Zur Entscheidung der KMK für Abi-Prüfungen in der Corona-Krise
Abiturprüfungen in Pandemie-Zeiten? Womöglich mit Atemschutzmasken, Handschuhen und Schutzkleidung? Eine surreale Vorstellung!
Aber genau das hat die Kultusministerkonferenz (KMK) gestern beschlossen. Es gab Gegenstimmen. Schleswig-Holstein hatte die Abiturprüfungen für dieses Jahr schon ausgesetzt und musste diese Entscheidung jetzt, unter dem Druck der Mehrheit, wieder revidieren.
Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, das obsolete Initiationsritual zu überdenken? Abzurücken von dem abstrakten Notendurchschnitt des Numerus clausus und stärker auf die Kompetenzen in den jeweils berufs- oder studienrelevanten Fächern zu schauen?
Hinzu kommt: Die Durchführung der Abiturprüfungen stellt unter den derzeitigen Bedingungen eine massive Benachteiligung für den diesjährigen Abi-Jahrgang dar.
Erstens haben auch die AbiturientInnen momentan ganz andere Dinge im Kopf als ihre Prüfungsthemen. Eine normale Prüfungsvorbereitung ist unter den gegebenen Umständen nicht möglich.
Zweitens ist gerade das, was durch die einheitliche Bestimmung gewährleistet werden soll, nicht gegeben: Chancengleichheit. Dafür müssten die Termine aneinander angeglichen werden. Ansonsten sind AbiturientInnen aus Bayern und Baden-Württemberg, wo die Prüfungstermine wegen der späten Sommerferien noch nicht unmittelbar bevorstehen, gegenüber anderen Prüflingen klar im Vorteil.
Drittens ist den AbiturientInnen gerade in der entscheidenden Vorbereitungszeit die Möglichkeit genommen worden, sich in Kleingruppen mit ihren Lehrkräften auf die Prüfungen vorzubereiten.
Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass die KMK die von über 100.000 SchülerInnen unterschriebene Petition zur Aussetzung der Prüfungen nicht berücksichtigt hat. Der Vorschlag, unter den gegebenen Umständen die Vornoten aus den Grund- und Leistungskursen als Endnote anzuerkennen, war maß- und sinnvoll.
Geradezu zynisch mutet vor diesem Hintergrund die Begründung an, mit der Klaus-Peter Meidinger, Präsident des „Deutschen Lehrerverbandes“ (einer Dachorganisation von Deutschem Realschullehrerverband, Philologenverband und dem Berufsschullehrerverband des Deutschen Beamtenbundes), die Entscheidung der KMK begrüßt hat: Die Vornoten, so Meidinger, seien für gewöhnlich besser als die Prüfungsnoten (Deutschlandfunk Kultur, Nachrichten vom 25. März 2020 , 17 Uhr).
Mitten in der Krise, die den derzeitigen AbiturientInnen beim Einstieg ins Studium zahlreiche Probleme bereiten wird, möchte Meidinger den Prüflingen also den einzigen Vorteil nehmen, den die Krise ihnen bieten kann.
Meidinger widerspricht damit nicht nur der Präsidentin des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klinzing, die mit ihrem Verband selbst Mitglied des Deutschen Lehrerverbandes ist und sich noch am Tag zuvor offen für eine Absage der Prüfungen gezeigt hatte. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich eindeutig gegen die Entscheidung der KMK positioniert.
Dies zeigt: Auch viele Lehrkräfte haben null Bock auf ein Absurdistan-Abi – zumal auch sie in diesen Zeiten auf eine solche Zusatzbelastung sicher gut verzichten können. Wer sich viele Jahre lang für „seine“ SchülerInnen engagiert hat, möchte diesen am Ende nicht mit empathielosen Prüfungen nach der Holzhammermethode die Zukunft verbauen.
Bild: Pixabay: 024-657-842
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