Im fünften Teil des Liedermacher-Specials geht es um die Stimmungslage nach dem Scheitern der Studentenrevolte. In Hannes Waders Lied Langeweile liegt der Fokus auf dem Empfinden der studentischen Protagonisten. Das Lied des Schweizer Liedermachers Fritz Widmer gibt dagegen allgemein die resignative Stimmungslage wieder.
Dieses Lied des Schweizer Liedermachers Fritz Widmer lässt sich als eine Art Abgesang auf die Studentenrevolte lesen. Die aufrührerische Parole „Es lebe Mao“ ist hier nur noch ein verblassender Schriftzug an einer Wand, die von einem Hund angepinkelt wird. Die Beharrungskraft des gesellschaftlichen Alltags hat sich durchgesetzt, die revolutionäre Pose prallt spurlos an ihm ab – und vielleicht hat sich manch einer mittlerweile ja auch eingehender mit den Verbrechen der von Mao angezettelten Kulturrevolution beschäftigt.
Allerdings inszeniert das Lied den Sieg des Bestehenden keineswegs als Triumph. Stattdessen wirkt es eher so, als sei nach der Zeit der Utopien und Visionen, der Hoffnung auf ein anderes, erfüllteres Leben Resignation eingekehrt. Man passt sich nicht deshalb an die etablierten Verhältnisse an, weil man ihre Überlegenheit erkannt hat, sondern weil man den Glauben an ihre mögliche Überwindung verloren hat. Die Folge ist eine Stimmung des melancholilschen Überdrusses, die der Text durch eine lakonische Aufzählung von Banalitäten aller Art evoziert.
Damit macht sich Mitte der 1970er Jahre jene Stimmungslage breit, die schon Mitte der 1960er Jahre, am Beginn der Revolte, vorherrschend gewesen war. So fühlte sich schon Franz Josef Degenhardt in seinem Lied Deutscher Sonntag, das die zähe, veränderungsfeindliche Atmosphäre in der deutschen Wirtschaftswunderwelt beschreibt, von der „Spinne Langeweile“ eingehüllt, die „Fäden spinnt und ohne Eile / giftig-grau die Wand hochkriecht“ (vgl. Liedermacher-Special, Teil 1).
Das Bild fasst die Empfindung der unausgefüllten, sich scheinbar endlos hinziehenden Zeit schlüssig zusammen. Es ist somit – wie die Aneinanderreihung von Banalitäten in Widmers Lied – eine treffende Metapher für die Langeweile. Gleichzeitig spiegelt sich in beiden Texten jedoch auch der Verdruss über die festgefahrenen Verhältnisse, die scheinbare Unmöglichkeit der Veränderung und die Sehnsucht nach einem Leben jenseits der etablierten Strukturen wider. Statt von Langeweile sollte man daher eher von „Ennui“ sprechen, weil der französische Ausdruck – im Gegensatz zum deutschen Begriff „Langeweile“ – all diese Konnotationen umfasst. Konkret handelt es sich dabei um eine Art von Wohlstands-Ennui, in dem objektiv privilegierte materielle Verhältnisse mit dem subjektiven Gefühl eines unausgefüllten Lebens zusammentreffen.
Auch Hannes Waders Lied Langeweile aus dem Jahr 1972 evoziert diese Form des Ennuis. Der Text erscheint wie eine Beschreibung des Tages eines gescheiterten Revolutionärs: Er steht erst spät am Vormittag auf und weiß schon nach einem kurzen Blick aus dem Fenster, dass dieser Tag „im Eimer war“: Draußen ist „alles grau, schwül und stickig“. Nichts passiert, „kein Regen, kein Schnee, keine Sonne, kein Wind“ helfen dabei, das monotone Einerlei zu durchbrechen. Die Stadt, in der der Betreffende lebt, „stinkt, (…), kracht und raucht“ und ist dabei austauschbar: „eine Stadt, deren Namen man nicht zu kennen und die man nie zu sehen gehaben braucht“.
Die Erlebnisse des Tages spiegeln dann schlaglichtartig die gesellschaftlichen Verhältnisse wider, an denen der lustlos durch die Straßen Flanierende leidet:
- Der Nachbar hat seiner Tochter verboten, mit dem Tunichtgut von Nebenan zu sprechen, und bezeugt damit seine Angst vor deren Ansteckung mit dem Virus der Auflehnung: Auf die Revolte ist die Restauration gefolgt, das Bestehende wird nun umso unerbittlicher verteidigt.
- Der Flaneur gerät in eine Demonstration hinein, wird grundlos von Polizisten verfolgt und erfährt so die Gewalt, mit der der Staat seine Kritiker zurückdrängt. Dass dies an dem imaginären „Konrad-Kennedy-Platz“ (Konrad Adenauer + John F. Kennedy) geschieht, verweist auf die engen deutsch-amerikanischen Verflechtungen und damit auch auf den parallel ablaufenden Krieg in Vietnam, als Ausdruck der imperialen Gewalt.
- Ein Kriegsinvalide wünscht sich, man sollte die Demonstrierenden „vergasen“, was die Kontinuität faschistischen Denkens vor Augen führt.
- In „einer Art Puff mit Wein und Krawattenzwang“ hüpft eine „Stripteasetänzerin (…) über die Bühne wie ein Schrat“, was auf die groteske Verbindung von bürgerlichem Anstand und unterdrückten Trieben, die nach einem Ventil suchen, und damit auf die lustfeindliche, heuchlerische Moral der bürgerlichen Gesellschaft hindeutet.
Am Ende ist „wieder ein Tag kaputt, ohne Freude, ohne Sinn, ohne Ziel“. Die Utopie existiert nur noch als Zerrbild bzw. als Karikatur ihrer selbst. Hierfür steht das selbstironisch-sarkastische Vorhaben, in Zukunft die eigenen Spermien so lange zur Samenbank zu bringen, „bis jedes Kind (…) von meinem Blut und nach meinem Bilde angefertigt ist“. Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, dass einem der Glaube an eine eruptiv-revolutionäre Veränderung der Verhältnisse abhandengekommen ist.
Links:
Wader, Hannes: Langeweile; aus: 7 Lieder (1972)
Widmer, Fritz: A der Muur; aus: S geit niene so schön u luschtig (1976); Text entnommen aus: Lassahn, Bernhard (Hg.): Dorn im Ohr. Das lästige Liedermacher-Buch. Mit Texten von Wolf Biermann bis Konstantin Wecker [und einem kommentierten bio-‚discographischen‘ Anhang], S. 93. Zürich 1982: Diogegenes
Bild: Mops und Mao © Dieter Hoffmann