Das Schweizer Kabarettkarussell

Ein Blick auf die Entwicklung des deutschsprachigen Kabaretts in der Schweiz

Kabarettgeschichte(n) 15

Für das Schweizer Kabarett hatte der Nationalsozialismus keinen radikalen Bruch in seiner Entwicklung zur Folge. Nach 1945 glichen sich die Entwicklungen jedoch denen in Deutschland und Österreich an.

Insel des politischen Kabaretts während der NS-Zeit

Antifaschistisches Kabarett

Das Cabaret Kaktus: Läppli auf den Spuren Schwejks

Kabarettistisches Feuerwerk in Luzern

Zwischen Satire und Clownerie

Das Kabarett als  Motor der Kleinkunst

Nachweise

Insel des politischen Kabaretts während der NS-Zeit

Anders als in Deutschland und Österreich bewirkten Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in der Schweiz keine Zäsur für die Kabarettbühnen. Stattdessen war das Aus für das politische Kabarett in den Nachbarländern eher ein Anreiz für die Gründung eigener Cabarets.

Am berühmtesten ist wohl das Züricher Cabaret Cornichon, dessen Gründung 1934 auch von der erzwungenen Umsiedlung von Erika Manns Pfeffermühle in die Schweizer Hauptstadt angeregt worden war. Während des Krieges entwickelte sich das Cabaret Cornichon zu einer wichtigen Plattform für kritische Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeschehen. Dass es dabei auch nicht vor Kritik am Nationalsozialismus zurückschreckte, zeigen die permanenten Versuche deutscher Diplomaten, die Schweizer Behörden zum Einschreiten gegen die Programme zu bewegen [1].

Das Cabaret Cornichon brachte zwischen 1934 und 1951 jedes Jahr ein neues Programm heraus. Außer in Zürich trat das Ensemble auch in anderen Schweizer Städten auf. Mit seinen vielen Mundartelementen war das Kabarett eng auf den Schweizer Kontext bezogen. Es stellte „helvetische Befindlichkeiten bloß“, thematisierte aber auch die faschistische Bedrohung. So wurde es zu einer Art „Stütze der geistigen Landesverteidigung“ [2].

Bereits 1949 wandten sich einige Ensemble-Mitglieder vom Cabaret Cornichon ab und gründeten das Züricher Cabaret Federal. Mit seinen stärker auf die Zustände im eigenen Land fokussierten Programmen entwickelte es sich rasch zu einer der wichtigsten Kabarettbühnen der Schweiz [3].

Antifaschistisches Kabarett

Neben dem Cabaret Cornichon waren auch  das Berner Cabaret Bärentatze und das Basler Resslirytti (ein Dialektwort für „Karussell“) bereits während der Zeit des „Dritten Reichs“ aktiv. Letzteres existierte von 1935 bis 1939 und wollte – wie es in einem Programmheft aus dem Jahr 1937/38 heißt – „den Geschehnissen des Tages (…) mit dem Auge des Schweizers“ einen kritischen Spiegel vorhalten [4].

Ebenfalls in Basel gründete Alfred Rasser, der anfangs auch im Resslirytti mitgewirkt hatte, 1943 das Cabaret Kaktus. Wie das Reslirytti ging das Ensemble mit seinen Programmen auch auf Tournee. Für die Texte war neben Rasser größtenteils der Regisseur des Kabaretts, Charles Ferdinand Vaucher, zuständig.

Vaucher war ein überzeugter Antifaschist, dessen Engagement sich nicht auf das Kabarett beschränkte. So setzte er sich aktiv für Verfolgte des Nazi-Regimes bei ihrer Flucht in die Schweiz ein und war im Spanischen Bürgerkrieg vor Ort, um die Öffentlichkeit mit Reportagen über die Verbrechen der Franco-Truppen wachzurütteln.

Das Cabaret Kaktus: Läppli auf den Spuren Schwejks

Nachdem das  Cabaret Kaktus bis 1945 fünf Nummernprogramme auf die  Bühne gebracht hatte, folgte noch im selben Jahr HD[Hilfsdienst]-Soldat Läppli, ein Stück, mit dem Rasser Jaroslav Hašeks Abenteur des braven Soldaten Schwejk für Schweizer Verhältnisse adaptierte. Mit seiner „Einfalt des Herzens, der unbestechlichen Freundestreue und dem unerschütterlichen Glauben an den Sieg der Wahrheit“ sollte der Protagonist, wie es im Programmheft hieß, den Militarismus der Lächerlichkeit preisgeben [5].

Aufgrund des großen Publikumserfolgs machte Rasser seine Figur in etlichen weiteren Stücken zum Protagonisten: 1947 in Demokrat Läppli, 1949 in Weltbürger Läppli,  1958 in Millionär Läppli und 1969 in Zivilverteidiger Läppli.

Durch die Hinwendung zum Schwank näherte sich das Cabaret Kaktus mit der Zeit immer mehr dem Volkstheater an. So wurden nun auch andere Boulevardkomödien auf die  Bühne gebracht, wie etwa 1950 die – im selben Jahr auch von Henry Koster verfilmte – Komödie Mein Freund Harvey von Mary Chase.

Kabarettistisches Feuerwerk in Luzern

Nach 1945 kam es auch in der Schweiz zu etlichen Neugründungen von Kabarettbühnen. In Zürich entstand etwa unter Werner Finck, 1928 Gründer der Berliner Katakombe, das Cabaret Nebelhorn, in Schlieren, ebenfalls im Kanton Zürich gelegen, 1954 das Cabaret Rotstift. Zu einem Zentrum der Kabarettkultur entwickelte sich allerdings Luzern.

Ausgangspunkt der Luzerner Kabarettszene war interessanterweise eine katholische Laienspielgruppe. Unter dem Dach dieser „Spielschar“ der Gemeinde St. Paul leitete Arthur „Thuri“ Müller verschiedene Kabarettprojekte, aus denen später zum Teil eigene Ensembles hervorgingen. Am populärsten wurde dabei das Cabaradiesli um Emil Steinberger und Armin Beele, das nach ersten Auftritten unter dem Namen Gügerüggü 1959 an den Start ging.

Bereits 1955 hatte Josef Elias das Cabaret Allerdings ins Leben gerufen. 1963 folgten Fred Richters Optimisten. Hinzu kamen noch die von Charles Lewinsky initiierten Philister sowie die im Luzerner Umland angesiedelten Kabaratten um Hugo Rindlisberger und das Kabarett Geissle-Zwick mit den Leitfiguren Fritz Meletta und Gottfried Schällebaum [6].

Zwischen Satire und Clownerie

Die Entwicklung in Luzern steht allerdings auch exemplarisch für die allgemeine spätere Entwicklung des deutschsprachigen Kabaretts. So scherte Emil Steinberger schon bald aus dem Flaggschiff der Luzerner Kabarettszene, dem Cabaradiesli, aus und gründete mit dem Kleintheater am Bundesplatz eine eigene Kleinkunstbühne in Luzern, die er als Sprungbrett für eine Solokarriere nutzte. In der Folge entwickelte Steinberger sich zu einem der erfolgreichsten Kleinkunstdarsteller der deutschsprachigen Unterhaltungskultur, dessen Programme auch im Fernsehen ausgestrahlt wurden.

Mit seinen bissigen Parodien der bürgerlichen – insbesondere schweizerischen – Alltagskultur sowie seiner Mitwirkung in Projekten wie dem Film Die Schweizermacher, der 1978 die Einbürgerungskultur der Schweiz auf die Schippe nahm, behielt Steinberger zwar seine kritische politische Haltung bei. Insgesamt bedingte die Ausrichtung auf ein Massenpublikum allerdings gewisse Abstriche bei der künstlerischen Ausgestaltung der Satiren.

Anders als etwa bei dem Österreicher Helmut Qualtinger waren Steinbergers Programme nicht auf Provokation angelegt, sondern sollten zum Schmunzeln über menschliche Schwächen anregen. Aus dem Kabarettisten wurde so immer mehr ein Komiker. Symptomatisch dafür ist Steinbergers Engagement für den Zirkus, zu dem er durch Auftritte im Circus Knie sowie als Regisseur und Finanzier des Circus Roncalli eine enge Verbindung unterhielt.

Das Kabarett als  Motor der Kleinkunst

In seiner Rolle als Kulturmanager hat Steinberger sich allerdings auch intensiv für eine Förderung der Kleinkunstszene eingesetzt. So hat er etwa das Talent des berndeutschen Liedermachers Mani Matter früh erkannt und ihn für ein Engagement in seinem Luzerner Kleintheater verpflichtet.

Matter bildete mit Ruedi Krebs, Jacob Stickelberger, Bernhard Stirnemann, Markus Traber und Fritz Widmer den Kern der Berner Troubadours, einer Gruppe von Liedermachern, die die schweizerdeutsche Musikszene ab Mitte der 1960er maßgeblich prägten.

Nachweise

[1]  Vgl. Gerber, Frank: „Es dürfte hier eingeschritten werden müssen …“ Das Cabaret Cornichon und die Zensur 1939 – 1945. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theater der Nähe. Zürich 2002: Chronos; allgemein zum Cabaret Cornichon vgl. Keller, Peter Michael: Cabaret Cornichon. Geschichte einer nationalen Bühne. Zürich 2011: Chronos.

[2]  Caluori, Rete: Cabaret Cornichon. In: Kotte, Andreas (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, S. 317 f. Zürich 2005: Chronos.

[3]  Vgl. Koslowski, Stefan / Stenzl, Tanja: Cabaret Federal. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 1, S. 318 f.

[4]  Zit. nach Koslowski, Stefan / Stenzl, Tanja: Resslirytti. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Band 3, S. 1482 f. Zürich 2005: Chronos.

[5]  Zit. nach von Allmen, Hans-Ueli / Koslowski, Stefan: Cabaret Kaktus. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Band 1, S. 319 f. Zürich 2005: Chronos.

[6]  Vgl. Lichtin, Christoph: Im Kabarettparadies. Emil Steinberger und die Luzerner Szene. Zentralplus.ch, 25. Juni 2019.

Bilder: Frank Winkler: Karussell (Pixabay); Logo des Cabaret Cornichon (Wikimedia commons); Werbeplakat für die Aufführung des Stücks HD Soldat Läppli – mit seinem Markenzeichen, dem roten Schnurrbart – im Züricher Corsotheater, 1946; Lindi (Entwurf) / Schweizerische Nationalbibliothek; Hans Krebs: Emil Steinberger (links) mit Franz Hohler bei der Arbeit an dem Programm Emil träumt am Züricher Bernhardtheater (Zürich, Bibliothek der Polytechnischen Hochschule / Wikimedia commons); Hans Krebs: Mani Matter in seinem Wohnzimmer in Wabern bei Bern (Februar 1970); Bildarchiv der ETH-Bibliothek Zürich / Wikimedia commons

Beitrag über Fritz Widmer auf LiteraturPlanet:

Das Grauen hinter der Idylle. Zu Fritz Widmers Lied vom Sundig

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