Deutschsprachige Liedermacher 1965 – 1985, Teil 6: Zerstörte Träume und Fluchtgedanken bei Georg Kreisler

Südsee

Im fünften Teil des Liedermacher-Specials auf rotherbaron stand Hannes Waders Lied Langeweile im Mittelpunkt. Darin wurde die Situation von Menschen skizziert, die an den objektiven Verhältnissen nichts ändern zu können glauben, während sie gleichzeitig subjektiv unter diesen leiden.

Eine solche Gefühlslage bietet einen guten Nährboden für Eskapismus. Anstatt sich in die Gesellschaft einzubringen und so auf den erhofften Wandel hinzuwirken, zieht man sich zurück und schafft sich in Traumwelten ein Surrogat des besseren Lebens. Dies kann durch die Flucht in Drogen oder andere Süchte, aber auch durch die Hingabe an die Heilsversprechen der diversen Sekten geschehen.

Daneben gibt es allerdings auch einen gesellschaftlich nicht nur geduldeten, sondern geradezu geförderten Eskapismus. Dabei handelt es sich um einen Eskapismus, der nicht aus einer Opposition zu den etablierten Verhältnissen entsteht, sondern diese im Gegenteil stützen soll. Dies geschieht dadurch, dass er Anpassung erleichtert, indem er gelegentliche Fluchten aus der an Nützlichkeitserwägungen orientierten gesellschaftlichen Realität ermöglicht. Beispiele hierfür sind das allabendliche Eintauchen in die künstlichen Wirklichkeiten der Kulturindustrie, die narzisstische Ersatzbefriedigung des Konsumrauschs oder das Hinleben auf den nächsten Urlaub, der für kurze Zeit die Illusion eines anderen Lebens wahrmachen soll.

Auf beide Formen des Eskapismus nimmt der österreichische Liedermacher Georg Kreisler in dem Album Mit dem Rücken gegen die Wand, das er 1979 zusammen mit Barbara Peters herausgebracht hat, gleich in mehreren Liedern Bezug. So wird in dem Lied Träume der Verlust aller Utopien eines anderen Lebens unter dem gesellschaftlichen Konformitätsdruck beklagt. Aus dem romantischen „Land, wo die Zitronen blühn“, ist das „Land, wo die Schablonen blühn“, geworden. Das Denken folgt vorgegebenen Mustern, ein jeder denkt nur  „an das, was sich [in deren Rahmen] denken lässt“. Diesen gesellschaftlich vorgeprägten Denkschemata ist auch das Ich in dem Lied erlegen: „Auch ich bin jetzt Sklave. (…) Was ein jeder denkt, denk‘ ich gehorsam mit – / alles andere ging verschütt.“

Eskapistische Tendenzen erwähnt das Lied in sarkastischer Weise dort, wo es heißt, dass man sich auch unter den beschriebenen Bedingungen gedanklicher Gleichschaltung Träume „kaufen“ könne. Dabei handelt es sich jedoch um Träume von der Stange, die nur in einem konsumistischen „kalte[n] Winterschlussverkauf“ zu erstehen sind. Ihnen fehlt das „aphroditisch[e] Element“, sie bringen „das Herz“ nicht zurück in den „Kopf“. Stattdessen nutzen sie die Träume für eine Ankurbelung der Wirtschaft und definieren sie so in eine konformistische „Bürgerpflicht“ um.

Vor diesem Hintergrund träumt das Ich in dem Lied von einer Flucht in Regionen, „wo illegale Träumer“ sind. Dem sozial gezähmten Traum, der mit seiner Ventilfunktion der Festigung der etablierten Verhältnisse dient, wird so der rebellische, die bestehenden Strukturen hinterfragende Traum gegenübergestellt.

In Zu Hause ist der Tod widmet sich Kreisler konkret dem exotistischen Eskapismus, bei dem es darum geht, der Tristesse in der Heimat durch die Flucht in ferne Regionen zu entkommen. Der Tod tritt dabei in dem Lied als konkrete Gestalt auf und erscheint als Inbegriff des Alltagstrotts: Er streicht die Küche „grau in grau“, er „kaut Pastillen“, und „gegen neun schläft er vorm Fernseher ein“. Er liebt „Prinzessinnen“ und „Schlagersänger“, bleibt also auch in seinen Träumen ganz auf dem Boden der konformistischen Seifenopernwelt der Kulturindustrie.

Der ‚Grabesruhe‘ eines solchen Alltags wird in dem Lied die Sehnsucht nach dem anderen Leben gegenübergestellt. Symbolisiert wird sie durch eine Aufzählung exotischer Reiseziele, die offenbar nicht konkret als solche gemeint sind. Vielmehr stehen sie in ihrer wahllosen Zusammenstellung für den Wunsch nach einem radikalen Neuanfang, einem ganz neuen Lebensentwurf.

Kreisler, Georg: Träume; aus: Mit dem Rücken gegen die Wand (mit Barbara Peters, 1979)

Liedtext

Ders.: Zu Hause ist der Tod; aus: Mit dem Rücken gegen die Wand (mit Barbara Peters, 1979)

Liedtext

 

Bild: Mead Schaffer: Illustration (1923) zu Herman Melvilles Roman Typee (Taipi) (1846)

 

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