Die Parteien als Wächter über politische Inhalte

Was wir bei den Wahlen nicht wählen können/5

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz. Im politischen Alltag geht aber alle Macht von den Parteien aus. Sie bestimmen auch, über welche Inhalte wir bei den Wahlen abstimmen können – und über welche nicht.

Die Folgen einer parteien- statt inhaltszentrierten Wahl

Alle vier Jahre umschmeicheln die Machthabenden das Volk wie Hunde, die einen fleischbesetzten Knochen umschwänzeln: „Du, Volk“, heißt es dann, „bist der wahre Souverän, du allein hältst die Macht in Händen, du bist es, der uns die Krone in die Hand gibt und sie uns wieder entzieht, wenn wir deinen Ansprüchen nicht genügen!“

Dabei wissen wir natürlich allen Schmeicheleien zum Trotz: Nicht das Volk ist der wahre Souverän in unserem Staat. Die eigentliche Macht geht von den Parteien aus. Natürlich verändern sich die Machtstrukturen im Parlament immer wieder durch die Wahlen. Mal hat die eine Partei mehr Macht, mal die andere. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir eben nicht in erster Linie über Inhalte abstimmen, sondern über Parteien, die für bestimmte Inhalte stehen.

Dies bleibt auch nicht ohne Folgen für die Inhalte. Das Wahlprocedere färbt in spezifischer Weise auf diese ab. Daraus ergeben sich die folgenden Probleme:

Die Wahl als Themenspektrumswahl

Dadurch, dass wir nicht über einzelne Inhalte abstimmen können, sondern nur über Parteien, die diese Inhalte in ihren Programmen in bestimmter Weise akzentuieren, wird die Wahl zu einer Themenspektrumswahl. Dabei wird den Wahlberechtigten zugemutet, sich auf die Akzentsetzungen festzulegen, die eine bestimmte Partei zu einem ganzen Strauß an Themen vorgenommen hat. Dass „der Souverän“ – sprich: das Volk – eigene Akzentsetzungen vornimmt, ist nicht vorgesehen.

Mainstream-Inhalte

Bei zahlreichen Themen herrscht zwischen den großen Parteien Einigkeit. Die Wahlmöglichkeit bezieht sich hier also nicht auf inhaltliche Ausrichtungen, sondern lediglich auf die Verpackung – wie bei der Wahl zwischen zwei Waschmitteln, die sich nur minimal in ihrer Reinigungskraft voneinander unterscheiden.

Unverbindlichkeit der Wahlversprechen

In den heutzutage standardmäßig zu erwartenden Koalitionsregierungen können die Parteien den Wahlberechtigten das Blaue vom Himmel versprechen. Hinterher können sie immer sagen: „Demokratie ist die Kunst des Kompromisses. Leider konnten wir unsere Maximalforderungen bei unseren Koalitionspartnern nicht durchsetzen.“ Selbst klarste inhaltliche Festlegungen sind so nach der Wahl plötzlich nichts mehr wert und werden im Koalitions-Wischiwaschi weichgespült oder gar ins Gegenteil verkehrt.

Falsche Partei – richtige Inhalte

Der Vorrang der Partei vor den Inhalten führt dazu, dass Wahlberechtigte in manchen Fällen vor einem Dilemma stehen. Dies ist dann der Fall, wenn ein ihnen wichtiges Thema nur von einer Partei in den Vordergrund gestellt wird, die ihren Einstellungen ansonsten widerspricht. Hier hat man dann nur die Wahl zwischen einer Preisgabe der eigenen Grundüberzeugungen und der Akzentuierung eines Themas, das einem besonders am Herzen liegt.

Assoziierung von Partei und Inhalten

Hinzu kommt, dass durch den Vorrang der Parteien auch die Inhalte nicht für sich stehen, sondern mit den Parteien identifiziert werden, die sie vertreten. Dies gilt natürlich insbesondere für Themen, die nicht im Fokus der großen Parteien stehen. Der Mietpreisdeckel wird so nicht als sinnvolle Maßnahme für mehr soziale Gerechtigkeit, sondern als eine Forderung der Linken diskutiert.

Ebenso wird die Kritik an exzessivem Gendern [1] und Windkraft [2] mit der AfD identifiziert, weil sie diese Themen als einzige größere Partei in den Vordergrund stellt. Dies wird für die anderen Parteien als Freifahrtschein gesehen, in beiden Themenfeldern die durchaus ernst zu nehmenden kritischen Stimmen schlicht zu ignorieren [1].

Verschwiegene Inhalte

Manche Inhalte sucht man auch bei allen Parteien vergebens. So ist beispielsweise der Lärmschutz ein Thema, dessen Bedeutung durch immer mehr lärmintensive Geräte, private Brennholzherstellung und zunehmenden Verkehr immer wichtiger wird [3]. Die gesundheitlichen Belastungen, die durch immer mehr Lärm entstehen, betreffen dabei gerade den Bereich, der ohnehin schon an der Spitze aller Statistiken in diesem Feld steht: die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dennoch gibt es keine Partei, die diesem Thema im Wahlkampf eine zentrale Rolle einräumen würde.

Fake-Inhalte

Die parteienzentrierte Wahl verführt die Parteien auch dazu, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Inhalte werden verdreht oder für die eigenen Zwecke uminterpretiert. Im Vordergrund steht nicht die differenzierte Auseinandersetzung mit den Themenbereichen, sondern die Erzeugung einer für die eigene Partei günstigen Stimmung. Dadurch wird nicht selten eher dem Stammtisch nach dem Munde geredet, als der Wahrheit treu zu bleiben.

Dies betrifft natürlich insbesondere das Thema „Migration“, wo statt der faktisch notwendigen Zuwanderungspolitik lieber Sündenbock- und „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik in den Vordergrund gestellt werden. Aber auch bei der schulischen Inklusion wird hierzulande gegen alle wissenschaftlichen Expertisen und im Widerspruch zur von Deutschland mit unterzeichneten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen das Förderschulsystem verteidigt, weil es im segregationsverliebten Deutschland als heilige Kuh gilt [4].

Maßnahmen für eine stärker inhaltsorientierte Wahl

Eine echte inhaltszentrierte Wahl wäre nur durch eine Abkehr vom Parteienstaat möglich. Aber auch innerhalb desselben ist eine stärkere inhaltliche Orientierung und eine Verpflichtung auf wahrheitsgetreue Argumentation möglich. Dem könnten etwa die folgenden Maßnahmen dienen:

Stärkere Gewichtung von Petitionen

Dass die direkte Ansprache des Volkes an das Parlament unter dem Begriff „Petition“ firmiert, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie diese Ansprache von den Parteien bewertet wird. Denn der Begriff geht auf das lateinische „petitio“ zurück, das sich mit „Bitte“ oder „Gesuch“ übersetzen lässt. Das Volk, vor den Wahlen als „Souverän“ umschmeichelt, wird vom Polit-Adel ansonsten also lediglich als lästiger Bittsteller wahrgenommen.

Dies ließe sich ändern, wenn Petitionen nicht mehr im Petitionsausschuss versanden, sondern ab einer bestimmten Unterschriftenzahl als verpflichtende Aufforderung zur eingehenderen Auseinandersetzung mit dem betreffenden Thema verstanden würden. Dabei müssten auch Fachleute eingebunden werden. Diese wären je zur Hälfte vom Parlament und denen, die die Petition unterzeichnet haben, zu wählen. Dadurch könnten politisch genehme Vorfestlegungen vermieden und der Einfluss von Lobbyinteressen begrenzt werden.

Stärkere Gewichtung von Fachausschüssen

Größeren Gesetzesvorhaben gehen in der Regel Anhörungen betroffener Verbände voraus. Außerdem wird die Einschätzung von Fachleuten eingeholt, und es werden entsprechende Ausschüsse eingerichtet.

All das hat jedoch nur beratende Funktion. Die Politik kann jederzeit nach der Maßgabe verfahren: „Auch wenn die Fachleute uns sagen, dass die Erde rund ist – politisch erscheint es uns dennoch opportun, von einer Scheibenform auszugehen.“

Auch dies ließe sich sehr einfach vermeiden, wenn dem Votum der Fachleute mehr Gewicht gegeben würde. Bei einer eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnislage müsste es für die Politik verpflichtend werden, entsprechend zu handeln. Auf diese Weise würden wir beispielsweise sehr schnell Lärmschutzgesetze, die den Namen verdienen, und eine humanere Migrationspolitik erhalten.

Einrichtung von Anti-Fake-Kommissionen

Viel ist in der Politik von den fake-verseuchten sozialen Medien oder von den Fake-Populisten in anderen Ländern die Rede. Dass man es selbst bei der Anpreisung der eigenen Politik nicht so genau nimmt mit der Wahrheit, wird dagegen tunlichst verschwiegen – wenn es überhaupt bemerkt wird. Wer Unwahrheiten oft genug wiederholt, glaubt am Ende bekanntlich oft selbst daran.

Dem ließe sich durch die Einrichtung von Kommissionen entgegenwirken, welche die politischen Aussagen und die Wahlpropaganda auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen würden. Bei einer mangelnden Übereinstimmung von Aussage und Realität gäbe es eine Rüge, im Wiederholungsfall eine Anzeige wegen Falschaussage und Irreführung des Volkes.

Links und Nachweise

[1]    Ausführliche Essays zum Thema:

Zehn Argumente gegen das gesprochene Gendersternchen. Eine Kritik der Unkritisierbaren.

Geschlechtergerechtigkeit als Zungenbrecher. Wie die sprachlichen Gender-Dogmen die Genderdiskussion diskreditieren.

[2]    Nachweise und Links in den Glossaren zum Thema auf rotherbaron:

Das Windstromkartell. Wie die Windkraftlobby zur Durchsetzung ihrer Ziele Natur, Gesundheit und Demokratie schädigt (PDF; als E-Book erhältlich unter dem Titel Kritik der Windkraft).

Kurzfassung: Das Heilige Windrad als Höllenmaschine. Natur- und klimaschädliche Auswirkungen der Windkraft (PDF).

[3]    Vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik und Nachweise in: Die Freiheit des Rasenmähenden. Lärm als verfassungsrechtliches Problem; erweiterte Fassung Juni 2024 (PDF).

[4]    Für die mangelnde Umsetzung der in der Konvention festgelegten Rechte behinderter Menschen ist Deutschland sowohl 2015 als auch 2023 im Staatenbericht der UN gerügt worden (vgl. Grimm, Jonas: Teilhabe behinderter Menschen: UN rügt deutsche Inklusion[spraxis]; taz, 13. September 2023).

Bild: Gerd Altmann: Konversation (leicht bearbeitet); Pixabay

Ein Kommentar

  1. Der Text hat mich zu vielen Gedanken inspiriert. Tatsächlich habe ich auch immer exakt dieses Problem beim Wahlgang. Irgendwelche Fragen, die mir total wichtig sind, werden von der Partei, der ich mich ansonsten eher verbunden fühle, völlig konträr beantwortet. Das betrifft in meinem Fall „die Grünen“. Ich bin, seit ich denken kann, Naturschützer und meist auch Grünen-Wähler. Aber kann man als naturverbundener Mensch noch die Grünen wählen?- Objektiv muss man diese Frage mit einem glatten NEIN! beantworten. Die Grünen sind bereit für ihre Energiewende-Ideologie auch noch die letzten Reste von freier Landschaft und Natur zu opfern. Seit die Realos die unsinnige Verbindung von Wachstumsideologie und „Ökologie“ (was auch immer sie noch darunter verstehen) entdeckt haben, findet sich kein Naturschutz mehr in dieser Partei. Mir ist die „Naturfrage“ existentiell, sie ist für mich zentral… Die Nazis wähle ich natürlich aus Prinzip nicht, auch wenn sie gegen diese scheußlichen WKA auf jedem Hügel sind. Aber warum sind sie dagegen?- Nicht, weil sie so naturverbunden sind, sondern weil sie gegen alles sind, was andere machen. Es ist also gar kein echter „Inhalt“.
    Mit dem Fake-Begriff habe ich so meine Probleme. In Moment bestimmen die Mainstream-Parteien, was Fake ist und was nicht. Und diese haben als Unterstützer Medienleute, die sich als Richter über Fake und Nicht-Fake aufführen. Letztens sah ich so eine Anti-Fake-Seite zum Thema Windkraft. Da sollte das Problem, dass WKA in großem Ausmaß Greifvögel, Eulen, Störche ..töten als „Fake“ entlarvt werden mit einer Statistik, in der aufgeführt wurde, wie viel „Vögel“ von Katzen gefressen werden, wie viele im Schlachthof sterben und wie viele an Fensterscheiben umkommen. Und siehe da: Das waren mehr als die, die mit Rotoren kollidieren. Hunderte Mal wurde diese „Statistik“ als „Faktensheet verbreitet. Niemand, der „Teiler“ hat mal darüber nachgedacht, welch einen kompletten Schwachsinn sie hier als Anti-Fake -Faktum verbreiten. Die Schlussfolgerung aus der Grafik ist doch wohl: Ist ja nicht so schlimm, dass Tausende Greifvögel an WKA umkommen. Da züchten wir einfach ein paar Hühner mehr und dann stimmt die Statistik wieder. Wer so etwas teilt, sagt eigentlich: Ich bin ein totaler Idiot ohne auch nur den Hauch einer ökologischen Kompetenz! – Wem fällt das auf, wenn die Plattform Volksverpetzer oder Correctiv heißt??????- Was „die Guten“ sagen, muss doch richtig sein, oder? – Wird geteilt – ohne jedes Nachdenken. Also, wer untersucht den Fake?

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