Hilfe, die Saarländer kommen!

Zur „Saarlandisierung“ deutscher Politik.

Überarbeitete Fassung Juli 2019.

heikoakk

Außen-, Wirtschafts-, jetzt auch noch das Verteidigungsministerium – alles fest in saarländischer Hand. Wie ist diese geballte Saar-Power zu erklären?

Bundespolitische Saar-Power

Nach dem Außen- und dem Wirtschaftsministerium steht nun auch noch das Bundesverteidigungsministerium unter saarländischer Führung. Hätte das Trio, das die drei Ministerien leitet, sich auf dem freien Markt bewerben müssen, so wäre wohl allenfalls Peter Altmaier mit einer solchen Aufgabe betraut worden. Durch seine langjährige europapolitische Erfahrung, seine Fähigkeit, sich in mehreren Sprachen frei zu bewegen, und seine Kompetenz auf dem Gebiet des Arbeitsrechts verfügt er immerhin über eine Art von Affinität zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen.

Bei Annegret Kramp-Karrenbauer und Heiko Maas dagegen steht im Lebenslauf an vorderster Stelle der langjährige Machtkampf, den sie im Saarland gegeneinander ausgefochten haben. Derartige Qualifikationen sind jedoch kein saarländisches Alleinstellungsmerkmal, sondern werden den politisch Ambitionierten auch in anderen Provinzen der deutschen Republik vor allem anderen antrainiert. Wäre es darum gegangen, hätte man also nicht von dem Bundesländer-Proporz abweichen müssen, der ansonsten beim Postengeschacher auf Bundesebene peinlich genau beachtet wird.

Es muss also einen anderen Grund dafür geben, dass die saarländische Fahne mittlerweile so machtvoll über Berlin weht, dass sie bald das ganze Regierungsviertel einhüllen wird. Wie schaffen es die saarländischen Provinzlinge nur, so unverzichtbar zu wirken, dass sich niemand wundern müsste, wenn die Bundeshauptstadt demnächst von Berlin nach Saarbrücken verlegt würde?

Schließlich handelt es sich bei dem saarländischen Prinzenpaar, das Außen- und Verteidigungsministerium unter sich aufgeteilt hat und bei einer möglichen Kanzlerschaft AKKs demnächst vielleicht ganz die Macht im Bund übernehmen wird, um keine Ausnahmeerscheinung. In dem ehemaligen SPD- und Linken-Chef Oskar Lafontaine, der früheren Grünen-Vorsitzenden Simone Peter und einem gewissen Erich Honecker, dessen Herkunft aus dem Saarland man dortselbst weniger gern erwähnt, verfügt das Traum-Duo vielmehr über prominente Vorgänger. Und auch Gerhard Schröder trug den Sozialstaat mit Hilfe eines Saarländers zu Grabe: Peter Hartz gab jenen Reformen den Namen, die bis heute als Inbegriff des sozialpolitischen Kahlschlags gelten.

Das Saarland – ein deutsches Harvard?

Das Saarland spielt demnach auf überregionaler Ebene eine Rolle, die in umgekehrtem Verhältnis zu seiner Größe und faktischen Bedeutung steht. Wie ist das zu erklären? Ist das Saarland etwa das deutsche Harvard? Werden hier die Pendants der französischen „Enarchen“ geformt, der Absolventen der Verwaltungshochschule ENA (école nationale d’administration), die in Frankreich die Politik bestimmen?

Mir sind entsprechende Ausbildungsstätten nicht bekannt. Aber vielleicht ist es ja auch gar keine formelle Ausbildung, die einen in Deutschland zum Spitzenpolitiker prädestiniert. Nur: Was ist es dann, das die SaarländerInnen den politisch Aktiven aus anderen Bundesländern voraushaben?

Eine mögliche Erklärung ist rein praktisch-organisatorischer Natur. Weil das Saarland so klein ist, ist es hier viel einfacher als anderswo, an die Spitze der Macht zu gelangen. Die Ochsentour durch die Kreis- und Bezirksräte, die den Weg nach oben andernorts recht steinig macht, bleibt einem hier ganz oder doch wenigstens zum größten Teil erspart. So werden die Aufstiegswilligen auch schneller in die einschlägigen Bundesgremien delegiert und können dort auf sich aufmerksam machen.

Kranzkuchen-Politik

Eine weitere Erklärung für den saarländischen Durchmarsch betrifft die kommunikative Ebene. Der ehemalige Vorsitzende der saarländischen GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), Peter Balnis, hat einmal gesagt: „Das Annegret“ – das Annegret, weil Frauen im Saarland durch einen sprachlichen Jungbrunnen für immer Mädchen bleiben – „macht Politik mit Kranzkuchen.“

Diese Bemerkung charakterisiert treffend die Art, wie im Saarland politische Interessen durchgesetzt werden und politischer Ehrgeiz befriedigt wird. Man kämpft sich hier nicht an die Macht, sondern kungelt sich nach oben. Ellbogen helfen nicht weiter. Vielmehr ist es wichtig, andere mit unverbindlichen Freundlichkeiten einlullen zu können: Hier ein Stück Kranzkuchen, dort eine kleine Gefälligkeit, ein scheinbares Entgegenkommen, das die anderen faktisch den eigenen Interessen dienstbar macht. Nur so ist in der saarländischen Filzokratie politischer Aufstieg möglich. Wer die örtlichen Provinzpaten nicht hofiert und mit kleinen Aufmerksamkeiten (Aufträge für Bauunternehmer, lukrative Pöstchen für den Hofstaat der politischen Platzhirsche etc.) zufrieden stellt, wird ganz schnell ins politische Abseits befördert.

Diese Umgangsformen haben sich durch den Konsenszwang der Großen Koalition noch einmal verstärkt. Sie gelten daher in verstärktem Maße für die jüngere PolitikerInnengeneration und weniger für Alphatiere wie Oskar Lafontaine, der in den unendlich fernen Zeiten absoluter sozialdemokratischer Mehrheiten noch als „Napoleon von der Saar“ durchregieren konnte.

Auf der Bundesebene, wo die wenigsten mit der spezifischen politischen Kultur des Saarlands vertraut sind, wirken die von dort Entsandten durch ihre politische Sozialisation oft verbindlicher als Menschen, die nicht durch eine entsprechende kommunikative Schule gegangen sind. Sie hauen nicht auf den Tisch, sie gehören nicht zur Basta-Fraktion, sie drängen sich nicht vor. Ihre Durchsetzungsstrategie beruht eher auf vermittelnden Beiträgen und der Fähigkeit, anderen eine grundsätzliche Offenheit gegenüber deren Interessen und Positionen zu signalisieren.

Auf diese Weise lässt sich leicht das eigene Beliebtheitskonto auffüllen. Menschen, von denen viele sich verstanden fühlen, die sich gleichzeitig aber nicht in den Vordergrund drängen, eignen sich aber auch hervorragend als KompromisskandidatInnen. Sie sind diejenigen, auf die konkurrierende Lager sich am ehesten einigen können, wenn keines von ihnen die Mehrheit erreichen kann.

Saarländische Marionetten?

Aber hatte die saarländische Provinzprinzessin bei der Wahl zur CDU-Parteivorsitzenden in Friedrich Merz nicht einen potenten Konkurrenten? Hat sich mit ihrer Wahl nicht gerade ein Lager gegen das andere durchgesetzt? Ja, richtig. Aber: Friedrich Merz kam von außen. Im Inner Circle war „AKK“ bis zum Auftritt des rachelüsternen Polit-Aussteigers unumstritten. Mit Ausnahme von Ego-Shooter Spahn hatten alle innerparteilichen Konkurrenten stillgehalten, insbesondere die mächtigen Landesfürsten.

Und hier kommt nun noch ein weiterer Punkt ins Spiel: die Frage nämlich, ob der Parteivorsitz, ein Eintritt in die Bundesregierung oder auch das Kanzleramt für die politische Elite in den großen Bundesländern überhaupt erstrebenswert sind. Seit der Verfassungsreform von 2006, die die Entscheidungsbefugnisse der Länder in wichtigen Teilbereichen noch einmal erheblich erweitert hat, ist ein großes Bundesland ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Machtbasis. Und jagt es sich aus dem Hinterhalt nicht viel erfolgreicher? Lässt sich das Wild so nicht viel effektiver in die gewünschte Richtung treiben?

Auch dies könnte demnach eine Erklärung für den frappierenden Aufstieg saarländischer PolitikerInnen an die Schalthebel des Staates sein: Sie erscheinen den Herrschenden in den regionalen Machtzentralen als Marionetten, über die sie ihre Interessen durchsetzen können, ohne sich selbst den bundespolitischen Stress-Job antun zu müssen. Dahinter können auch handfeste materielle Interessen stehen. Schließlich lässt sich das Networking in der Provinz eher mit einem lukrativen Anschluss-Job vergolden als im Falle einer KanzlerInnentätigkeit. Nicht jedem ist es gegeben, sich über ungeschriebene Anstandsregeln so schamlos hinwegzusetzen wie Gerhard Schröder, der einfach Putin-Büttel geworden ist, nachdem er nicht mehr Auto-Kanzler sein durfte.

In saarländischen PolitikerInnen Spielfiguren zu sehen, die sich nach Belieben manipulieren lassen, dürfte allerdings auf einem (polit-)kulturellen Missverständnis beruhen. Die verbindliche, unaufdringliche Art, die sie im politischen Mikro-Klima ihrer Heimat erworben haben, mag ihnen zwar in Fleisch und Blut übergegangen sein, so dass sie sich als Projektionsfläche für alle möglichen politischen Wünsche und Interessen eignen. Dies gilt dann aber auch für den gezielten Einsatz dieser Kommunikationsstrategien zum Erwerb und Erhalt der politischen Macht. Halten sie diese einmal in Händen, dienen dieselben Kommunikationsstrategien ihnen dazu, ihre Gegner gegeneinander auszuspielen oder „totzulieben“, ohne dass es diesen auffällt.

 

Mehr zu AKK: Die Musterschülerin- AKK: Schein und Sein

Ein Kommentar

  1. Als Pfälzerin musste ich bei diesem Artikel schmunzeln. In RLP gibt es auch so eine Art gemütlichen Filz. Vielleicht ist das eher so eine Art „Riesling-Politik“. Aber ganz offensichtlich ist das Saarland in dieser Disziplin erfolgreicher. ..
    Mal sehen, wann die ersten Politikerinnen auf Bundesebene totgeliebt werden 😉

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