Siegerin im Zahlenlotto

Das Wahlergebnis im Saarland ist anders, als es zu sein scheint

Häschenschule

Das Saarland hat gewählt. Und während das Triumphgeheul der Konservativen noch durch das Land hallt, beugen nüchternere Naturen sich noch einmal über das Wahlergebnis und betrachten es genauer. Dabei fällt auf: Das Ergebnis ist nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick aussieht. Der Eindruck klarer Verhältnisse ergibt sich nur dann, wenn man die CDU mit der SPD vergleicht. Stellt man dagegen Schwarz und Rot-Rot einander gegenüber, so fällt das Ergebnis zugunsten des linken Lagers aus (40,7 zu 42,5 Prozent).

Ein weiterer Aspekt ergibt sich, wenn man einen Blick auf Bulgarien wirft, wo parallel zum Saarland gewählt worden ist. Bei der dortigen Parlamentswahl galt eine 4-Prozent-Hürde. Wäre diese auch im Saarland angewendet worden, so hätten die Grünen den Einzug in den Landtag geschafft, und die Mehrheitsverhältnisse wären noch unklarer gewesen.

Aber ist die 5-Prozent-Hürde nicht gerade eingeführt worden, um für klare Mehrheitsverhältnisse zu sorgen? Richtig – aber darf man deshalb einfach Tausende von Stimmen unter den Tisch fallen lassen? Bei der Bundestagswahl entsprechen 5 Prozent der Stimmen über 3 Millionen Wählenden – ist das etwa eine zu vernachlässigende Größe?

Die Alternative wäre, allen Wählenden eine Ersatzstimme zuzubilligen – also die Möglichkeit einer „zweiten Wahl“, die dann maßgeblich wäre, wenn die „erste Wahl“ aufgrund der Sperrklausel nicht zum Zuge käme. Im Saarland hätte das wahrscheinlich zu einem grundlegend anderen Ergebnis geführt. Es ist nicht auszuschließen, dass viele Wählende ihre eigentliche Präferenz – Grüne, FDP oder auch Piraten – nur deshalb nicht angekreuzt haben, weil sie aufgrund der Umfrageergebnisse davon ausgehen mussten, dass ihre Stimme dann verloren gewesen wäre. Solange eine Wahl aber von einer solchen Art von Selbstzensur beeinflusst wird, ist der Wählerwille grundlegend verfälscht, und der Wahlsieger ist nichts anderes als der Gewinner in einem mit willkürlichen Regeln operierenden Zahlenlotto.

Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass es bei der Wahl im Saarland nicht einfach um rein machtpolitische Fragen gegangen ist – also darum, ob es nun einen Fingerzeig für die mögliche Verschulzung der Republik oder ihre weitere Merkelentierung gibt. Vielmehr standen hier durchaus auch inhaltliche Richtungsentscheidungen zur Debatte. Die wichtigsten waren dabei bildungspolitischer Natur – denn in keinem anderen Bereich haben die Länder in Deutschland so weitreichende Kompetenzen.

Auf bildungspolitischem Gebiet aber ist Annegret Kramp-Karrenbauer – entgegen dem progressiven Image, das sie sich in der Öffentlichkeit gerne gibt – eine offene Befürwortung der Steinzeitpädagogik. Gleichwertigkeit von Gemeinschaftsschule und Gymnasium, Inklusion, soziale Gerechtigkeit durch Bildungsgerechtigkeit – nichts davon kann vor dem rückwärts gewandten Blick dieser Tochter eines Sonderschulrektors bestehen. Sie steht voll und ganz hinter dem im wahrsten Sinne des Wortes „exklusiven“ Schulkonzept des Bildungsbürgertums, das sie schon 2014 nicht zufällig in der Zeit, dem bildungsbürgerlichen Leitmedium, verteidigen durfte.

Leider steht zu befürchten, dass die CDU das Wahlergebnis als Legitimation für einen Salto rückwärts in die Zeit der Häschenschule interpretieren wird. Schon im Wahlkampf hat sie die St. Wendeler Bundestagsabgeordnete Nadine Schön als Alternative zum bisherigen Bildungsminister Ulrich Commerçon in Stellung gebracht. Deren Kompetenz in Bildungsfragen beruht auf Erfahrungen mit Freizeitangeboten der Katholischen Jugend.

Natürlich – der Wahlabend war entmutigend für die SPD. Dieses gebetsmühlenartig wiederholte „40(,7) : 29(,6)“ klingt ja auch wie ein Kantersieg und lässt kaum etwas anderes zu als Demutsgesten. Die Realität aber sieht anders aus. Sie lautet: 24 : 24 – dies ist die Sitzverteilung zwischen CDU und linkem Lager im neuen saarländischen Landtag.

Man mag hier einwenden, dass diese Darstellung am Willen der Wählenden vorbeigeht, die sich in Umfragen mit großer Mehrheit gegen eine rot-rote Regierung ausgesprochen haben. Dieses Votum beruht zum Teil allerdings auch auf der allgemein menschlichen Angst vor Veränderungen. Indem Umfragen diese Angst zutage fördern, bestärken sie die Wählenden darin und zementieren so den Status quo. Dieser aber widerspricht zuweilen auch den Interessen derer, die sich an ihn klammern. In Portugal etwa wurde nach den letzten Wahlen die seither regierende Linksfront ebenfalls mit dem Argument, sie widerspreche dem Wählerwillen, attackiert. Die erfolgreiche Arbeit der Regierung hat den Kritikern jedoch mittlerweile den Wind aus den Segeln genommen.

Angesichts des Einzugs der AfD in den saarländischen Landtag wird von konservativer Seite sicher rasch das Argument der „staatspolitischen Verantwortung“ der SPD ins Spiel gebracht werden, sollte bei den Sozialdemokraten doch noch der Gedanke an eine rot-rote Minderheitsregierung aufkommen. Aber bedeutet staatspolitische Verantwortung nicht gerade, dass man sich um eine zukunftsorientierte Politik bemüht, um eine Politik also, die sich in besonderem Maße ihrer Verantwortung für die jüngere Generation bewusst ist? Und schließt dies angesichts der bildungspolitischen Geisterfahrt der CDU im Saarland eine Große Koalition nicht eigentlich aus?

Es stimmt: 29 ist weniger als 40. Man muss sich aber auch nicht kleiner machen, als man ist: 40,7 ist auch weniger als 42,5 (Rot-Rot). Mein Vorschlag lautet daher: Anke Rehlinger sollte als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin gegen „AKK“ antreten. Es ist zwar anzunehmen, dass diese dann trotzdem die Wahl gewinnt. Allerdings wäre sie in diesem Fall auf die Stimmen der AfD angewiesen. Dadurch wären nicht nur die Mehrheitsverhältnisse ins rechte Licht gerückt – man hätte auch vor aller Augen klargestellt, aus welcher Ecke die CDU Zustimmung für ihre restaurative Schulpolitik erwarten kann.

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