Medien, Macht, Meinung
Nein, die CDU ist nicht gerade souverän mit den blauhaarigen Influencern aus der fremden Internet-Galaxie umgegangen. Erst hat sie es mit Totschweigen versucht, dann gab es das Angebot zu einem Rededuell, und nun wird lieber über die Regeln der Auseinandersetzung diskutiert, als sich dieser zu stellen. Das riecht stark nach beleidigter Leberwurst, nach dem Fußballer, der dem Ball die Schuld an seiner Niederlage gibt.
Auf der anderen Seite ist es aber auch wieder unfair, Annegret Kramp-Karrenbauer vorzuwerfen, sie wolle Meinungsäußerungen im Internet zensieren. Was sie gesagt hat, ist vielmehr, dass wir über die Regeln diskutieren müssen, nach denen im Vorfeld von Wahlen politische Debatten geführt werden. Von „Regulierung“ – wie es jetzt vielfach heißt – war nie die Rede.
Es geht hier nicht um die Frage, wie und ob in Zukunft im Netz politische Meinungen geäußert werden dürfen. Worauf es ihr ankommt, hat AKK vielmehr in einem, wie ich finde, nicht uninteressanten Vergleich deutlich gemacht: Wie hätten wir reagiert, wenn kurz vor den Wahlen die wichtigsten deutschen Tageszeitungen eine klare Wahlempfehlung für oder gegen eine bestimmte Partei ausgesprochen hätten? Wären wir dann nicht in der Tat empört gewesen über diese Grenzüberschreitung, bei der die Medien ihre Aufgabe, zur kritischen Meinungsbildung beizutragen, zu Gunsten von einseitiger Wahlpropaganda aufgegeben hätten?
Die entscheidende Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt, ist: Handelt es sich bei dem Video, das die CDU attackiert hat, um eine private Meinungsäußerung, oder ist hier im Rahmen eines Mediums politische Propaganda betrieben worden?
Die Frage ist deshalb nicht leicht zu beantworten, weil der Begriff „soziale Medien“ selbst mehrdeutig ist. Aktivitäten in den sozialen Medien umfassen ebenso den Kurzkommentar auf Facebook wie politische Blogs und YouTube-Kanäle. Die Grenzen zwischen der persönlichen Meinungsäußerung und der professionellen Medienarbeit sind dabei fließend.
Um das Video der prominenten YouTuber richtig einschätzen zu können, ist es allerdings in jedem Fall hilfreich, sich die Dimensionen vor Augen zu führen, in denen hier Öffentlichkeit hergestellt worden ist. 5 Millionen Klicks in 5 Tagen erreicht man nicht mal einfach so, weil man einen Nerv getroffen hat. Es stimmt zwar, dass Posts in den sozialen Medien sich nach dem Schneeballprinzip verbreiten und man eine Lawine lostreten kann, wenn eine bestimmte Schwelle von Likes und Verlinkungen erreicht ist. Dafür allerdings muss man sehr genau wissen, wo und wie man seine Schneebällchen verteilt.
Mit anderen Worten: Wer im Netz eine möglichst große Verbreitung erreichen will, muss dafür sehr professionell vorgehen – erst recht, wenn die Verbreitung in so kurzer Zeit geschehen soll, wie das bei dem YouTube-Video der Fall war. Man muss dafür sehr genau wissen, wie die diversen Algorithmen der großen Internetportale zu überlisten oder im eigenen Interesse zu beeinflussen sind. Das ist nicht umsonst zu haben. Vielmehr geht das nur mit der Hilfe professioneller Vermarktungsfirmen. Eben eine solche steht aber auch im Hintergrund des Videos der hippen YouTuber. Der Hype um das Video wäre sicher nicht möglich gewesen, wenn diese mit ihrer Kritik nicht auch einen Nerv getroffen hätten. Dass sie eine so rasche und eine so umfassende Aufmerksamkeit für ihr Produkt bekommen haben, beruhte jedoch auf der professionellen Arbeit der im Hintergrund wirkenden Marketing-Agentur und der zahlreichen MitarbeiterInnen.
Damit aber handelt es sich bei dem Video auch nicht einfach um eine persönliche Meinungsäußerung. Es stellen sich vielmehr ähnliche Fragen wie bei den Produkten eines großen Medienunternehmens. Wie wir uns bei Printmedien oder privaten Fernsehanstalten für Herausgeberschaft und Geldgeber interessieren und daraus Zweifel an der Unabhängigkeit der Berichterstattung ableiten, ist auch bei YouTube-Kanälen die Frage nach den Hintermännern angebracht: Wie sind die Finanzierungsverhältnisse, wer leitet die Kampagne, und in welchem Interesse geschieht das? Gibt es Verflechtungen mit bestimmten politischen oder privatwirtschaftlichen Interessengruppen?
Solche Fragen zu stellen, hat nichts mit Zensur zu tun. Vielmehr ist es gerade für die Gewährleistung einer unabhängigen, kritischen Meinungsbildung wichtig, sich über die Hintergründe bestimmter Medienkampagnen zu informieren. Damit mag AKK zwar wie eine beleidigte Leberwurst wirken und sich mit ihrem Ausweichen vor der politischen Auseinandersetzung unsportlich verhalten. Ihre Überlegungen zu dem Video sind jedoch – auch wenn ich das nur ungern zugebe – durchaus bedenkenswert.
Links:
Meike Gröneweg: Was macht Rezo im Internet, wenn er nicht auf die CDU schimpft? Neue Osnabrücker Zeitung. 28.05.2019
Ben Rüegg: Das sind die Tricks derInfluencer: Powerlikes, Engagement Pods, Shoutouts & Co. OMR.com Oktober 2018
Bild: Hans Braxmeier: Die blaue Perücke (Pixabay)
Das ist mal eine erfrischend andere Sicht auf die Dinge. Obwohl ich doch recht Vielem, was Rezo in seinen Wut-Video von sich gibt, zustimmen kann, geht mir der Hype um den Youtuber auf den Wecker. Rezo beschäftigt einen ganzen Mitarbeiterstab und herausgekommen ist ein nicht ganz falsches, aber doch von vielen Verallgemeinerungen, Einseitigkeiten und Oberflächlichkeiten durchsetztes Statement. Du hast wahrscheinlich keine Mitarbeiter??? – Dennoch lese ich auf deiner Seite extrem fundierte und differenzierte Beiträge, die die Dinge auch mal gegen den Strich bürsten. Du hast keine 5 Millionen Klicks, weil Oberflächliches eher wahrgenommen wird und fundierte Artikel eine geistige Mitarbeit und Aktivität der Rezipienten verlangen. Von einem Youtube-Video kann ich mich berieseln lassen.
Das ist das eine: Das andere ist, dass der Mensch ein Herdentier ist, Millionen haben es geklickt …Das ist das Qualitätsurteil …Den Inhalt oder die Form zu kritisieren, birgt die Gefahr aus der großen (grünen?) Herde ausgeschlossen zu werden, als uncool dazustehen und am Ende noch als Klimaleugner bezeichnet zu werden. Es besteht eine wundervolle Einigkeit. Man muss sich nur in den mainstreamigen Meinungsbrei einordnen, mitliken und schon ist man voll akzeptiert und schwimmt auf der hippen grünen Lifestyle-Welle oder auf der braunen Hass-Welle mit. Selber denken und hinterfragen ist MEEEGAAA-uncool und macht furchtbar einsam. Im Netz gilt: Entweder man ist braun (AFD und Konsorten) oder grün. Beide Internet-affinen Richtungen bieten ein komplettes, nicht zu hinterfragendes Weltbild to go. Ist diese Art von Sozialdruck gegen jegliche Differenzierung und Buntheit nicht auch ein Angriff auf die wieder viel beschworene „Meinungsfreiheit“ ? Das fragt sich Renate Schmitt aus Brandenburg
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Ich hab mir das Video angetan und es ist wirklich nicht schlecht. Allerdings dachte ich mir auch gleich, dass das dieser Rezo das nicht allein gemacht hat. Und von daher ist es durchaus auch legitim, über Regeln nachzudenken. Aber, wir leben im Zeitalter der Übertreibungen, der ständigen Überhitzung.
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Chapeau. Mal jemand, der selbst denkt und das auch noch veröffentlicht. Ich würde mich wirklich freuen, wenn mehr diskutiert würde, auch mal differenziert und kontrovers. Jetzt gibt es eine Petition gegen die Äußerungen einer Politikerin. Lächerlich!- Die Welt ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Besser mal ein gutes Buch lesen, durch den Wald spazieren, ein gutes Glas Wein trinken und die Dinge hin- und herwenden als mitzugackern. Weiter so, Herr Baron!
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„Wie hätten wir reagiert, wenn kurz vor den Wahlen die wichtigsten deutschen Tageszeitungen eine klare Wahlempfehlung für oder gegen eine bestimmte Partei ausgesprochen hätten? Wären wir dann nicht in der Tat empört gewesen über diese Grenzüberschreitung, bei der die Medien ihre Aufgabe, zur kritischen Meinungsbildung beizutragen, zu Gunsten von einseitiger Wahlpropaganda aufgegeben hätten?“
Wieso Konjunktiv II? Waren Sie beispielsweise hierüber empört?
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-afd-bitte-waehlen-sie-nicht-die-rechtspopulisten-kolumne-a-1081405.html
Ich denke, dass das Problem ganz woanders liegt. Ich diskutiere es hier:
https://dekadenzkritik.wordpress.com/2019/05/28/die-macht-der-meinung-rezo-und-akk/
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