Ruanda: Frauen auf der Überholspur

Hoffnungsvoller Jahresausblick, Teil 5

Für die beiden letzten Teile der kleinen Reihe mit ermutigenden Projekten und Entwicklungen aus aller Welt werfen wir, passend zum Afrikatag am 6. Januar, noch einen kurzen Blick nach Ruanda und Mali. Heute geht es zunächst mal nach Ruanda. Dort haben die Frauen ein Ausmaß an Gleichberechtigung erreicht, von dem Frauen in anderen Teilen Afrikas und selbst mancherorts in Europa nur träumen können.

Ladies first – so gebietet es die Höflichkeit. In der Arbeitswelt hat diese Anstandsformel bislang allerdings nicht gegolten. Dort heißt es in vielen Bereichen noch heute eher: Gents first! Denn die „ladies“ benötigt man ja für Haushalt und Kinderbetreuung.
Eine Ausnahme von dieser Regel gab es in der Vergangenheit lediglich nach längeren Kriegen. Wenn es zu wenige Männer gab, durften auch die Frauen beweisen, dass sie in Männerberufen ihre Frau stehen können.

Wenn Frauen von Kriegsspielen der Männer profitieren

In Deutschland denken wir da vor allem an die Trümmerfrauen, ohne die ein Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar gewesen wäre. Aber auch bereits nach dem Ersten Weltkrieg sind Frauen in zahlreiche Domänen vorgedrungen, die zuvor allein den Männern vorbehalten waren.
In beiden Fällen ebbte die Gleichberechtigungswelle allerdings so schnell wieder ab, wie sie eingesetzt hatte. Sobald genügend Männer aus Lazaretten und Kriegsgefangenenlagern zurückgekehrt waren, schickte „man“ die Frau wieder an den Herd.
Dennoch waren die Nachkriegsjahre jeweils wichtige Etappen auf dem Weg zur vollständigen Gleichberechtigung der Frau. Denn das Argument, dass das vermeintlich zarte Geschlecht für die raue Arbeitswelt nicht geschaffen sei, war ja nun ein für allemal vom Tisch. Hieran konnten die Frauen ansetzen, als nach 1968 der Endspurt zur Vollendung der Emanzipation eingeläutet wurde.

Ein ruandischer Weltrekord in politischer Gleichberechtigung

Eine ähnliche Situation hat sich Mitte der 1990er Jahre nach dem Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda ergeben. Um auf die nötige Anzahl von Arbeitskräften zu kommen, mussten notgedrungen auch Frauen verstärkt ins Erwerbsleben integriert werden. Zusätzlich beruhte die stärkere Einbeziehung der Frauen ins öffentliche Leben aber auch auf der Einsicht, dass anders der tiefe Riss, der sich nach den schrecklichen Ereignissen durch die Gesellschaft zog, nicht überwunden werden könnte.
Das Resultat der entsprechenden Bemühungen lässt sich an einer vielzitierten Zahl ablesen. Über 60 Prozent der Abgeordneten im ruandischen Parlament sind weiblich – Weltrekord!

Der Autokrat und die Frauenrechtlerin

Diese Zahl täuscht allerdings einen Einfluss von Frauen auf die Politik vor, der in der Realität so keineswegs existiert. Das Parlament und selbst die Ministerien verfügen in Ruanda nicht über dieselbe Macht, wie das in anderen Staaten der Fall ist. Das Land wird seit zwei Jahrzehnten von Präsident Paul Kagame dominiert, einem Mann, der bei der Absicherung seiner Herrschaft kaum zimperlicher vorgeht als andere afrikanische Potentaten. Als bei der Präsidentenwahl 2017 die Unternehmerin und Frauenrechtlerin Diane Rwigara gegen ihn antreten wollte, ließ er sie mit derselben Justiz- und Polizeiwillkür verfolgen, wie dies auch in anderen autoritär regierten Staaten der Fall ist.

Haushaltsworkshops für Machos

Auf lange Sicht ermutigender sind deshalb die Veränderungen, die in den alltäglichen Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu beobachten sind. So gibt es in Ruanda etwa spezielle Workshops für emanzipationsunwillige Männer, in denen diese einen wertschätzenden Umgang mit ihren Frauen lernen. Aber auch sehr handfeste Lerninhalte – wie Kochen, Saubermachen und das Wechseln von Windeln – stehen auf dem Lehrplan. Zu derartigen Workshops würde wohl auch in Europa manche Frau ihren Mann gerne anmelden.
Und was das Tollste ist: Den Workshops scheint durchaus ein nachhaltiger Erfolg beschieden zu sein. Viele Männer fühlen sich offenbar selbst entlastet, wenn sie nicht mehr die knallharten Machos spielen müssen. Entsprechend offensiv verteidigen sie ihre neuen Verhaltensmuster auch gegenüber anderen Männern, die sich über sie mokieren.

Emanzipation als Fundament einer neuen politischen Kultur

Wenn man bedenkt, dass die Männer ihr neues Rollenverständnis auch an ihre Kinder weitergeben werden, scheint hier, in den scheinbar unbedeutenden Veränderungen im Alltag, in der Tat die Keimzelle echter Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu liegen. Spätestens wenn Langzeitpräsident Kagame einmal abtritt, könnte dies auch zu einer neuen, weniger autoritären politischen Kultur beitragen.

Ausführliche Reportage und Hintergrundbericht

Linda Staude: Frauenwunder in Ruanda: Der Fortschritt ist weiblich. Deutschlandfunk Kultur (Weltzeit), 27. November 2018.

Antonio Cascais: Ruanda: Ein Paradies für Frauen? Deutsche Welle, 7. März 2019.

Bildnachweise: 1. Andreas (Portraitor): Afrikanerin (Pixabay); 2. Roger und Renate Rössing: Aufbauhelferin, Leipzig 1953; Deutsche Fotothek Dresden; 3. Masako Kato: Ruandische Frau bei der Feldarbeit (Wikimedia); 4. Joachim Huber: Landschaft in Ruanda, Januar 2007 (Wikimedia); 5. Intoretuyisenge: Kinyarwanda Tuyisenge (beim Leisten des Amtseids?), Juni 2015 (Wikimedia); 6. Diane Rwigara in den Fängen der Justiz (aus einem Tweet von Rwigara vom 9. Oktober 2017) ; 7. Ivan Mucyo: Mann mit Baby im Arm (Ivan und Meghan), März 2019 (Wikimedia); 8. Joachim Huber: Sonnenuntergang in Ruanda, Januar 2007 (Wikimedia)

2 Kommentare

  1. Schau mal hier: https://gerdakazakou.com/2016/08/17/damit-wir-leben-haben/ Auch da gibt es ein interessantes Foto (drittletztes) von Frauen, die mit Hacke und Spaten die Straße bauten, die ihr Dorf mit der Welt verband. Diese Art von Emanzipation gab es in allen Nachkriegszeiten und auch in Kriegszeiten, hier in Griechenland besonders die Frauen, die den Widerstand belieferten, indem sie ohne Rücksicht auf eigene Gefahr alles Benötigte auf ihrem Rücken auf die Berge trugen.

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  2. Sehr interessanter Artikel! Es mutet seltsam an, dass es so viele Frauen im Parlament sitzen und es auch ein solches „Fortbildungsprogramm“ für Männer gibt, aber dennoch ein Autokrat herrscht und man von Demokratie nicht wirklich sprechen kann. Das ist irgendwie widersprüchlich. Ich drücke den Frauen in Ruanda die Daumen, dass sie die „Herrr“schaft übernehmen!!

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