Orientalisches Tauschgeschäft: Menschenrechte gegen grünen Wasserstoff

Zur Neuorientierung der deutschen Marokko-Politik

Eine der ersten Amtshandlungen in der neuen deutschen Außenpolitik war eine Wiederannäherung an Marokko. Für fragwürdige energiepolitische Projekte wird dabei großzügig über marokkanische Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen.

Historischer Hintergrund: Der Westsahara-Konflikt

Verweigerung von Selbstbestimmung

Grüner Schmusekurs gegenüber Marokko

Die Fata Morgana des „grünen“ Wasserstoffs

Grüner Marsch ins energiepolitische Niemandsland

Nachweise

Historischer Hintergrund: Der Westsahara-Konflikt

1885 hatte sich Spanien auf der Berliner Westafrika-Konferenz (Kongokonferenz) die Souveränität über die Westsahara gesichert. Der zwischen Algerien, Mauretanien und Marokko eingekeilte Landstreifen besteht größtenteils aus Wüste, verfügt jedoch auch über die weltweit größte Lagerstätte von Phosphat (1). An den Atlantik grenzend, ist er zudem auch mit bedeutenden Fischereirechten verbunden.
Schon bald nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 beanspruchte Marokko die Hoheitsrechte über die Westsahara. Als Spanien sich nach dem Tod des langjährigen Diktators Francisco Franco aus seiner Kolonie zurückziehen musste, organisierte der damalige König Hassan II. einen so genannten „Grünen Marsch“, bei dem er 350.000 Marokkaner in die Westsahara einmarschieren ließ.
Nachdem Mauretanien, das ebenfalls Ansprüche auf die Westsahara erhoben hatte, diese 1979 aufgegeben hatte, versuchte Marokko auch den Rest des Territoriums unter seine Kontrolle zu bringen.

Verweigerung von Selbstbestimmung

Gegen die erneute Fremdherrschaft wehrte sich die einheimische Bevölkerung durch die Gründung der Frente Polisario, einer Widerstandsbewegung, die 1976 die Demokratische Republik Westsahara ausrief. Nach einem langjährigen Krieg mit Marokko kam es 1991 zu einer – bis Ende 2020 gültigen – Waffenstillstandsvereinbarung, als deren Folge die Westsahara zwischen einem größeren marokkanischen und einem kleineren, von der Polisario kontrollierten Gebiet aufgeteilt ist.
Der marokkanische Teil zieht sich an der Küste entlang, was Marokko die Fischereirechte sichert. Auch die bedeutenden Phosphatvorkommen der Westsahara befinden sich unter marokkanischer Kontrolle.
Teil der Waffenstillstandsvereinbarung war es, dass in der Westsahara ein Referendum über den zukünftigen Status des Gebietes abgehalten werden sollte. Die Volksabstimmung, die auch von den Vereinten Nationen gefordert wird, wurde jedoch von Marokko immer wieder hinausgezögert. Auch möchte das Königshaus die Bevölkerung allenfalls über eine Autonomie, nicht aber über eine mögliche Unabhängigkeit der Westsahara abstimmen lassen.
Zudem förderte die marokkanische Regierung die Einwanderung in die Westsahara. Die Bevölkerung ist dadurch von 75.000 Menschen im Jahr 1975 auf heute 600.000 Menschen angewachsen, die vermutlich größtenteils loyal zum marokkanischen Königshaus stehen.
Demgegenüber leben viele der ursprünglich in der Westsahara ansässigen Sahrauis und ihre Familien noch heute zu Zehntausenden in algerischen Flüchtlingslagern. Die Polisario fordert daher, nur die ursprüngliche Bevölkerung und ihre Nachfahren zum Referendum zuzulassen (2).

Donald Trump als Vorlagengeber für die Grünen

Als eine seiner letzten Amtshandlungen hat Donald Trump im Dezember 2020 die Anerkennung der marokkanischen Hoheitsansprüche über die Westsahara durch die USA veranlasst. Als Gegenleistung erhielt Trump von Marokko Unterstützung für seine Israel-Politik, die u.a. mit der Verlegung der Botschaft nach Jerusalem den Friedensprozess im Nahen Osten unterminiert hatte. Marokko erklärte sich sogar zur Anerkennung des israelischen Staates bereit (3).
Deutschland hatte seinerzeit der amerikanischen Position widersprochen und – in Übereinstimmung mit den Resolutionen der Vereinten Nationen – die Abhaltung eines Referendums zur Lösung des Westsahara-Konflikts gefordert. Daraufhin hat Marokko seinen Botschafter aus Berlin abgezogen und die Beziehungen zu Deutschland auf ein Minimum beschränkt.

Grüner Schmusekurs gegenüber Marokko

Als eine der ersten Amtshandlungen hat das neue, grün dominierte deutsche Außenministerium nun die Normalisierung der Beziehungen zu Marokko eingeleitet. Das Land wird auf einmal als „sowohl politisch als auch kulturell und wirtschaftlich (…) wichtiges Bindeglied zwischen Nord und Süd“ umschmeichelt. Auch werden die „umfangreiche[n] Reformen“ gelobt, die Marokko in den vergangenen Jahren eingeleitet habe, und betont, das Land spiele „eine wichtige Rolle für die Stabilität und nachhaltige Entwicklung in der Region“ (4).
Der Hauptgrund für die Charme-Offensive ist offenbar, dass Marokko in den energiepolitischen Vorstellungen der Grünen eine zentrale Funktion zugedacht ist. Wenn hier von einem „wichtige[n] Bindeglied zwischen Nord und Süd“ die Rede ist, so ist daher vor allem an das Projekt des so genannten „grünen“ Wasserstoffs zu denken.
Eine darauf ausgerichtete energiepolitische Partnerschaft ist in Marokko bereits eingeleitet worden. Sie sieht den massiven Ausbau von Wind- und Solarparks und darauf aufbauende Anlagen zur Produktion von Wasserstoff vor, in dem die Energie gespeichert und als Treibstoff für Autos genutzt werden soll.

Die Fata Morgana des „grünen“ Wasserstoffs

Nun hat bereits die Einstufung von Windkraft als „grün“ weniger mit der Realität als mit der Verflechtung von Grüner Partei und Windkraftlobby zu tun. Selbst wenn man die umweltschädlichen Auswirkungen von Wind-, Solar- und Wasserkraft ausblendet, erfüllt Marokko die Kriterien für „grünen“ Wasserstoff allerdings bislang nicht: Lediglich ein Fünftel des erzeugten Stroms beruht derzeit auf diesen Energiequellen (5).
Was noch schwerer wiegt: Marokko leidet schon jetzt unter einem Mangel an Wasser – das jedoch zur Produktion von „grünem“ Wasserstoff unerlässlich ist. Wird das vorhandene Wasser hierfür verwendet, sind Engpässe in der Landwirtschaft und damit bei der Ernährung der Bevölkerung zu erwarten (6).
Die Alternative sind Meerwasserentsalzungsanlagen, die jedoch ebenfalls mit erheblichen Schäden für die Umwelt verbunden sind. Dies gilt insbesondere bei einer Entsorgung der zurückbleibenden Salzlauge im Meer (7).
Nicht zuletzt ist die Produktion von Wasserstoff auch selbst nicht unbedingt nachhaltig: 40 Prozent der Ausgangsenergie gehen beim Herstellungsprozess verloren (8).

Grüner Marsch ins energiepolitische Niemandsland

So wird hier für ein fragwürdiges Schaufensterprojekt nonchalant über Schäden für Mensch und Umwelt hinweggesehen. Auch im Hinblick auf die Menschenrechte wird nahtlos an eine unselige Tradition (nicht nur) der deutschen Außenpolitik angeknüpft. Wer Energie zu bieten hat, darf die Menschenrechte ruhig mit Füßen treten. Das ist bei den OPEC-Staaten nicht anders als beim Gas-Krösus Aserbaidschan, der 2019 ungestraft Armenien überfallen durfte.
Nun wird also großzügig über die Verletzung des Völkerrechts durch Marokko hinweggesehen, um ein energiepolitisches Lieblingsprojekt der Grünen nicht zu gefährden.
Immerhin passt die Schimäre vom „grünen“ Wasserstoff ganz gut zur Wüste und ihren Fata Morganas. Auch ist Marokko ein Vorreiter in der schönfärberischen Nutzung des grünen Labels – wie die Etikettierung des Einmarschs in der Westsahara als „grüner“ Marsch bezeugt.

Ein weiter gefasster Blick auf den Zusammenhang von deutscher Energie- und Außenpolitik folgt in der nächsten Woche.

Nachweise

  1. Vgl. Statistisches Bundesamt: Weltweite Reserven an Phosphatgestein nach den wichtigsten Ländern im Jahr 2020.
  2. Ausführliche Erläuterungen zu den Hintergründen des Westsahara-Konflikts finden sich u.a. in: Klausmann, Tonja: Schlechte Aussichten: Der lange Kampf für eine unabhängige Westsahara. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., 11. März 2021. Knipp, Kersten: Die Westsahara – ein uralter Konflikt. Deutsche Welle, 19. Mai 2021. Mendia Azkue, Irantzu: Der vergessene Konflikt in Westsahara und seine Flüchtlinge. Bundeszentrale für politische Bildung, 29. März 2021.
  3. Vgl. Salimi-Asl, Cyrus: Trump verkauft die Sahraui. Neues Deutschland, 13. Dezember 2020; ausführliche Einschätzung des Trump-Deals mit Marokko: Nicolai, Katharina / Vollmann, Erik: Trumps Vermächtnis im Westsahara-Konflikt. Interview über die Konsequenzen des US-marokkanischen Deals zur Westsahara. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 12. Januar 2021.
  4. Auswärtiges Amt: Deutschland und Marokko: bilaterale Beziehungen. 13. Dezember 2021.
  5. Vgl. Baumann, Bauke: Grüner Wasserstoff aus Marokko – keine Zauberformel für Europas Klimaneutralität. Heinrich Böll Stiftung, 20. Januar 2021.
  6. Vgl. ebd.
  7. Vgl. Root, Tik: Entsalzungsanlagen produzieren mehr giftige Sole als erwartet. National Geographic, 21. Januar 2019.
  8. Vgl. Baumann (s. 4).

Bild: Europäische Kommission (DG ECHO): Ralah Mohamed Salim, auf dem Bild 45 Jahre alt, musste als Jugendliche mit ihrer Familie aus ihrer Heimat, der Westsahara, fliehen. Mit ihrem kranken Mann und ihren sieben Kindern lebt sie in einem Flüchtlingslager. EU Civil Protection and Humanitarian Aid: The Sahrawi refugees – a forgotten crisis in the Algerian desert (Wikimedia commons; Februar 2012)

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