Zur Diskussion um die Einführung von Corona-Bonds
Die zunehmende Verschuldung infolge der Corona-Krise ist für viele Staatshaushalte eine große Belastung. Zur Linderung der Not werden deshalb einmal mehr Euro-Bonds ins Gespräch gebracht. Diese beruhen allerdings auf einer sehr eingeschränkten Vorstellung von Solidarität.
Vorteile von Euro- und Corona-Bonds
Problematische Nebeneffekte
Andere Unterstützungsinstrumente
Vergemeinschaftung von Schulden ohne gemeinschaftliche Finanzpolitik?
Zusammenfassung
Vorteile von Euro- und Corona-Bonds
Angesichts der ungeheuren Belastungen, die die Corona-Krise für die Staatshaushalte bedeutet, ist eine alte Diskussion aus den Zeiten der letzten Finanzkrise neu aufgeflammt: die Diskussion um die Einführung so genannter „Euro-Bonds“, die jetzt passend in „Corona-Bonds“ umgetauft worden sind.
Der Vorteil solcher Wertpapiere liegt auf der Hand. Wenn sich Staaten, die ohnehin schon eine hohe Schuldenlast zu schultern haben, weiter verschulden müssen, steigen die Zinsen, die sie für die von ihnen ausgegebenen Staatsanleihen zu zahlen haben. Wer diesen Staaten Geld leiht, geht ein höheres Risiko ein, das er sich entsprechend vergüten lassen will. Zusätzlich befeuert wird der Zinsanstieg dann noch durch die Ratingagenturen, die aus der Spirale steigender Zinsen die Gefahr eines drohenden Staatsbankrotts herauslesen und die Bonität der Staaten demzufolge herabstufen.
Euro- bzw. Corona-Bonds würden einer solchen Abwärtsspirale wirksam begegnen. Denn ihr Grundgedanke besteht ja gerade darin, dass sie von allen Euro-Staaten gemeinsam ausgegeben werden. Dadurch würden dann auch alle gemeinsam für die aufgenommenen Schulden haften. Die Reichen würden also gewissermaßen für die Armen bürgen. Auf diese Weise lässt sich die Rückzahlwahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, was zu einer spürbaren Senkung der für Staatsanleihen in diesem Rahmen zu zahlenden Zinsen führen müsste.
Problematische Nebeneffekte
Besonders laut wird die Einführung von Corona-Bonds derzeit von Spanien gefordert. Die Corona-Krise treffe alle gleichermaßen, also sei jetzt auch der Zeitpunkt für die Bekundung europäischer Solidarität gekommen. Die Überlebensfähigkeit von EU und Euro wird von der spanischen Regierung geradezu an der Zustimmung der anderen zur Idee der Corona-Bonds festgemacht.
Moment mal: Spanien … europäische Solidarität … gemeinsames Handeln … Da war doch was? War es nicht auch eine spanische Regierung, die sich jede Einmischung von außen verbeten hat, als spanische Gerichte jahrzehntelange Haftstrafen für die Durchführung einer Volksbefragung in Katalonien verhängt haben? Hieß es im Katalonien-Konflikt nicht immer, dieser sei eine rein innerspanische Angelegenheit, die die EU nichts angehe? Wo war der europäische Gedanke, als eine spanische Region den Sonntagsspruch vom „Europa der Regionen“ ernst genommen hatte und sich eher in Europa als im spanischen Nationalstaat verorten wollte?
Die Diskussion um die Corona-Bonds verweist damit auf eine Problematik, die sich – in deutlich schärferer Form – auch bei Ländern wie Polen oder Ungarn beobachten lässt. Materielle EU-Werte lässt man dort gerne gelten. Genutzt werden diese aber gerade zur Zementierung ideeller Werte, die denen der EU diametral entgegengesetzt sind. In beiden Fällen werden EU-Gelder von den Machthabenden genutzt, um sich die Unterstützung insbesondere der ländlichen Bevölkerung zu sichern, die am stärksten von den EU-Hilfen profitiert. Hier wie dort dient die auf diese Weise abgesicherte Macht dazu, Grundrechte und essenzielle Elemente eines demokratischen Rechtsstaats (wie Pressefreiheit und Gewaltenteilung) mit Füßen zu treten.
Andere Unterstützungsinstrumente
Natürlich muss eine ideelle Wertegemeinschaft immer auch eine materielle Basis haben. Die Berufung auf gemeinsame Werte darf kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern muss sich auch in finanzieller Hilfe für ärmere Länder und Regionen manifestieren.
Eben dies geschieht jedoch bereits. Die entsprechenden Fördertöpfe der EU sind prall gefüllt und haben vielerorts zu einer spürbaren Anhebung des Lebensniveaus geführt. Auch kann man nicht sagen, dass es in der Corona-Krise keine materielle europäische Solidarität gäbe. EU-Kommission und Europäische Zentralbank haben jeweils Unterstützungsprogramme im Wert von mehreren hundert Milliarden Euro aufgelegt. Zusätzlich werden die Defizitkriterien für die Staatshaushalte vorübergehend weniger streng gehandhabt, um den EU-Staaten in der Krise eine höhere Verschuldung zu ermöglichen.
Als weiteres Förderinstrument gibt es seit der letzten Wirtschafts- und Finanzkrise noch den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Es ist verständlich, dass dieser von Not leidenden Ländern mit Argwohn betrachtet wird. Die Art, wie insbesondere Griechenland von der gefürchteten „Troika“ aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds zu immer neuen Sparmaßnahmen und sozialen Einschnitten genötigt worden ist, ist allen noch lebhaft in Erinnerung.
Die fast schon sadistische Knechtung des griechischen Volkes ist in der Tat keine Blaupause für den künftigen Umgang mit Krisenstaaten. Diese Vorgehensweise hat nicht nur den Solidaritätsgedanken ad absurdum geführt. Sie war vielmehr auch dysfunktional, weil sie den Sozialstaat sturmreif geschossen hat. Das neoliberale Einsparungsmantra verschärft jetzt die Krise, zumal es auch den Gesundheitsbereich betroffen hat. So sind die Ausgaben für diesen auch in Spanien in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.
Dies bedeutet aber nicht, dass künftige Gelder aus dem ESM ohne Bedingungen vergeben werden müssen. Sie könnten vielmehr gerade an den Wiederaufbau des vielerorts löchrig gewordenen Sozialstaats gebunden sein. Speziell in Spanien, wo viele Menschen infolge der Finanzkrise ihre Immobilienkredite nicht mehr bedienen konnten und ihre Wohnungen verloren haben, würde das auch einen deutlich verbesserten Schutz vor Räumungsklagen bedeuten. Corona-Bonds würden dagegen lediglich eine allgemeine Stärkung des Staatshaushalts bewirken, der auch für unsoziale und undemokratische Zwecke genutzt werden kann: die Stärkung des Polizeigewalt, die Förderung der Bauwirtschaft und ihrer Kumpanei mit den Banken, Schaufensterprojekte der Regierung …
Vergemeinschaftung von Schulden ohne gemeinschaftliche Finanzpolitik?
Bei allem Verständnis für die Forderung nach materieller Unterstützung in der Krise darf eine sehr unangenehme Eigenschaft von Geld nicht vergessen werden: Dieses neigt dazu, seinen eigenen Wert aufzuzehren, wenn man zu viel davon in Umlauf bringt. Bei der Größe der Finanzspritzen gibt es also eine Grenze, jenseits derer sich der erwünschte Effekt in sein Gegenteil verkehrt und mit einer galoppierenden Inflation auch jene Werte vernichtet, die bislang nicht von der Krise betroffen waren.
Verhindern lässt sich eine solche Entwicklung nur durch eine sehr umsichtige Politik, bei der alle Schritte genau aufeinander abgestimmt sind. Dies bedeutet: Es reicht nicht, anderen Ländern einfach immer neue Schubkarren voller Geld vor die Haustür zu schütten. Vielmehr muss auch gemeinschaftlich darüber entschieden werden, wie mit diesen Geldhaufen umgegangen werden soll.
Damit lenkt die Krise den Blick auf einen Konstruktionsfehler, an dem der Euro seit seiner Einführung krankt: Die Defizitkriterien geben zwar einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Finanzpolitik der Länder bewegen soll. Substanzielle Übereinkünfte fehlen jedoch größtenteils. Weder in der Steuer- noch in der Ausgabenpolitik gibt es eine echte gemeinschaftliche Linie.
Diese fehlenden Übereinkünfte führen beispielsweise dazu, dass die Länder sich bei den Unternehmenssteuern gegenseitig unterbieten können, wodurch globale Konzerne am Ende immer irgendwo ein Steuerparadies finden, das sie von der unangenehmen Last der Gemeinschaftsbindung des Einkommens entbindet. Wenn aber die in der Krise eingeforderte materielle Solidarität nur der Aufrechterhaltung einer im Kern unsolidarischen Finanzpolitik in den einzelnen Ländern dient, ist sie letztlich ein Muster ohne Wert.
Zusammenfassung
Die Wertegemeinschaft der Europäischen Union muss sich auch in materiellen Unterstützungsmaßnahmen für Not leidende Staaten manifestieren. Dabei dürfen allerdings die folgenden Punkte nicht außer Acht gelassen werden:
- Materielle muss stets mit ideeller Solidarität einhergehen. Finanzielle Transferleistungen dürfen nicht für den Machterhalt von Regimen genutzt werden, die die demokratisch-rechtsstaatlichen Ideale der Europäischen Union mit Füßen treten.
- Materielle Solidarität darf sich nicht allein auf die Sanierung von Staatshaushalten beziehen. Ihr Kernziel muss vielmehr die Förderung sozialer Gerechtigkeit sein.
- Materielle Solidarität setzt gemeinsame finanzpolitische Konzepte voraus, wenn sie eine langfristige gemeinschaftsstärkende Funktion erfüllen und die Geldwertstabilität nicht gefährden soll.
Mehr zum Katalonien-Konflikt: Das Recht des Stärkeren- der Katalonien-Konflikt ist keine innerspanische Angelegenheit
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