Das Verhandlungsphantom

Über eine Luftschlossdebatte beim Krieg gegen die Ukraine

Verhandlungen mit Russland? Ja – aber nur unter drei Voraussetzungen. Ohne deren Beachtung ist der Fortbestand einer menschenrechtsbasierten Weltordnung unmöglich.

Immer wieder taucht die Forderung auf, der Krieg in der Ukraine solle auf dem Verhandlungsweg beendet werden. Dabei wird zumeist außer Acht gelassen, dass es dafür – abgesehen von der unabdingbaren Zustimmung der Ukraine – drei Grundvoraussetzungen gibt:

1.     Sofortiger, vollständiger Rückzug der russischen Truppen von dem Territorium der Ukraine, verbunden mit einer uneingeschränkten Anerkennung der Souveränität der Ukraine.

2.     Bereitschaft Russlands zu Wiedergutmachung: Reparationszahlungen zur Wiederherstellung beschädigter Infrastruktur und zum Wiederaufbau der Städte, Rückführung der aus der Ukraine verschleppten Kinder, Traumatherapien und Rentenzahlungen für die Opfer etc.

3.     Einwilligung Russlands zur Aufarbeitung der im Zusammenhang mit dem Krieg begangenen Verbrechen, einschließlich der Überstellung der Verantwortlichen an unabhängige Gerichte.

Dass die russische Regierung diesen Forderungen zustimmt, ist so gut wie ausgeschlossen – zumal dies bedeuten würde, dass die Machthabenden sich selbst an die Justiz ausliefern müssten.

Wer dagegen „Verhandlungen“ im Sinne früherer Eroberungskriege versteht, Russland für ein Ende des Blutvergießens mit Gebietsgewinnen belohnen und über die begangenen Gewalttaten großzügig hinwegsehen möchte, muss sich darüber klar sein, dass dies das Ende des Ideals einer menschenrechtsbasierten Weltordnung bedeuten würde. All die Institutionen, die zur Annäherung an dieses Ideal geschaffen worden sind, wären dann nur noch eine Fassade, ein Blendwerk, mit dem die Stärkeren den Schwächeren die Existenz einer nicht auf dem Recht des Stärkeren basierenden Weltordnung suggerieren könnten.

Die wahre Weltordnung, die bei einem Hinwegsehen über die russischen Verbrechen gelten würde, hätte folgendes Aussehen:

1.     Menschenrechte sind nur von lokaler Bedeutung. Sie sind ein Luxusgut, auf das nur diejenigen Anspruch haben, die es sich leisten können.

2.     Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt nur für diejeni­gen, die stark genug sind, es gegen andere zu behaupten.

3.     Nur wer notfalls bereit ist, das Recht anderer auf körperliche Unversehrtheit zu verletzen, kann sein eigenes Recht auf kör­perliche Unversehrtheit bewahren.

4.      Abrüstungskonferenzen dienen dazu, sich in Ruhe für den nächsten Krieg zu rüsten.

5.      Völkerverständigung bedeutet: Verständigung der größeren Völker über die Aufteilung der kleineren Völker, als ihrer na­türlichen Beute.

6.      Vertrauensbildende Maßnahmen sind ein Wiegenlied. Wem dabei die Augen zufallen, der wird im Schlaf getötet.

Es ist ja verständlich, dass der drohende Verlust der eigenen Komfortzone Angstgefühle auslöst. Aber würde eine Kapitulation vor Russland zu deren Sicherung beitragen? Und selbst wenn: Wäre dies den Verzicht auf eine menschenrechtsbasierte Weltordnung wert?

Bild: Stefan Keller (kellepics): Ukraine, Krieg, Frieden (Pixabay)

6 Kommentare

  1. Ich lese grad ein Buch über den 30jährigen Krieg. Schwebt dir so etwas als Alternative zu einer Verhandlungslösung vor, die es im Übrigen sowieso einmal geben wird, ohne dass die Welt untergeht? Grenzen verschieben sich. Ohne Grenzverschiebung gäbe es die Ukraine , Litauen, Polen, Deutschland, Italien, Österreich, Griechenland, Türkei, Israel, gäbe es gar kein Land in seiner heutigen Form.
    Warum sollte es so schlimm sein, wenn die Ukraine Gebiete abtritt, die mehrheitlich von Menschen bewohnt sind, für die eine „Rückeroberung“ tödlich wäre? Ein Friedensvertrag würde die Menschen, die heute in der Ostukraine und der Krim leben (egal welcher sprachlichen, ethnischen, weltanschaulichen Untergruppierung) vor Elend und Tod retten. Warum fragt man sie nicht, was sie möchten?

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    1. Was dabei außer Acht bleibt, ist, dass es Russland gar nicht um die Ostukraine, sondern um die Herstellung der Einflusszonen der Sowjetunion geht und Putin ausschließlich um seinen Machterhalt. Was auch außer acht belibt, sind die ungeheuren Verbrechen, die begangen wurden. Tausende ukrainische Kinder sind nach Russland verschleppt worden, Zivillsiten wurden totgefoltert oder in Massen per Genickschuss ermordet, Krankenhäuser, Wohnhäuser, lebensnotwendige Infrastruktur zerstört. In Russland sitzen tausende in Gefängnissen, weil sie gegen diesen Krieg waren, viele sind geflüchtet. Die Art der Kriegsführung ist brutal und barbarisch . Und was ist mit der Wagner-Truppe und Kadyrews Mördertruppe? – Die haben einfach Spaß an Folter und Mord. Und das Wichtigste : Putin will gar nicht verhandeln. Er braucht und will den Krieg. Seit Jahren betreibt der Kreml eine brutale Militarisierung und Hetze gegen „den Westen“.

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  2. Dein Kommentar lieber Roter Baron, zeigt, dass du die Situation ganz als „Gesinnungsethiker“ (Max Weber) beschreibst: Ist es moralisch geboten, der angegriffenen Ukraine Waffen zu schicken, die Opposition in Russland zu stärken, die Verbrechen des Krieges zu strafen? Ja, selbstverständlich kann man so fragen, und die Antworten ergeben sich dann von selbst. Die „Verantwortungsethiker“ (Max Weber) aber fragen: was für Folgen hat meine Intervention? Sind die Folgen die gewünschten? Werde ich durch Waffenlieferungen etc der Ukraine helfen, die Opposition in Russland stärken, die Kriegsverbrechen ahnden? Oder wird dadurch nicht das russische (und auch das ukrainische( Regime immer rigider, werden immer mehr Menschenrechte mit den Füßen getreten, wird der Krieg immer mehr angeheizt bis zu dem Punkt, wo es kein Zurück mehr von der atomaren Hölle gibt?

    Im übrigen halte ich deine Darstellung der russischen Position gegenüber dem Westen für falsch. Putin braucht den Krieg sowenig wie ich den Kropf. Kriegshetze gegen den Westen hat er nicht getrieben, sondern nur vor den Folgen der NATO-Erweiterung gewarnt. Ich bin davon überzeugt, dass Putin nicht an einer Vereinnahmung der ganzen Ukraine, wohl aber an einer neutralen Ukraine und natürlich an der Krim interessiert ist. Aber das ist nicht mein Thema. Mein Thema ist ausschließlich die Frage, wie der Krieg zu stoppen ist, bevor er sich ausbreitet und sich weiter frisst. Du meinst wohl, man müsse ihn durch massiven Waffeneinsatz austreten. Ich meine, dass Waffenlieferungen Öl ins Feuer bedeuten und dass dies Feuer nicht zu löschen ist, wenn man die Interessen Russlands nicht berücksichtigt,

    Auch ohne Ausweitung ist der Krieg schlimm genug – für alle, die direkt Betroffenen wie auch die indirekt Betroffenen (zB die russischen Inhaftierten).

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    1. Ihre Argumentation schockt mich als oppositionell eingestellte Russin, die in Deutschland lebt und mit großer Sorge auf die Entwicklungen in Russland und der Ukraine sieht:
      1. In Ihrem ersten Statement plädieren Sie dafür, dass wir in die Zeit der Eroberungskriege mit dem Recht des Stärkeren zurückfallen (Grenzen wurden immer schon verändert). Das Völkerrecht, die UN-Menschenrechte sollen wir getrost vergessen. Amnestie für alle Kriegsverbrechen!
      2. Sie sind der Meinung, dass Massenerschießungen von Zivilisten, Folterungen, Vergewaltigungen, die Entführung von Kindern, Zwangsumsiedlungen und Filtrierungslager sowie die Bombardierung von zivilen Zielen (Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser, Infrastruktur) legitime Mittel zur Durchsetzung russischer Sicherheitsinteressen sind.
      3. Von der Wagner-Truppe und Kadyrew und ihren ungeheuren Verbrechen mit Gewaltvideos, in denen Rekruten, die nicht mehr weiterwollen mit einem Hammer erschlagen werden, haben Sie noch niemals gehört.
      3. Sie übernehmen die Narrative der Kreml-Propaganda aus der ersten Phase des Krieges. Diese spielt im russischen Staatsfernsehen schon längst keine Rolle mehr. Da geht es um einen metaphysischen Kampf gegen den „satanischen“ Westen und die Ausrottung der Ukraine und die Auslöschung des ukrainischen Staates. Mein Rat: Schauen sie, wenn möglich, mal russisches Staatsfernsehen. Putin hetzt nicht gegen den Westen???? – Woher nehmen Sie diese Gewissheit. Haben sie jemals in der letzten Zeit – oder überhaupt einmal – russisches Staatsfernsehen geschaut oder in die Twitter-Kanäle des Präsidenten oder von Mjedjedjew geschaut? – Vermutlich nicht. Denn dann könnten Sie an Ihrer Behauptung kaum festhalten.
      4. Sie blenden die Realität in Russland komplett aus. Nein: Den Menschen, die als politische Gefangene in russischen Gefängnissen sitzen oder flüchten mussten, geht es nicht besser, wenn Putin am Ruder bleibt und man ihn für seine unfassbare Skrupellosigkeit und Gewalt belohnt.

      Die Analyse von Rotherbaron ist richtig und was Sie schreiben sieht eher so aus, als seien ausländische Putinisten Ihre Argumentationsquelle oder Sie lebten in irgendeiner intellektuellen Blase ohne Bezug zur aktuellen Situation in Russland. Meinen Sie allen Ernstes, wenn keine Waffen geliefert würden, würde Putin mit dem Krieg aufhören??????- „Putin braucht diesen Krieg nicht!“ schreiben Sie. Warum hat er ihn denn dann begonnen?????? Das ist -sorry- naiv und weltfremd!!! Putin kennt nur Stärke und Schwäche. Er hat über Jahre die russische Zivilgesellschaft zerstört und Oppositionelle ermordet. Er hat das Volk beraubt und zerstört auch sein eigenes Land mit seinen dreisten Lügen. Von welchen „russischen Interssen“ sprechen Sie? Putin ist nicht Russland, so wie der Sonnenkönig nicht Frankreich war. Sie leben in der Zeit des Absolutismus offensichtlich und negieren das Recht der Russen und Ukrainer auf Meinungsfreiheit und Demokratie. Glauben Sie mir: Putin will nicht verhandeln. Und ja: Er braucht diesen Krieg unbedingt!!!! Er wollte und will schon immer Krieg, denn das lenkt von seiner desaströsen Amtsführung, seiner Kleptokratie ab und sichert ihm seine Macht. Seine Aganda ist, als Nächstes Moldawien zu überfallen und immer so weiter. Auch das haben Sie nicht mitbekommen. Er will ein großrussisches Reich und spricht allen ehemaligen Sowjetrepubliken das Existenzrecht ab. Er will den kalten Krieg zurück und er sagt das auch ganz offen. Denn er will (siehe Punkt 1) als großer Eroberer in die Geschichte eingehen. Wer Ohren hat, der höre! Hören Sie ihm zu und begraben Sie Ihren Traum-Putin, den Sie mit einigen deutschen Linken teilen, der aber nicht existiert! Ein Lesetipp: https://www.akweb.de/politik/greg-yudin-in-russland-droht-ein-faschistisches-regime/

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  3. Svetlana kann ich nur zustimmen wie auch dem Artikel von RotherBaron. Warum ignorieren so viele deutsche „Intellektuelle“ die russische (und ukrainische) Realität?- Es sind Vorurteile und Falschannahmen und eine durch und durch ignorante Haltung. Folgendes steht wohl als Grundannahmen mehr oder weniger bewusst dahinter: Putin und Russland sind das Gleiche. Was Putin tut, ist im Interesse Russlands. Die ehemalige Sowjetunion und Russland sind das Gleiche. Im Grunde haben die nun unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken keine Daseinsberechtigung als souveräne Staaten. Slawen sind Sklaven und brauchen weder Demokratie noch Meinungsfreiheit: Deshalb ist ein Diktator wie Putin gut für sie. Slawen sind im Grunde Untermenschen, deshalb macht es nichts, wenn man Tausende von ihnen umbringt, foltert und vergewaltigt um gegen die böse NATO zu kämpfen. In Deutschland gibt es eine Lügenpresse, die den armen Putin schlecht macht. Die gelenkte staatliche Presse im totalitären Russland schreibt dagegen die reine Wahrheit. Ausgeklammert bleibt die entsetzliche Gewalt, die der ukrainischen Zivilbevölkerung und auch den russischen Rekruten angetan wird. Das ist eine Verhöhnung der Opfer entfesselter, unfassbarer Gewalt. Mein Rat: Statt Krone-Schmalz und Alice Schwarzer die Texte unabhängiger, mutiger und oppositioneller russischer Wissenschaftlerinnen, JournalistInnen und Augenzeuginnen lesen. Hier sogar ins deutsche übersetzt: https://www.dekoder.org/

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