Politische Erneuerung erfordert auch personelle Erneuerung
In einer Mail an die Redaktion des Rothen Baron schreibt Karin Krasnaja: „Was soll eigentlich dieses ewige SPD-Bashing? Wir müssen die SPD doch stärken, nicht schwächen! Wie soll es denn ohne die SPD jemals eine linke Mehrheit in diesem Land geben? In der SPD gibt es doch auch viel Positives – darüber sollte man auch mal schreiben! Oder wollen wir am Ende österreichische Verhältnisse in Deutschland haben?“
Au weia … Österreichische Verhältnisse … Zwar ist meine spontane Reaktion auf alles, was nach Österreich klingt, sonst immer Wohlbehagen. Ich denke dann an die Wiener Kaffeehäuser, den wehmütigen Prunk von Schönbrunn, an den gemütlichen steirischen Dialekt und natürlich an das Adlergefühl auf den Bergen. Aber mir war natürlich sofort klar, dass mit „österreichischen Verhältnissen“ hier eher auf die Machtübernahme durch die Burschenschaften angespielt wurde.
Nein, das wäre natürlich auch nichts für den Rothen Baron. Also habe ich mir mal Gedanken über das Positive in der SPD gemacht. Zwei Tage lang habe ich mir den Kopf zermartert. Das Ergebnis würde viele Seiten füllen – leere Seiten. Dann aber ist doch die Erleuchtung über mich gekommen.
Ich muss dazusagen, dass ich am politischen Leben fast ausschließlich über Radio und Zeitungen teilnehme. Die Nachrichtenmischung des Fernsehens – Politikerinterviews, syrische Leichen, ein bisschen Sport und gekenterte Flüchtlingsboote – ist für meinen Magen schon lange nicht mehr bekömmlich. So spielen die Stimme und die Art des Umgangs mit dem Gesprächspartner eine entscheidende Rolle für meine Beurteilung des politischen Personals.
Was ich überhaupt nicht leiden kann: wenn jemand dem Interviewer übers Maul fährt, die Fragen quasi zensiert (so wie einst der pfälzische Kanzlerpate Helmut Kohl: „Es ist unerträglisch, was Sie da sagen“). Unangenehm sind mir natürlich auch Worthülsen, ein um klare Antworten herumlavierendes Schwafeln und das selbstverliebt-selbstgerechte Aufzählen angeblicher eigener Erfolge. In solchen Fällen schalte ich regelmäßig auf einen Musiksender um.
Das Positive, Rother! Du wolltest doch mal das Positive in den Vordergrund stellen!
Sorry … Also, was ich eigentlich sagen wollte: Als neulich morgens, nach der Nachtsitzung der Koalitionäre in spe, Katarina Barley interviewt wurde, musste ich das Radio nicht ausschalten! Ich fand, dass hier jemand ehrlich über das eigene Ringen mit sich und dem politischen Gegner sprach, die eigene Enttäuschung über nicht Erreichtes nicht verbarg, gleichzeitig aber auch den Eindruck vermittelte, das Herausverhandelte ehrlich und mit ganzer Kraft umsetzen zu wollen. Kurz: Die Person verschwand nicht hinter der Politikermaske und wirkte deshalb authentisch auf mich.
Ich weiß: Was ich hier mache, gilt im momentanen Politikdiskurs als unpassend, ja fast schon als unanständig. Sachorientierung ist gefragt, das Reden über Personen wird als Postengeschacher zurückgewiesen. Ich denke aber, dass man politische Inhalte und Ziele nicht ohne weiteres von den Personen trennen kann, die diese umsetzen sollen. Dass viele Politiker Begriffe wie „Freiheit“, „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ oder „Frieden“ als bloße Schlagworte missbrauchen, die keinerlei Inhalt haben bzw. sich mit beliebigen Inhalten füllen lassen, ist ja allgemein bekannt. Gleiches gilt aber auch für zahlreiche andere politische Konzepte.
Wenn etwa von „Inklusion“, „Umverteilung“ oder „sozialem Wohnungsbau“ die Rede ist, brauche ich für die Umsetzung der damit verbundenen politischen Visionen Personen, die wirklich für eine Gesellschaft kämpfen, an der alle Menschen gleichermaßen teilhaben können, in der die Schere zwischen Arm und Reich nicht mehr immer weiter aufgeht und jeder ein Recht auf menschenwürdiges Wohnen hat. Allzu oft hat man es aber mit Politikern zu tun, für die die Schlagworte nur ein Mittel zum Zweck der Karriereförderung sind und die für Armut und soziale Exklusion überhaupt kein Gespür haben.
Dies zeigt sich beispielsweise an den entwürdigenden Kalkulationsmodellen, mit denen jetzt etwa allein Erziehenden vorgerechnet wird, dass sie in Zukunft vielleicht mal das Geld für eine neue Waschmaschine haben werden. Derartige Modelle stehen vollständig im Interesse eines Erhalts des Status quo – der allenfalls leicht modifiziert, nicht aber verändert werden soll. Die wirklich notwendigen Veränderungen, wie sie etwa durch ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine kostenfreie Gesundheitsversorgung eingeleitet werden könnten, rücken so in den Hintergrund.
Es ist deshalb ganz und gar nicht gleichgültig, welche Person welches Ministerium leitet. Wenn die SPD sich innerhalb einer Großen Koalition geistig erneuern und inhaltlich neu ausrichten möchte, braucht sie dafür auch Personen, die diesen Erneuerungsprozess mit dem besonderen Engagement für ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche vorleben und nach außen hin verdeutlichen. Dafür muss sie sich konsequent von den Basta-Politikern der Schröder-Jahre, den Karrieristen und den Status-quo-Verteidigern, die ebenso gut auch CDU-Mitglieder sein könnten, trennen.
Das Problem ist, dass sich (nicht nur) in den Parteien in der Regel eher die Alpha-Tiere durchsetzen, die mit ihrem verbalen Muskelspiel, den Machtintrigen und dem Hinterzimmergeschacher skrupellos genug sind, sich jene Machtbasis zu schaffen, die ihnen den Weg nach oben ebnet. Wenn es der SPD gelingen sollte, von diesem Prinzip abzurücken, wäre dies deshalb über die Partei hinaus ein Signal gesellschaftlicher Erneuerung, ein erster Schritt hin zu einem anderen Umgang miteinander, zu einer kooperativeren und sachorientierteren Form der Gestaltung politischer Prozesse.
Den Fokus auf das politische Personal zu legen, bedeutet damit gerade nicht, dass die Inhalte weniger wichtig werden. Vielmehr hängt beides unmittelbar miteinander zusammen. Vor diesem Hintergrund habe ich mich mal kurzerhand zu einer Art Polit-Yogi ernannt und ein eigenes SPD-Dream-Team zusammengestellt. Dafür habe ich gezielt auch dort gescoutet, wo der Blick der Polit-Könige und -Königsmacher sonst nicht hinfällt: in den Reihen hinter den Talk-Show-Stars und Rampensäuen.
Ich habe übrigens noch mal nachverhandelt und mir genau die Ministerien gekrallt, die zu meinem Personal passen. Der CDU war das egal – die haben sich ja eh schon damit abgefunden, dass sie bekommen, was übrig bleibt. Und für Horst Seehofer haben wir ein spezielles Ministerium für Heimat, Folklore und Schuhplattler geschaffen. Meine persönliche SPD-Kabinettsliste würde dann folgendermaßen aussehen:
Außenministerium: Karamba Diaby. Der 1961 im Senegal geborene Politiker ist mit Mitte 20 als Stipendiat an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gekommen und hat dort in Geoökologie promoviert. Von 2013 bis 2017 war er stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Zwischen Oktober 2015 und Dezember 2016 leitete er das SPD-Zukunftsprojekt Neues Miteinander – Einwanderungsland Deutschland. Bei den Koalitionsverhandlungen hat er im Bereich Migration und Integration mitgewirkt. Karamba Diaby ist ein weltoffener Politiker und verfügt auch über die Fähigkeit, Menschen durch seine einnehmende Art und seine lebensfrohe Ausstrahlung für sich zu gewinnen. Mit ihm könnte sich Deutschland auf internationaler Ebene daher einmal von einer anderen Seite zeigen.
Bildungsministerium: Ulrich Commerçon. Der studierte Politologe wurde 1968 in Homburg (Saar) geboren. 1999 wurde er in den saarländischen Landtag gewählt, wo er 2009 zum bildungspolitischen Sprecher seiner Fraktion ernannt wurde. Seit 2012 gelingt es ihm als saarländischer Bildungsminister in einer Großen Koalition, gegen die auch für CDU-Verhältnisse ausgesprochen konservativen Positionen des Koalitionspartners eine sozial gerechte, innovative Bildungspolitik umzusetzen. Er erscheint daher prädestiniert dafür, auch auf Bundesebene in einer Großen Koalition soziale Akzente in der Bildungspolitik zu setzen.
Biographie auf Ministerium für Bildung und Kultur
Finanzministerium: Katarina Barley. Die 1968 in Köln als Tochter eines britischen Redakteurs der Deutschen Welle und einer deutschen Ärztin geborene Politikerin hat in Marburg Rechtswissenschaften studiert. Die promovierte Juristin hat nach einer Tätigkeit als Richterin am Landgericht Mainz als Referentin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz gearbeitet. 2016 hat sie dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble im Streit um die Rentenpolitik vorgeworfen, er sitze „auf seiner Schwarzen Null“ und lasse „an diesem Fetisch sämtliche Sachargumente abprallen“. Sie erscheint daher als geeignete Kandidatin für die nötige Neuausrichtung in der deutschen und europäischen Finanzpolitik.
Zitat: NEX24, 1. Dezember 2016
Innenministerium: Andreas Stoch. 1969 in Heidenheim an der Brenz geboren, hat Andreas Stoch in Tübingen und Heidelberg Rechtswissenschaften studiert und war danach zunächst als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt für Zivil- und Wirtschaftsrecht tätig. Seit 2006 ist er baden-württembergischer Landtagsabgeordneter und war dort zunächst Fraktionssprecher für Datenschutz und Medienpolitik. Von 2013 bis 2016 war er baden-württembergischer Kultusminister, seitdem ist er SPD-Fraktionsvorsitzender. Im Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz im Rahmen von Demonstrationen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 hat er die Polizeistrategie und die politisch Verantwortlichen scharf kritisiert. Mit „martialischem Vokabular“ und der Forderung nach einem „offensiven Vorgehen“ habe der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus den „brutalen Einsatz billigend in Kauf genommen“: „Wenn die Politik in dieser Weise Einfluss nimmt, kann sie nachher nicht sagen, es sei alles Sache der Polizei gewesen. Es geht um politische Verantwortung.“ Vergleicht man diese Aussagen mit den rechtfertigenden Äußerungen des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz nach dem verfehlten G21-Polizeieinsatz des letzten Jahres, so kann man in Andreas Stoch wohl eine Art „Anti-Scholz“ sehen – und damit einen Hoffnungsträger für die inhaltliche Neuausrichtung der SPD.
Zitate: Untersuchungsausschuss als Bewährungschance
Ministerium für Familie, Frauen und Jugend: Petra Köpping. Die 1958 in Nordhausen geborene Staatswissenschaftlerin hat sich schon früh in der Kommunalpolitik engagiert. So war sie von 1989 bis 1990 sowie von 1994 bis 2001 Bürgermeisterin des sächsischen Großpösna, anschließend (bis 2008) Landrätin des Landkreises Leipziger Land. Seit 2009 ist sie Abgeordnete des sächsischen Landtags, wo sie 2014 zur Staatsministerin für Gleichstellung und Integration ernannt wurde. Petra Köpping setzt sich mit besonderem Engagement für die Rechte benachteiligter Frauen ein und bemüht sich insbesondere um die Bekämpfung der Altersarmut ehemaliger allein erziehender, geschiedener Frauen aus der untergegangen DDR. Sie gilt als Politikerin, die zuhören kann und Probleme der Integration durch die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort auch in einem schwierigen Umfeld zu meistern versteht.
Wirtschaftsministerium: Saskia Esken. Die 1961 in Stuttgart geborene Informatikerin hat nach der Ausbildung als Softwareentwicklerin gearbeitet, war daneben aber auch als Hilfskraft in der Gastronomie, Fahrerin und Schreibkraft tätig. Als Mutter dreier Kinder hat sie sich lange Zeit in Elternbeiräten engagiert. Seit 2013 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags und dort im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie im Ausschuss Digitale Agenda tätig. Außerdem ist sie Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Als Wirtschaftsministerin könnte sie damit der einseitigen Wachstumsorientierung entgegenwirken. Darüber hinaus könnte sie aktiv dabei mithelfen, dass der digitale Wandel – wie sie selbst es ausdrückt – „den Menschen dient“ und dabei „Bürgerrechte und Demokratie nicht unter die Räder kommen“. Dabei kämen ihr sicher auch ihre langjährigen Erfahrungen jenseits der Politik zugute.
Zitate: Meine Standpunkte
Das wäre mal was. Die SPD braucht neue, sympathische und kluge Gesichter!
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