Veränderte Sprache = verändertes Bewusstsein?

Jahresrückblick 2022: Politisch korrekte Sprache

Sprache und Bewusstsein sind eng miteinander verflochten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Bewusstsein quasi auf Knopfdruck, durch eine veränderte Sprachpraxis, umgepolt werden könnte.

Sprachphilosophischer Hintergrund der Debatte

Auch 2022 hat sich der Kulturkampf um eine politisch korrekte Sprache fortgesetzt. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine veränderte Sprache auch ein verändertes Bewusstsein hervorbringen könne.

Ein zentraler Anknüpfungspunkt für diese sprachphilosophische Fragestellung ist die Sapir-Whorf-Hypothese, wie sie Benjamin Lee Whorf (1897 – 1941), unter Bezugnahme auf seinen Lehrer Edward Sapir (1884 – 1939), in mehreren, zu einem Großteil erst nach seinem Tod erschienenen Schriften entwickelt hat. In deutscher Sprache erschien 1956 Sprache – Denken – Wirklichkeit, eines der bis heute meistdiskutierten sprachphilosophischen Werke.

Whorfs Thesen zur Beeinflussung der Sprache durch das Denken gründeten vor allem auf Studien zu den Sprachen der Hopi und der Inuit. Die Hopi-Sprache führte Whorf etwa zu der Erkenntnis, dass deren anders geartete Zeitformen und die stärkere Verbindung von Zeit und Raum in der Sprache ein anderes Verständnis der Zeit und ihrer Beziehung zu räumlichen Kategorien mit sich brächten.

Die Sprache der Inuit lieferte Whorf Einblicke in den Zusammenhang von geistiger Differenzierung und Begrifflichkeit. So gelangte er zu der Auffassung, dass ein verstärkter Umgang mit Schnee zu einer größeren Vielfalt an Begriffen für die verschiedenen Formen von Eis und Schnee und damit auch zu einer differenzierteren Wahrnehmung des Phänomens „Schnee“ führe.

Kein Bewusstseinswandel auf sprachlichen Knopfdruck

In beiden Fällen sind die Zusammenhänge zwischen Sprache und Denken offensichtlich. Allerdings beruhen sie jeweils auf jahrhundertelangen kulturellen Entwicklungsprozessen. Zudem sind sie struktureller Natur und beziehen sich nicht auf den zwischenmenschlichen Bereich.

Die Idee, soziale Einstellungen und politische Haltungen durch sprachliche Anpassungen verändern zu können – und das auch noch quasi per Knopfdruck, ohne die Verankerung in einer entsprechenden kulturellen Entwicklung –, erscheint daher naiv.

Thesen zur Bemühung um eine sprachliche Political Correctness

Daraus ergeben sich vier Thesen zur Bemühung um eine politisch korrekte Sprache:

  1. Entscheidend sind nicht die gewählten Begriffe, sondern die Einstellungen gegenüber den Menschen, die damit bezeichnet werden. Es ist deshalb wichtig, die Bemühung um eine nicht-diskriminierende Wortwahl mit einer aktiven Bekämpfung von Vorurteilen zu verknüpfen.
  2. Jeder Begriff unterliegt Abnutzungstendenzen und steht in der Gefahr, mit abwertenden Assoziationen infiziert zu werden. Als Mittel dagegen empfiehlt sich eine differenzierende, abwechslungsreiche Wortwahl, die stets den konkreten Menschen durchscheinen lässt, anstatt ihn hinter einer formelhaften Sprache zu verstecken.
  3. Wichtiger als die korrekte Begriffswahl ist das unterstützende Handeln. Wer sich nicht konkret für unter Diskriminierung leidende Menschen engagiert, hilft ihnen auch nicht, indem er sich eine politisch korrekte Wortwahl für sie ausdenkt. Dies birgt vielmehr die Gefahr in sich, dass eine Art „verbaler Ablass“ entsteht, dass man sich also mit einer vermeintlich „sauberen“ Wortwahl von der realen Hilfe für andere freikauft.
  4. Der erzieherische Wert einer sprachlichen political correctness ist äußerst zweifelhaft. Die bemühte Einführung nicht organisch gewachsener Begriffe kann vielmehr auch den gegenteiligen Effekt haben. Der ständig verbal erhobene Zeigefinger kann eine Trotzreaktion auslösen, bei der am Ende nicht nur die korrekten Begriffe abgelehnt werden, sondern auch jene Humanität, die sie der Idee nach fördern sollen.

Ausführliche Beiträge zum Thema:

Achtung, Sprachpolizei! Wer „Flüchtling“ sagt, ist ausländerfeindlich (?)

Geschlechtergerechtigkeit als Zungenbrecher. Wie die sprachlichen Gender-Dogmen die Genderdiskussion diskreditieren.

Bild: Collage unter Verwendung von IrmaArt: Penthouse (Pixabay)

2 Kommentare

  1. Danke für diese kurze Zusammenstellung. Interessant ist ja, dass Whorf die Beeinflussung der Sprache durch die Wahrnehmung postuliert hat. Die Befürworter des Genderns gehen ja den umgekehrten Weg. Sie wollen durch eine gesetzte und am Reißbrett entworfene Sprachregelung das Denken und die Wahrnehmung beeinflussen und damit auch die gesellschaftlichen Diskurse. Da viele der Sprachregelungen vom Großteil der Bevölkerung und schon gar nicht von denen, die diskriminierend handeln, gebraucht wird, wird sich dadurch gar nichts ändern. Aus meiner Sicht ist das eher eine Art Habitus einer bestimmten Bildungsschicht. Diskurse über gesellschaftliche Marginalisierungen und Exklusionsprozesse sind mit Sicherheit zielführender und werden Denken und Sprache verändern. Nur ein dialogischer, kultureller und evolutionärer Prozess sowie ein reflexiver Sprachgebrauch führen zu einem Bewusstseinswandel. Sprachverordnungen „von oben“ werden dagegen von großen Teilen der Bevölkerung als nervend und gängelnd empfunden und würgen damit die notwendigen Diskurse um Anti-Diskriminierung und Inklusion ab.

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  2. Es ist ja nicht nur das bis ans Absurde der Sprachredundanz grenzende Gendern, sondern auch neue Begriffe, die „in aller Munde“ sind wie Zeitenwende (poetisch anmutend, doch im Erleben brutal), Sondervermögen, Lieferketten(suggeriert Reibungslosigkeit, ununterbrechbare ,nahezu unerbittliche Produktionen in Verzahnungen), Flugscham (eine Wortverbindung, die in jedem Fall Erröten und Bauchschmerzen bereiten kann, aber die dies „erleiden“ fliegen ja trotzdem, das ist der Preis dafür, so die Moral), Pushback (einer der kältesten und unmenschlichsten Neu- Begriffe ins Englische gepackt, wird immer beliebter), systemrelevant (bezogen auf privilegierte Berufe und Tätigkeiten in Coronazeiten, darauf wäre ich früher NIE gekommen)- kurz, Begriffe, die neue gesellschaftliche Zustände,Gesetze, Haltungen und Handlungen mit-transportieren, Systemwörter die, moralisierend eingesetzt, eine gewisse Autorität vermitteln können. Oder gar diktatorisch wirken. Sie manchmal lösen in ihrer lautmalerischen Qualität Emotionen aus oder man verbindet die Begriffe mit Stimmen wie das Scholz’sche Sondervermögen, ich höre daraus das ihm eigene Zögern, Unaufrichtigkeit, Unangemessenheit der Wahl des zusammengesetzten Wortes, eine gewisse Hybridität auch, und überhaupt, ein Vermögen wird doch er-worben, wird langsam angehäuft, hat also eine Geschichte, – das Scholz’sche Sondervermögen wird einfach rausgerechnet aus dem großen Ganzen regierungseigenen (volkseigenen, ne, darf ich nicht mehr sagen) Kapitals festgelegt, zugewiesen, Zukunft geschrieben pur). Wie willkürlich die Wahl der glatten Zahl: 1 Milliarde, Manno, so viel, das übersteigt jedes „Normalvermögen“, deshalb Sondervermögen. Oder Abwrackprämie – am Ende ein wenig heiterer Unernst, – tolles Klang-Wort, könnte unser Katzenklo-Sänger Helge genial vertonen – ich stelle mir dabei ein paar verwahrloste, abgewrackte Bilderbuchkapitalisten vor.

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