Zehn Argumente gegen das gesprochene Gendersternchen

Eine Kritik der Unkritisierbaren

Immer häufiger begegnet uns das Gendersternchen auch in der gesprochenen Sprache. Der Anspruch einer Sprache, die alle anspricht, wird dabei allerdings nicht eingelöst. Wer genau hinhört, wird feststellen: Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Zum Gendersternchen hat es an dieser Stelle vor einiger Zeit bereits ein ausführliches Essay gegeben (vgl. Exklusive Inklusivität). Der folgende Beitrag fasst einige der wichtigsten Argumente gegen das Gendersternchen – insbesondere in seiner gesprochenen Form – noch einmal in prägnanter Form zusammen.

1.) Das Gendersternchen bringt Frauen zum Verschwinden. Der Gedanke, dass ein Großteil des als „geschlechtsspezifisch“ wahrgenommenen Verhaltens in Wahrheit auf sozialen Lernprozessen und Zuschreibungen beruht, ist fraglos eine wichtige geistesgeschichtliche Errungenschaft. Ihn sprachlich festzuschreiben, birgt jedoch die Gefahr in sich, dass ein wesentliches Anliegen des Gender-Diskurses konterkariert wird.
Anstatt Frauen zu ermutigen, sich aus dem Korsett enger Rollenzuschreibungen zu befreien, wird durch das Gendersternchen suggeriert, dass es gar keine Geschlechterpolarität mehr gibt. Dies erschwert es Frauen, die unter eben dieser Geschlechterpolarität leiden, sich gegen patriarchale Unterdrückungsmechanismen zur Wehr zu setzen.
So ist für die argentinische Bewegung Ni una menos (Nicht eine weniger – Jedes Frauenleben zählt!), die sich gegen die alltäglichen Frauenmorde in dem Land einsetzt, gerade die Betonung der Würde und des Werts jedes einzelnen weiblichen Lebens wichtig (1).

2.) Das Gendersternchen verfestigt die implizit männliche Sicht auf biologische Prozesse. Nicht nur auf der soziokulturellen Ebene können Frauen aus dem Kaschieren der Geschlechterpolarität massive Nachteile erwachsen. Noch drastischere Konsequenzen können sich hieraus in der Medizin ergeben. Wie die US-amerikanische Physikerin und Wissenschaftskritikerin Evelyn Fox Keller herausgearbeitet hat, ist die Biologie in weiten Teilen von einer männlichen Sicht geprägt. Hierdurch werden etwa Kampf und Konkurrenz gegenüber Empathie und Solidarität in ihrem Wert für den Fortgang der Evolution überbetont (2).
In der Medizin führt die implizite Dominanz des männlichen Blicks dazu, dass die Diagnose von Krankheiten am männlichen Körper ausgerichtet wird. Dieser zeigt aber bei vielen Krankheitsbildern – wie etwa beim Herzinfarkt – ganz andere Symptome als der weibliche Körper (3).

3.) Das Gendersternchen kaschiert die Kontinuität von Geschlechterrollenklischees. Während das Gendersternchen suggeriert, das die tradierten Geschlechterrollen der Vergangenheit angehören, betreiben gleichzeitig Sendungen wie Germany ’s Next Topmodel die Reduzierung der Frau auf den perfekten Körper.
Solange der männliche Blick auf den weiblichen Körper so ungeniert zum Maßstab der Betrachtung und Bewertung von Frauen gemacht wird, erscheint es vordringlich, den patriarchalen Klischeebildern mit alternativen Konzepten von Weiblichkeit entgegenzutreten. Dies wird erschwert, wenn die Frau hinter einem Unisex-Zeichen verschwindet. Im Endeffekt werden damit jene benachteiligenden Strukturen zementiert, die durch das Gendersternchen der Idee nach überwunden werden sollen.

4.) Das Gendersternchen bringt den Menschen zum Verschwinden. Das gesprochene Gendersternchen entspringt dem Bemühen, eine sprachliche Verlegenheit in Worte zu fassen. Weil das generische Maskulinum Frauen und Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen, zu missachten scheint, wird eine sprachliche Neuschöpfung an die Stelle der alten Bezeichnungen gesetzt.
Da diese Neuschöpfung allerdings nicht organisch gewachsen ist, strahlt sie den Charme einer Kopfgeburt aus. Anstatt – wie angestrebt – alle Menschen anzusprechen, spricht sie de facto überhaupt keine Menschen an. Weil die neue Sprachregelung von keiner Realität gedeckt ist, muss sie die Realität des Menschseins notgedrungen verfehlen. Aus konkreten Menschen mit einer Vielfalt von geschlechtlichen Zuordnungen wird so eine uniforme Masse von Neutren.

5.) Das Gendersternchen führt zu einer Genitalfixierung der Sprache. Um auszudrücken, dass Personenbezeichnungen alle Menschen gleichermaßen mitmeinen sollen, gibt es in der deutschen Sprache eine Reihe von Möglichkeiten: das substantivierte Partizip Präsens (Studierende, Forschende, Teilnehmende …), Paraphrasierungen (die zu dem Fest Gekommenen) oder auch unpersönliche Satzformen (Wer an dem Fest teilgenommen hat, …).
Das Ungenügen an all diesen Ausdrucksformen beruht darauf, dass sie nicht explizit auf Personen hinweisen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Eben dieser explizite Hinweis hat aber zur Folge, dass statt der einfachen Charakterisierung von Personen über entsprechende Bezeichnungen stets die Aufmerksamkeit auf die geschlechtliche Zuordnung gelenkt wird.

6.) Das Gendersternchen hebt eine Minderheit gegenüber anderen Minderheiten heraus. Menschen mit einer nicht eindeutig männlichen oder weiblichen geschlechtlichen Zuordnung waren in der Vergangenheit häufig sozialer Stigmatisierung ausgesetzt und sind dies vielerorts auch heute noch. Diskriminierungen erfahren jedoch auch zahlreiche andere Minderheiten. So stellt sich die Frage, warum eine auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung mehr sprachliche Aufmerksamkeit verdienen soll als andere Formen von Diskriminierung.
Wenn schon davon ausgegangen wird, dass eine politisch korrekte Personenbezeichnung zur Überwindung von Diskriminierung beitragen kann, müsste auch für Menschen, die aus religiösen, ethnischen, kulturellen, politischen, sozialen, körperlichen oder anderen Gründen benachteiligt werden, ein sprachliches Mahnmal geschaffen werden.

7.) Das Gendersternchen hat eine Verunklarung der Diskurse zur Folge. Da das Gendersternchen kein organisch gewachsener Bestandteil der Sprache ist, zieht es – insbesondere in seiner gesprochenen Variante – unwillkürlich die Aufmerksamkeit auf sich. Dadurch aber tritt der Genderdiskurs auch dann in den Vordergrund, wenn es um ganz andere Themen geht.
Dies kann auch dem moralischen Impetus des Gendersternchens zuwiderlaufen. So grenzt es bei der verzweifelten Lage der Menschen im jemenitischen Kriegsgebiet fast schon an Zynismus, von Jemenit*innen zu sprechen. Menschen, die tagtäglich um ihr Leben fürchten müssen, haben andere Probleme als den Genderdiskurs in den warmen Stuben der deutschen Schickeria.

8.) Das Gendersternchen führt zu einer selektiven „linguistic correctness“. Die sprachliche Fleißübung, die das Gendersternchen den Sprechenden abverlangt, lässt sich kaum durchgehend bewältigen. Dies hat zweierlei zur Folge: Zum einen wird dem männlichen Teil der Bevölkerung großzügig der negative Teil der Personenbezeichnungen überlassen. Nationalisten, Terroristen oder Kinderschänder dürfen ruhig männlich sein, während Helferinnen, Klimaschützerinnen und Weltretterinnen mit dem Gendersternchen geadelt werden. Zum anderen ist bei zu häufigem Zwang zum pausierenden Gendergedenken mitten im Wort die Tendenz zur Abschleifung zu beobachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Pause dem natürlichen Sprachfluss allzu sehr widerspricht oder Lautveränderungen zur Folge hat. Ersteres trifft etwa für Polinnen oder Hunninnen zu, Letzteres für Libanesinnen oder Proband*innen, da in diesem Fall die Genderpause aus dem weichen einen harten Konsonant macht.
Die Abschleifungen haben zur Folge, dass de facto nur die weibliche Form übrig bleibt, Männer also nicht mehr mitgemeint sind. Daraus ließe sich dann aber gleich ein Prinzip machen, indem ganz bewusst mal die männliche und mal die weibliche Form verwendet würde.
Gerade diejenigen, die an einen unmittelbaren Einfluss des gesprochenen Wortes auf die soziale Praxis glauben, sollten diese Vorgehensweise der derzeitigen sprachlichen Genderwirklichkeit vorziehen. Wer nämlich Männern permanent die sprachliche A…-Karte zeigt, riskiert damit eine self-fulfilling prophecy, durch die Männer sich am Ende mit eben jenen machohaft-unappetitlichen Verhaltensmustern identifizieren könnten, welche die Genderokraten ihnen doch eigentlich abgewöhnen möchten.

9.) Das Gendersternchen hat die Qualität eines sprachlichen Putsches. Es entspricht den Umgangsformen einer saturierten Penthousefraktion, die sich durch sprachliche Korrektheit ihrer moralischen Überlegenheit versichert. Indem die Sprachkonventionen einer Minderheit ohne breiten gesellschaftlichen Diskurs der Mehrheit aufgezwungen werden, führt sich der demokratische, auf Gleichberechtigung abzielende Anspruch der neuen Sprachregelung selbst ad absurdum.

10.) Das Gendersternchen hat eine sozial ausschließende Wirkung. Hinter dem Gendersternchen steht die Verheißung einer Sprache, die alle anspricht. De facto ist jedoch genau das Gegenteil der Fall. Anstatt inklusiv zu wirken, entfaltet das Beharren auf den am Designertisch erdachten Sprachkonventionen eine dezidiert exklusive Wirkung.
Alle, die sich dem neuen Sprachdiktat nicht unterwerfen, werden als inhuman oder als geistig nicht auf der Höhe der Zeit abqualifiziert. Die angemaßte Deutungshoheit hat damit auch eine soziale Distinktionsfunktion. Wer die zungenbrecherische Übung des gesprochenen Gendersternchens souverän bewältigt, verschafft sich damit eine Eintrittskarte zur gesellschaftlichen Elite. Auf die anderen wird mitleidig-verächtlich herabgeblickt.
Dies affiziert dann auch den Alltag jener Menschen, auf deren Prioritätenliste das Gendersternchen nicht an erster Stelle steht. Armut? Arbeitslosigkeit? Wohnungsnot? Wie old-fashioned! Was heute zählt, ist allein die gendergerechte Sprachakrobatik!

Nachweise

  • (1) Herrberg, Anne: Frauenmorde in Argentinien: NiUnaMenos – Kein weiteres Opfer! Deutschlandfunk, 8. März 2019.
  • (2) Fox Keller, Evelyn:  Das Leben neu denken: Metaphern der Biologie im 20. Jahrhundert, München 1998: Kunstmann (engl. Refiguring Life: Metaphors of Twentieth-century Biology, 1995).
  • (3) Vgl. Schriber, Heidi: Geschlecht und Medizin. In: Managed Care 4 (2005), S. 39 f.: Buchbesprechung (PDF; Rezension zu: Rieder, Anita / Lohff, Brigitte Lohff (Hg.): Gender Medizin. Geschlechtsspezifische Aspekte für die klinische Praxis. Wien 2004: Springer); speziell zu den unterschiedlichen Symptomen bei Herzinfarkten vgl. Wolfrum, Christine: Herzinfarkt: Was bei Frauen anders ist. Apotheken-Umschau, 22. März 2018.

Bild: Collage unter Verwendung von IrmaArt: Penthouse (Pixabay)

6 Kommentare

  1. Ich finde Gendern zum Kotzen. Es geht mir gegen den Strich, denn was interessiert es mich, ob ein Richter eine Richterin oder eine Putzfrau ein Putzmann ist. Die Geschlechtsbezeichnung verweist auf Zeiten, als es eine Seltenheit war, in einem Beruf oder einer Funktion einen Mann oder eine Frau anzutreffen. Ebenso verfehlt finde ich es, Menschen hinsichtlich ihrer sexuellen Neigungen oder Hautfarbe zu katalogisieren. Genau diese Zeiten möchte ich hinter mir lassen und sagen: Die Leistung zählt.
    Natürlich werde ich im konkreten Fall einen weiblichen Piloten Pilotin und einen männlichen Kleinkindversorger Hausmann nennen, aber eine Rede mit „liebe Hausfrauen und Hausmänner“ zu beginnen, oder von den Pilot*innen der Lufthansa zu sprechen, finde ich albern.

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