Die SPD, die Grünen und die Europawahlen

Ein neues Jahr, eine neue Wahl, aber für die SPD heißt es mal wieder: Same procedure as every year! Ihr Fahrstuhl rauscht unaufhaltsam in den Keller, während die Grünen auf der Überholspur bleiben.
Alles Geraune von Starke-KITA-Gesetzen, Famoser Familienförderung und Rüstige-Rentner-Reformen hat nichts genutzt. Die SPD ist und bleibt die Hartz-IV-Partei, man traut ihr einfach nicht mehr über den Weg.
Teilweise gibt es dafür auch gute Gründe. Ein Großteil des Personals, das für die Hartz-IV-Gesetze verantwortlich ist, spielt noch immer eine maßgebliche Rolle in der Partei. Und im letzten Bundestagswahlkampf war sogar der oberste Sozialstaatskahlschläger, Gerhard Schröder, Stargast auf einem Parteitag. Da muss sich niemand wundern, wenn man der SPD den Wandel vom Saulus zum Paulus nicht abnimmt.
Hinzu kommt, dass bei allem Sozialreformeifer der Eindruck bleibt, dass die Partei in entscheidenden Momenten doch wieder auf die Bremse tritt. So hätte es im Zusammenhang mit dem EU-Leistungsschutzrecht durchaus die Möglichkeit gegeben, sich als Garant für das freie Internet zu profilieren. Der Koalitionsvertrag hatte schließlich Upload-Filter, die durch das Gesetz quasi unvermeidbar werden, ausdrücklich ausgeschlossen. Stattessen hat Justizministerin Barley aber nur die engagierte Jugend für ihr Engagement gelobt – und dann doch dem Gesetz in Brüssel zugestimmt. Die aus ihrem Hause eingebrachte, zu nichts verpflichtende Protokollnotiz, wonach Upload-Filter nach Möglichkeit vermieden werden sollten, entspricht genau jener Halbherzigkeit, die die SPD auch an anderer Stelle an den Tag legt.
Auf der anderen Seite bleibt aber doch auch festzuhalten: Die Bremswirkungen in der Sozialpolitik verdanken sich zu einem großen Teil den Rücksichten, die die SPD in der Großen Koalition nehmen muss. Unter den gegebenen Bedingungen hat sie fraglos eine Sozialpolitik vertrieben, die an vielen Stellen konkrete Verbesserungen für die betreffenden Menschen gebracht hat. Und: Die Hartz-IV-Reformen stellen zwar für eine sozialdemokratische Partei einen unverzeihlichen Sündenfall dar. Sie waren jedoch kein reines SPD-Projekt, sondern vielmehr Teil der Agenda einer rot-grünen Regierung.
Die Grünen aber bringt kaum jemand mit den Hartz-IV-Reformen in Verbindung. Sie brauchen nur das Wort „Grundeinkommen“ in den Mund zu nehmen, um als sozial engagiert zu gelten. Sie können knallharte Klientelpolitik für die Windkraftindustrie betreiben und werden trotzdem als Saubermänner (und -frauen) wahrgenommen. Sie können ihre geheiligten Windkraft-Stahlbetontürme – wie es etwa von grünen UmweltministerInnen in Rheinland-Pfalz und Hessen forciert worden ist – mitten in intakte Waldgebiete hineinrammen und gelten dennoch nicht als unglaubwürdig, wenn sie auf Wahlplakaten für „Vogelgezwitscher statt Motorsägen“ werben.
Ja, die Grünen sind für prima Klima. Aber das sind zur Zeit doch alle. Das ist längst kein Alleinstellungsmerkmal der Grünen mehr. Könnte es also sein, dass es gar nicht in erster Linie um Inhalte geht? Dass die Grünen mit dem Habitus ihres Spitzenpersonals einfach besser zum Lifestyle eines bestimmten städtischen Mittelschichtmilieus passen? Eines Milieus, in dem soziales und ökologisches Engagement in homöopathischen Dosen gefragt ist? Wo man zwar die Armen nicht verhungern lassen will, am Ende aber doch lieber unter sich bleibt in seinen gentrifizierten Stadtvierteln? Wo man sich zwar gerne als Windkraft-Klimaretter feiert, die Stahlbetontürme aber doch lieber den norwegischen Samen und anderen Hinterwäldlern vor die Tür setzt?
Das Problem ist also vielleicht gar nicht so sehr die Politik der SPD. Vielleicht ist sie einfach nicht „hip“ genug. In der Tat müsste der Begriff „Parteisoldat“ für die SPD erfunden werden, wenn es ihn nicht schon gäbe. Ein Großteil des Spitzenpersonals weckt Assoziationen an schwere Magenverstimmungen oder verschluckte Kleiderbügel aus dem Spind eines Offiziersanwärters. Und wenn mal jemand so natürlich geblieben ist wie Andrea Nahles, die sich als Politikern nicht anders gibt als auf einem Dorffest in der Eifel, werden bei der erstbesten Gelegenheit die Messer gewetzt. Das bestätigt dann wieder all die Vorurteile von der Partei der Alphatiere und Machos, von den Ränkeschmieden und Hinterzimmerkungeleien. Hip geht anders.
Ich will damit nicht sagen, dass die Genossen sich ab sofort die Haare blau färben und eine Altersobergrenze von 29 Jahren für ihr Spitzenpersonal einführen sollten. Die SPD ist nicht die Partei der Internet-Influencer. Sie ist die Partei der Arbeiter und sozial Benachteiligten, und sie müsste, geprägt durch die Internationale, auch die natürliche politische Heimat der MigrantInnen und Flüchtlinge zu sein. Dies ist ihr Markenkern, und zu diesem sollte sie sich wieder offensiver bekennen. Die Politik, die sie derzeit betreibt, ist durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Was noch fehlt, ist ein Personal, das den Geist dieser Politik glaubhaft verkörpert.
Das Verrückte ist: Es gibt mehr als genug von diesem Personal in der Partei. Die SPD müsste es nur nach oben – nach ganz oben! – kommen lassen. Nach ganz oben bedeutet: Auf Positionen, wo die Menschen die Partei mit eben diesem Personal identifizieren, und eben nicht mit den Parteisoldaten, die dieses Gesicht derzeit noch prägen. Dies muss dann freilich auch mit einem Erneuerungsprozess einhergehen, bei dem die Neuen nicht nur ihr Gesicht für eine alte Politik hergeben, sondern auch eine Veränderung des Politikstils bewirken. Es muss also anders laufen als bei Katarina Barley, bei der der Anpassungsprozess exakt in der umgekehrten Richtung verlaufen ist.
Beispiele für PolitikerInnen, die heute schon erfolgreich in der SPD wirken und mit einer wichtigeren Rolle in der Partei eine andere Wahrnehmung der Partei bewirken könnten, habe ich hier schon vor längerer Zeit angeführt, in dem Beitrag Neue (SPD)-MinisterInnen braucht das Land. Hingewiesen hatte ich dabei u.a. auf den im Senegal geborenen Karamba Diaby, der als stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe gewirkt sowie das SPD-Zukunftsprojekt Neues Miteinander – Einwanderungsland Deutschland geleitet hat. Durch seine einnehmende, lebensfrohe Art wäre er dafür prädestiniert, der SPD ein anderes Image zu verpassen.
Dies gilt auch für Petra Köpping, die sich in Sachsen als Staatsministerin für Gleichstellung und Integration mit besonderem Engagement für die Rechte benachteiligter Frauen – etwa die Bekämpfung der Altersarmut ehemaliger allein erziehender, geschiedener Frauen aus der untergegangen DDR – eingesetzt hat. Als Politikerin, die zuhören kann und Probleme der Integration durch die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort auch in einem schwierigen Umfeld zu meistern versteht, wäre auch sie ein passendes Gesicht für einen Neuanfang.
Das Problem der SPD ist allerdings, dass die Führer hier auf Veränderungsvorschläge nicht anders reagieren, als Führer es andernorts auch tun: Ich bin das Alpha und Omega, ich bin Kontinuität und Veränderung, ihr sollt keine anderen Götter haben neben mir.
Dazu kann ich nur sagen: Der Fahrstuhl hat den Keller noch nicht erreicht. Es geht auch noch tiefer nach unten. Und wenn man erst mal ganz im Keller sitzt, interessiert sich auch keiner mehr für das, was man macht. Denn: Im Keller ist es dunkel, dorthin dringt das Licht der Öffentlichkeit nicht vor.