Deutschsprachige Liedermacher 1965 -1985. Teil 4: Hanns Dieter Hüschs Lied „Und ich mach dummes Zeug“ als Ausdruck der Tendenzwende Mitte der 1970er Jahre

H-D Hüsch

Die Studentenrevolte der späten 1960er Jahre hat in zahlreichen gesellschaflichen Bereichen wichtige Entwicklungen angestoßen oder beschleunigt. Dies gilt für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ebenso wie etwa für die Naturschutzbewegung, die Emanzipation der Frauen oder das unverkrampftere Verhältnis zum eigenen Körper. Dabei handelt es sich jedoch jeweils um punktuelle, evolutionäre Veränderungen. Das große Ziel der Studentenbewegung – eine vollständige Neuordnung der gesellschaftichen Verhältnisse – blieb dagegen unerreicht. Hinzu kam, dass die zunehmende Gewalttätigkeit der Auseinandersetzung – für die auf der einen Seite die Bildung der Roten Armee Fraktion  und auf der anderen Seite verstärkte Polizeigewalt und Radikalenerlass stehen – auf viele abschreckend wirkte.

Vor diesem Hintergrund kam es seit Anfang der 1970er Jahre zu einer allmählichen Abkehr von den revolutionären Zielen. Die angestrebte Befreiung von den gesellschaftlichen Zwängen wurde nun nicht mehr primär durch objektive Veränderungen, sondern durch eine subjektive Neuorientierung zu erreichen versucht. Dies hatte teilweise einen Rückzug ins Private zur Folge, ging jedoch auch mit der Nutzung bewusstseinserweiternder Drogen, dem Ausprobieren neuer, vorwiegend fernöstlicher Religionspraktiken oder gesellschaftlichem Ausstieg einher.

In der Literatur schlug sich diese so genannte „Tendenzwende“ in der Neuen Subjektivität nieder. Diese zeichnete einerseits die  Auswirkungen der gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Alltag der Einzelnen nach, behauptete andererseits aber auch den Selbstverwirklichungsanspruch des Subjekts, indem sie Ansätze einer konkreten Utopie aufzeigte, die sich in und quer zu den entfremdenden Lebensbedingungen ergaben (Beispiele in RB: Alte und neue Perlen, Kapitel 16).

Solchen Versuchen, produktiv mit dem Scheitern der revolutionären Bestrebungen umzugehen, standen allerdings auch opportunistische Anpassungstendenzen gegenüber. Dabei wurde vielfach der einstige Barrikadenjargon beibehalten, während gleichzeitig eine berufliche Karriere innerhalb der etablierten Strukturen angestrebt wurde. Die Gesellschaftskritik verkümmerte so zu einer bloßen Formelsprache, durch die sich vermeintlich progressive Geister in ähnlicher Weise erkannten, wie sich auf der anderen Seite des politischen Spektrums Burschenschafter über Elemente des ihnen eigenen Jargons von anderen absetzen.

Auf diese Entwicklungen spielt der Kabarettist und Liedermacher Hanns Dieter Hüsch in seinem Lied Und ich  mach dummes Zeug an. Dass die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen zum Gegenstand von Smalltalk und universitären Spezialdiskursen verkommen war, wird hier mit den Worten karikiert: „Ekkehard lebt in Bottrop und entlarvt zur Zeit die Bolivianische Krise. /
Christopher lebt in Kassel und entlarvt zurzeit die Analyse dieser Krise. / Guntram lebt in Lübeck und entlarvt zur Zeit die Krise dieser Analyse“. Ziel ist nicht mehr das konkrete gesellschaftsverändernde Handeln. Stattdessen gibt man sich damit zufrieden, „dialektisch enorm relevanter“ zu sein, reduziert also die Gesellschaftskritik auf eine Denksportaufgabe.

Auffallend an Hüschs Lied ist zudem, dass die ehemaligen Kameraden nun jeweils als Einzelkämpfer in Erscheinung treten. An die Stelle des gemeinsamen Kampfs für eine bessere Welt sind die Versuche der Einzelnen getreten, in den etablierten Verhältnissen ihren je eigenen Weg zu finden.

Hüsch assoziiert damit nicht nur den Zerfall der Bewegung, sondern auch ihre Nutzbarmachung für den Kulturbetrieb. Dies verdeutlicht er anhand einer Persiflage der Liedermacherszene, für die er eine beliebige Kombination pseudo- oder postrevolutionärer Bausteine konstatiert. Der Nonsens oder die innere Widersprüchlichkeit der neuen Stilrichtungen – wie etwa im Falle von „polit-gynäkologische[n] Lieder[n]“ oder „elisabethanisch-erotische[n] Aufklärungslieder[n]“ – führen dabei die Kapitulation vor der Unterhaltungsindustrie vor Augen. Die Lieder sollen nicht mehr zum Nachdenken anregen, sondern dem Amüsement oder der Selbstbestätigung dienen. Den Beifall der Kulturindustrie, der den Liedermachern durch diese Anpassungsleistung gewiss ist, karikiert Hüsch durch Unsinnsauszeichungen wie den „‚Erkenn-dich-doch-selbst-mal‘-Orden“ oder den „“Lach-über-dich-selbst-mal“-Pokal“.

Die Musikszene erscheint so als Spiegel der Medienwelt, speziell des Fernsehens, wo ebenfalls, wie Hüsch zynisch konstatiert, die Weltgeschichte als „ein äußerst vielseitig-schöpferisches Spiel“ dargestellt werde:  „mal Folter, mal Frohsinn – mal Frohsinn, mal Folter auf jedem Gebiet“. Für sich selbst zieht der Liedermacher hieraus die sarkastische Schlussfolgerung, lieber gleich nur noch „dummes Zeug“ zu machen, sich also wenigstens ehrlich zu der Kapitulation vor der Kulturindustrie zu bekennen.

Hüsch, Hanns Dieter: Und ich mach dummes Zeug; aus: Nachtvorstellung (1975)

    Liedtext

 

 

 

Bild: Hanns Dieter Hüsch als Kind. Aus: http://www.hannsdieterhuesch.de/leben.html

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