzverdienst von 500 Euro maximal mit 10 Prozent besteuert werden. Dafür würden bei höheren Zugewinnen dann auch entsprechend höhere Steuern anfallen.

Finanziert werden könnte das Würdeminimum zum einen aus diesen Steuererhöhungen. Zum anderen würden durch seine Einführung aber auch zahlreiche Verwaltungskosten entfallen, wie sie bei dem aktuellen System für die Berechnung und Auszahlung der einzelnen Sozialleistungen sowie für die administrative „Betreuung“ der Empfänger erforderlich sind.

Nicht zu unterschätzen ist zudem das innovative und damit auch materielle Potenzial, das sich aus der Freisetzung der Kreativ- und Initiativkräfte der Einzelnen durch die Einführung des Würdeminimums ergeben würde.

Bild: Gerd Altmann: Daumen runter (Pixabay); leicht verändert

2 Kommentare

  1. Ihre Gedanken zielen auf einen ganz anderen Gesellschaftsentwurf. Ich fürchte: alle idealistischen, künstlerischen Menschen setzen gar nicht so sehr auf staatliche Hilfen. Sie gehen nicht auf Behörden und beantragen alles Mögliche. Leider sind hier oft Leute besonders „findig“, die nur ihren Vorteil sehen. Hier wäre in der Tat so etwas wie das Grundeinkommen, wie sie es hier beschreiben, nützlich. Das Bürgergeld bleibt einfach in der Logik einer kapitalistischen Gesellschaft .. und mit dem Kompromiss ist es dazu noch ein Etikettenschwindel.

    Gefällt 1 Person

Schreibe einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s