Teil 8 der musikalischen Sommerreise 2018 von Finnland nach Portugal.
Durch die Beteiligung der FPÖ an der neuen österreichischen Regierung haben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch einmal zugenommen. Glücklicherweise gibt es auch Menschen, die kraftvoll gegen diese Zustände ansingen …
Text auch als pdf verfügbar: Österreich – Musikalische Auseinandersetzung mit Rassismus.
1. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Österreich
Am 8. März 2017 hielt der Extremismus-Experte Thomas Rammerstorfer an einem Linzer Gymnasium einen Vortrag über Wesensmerkmale und Erscheinungsformen des Extremismus. Dabei kamen auch extremistische Tendenzen in Österreich, wie sie sich etwa im Umfeld von Burschenschaften und FPÖ beobachten lassen, zur Sprache.
Der Vortrag war bereits in die Diskussion übergegangen, da bereitete der Rektor der Schule der Veranstaltung auf einmal ein abruptes Ende. Der Grund: Einer der Schüler, die dem Vortrag zugehört hatten, war ein Sohn des Nationalratsabgeordneten Roman Haider von der FPÖ. Nachdem er seinen Vater während der Veranstaltung über deren Inhalte informiert hatte, hatte dieser bei der Schulleitung interveniert: Die FPÖ habe in einem Vortrag über extremistische Tendenzen nichts zu suchen. Daraufhin hatte der Rektor den sofortigen Abbruch der Veranstaltung verfügt.
Kommentar von Thomas Rammerstorfer: „Witzigerweise habe ich in meinem Vortrag mehrmals das Vorgehen von Erdoğan und Putin gegenüber kritischen Medien thematisiert. Da hat der Abbruch dann eigentlich sehr gut gepasst, sozusagen als Anschauungsunterricht“ (nachrichten.at, vgl. Hirsch 2017).
In der Tat ist es nach den Skandalen, die Österreich in den ersten Monaten des Jahres 2018 erschüttert haben, fast schon geschmeichelt, der FPÖ nur „extremistische Tendenzen“ nachzusagen. So sah sich Anfang Februar etwa der FPÖ-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Niederösterreich, Udo Landbauer, zum vorläufigen Rückzug aus der Politik gezwungen. Grund war der Text des Liedes Es lagen die alten Germanen aus dem Liederbuch der Burschenschaft Germania, der der Politiker angehört. Darin wird der „Jude Ben Gurion“ mit den Worten geschmäht: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“
Kurz darauf geriet ein weiterer FPÖ-Politiker wegen ähnlich unappetitlicher Kontakte zu einer Burschenschaft in Bedrängnis: Im von Norbert Hofer geführten Verkehrsministerium ist der Vorsitzende der Burschenschaft Bruna Sudetia, Herwig Götschober, tätig. Auch im Liederbuch dieser Burschenschaft finden sich antisemitische Texte. Kostprobe: „Zwei Juden badeten einst im Fluss, weil jeder Mensch einmal baden muss. Der eine, der ist ersoffen, vom anderen wollen wir’s hoffen.“
Im Grunde wird so allerdings nur die ganze Tragweite dessen sichtbar, was die FPÖ ohnehin Jahr für Jahr vor aller Augen zelebriert. Schließlich treten auf dem (aus dem früheren Korporationsball hervorgegangenen) Wiener Akademikerball regelmäßig die Eliten von Burschenschaften und FPÖ bunt gemischt auf.
Hinzu kommt, dass die FPÖ sich auch selbst als extremistisch einzustufen scheint. Dies ist jedenfalls eine der Schlussfolgerungen, die man aus dem größten, an eine Staatskrise heranreichenden Skandal dieses Jahres ziehen kann. Dabei hat Herbert Kickl, der von der FPÖ gestellte Innenminister, unter Umgehung des ÖVP-geführten Justizministeriums eine Durchsuchung der Räume des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) angeordnet.
Der offizielle Grund für die Polizeiaktion waren finanzielle Unregelmäßigkeiten im BVT. Allerdings wäre dafür nicht die Polizeieinheit zur Bekämpfung der Straßenkriminalität zuständig gewesen, die das Innenministerium mit der Durchführung der Aktion betraut hatte – die indessen den Vorteil bot, von einem FPÖ-Spezl geleitet zu werden. Dieser beschlagnahmte bei der Gelegenheit auch gleich die für den Fall völlig irrelevante Festplatte der Leiterin des Referats für Extremismusbekämpfung. So liegt der Verdacht nahe, dass die Polizeiaktion dafür genutzt werden sollte, die Spuren der Verbindung zwischen FPÖ und offen rechtsextremistisch agierenden Kreisen zu verwischen. Auf entsprechende Presseberichte reagierte Innenminister Kickl nicht etwa mit Korrekturen an seiner Politik, sondern warf den entsprechenden Medienvertretern Geheimnisverrat vor, drohte also zumindest unterschwellig mit einer Einschränkung der Pressefreiheit.
Der Versuch der ÖVP, die (Un-)Freiheitlichen durch die Einbindung in die Regierungsverantwortung zu zähmen, droht damit einmal mehr zu scheitern. Auch bei der Neuauflage des Stücks „Schwiegermuttis Liebling gibt den Drachentöter“ wird der Drache obsiegen, indem er die ÖVP nur noch tiefer in den braunen Morast aus Burschenschaften und FPÖ hineinzieht.
Nun stehen ÖVP und FPÖ keineswegs für ganz Österreich. Auch hier gibt es eine andere Hälfte der Nation, die sich eine weltoffene Gesellschaft wünscht und sich aktiv der fremdenfeindlichen Politik der neuen Regierung entgegenstellt. Dies hat nicht zuletzt die beispiellose Aktion gezeigt, mit der die Chefredakteure von fünf österreichischen Leitmedien (Die Presse, Der Standard, Kurier, Profil und News) in zeitlich aufeinander abgestimmten Leitartikeln die Pressefreiheit gegen den Angriff von Innenminister Kickl verteidigt haben.
Auch das „Rote Wien“ – das so viele Aspekte aufweist, dass es, als Lexikon der Wiener Sozialdemokratie, sogar mit einem eigenen Weblexikon geehrt wird (vgl. dasrotewien.at) – steht für das andere, buntere Österreich. Nicht zufällig heißt in Wien ja einer der Gemeindebauten, durch die man in den 1920er Jahren sozialen Wohnungsbau mit einem neuen Ideal gemeinschaftlichen Wohnens verbinden wollte, „Karl-Marx-Hof“. Gruppierungen, die (nicht nur) hier regelmäßig zu Aktionen gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit aufrufen, sind u.a. die Antifaschistische Aktion und die Sozialistische Jugend.
2. Die Band Roy de Roy
In diesem Umfeld ist auch die Band Roy de Roy zu verorten. Gegründet von Nikolaj Efendi und Matej Ček, zwei Angehörigen der slowenischen Minderheit, die in Österreich vor allem in Kärnten sowie zum Teil auch in der Steiermark beheimatet ist, singt die Band überwiegend auf Slowenisch. Schon dies allein ist in Österreich, wie die Bandgründer anmerken, „ein politisches Bekenntnis“ (vgl. Schöpfer 2014). Denn während die Slowenen im einstigen Vielvölkerstaat Österreich noch ein selbstverständlicher Teil der K.u.k.-Monarchie waren, sahen sie sich seit deren Zerfall zunehmend Verfolgungen ausgesetzt. Nachdem man ihnen zunächst in der „Windischentheorie“ die eigene sprachlich-kulturelle Identität abgesprochen hatte, wurden sie unter dem Nationalsozialismus gezielt in Konzentrationslager deportiert.
Noch in den 1970er Jahren beschloss man in Kärnten eigens eine Wahlkreisreform, um einen Einzug von Vertretern der slowenischen Minderheit ins Parlament zu verhindern. Im so genannten „Ortstafelstreit“ ging man dagegen vor, dass Ortsschilder in Regionen mit slowenischem Bevölkerungsanteil auch den slowenischen Ortsnamen anzeigten. Treibende Kraft war dabei die FPÖ, die in Kärnten, der Heimat Jörg Haiders, jahrelang die Geschicke des Landes bestimmt hatte. Erst 2011 gestand man den Slowenen in einem kleinkrämerischen Kompromiss zu, dass Ortsschilder dann die slowenische Ortsbezeichnung mit anzeigen müssen, wenn mindestens 17,5 Prozent der Einwohner der slowenischen Minderheit angehören.
Dass in diesem nationalistischen Umfeld viele SlowenInnen das Weite gesucht haben und in die weltoffeneren Städte oder gleich ganz nach Slowenien ausgewandert sind, ist leicht nachvollziehbar. So ist der Anteil der slowenischen Minderheit in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken. Stellten die Slowenen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Viertel der Bevölkerung Kärntens, so war ihr Anteil bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auf etwas über zwei Prozent gesunken. In einzelnen Gemeinden sind sie allerdings auch stärker vertreten.
Als Konsequenz aus dieser jahrzehntelangen Diskriminierung der eigenen Volksgruppe spricht sich die Band Roy de Roy für sprachliche und regionale Vielfalt, gleichzeitig aber gegen Nationalstaatsgrenzen aus (vgl. Schöpfer 2014). Ihr Ideal ist ein Anarchismus, der sich an der Utopie der Herrschaftsfreiheit orientiert, dabei aber humanen Regeln für den zwischenmenschlichen Umgang folgt und demzufolge keineswegs, wie es die Gegner anarchistischer Theorien oft unterstellen, mit Chaos zu assoziieren sei (vgl. ebd.).
Ihre politischen Überzeugungen bringt die Band auch unzweideutig in ihren Songtexten zum Ausdruck. Mindestens ebenso deutlich transportiert sie ihre Ideale jedoch über ihre Musik, die Balkan-Folk-Klänge mit Polka-Punk-Elementen zu einem sehr „tanzbaren“, lebensfrohen Mix verknüpft. Es ist eine Musik, die einen unmittelbar spüren lässt, wie schön das Leben ohne den Rassismus und die schwülstigen Männergesangsvereine der Burschenschaftsfraktion sein könnte.
3. Das Musikprojekt Marlyn & Stern und Iyasa
Einen ganz anderen Weg, sich mit dem grassierenden Rassismus in ihrer Heimat auseinanderzusetzen, schlägt Lisa Stern ein. Als Tochter eines slowenischsprachigen Vaters und einer deutschsprachigen Mutter hat sie den jahrzehntelangen Konflikt zwischen den Volksgruppen am eigenen Leib erfahren. Er war für sie daher nicht ein abstraktes Problem, sondern eine Frage der Identität.
Musikalisch thematisiert Lisa Stern den Kärntner Volksgruppenkonflikt durch eine radikale Neuinterpretation der traditionellen Kärntner Volksmusik. So hat sie mit ihrem Partner Eric Spitzer-Marlyn und der Band Iyasa aus Zimbabwe eine „afrikanische“ Variante des Lieds von der Mölltalleitn eingespielt. Die Live-Version führt dabei besonders eindrücklich vor Augen, worum es ihr geht. Hier wird das Lied zunächst in der volksliedtypischen „Schlummerfassung“ dargeboten, ehe schließlich die Mitglieder der Band Iyasa auf die Bühne kommen. Der dadurch eingeleitete Wechsel in einen „souligeren“ Sound wirkt wie eine Befreiung. Interkulturelle Begegnung wird so unmittelbar als Bereicherung erlebbar, als Chance, aus der Friedhofsruhe und dem Stillstand der gegen das Fremde abgeschotteten eigenen Kultur auszubrechen.
4. Links zu FPÖ und Burschenschaften
zum abgebrochenen Vortrag von Thomas Rammerstorfer:
Hirsch, Philipp: Schuldirektor bricht Vortrag nach Kritik an FPÖ ab; nachrichten.at, 10. März 2017.
Kurier.at: Bericht geißelt FPÖ-Einflussnahme an Linzer Schule; Chronik Oberösterreich, 8. Mai 2017.
zum antisemitischen Liedgut der Burschenschaften:
Der Standard: Nazi-Lieder bei Burschenschaft von FPÖ-Kandidat Landbauer; derstandard.at, 24. Januar 2018.
Süddeutsche Zeitung: Nazi-Liederbuch bringt FPÖ-Politiker in Bedrängnis; sueddeutsche.de, 20. Februar 2018.
zur Durchsuchung der Räume des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung:
Münch, Peter: Razzien beim Verfassungsschutz werfen Fragen an die FPÖ auf. Süddeutsche Zeitung, 9. März 2018.
Nikbakhsh, Michael: Der Fall BVT: Bei Hausdurchsuchung wurden auch Daten des Extremismus-Referats kopiert; profil.at, 8. März 2018.
zum Wiener Akademikerball und den Verbindungen der FPÖ zu den Burschenschaften:
Gasser, Florian: Wiener Akademikerball: „Die rechtsextreme Prominenz ist kein Geheimnis“. Interview mit der Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz. Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2015.
Kazim, Hasnain: Burschenschaftsball in Wien: Rechts tanzt, Links demonstriert. Der Spiegel, 27. Januar 2018.
Mappes-Niediek, Norbert: Die Burschenschaften innerhalb der FPÖ. Deutschlandfunk, 9. Oktober 2017.
zu den Vorwürfen von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl gegen einzelne Medien und deren Reaktion darauf:
Brandstätter, Helmut / Kotynek, Martin / Mitterstieler, Esther / Rainer, Christian / Nowak Rainer: Leitartikel in Kurier, Der Standard, News, Profil und Die Presse.
Die Presse: Kickl: Kein Auftrag zum Aufräumen im BVT [über die umstrittenen Äußerungen Kickls in einem ORF-Interview Ende Juni]. 27. Juni 2018
5. Links zu den Kärntner Slowenen
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Die Kärntner SlowenInnen. [geht ausführlich auf Verfolgung und Deportationen während der NS-Zeit ein; mit Links zu Quellentexten]
Enotna Lista / Einheitsliste [Sammelpartei der Kärntner Slowenen]: Wer sind die Kärntner Slowenen? Elnet.at/dossier.
Malle, Avguštin: Die Kärntner SlowenInnen 1920 – 1938; persman.at; 2. Januar 2013. [pdf-Dokument, 9 Seiten; beleuchtet die Vorgeschichte der Verfolgung der slowenischen Minderheit unter den Nationalsozialisten]
Mein-Oesterreich.info: Der Kärntner Ortstafelstreit. [beleuchtet auch die Hintergründe des Konflikts; mit Video]
ORF.at: Ortstafeln: Eine Chronologie. 30. September 2015.
Plattform Politische Bildung: Volksgruppen in Österreich: Die Kärntner Slowenen und Sloweninnen; mit weiterführenden Links.
6. Links zu den Songs + Übersetzungen
Roy de Roy: Heimatlandverraeter
aus: Civil Riots, 2013
Live bei BalconyTV
Interviews und Artikel über die Band:
Gmeiner, Raffaela: Interview mit Nikolay Efendi, Sänger der Band Roy de Roy (imblog.at, 26. April 2018).
Schöpfer, Lucia: Erfrischend politisch. Die Kärntner Slowenen Roy de Roy beim Konzert in Klagenfurt. In: lautstark. Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Universität Klagenfurt, S. 26 f.; 15. Januar 2014, Themenheft „über Revolutionen; mit Electro-Musik raus aus dem Alltag“.
Übersetzung:
Ich habe dein ewiges Theater satt,
dein Stolz gefällt mir nicht.
dein Fahnen schwingender
Kampf um jeden Küstenstreifen – ojoj!
Ich habe deine Doppelmoral satt,
mit der Heiligen Schrift heize ich den Ofen an,
und von deinen Predigten verpasse ich gerne mal eine
oder zwei!
Ich habe deinen Faschismus satt,
deine ewigen Ausnahmeregeln –
dieser ist willkommen und jener nicht:
Ich kann es nicht mehr hören!
Aber du bleibst immer blind,
machst dir mit deiner Kurzsichtigkeit ein schönes Leben!
[Denn] wer nichts sieht und hört,
fühlt sich nicht schuldig.
Ich habe dein Heimatland verraten,
ich brauche niemanden, der mich verteidigt,
wenn es ohne Verstand geschieht.
Ich habe dein Heimatland verraten,
geh doch nach Hause, du Heimatlandanbeter!
Oj oj oj, der schwachsinnige Patriot
wird seinen Kampf verlieren!
Oj oj oj, er trägt seine Heimat im Herzen,
und auf seinem Dach häuft sich der Mist!
Marlyn & Stern und Iyasa: In da Mölltalleitn
Lied (Live-Aufnahme, 2014)
ORF-Dokumentation über das Projekt (Altes Lied – neue Töne; Vorbericht)
Hochdeutsche Fassung:
Am Mölltalhang, auf der Sonnenseite,
da blühen die Blümelein gleich noch mal so schön.
Willst du ein Sträußlein binden, schöne Blümelein finden,
so musst du auf die Sonnenseite gehen.
Am Mölltalhang, auf der Sonnenseite,
da sind die Mädchen gleich noch mal so schön.
Willst du ein Mädchen kriegen, dich richtig verlieben,
so musst du auf die Sonnenseite gehen.
Am Mölltalhang, auf der Sonnenseite,
da ist die Rast gleich noch mal so schön.
Wenn man mich rausträgt in einem hölzernen Sarg,
so legt mich auf die Sonnenseite.
Bild: Fotolia, Couloures-pic
Nächste Station der musikalischen Sommerreise wird Italien sein. Thema: Ansingen gegen die Mafia
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