Kabarettistische Balanceakte

Zu den Besonderheiten des Kabaretts in der DDR

Für einen totalitären Staat gab es in der DDR eine überraschend vielfältige Kabarettszene. Diese stand freilich unter strenger Aufsicht des Staates.

Eine vielfältige Kabarettszene

Erzieherischer Auftrag des Kabaretts

Engmaschiges Kontrollnetz

Kritische Anleitung zum positiven Denken

Offene Ohren für eindeutige Zweideutigkeiten

Kabarettistischer Galgenhumor

Das Kabarett als Ermutigung zu kritischem Denken

Eine vielfältige Kabarettszene

Das Kabarett – zumal das politische – ist seinem Selbstverständnis nach eine Äußerungsform des freien Geistes, mit der die bestehenden Verhältnisse kritisch beleuchtet werden. So gesehen, dürfte es in einem autoritären Staat, wie es die DDR zweifellos war, gar kein Kabarett gegeben haben.

27.4.1954: Das Berliner Kabarett Die Distel erhält eine leuchtende Distel

Es mag daher zunächst überraschend klingen, dass es in der DDR in den 1980er Jahren neben ein paar kirchlichen und Untergrundbühnen nicht nur zwölf professionelle Kabarettbühnen gab, sondern zusätzlich hunderte Laien-Ensembles, die im Rahmen betrieblicher Freizeitaktivitäten Kabarettprogramme anboten [1]. Wie kann es in einem unfreien Staat öffentliche Äußerungsformen des freien Geistes geben?

Um die Frage zu beantworten, sollte man sich zunächst vor Augen halten, dass das Kabarett auch in der jungen Bundesrepublik keineswegs so frei war, wie es sich selbst wahrgenommen hat. Die zahlreichen Neugründungen von Kabarettbühnen waren schließlich nur deshalb möglich, weil die westlichen Alliierten – insbesondere die USA – sich davon eine positive Wirkung für ihre Reeducation-Programme versprachen.

Mit dem Kabarett war damit anfangs eine explizit erzieherische Absicht verbunden. Im beginnenden Kalten Krieg wurde diese zudem schon bald mit propagandistischen Elementen verknüpft. So richtete sich bei dem Radio-Kabarett der Insulaner, das der Berliner RIAS (Radio im Amerikanischen Sektor) von 1948 bis 1964 ausstrahlte, ein Großteil der Satiren gegen den ideologischen Gegner im Osten.

Erzieherischer Auftrag des Kabaretts

Vor diesem Hintergrund ist es schon weit weniger erstaunlich, dass das Kabarett in der DDR nach anfänglichem Zögern staatlich gefördert wurde. „Staatlich gefördert“ bedeutete dabei freilich zugleich: staatlich gelenkt. Das Kabarett hatte in der DDR ganz bestimmten, staatlich vorgegebenen Zielen zu dienen. Neben der Kritik am Klassenfeind war dies insbesondere die Unterstützung des Menschenbildes und des Arbeitsethos, wie sie sich aus der realsozialistischen Gesellschaftsordnung ergaben.

In den Worten von Siegfried Wagner, seit 1966 stellvertretender Kulturminister der DDR und seit 1973 auch Präsident des Komitess für Unterhaltungskunst, bedeutete dies, dass das Kabarett seinen „gesellschaftlichen Auftrag bei der Herausbildung sozialistischer Denk- und Verhaltensweisen“ zu erfüllen habe [2]. Dem entsprach auch die das Kabarett betreffende Leitlinie des von Wagner berufenen wissenschaftlichen Beirats für Volkskunst:

„Der Beitrag des Kabaretts besteht hauptsächlich in der satirischen beziehungsweise humoristischen Beleuchtung von subjektiver Nichterfüllung gesellschaftlicher Erfordernisse, beabsichtigt als produktive Kritik, die Denkanstöße und Handlungsimpulse zur weiteren Vervollkommnung des Menschen gibt.“ [3]

Engmaschiges Kontrollnetz

Zur Durchsetzung dieser ideologischen Vorgaben gab es in der DDR ein engmaschiges Kontrollsystem für das Kabarett. Für Laienspielgruppen und professionelle Bühnen waren dabei jeweils unterschiedliche Stellen zuständig.

Laienspielgruppen unterstanden der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Kabarett beim Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig. Sie war für die einzelnen Ensembles sowohl Ansprechpartner bei der äußeren Organisation der Veranstaltungen als auch bei der inhaltlichen Ausrichtung der Programme. Thematische Eckpunkte  waren dabei etwa die „Gestaltung der Arbeiterpersönlichkeit im Kabarett“, das „Kabarett in der sozialistischen Landwirtschaft“ oder „Kabarett und Jugend in der sozialistischen Gesellschaft“ [4].

Bei den professionellen Kabarettbühnen erfolgte die Überprüfung auf Richtlinientreue über ein dreistufiges Kontrollsystem. Dieses sah wie folgt aus:

  1. Durchsicht der Programmvorlage durch den Direktor des Kabaretts, in Zusammenarbeit mit einem dafür abgestellten Parteimitglied;
  • Prüfung  des Programms durch die Bezirksleitung der Partei;
  • Abhaltung der Generalprobe in Anwesenheit eines Parteifunktionärs, der ggf. noch Änderungen einfordern konnte.

Es versteht sich von selbst, dass Improvisationen und spontane Änderungen der Texte bei den Vorstellungen vor diesem Hintergrund strengstens untersagt waren. Selbst versteckte Anspielungen konnten gefährlich sein. Schließlich sah das Strafgesetzbuch der DDR Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für jene vor, die  „in der Öffentlichkeit die staatliche Ordnung oder staatliche Organe“ bzw. „deren Tätigkeit (…) herabwürdig[en]“ [5].

Wer in der DDR auf der Bühne stand oder Texte für das Kabarett verfasste, stand demnach stets mit einem Bein im Gefängnis. Die Folge war die berühmte „Schere im Kopf“, durch die viele sich schon beim Verfassen der Texte Fesseln anlegten.

Kritische Anleitung zum positiven Denken

Es überrascht nicht, dass auch die Selbstbeschreibungen von Repräsentanten des Kabaretts vor diesem Hintergrund wenig aufmüpfig klangen. So kennzeichnet etwa Otto Stark, von 1968 bis zum Ende der DDR Direktor des Ost-Berliner Kabaretts Distel, die Ziele des Kabaretts mit den Worten:

„Wir wollen ein frohes Lachen, das bekanntlich ein Ausdruck der Stärke und Überlegenheit ist.“ [6]

Diese Aussage scheint ganz auf einer Linie mit der offiziellen Zielsetzung für das Kabarett in der DDR zu liegen: Förderung einer positiven Einstellung zum Staat durch moderate Kritik, verbunden mit der Attitüde einer geistigen Überlegenheit gegenüber dem Klassenfeind.

Allerdings muss man bei dieser Deutung zweierlei berücksichtigen. Zunächst einmal war auch in der Bundesrepublik die Grundhaltung des Kabaretts gegenüber dem Staat affirmativ. Die Kritik an Fehlentwicklungen und Mängeln richtete sich auch hier nicht gegen die grundlegende Verfasstheit der Gesellschaft, sondern wollte im Gegenteil die Grundsätze der Verfassung gegen deren mangelhafte Umsetzung zur Geltung bringen.

Auch im Westen zielte das Kabarett zudem auf ein „frohes Lachen“ ab. So ging es dem Düsseldorfer Kom(m)ödchen bei seiner Gründung explizit um eine Ermutigung zum Neuanfang. Dies schloss auch hier gewisse moralische Bedenken und insbesondere einen differenzierten Blick auf die Bedingungen, unter denen dieser Neuanfang zustande kam, aus. In den Worten von Kay Lorentz, dem Mitbegründer des Düsseldorfer Kom(m)ödchens:

„Nicht alle Deutschen waren Nazis und alle Deutschen waren schlecht – und: Auf ein Neues.“ [7]

Offene Ohren für eindeutige Zweideutigkeiten

Der andere Aspekt, der für eine angemessene Bewertung der Worte von Otto Stark berücksichtigt werden muss, betrifft die Diskrepanz zwischen öffentlichem Bekenntnis und künstlerischer Praxis. Natürlich mussten sich die führenden Repräsentanten des Kabaretts in der DDR in ihren öffentlichen Äußerungen zu den von der Partei vorgegebenen Richtlinien bekennen. Wie sie damit in ihrer alltäglichen Arbeit umgingen, stand jedoch auf einem anderen Blatt.

Hier gab es überdies auch Unterschiede zwischen den einzelnen Kabarettbühnen. So galt etwa die Leipziger Pfeffermühle in ihrer Kritik als besonders mutig und bissig. 1964 und 1979 wurden hier auch Programme vollständig abgesetzt und die Direktoren ihrer Ämter enthoben.

Dies zeigt, dass es den Bühnen immer wieder gelang, allen Kontrollversuchen des Staates zum Trotz den Finger in die Wunden der realsozialistischen Mängellisten zu legen. Entsprechend beliebt war das Kabarett in der DDR. Karten waren nur mit viel Geduld zu bekommen und wurden auf dem Schwarzmarkt gehandelt [8].

Kabarettistischer Galgenhumor

Inhaltlich griffen die kritischen Töne der Kabarettbühnen vielfach den Galgenhumor auf, mit dem auch im Alltag der DDR die Diskrepanz zwischen offizieller Schönfärberei und realen Entbehrungen kommentiert wurde. Beispielhaft dafür ist ein Distel-Text:

„Alles hat bei uns zwei Seiten, eine schöne und eine sehr schöne. Den schönen Seiten begegnen wir täglich im Nahverkehr, im Konsum, im Betrieb, den sehr schönen in der Presse.“ [9]

Von ähnlicher Art sind Pointen aus den Pfeffermühle-Programmen. Die Eigenart der DDR-Wirtschaft, devisenträchtige Güter zu exportieren und daheim den Mangel zu verwalten, wurde dort etwa mit den Worten kommentiert:

„Sie wissen ja, warum wir so viele Schlaglöcher haben. Weil wir die nicht exportieren können.“ [10]

Auf die Alltagsentbehrungen nimmt auch eine ironische Umdichtung der berühmten Moritat von Mackie Messser aus Brechts Dreigroschenoper Bezug:

„Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Meine Oma, die hat keene, Zahngold gibt’s für Ostgeld nicht.“  [11]

Das Kabarett als Ermutigung zu kritischem Denken

Derartige Witze bewirkten natürlich keine gesellschaftlichen Veränderungen. Sie hatten – wie bei den Kabarettbühnen im Westen – in erster Linie eine Ventilfunktion. Über gesellschaftliche Missstände zu lachen, half, Druck aus dem Kessel zu nehmen, Unzufriedenheit zu kanalisieren, anstatt sie in soziale Unruhen münden zu lassen.

Dabei bewegten sich die Kabarettbühnen allerdings stets auf dünnem Eis. Gefährlich wurde es für sie immer dort, wo sie die Parteiprominenz direkt angingen. Auch dafür gibt es Beispiele. So machte sich etwa die Pfeffermühle in einem Programm über die Vorliebe von DDR-Volkskammerpräsident Horst Sindermann für Kaviar lustig. In einem anderen Text wurde die mediale Inszenierung eines Besuchs von Erich Honecker bei einem jungen Ehepaar verulkt [12].

Letzteren Programmpunkt wertete die Parteiführung als Grenzüberschreitung – und setzte gleich das ganze Programm ab. Die Kunst der Kabarettbühnen in der DDR bestand demnach darin, die Grenzen so weit wie möglich auszureizen, ohne dabei die eigene Existenz zu gefährden.

Die Wirkung der einzelnen Programme dürfte dabei insgesamt doch über eine bloße Ventilfunktion hinausgegangen sein. Die Bereitschaft der Kabarettbühnen, immer wieder an die Grenzen des Erlaubten zu gehen, war für viele eine Ermutigung, sich im Alltag nicht alles gefallen zu lassen und sich kritisch mit den Vorgaben der Parteiführung auseinanderzusetzen. Schon die bloße Existenz des Kabaretts konnte unter den gegebenen Umständen wie ein Relikt des freien Geistes in einer unfreien Welt empfunden werden.

Nachweise

[1]  Vgl. Pölitz, Hans Günther: Dossier: Kabarett; MDR-Lexikon, 1. Februar 2011.

Eine Aufstellung aller 1989 in der DDR existierenden Berufskabaretts findet sich unter ddr-wissen.de, einem Online-Lexikon zur DDR.

[2] – [6] Zitate ausDer Spiegel:DDR-Kabarett: Frohes Lachen. Der Spiegel 9/1980 (24. Februar 1980; ohne Autorenangabe).

[7]  Kay Lorentz, zit. nach Pfister, Eva: Komödiantisch gegen die Kommodität. Deutschlandfunk, 29. März 2007.

[8]  Vgl. Pölitz, Dossier: Kabarett, (s. 1)

[9] – [12] Zitate ausDer Spiegel:DDR-Kabarett: Frohes Lachen (s.o.).

Beitrag über die Probleme regimekritischer Kunst in der DDR auf LiteraturPlanet:

Zu Hause in der Heimatlosigkeit. Bettina Wegner und ihr Lied Von Deutschland nach Deutschland

Bilder: AxxLC: Schattenspiel (Pixabay); Arbeiter beim Anbringen einer Leuchtreklame für das Berliner Kabarett Die Distel (April 1954); Krueger/Bundesarchiv (Wikimedia commons); Roger und Renate Rössing: Anneliese Wartenberg und Wolfgang Kott bei einem Auftritt des Kabaretts Die Pfeffermühle in der Leipziger Kongresshalle, 1954 (Deutsche Fotothek / Wikimedia commons)

4 Kommentare

  1. Gut geschrieben – aber auch fehlerhaft.

    Ich habe in den 80ern in Leipzig studiert, war einmal pro Woche im Kabarett. Abwechselnd- Akademixer oder eben Pfeffermühle. Karten habe ich immer bekommen.

    Schwieriger war es in den größten Studentenclub Europas, der „Moritzbastei“, zu kommen. Dort habe ich abends an der Bar gearbeitet und kam immer rein. 🙂

    Neben den beiden Kabaretts in Leipzig gab es noch zwei namhafte: Die Herkuleskeule in Dresden und die Distel in Ostberlin. Die beiden habe ich oft auch besucht.

    Ich bin also ein Zeitzeuge, der weiß, worüber er schreibt.

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    1. Danke für die Hinweise und Ergänzungen. Es ist immer schwierig, wenn man sich nur auf Quellen verlassen muss und etwas in einer gewissen Kürze darstellen muss. Mir ging es um die Würdigung des Kabaretts in der DDR.

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